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Du bist mein Gott, den ich suche

Psalmen lesen im jüdisch-christlichen Dialog

AutorAndreas Nachama, Marion Gardei
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783641093860
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Sachinformationen und spirituelle Deutung der Psalmen
Von Juden und von Christen werden die Psalmen gleichermaßen geschätzt. Einerseits verbindet das 'Gebetbuch der Bibel' beide Religionen, doch leben dieselben Texte andererseits in je ganz unterschiedlichen Traditionen. Hier legen der jüdische Rabbiner Andreas Nachama und die evangelische Pfarrerin Marion Gardei die bekanntesten und bei Beterinnen und Betern beliebtesten Psalmen aus. Nachama auf dem Hintergrund jüdischen Glaubens und seiner exegetischen Tradition, Gardei aus der christlichen Perspektive - beide sich gegenseitig befragend und inspirierend. Es entspannt sich ein anregender Dialog, nüchterne exegetische Information verbindet sich mit den spirituellen Räumen, die diese alten Texte abschreiten in ihrer Frage nach Gott. Dabei zeigt sich, dass die Worte und Bilder der Psalmen auch heute noch direkt zur menschlichen Seele sprechen. Ein kluges Buch, voller wacher Anregungen, die Psalmen in Liturgie und Andacht neu zu entdecken.
  • Ein ganz praktischer jüdisch-christlicher Dialog


Andreas Nachama, geb. 1951, Dr. phil., ist Geschäftsführender Direktor der 'Stiftung Topographie des Terrors', Rabbiner der Synagoge Hüttenweg der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und nebenamtlich Professor für Holocaust Studies und Jewish Studies am Touro College Berlin/New York. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte der Juden in Berlin sowie Gebetbücher für die Synagogen Hüttenweg und Pestalozzistraße in Berlin.

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Leseprobe

2


PSALM 1 UND 2


als Einleitung des Psalmenbuches

 

 

 

 

Der Weg des Frommen – der Weg des Gottlosen

 

1 Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen
noch tritt auf den Weg der Sünder
noch sitzt, wo die Spötter sitzen,
2 sondern hat Lust am Gesetz des HERRN
und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!
3 Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen,
der seine Frucht bringt zu seiner Zeit,
und seine Blätter verwelken nicht.
Und was er macht, das gerät wohl.
4 Aber so sind die Gottlosen nicht,
sondern wie Spreu, die der Wind verstreut.
5 Darum bestehen die Gottlosen nicht im Gericht
noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten.
6 Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten,
aber der Gottlosen Weg vergeht.

 

Gottes Sieg und die Herrschaft seines Erwählten

 

1 Warum toben die Heiden
und murren die Völker so vergeblich?
2 Die Könige der Erde lehnen sich auf, /
und die Herren halten Rat miteinander
wider den HERRN und seinen Gesalbten:
3 »Lasset uns zerreißen ihre Bande
und von uns werfen ihre Stricke!«

 

4 Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer,
und der HERR spottet ihrer.
5 Einst wird er mit ihnen reden in seinem Zorn,
und mit seinem Grimm wird er sie schrecken:
6 »Ich aber habe meinen König eingesetzt
auf meinem heiligen Berg Zion.«

 

7 Kundtun will ich den Ratschluss des HERRN.
Er hat zu mir gesagt:
»Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.
8 Bitte mich, so will ich dir Völker zum Erbe geben
und der Welt Enden zum Eigentum.
9 Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen,
wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen.«

 

10 So seid nun verständig, ihr Könige,
und lasst euch warnen, ihr Richter auf Erden!
11 Dienet dem HERRN mit Furcht
und küsst seine Füße mit Zittern,
12 dass er nicht zürne
und ihr umkommt auf dem Wege;
denn sein Zorn wird bald entbrennen.

 

Wohl allen, die auf ihn trauen!

 

»Mose gab den Israeliten die fünf Bücher der Tora, und David gab den Israeliten die fünf Bücher der Psalmen«. 13

Thomas von Aquin schreibt über den 1. Psalm: »Dieser Psalm unterscheidet sich von dem ganzen restlichen Werk: denn er hat keinen Titel, sondern ist sozusagen der Titel des ganzen Werks.«14

Nicht nur der Psalm 1, sondern Psalm 1 und 2 zusammen wurden von der Endredaktion des Psalmenbuches als zweiteilige Einleitung betrachtet. Sie haben gemeinsam, dass sie – im Unterschied zu den anderen Psalmen – keine Überschrift und keine direkte Gottesanrede vorweisen und sind redaktionell durch die Seligpreisungen (Psalm 1,1 und Psalm 2,12) zu einer Einheit zusammengefasst. »Wahrscheinlich ist Psalm 1 ausdrücklich für dieses Proömium geschaffen worden, während Psalm 2, der in seiner Grundform bereits die im 3. Jahrhundert zusammengestellte Sammlung Psalm 3–89 eröffnete, dabei erweitert wurde, um die beabsichtigte Programmatik zu verdeutlichen«.15

Die Anfänge biblischer Bücher sind selten zufällig gewählt, sondern offenbaren ein Programm.

Wie im 5 Mose 6,4–19 (das Schma Israel mit Ausführungen) grundsätzlich geboten wird, die Gebote Gottes immer vor Augen zu haben, weil das zu einem gesegneten und gottgefälligen Leben führt, so wird auch zu Anfang des Psalmenbuches die Tora als Wegweisung fürs Leben gepriesen (Psalm 1) und als Botschaft Israels an alle Völker begriffen, damit die endzeitliche ungeteilte Verehrung des einen Gottes verwirklicht wird (Psalm 2).

Es zeigen sich hier Parallelen zum Anfang des Josuabuches, das nach jüdischer Einteilung zugleich auch den Anfang des Prophetenteils (= Neviim) darstellt: Josua wird ermahnt 16, sich auf seinem Weg ins verheißene Land in allen Dingen nach dem Gesetz zu verhalten. Der Psalm hat auch eine Parallele zum Schluss dieses Prophetenteils. In Maleachi 3 wird versprochen, dass Gott zuletzt doch zwischen den Gerechten (orientiert an den göttlichen Geboten) und den Ungerechten unterscheidet – ein Gedankengang, der auch im 1. Psalm ausgeführt wird – und das Gedenken an das Gesetz Mose wird noch einmal eingeschärft17. So werden die Psalmen selbst zur Erinnerung an die Tora: Sie zu beten entspricht dem »Murmeln über dem Gesetz« (Psalm 1,2), führt zu einer Haltung des ständigen Nachsinnens über Gottes Willen und will zur Entscheidung für den Weg des Lebens ermutigen, einem gelingenden Leben im Angesicht Gottes, so wie es auch im 5 Mose 30, 19 heißt: »Wähle das Leben, damit du lebst«.

Bei dem selig zu preisenden Mann soll der Leser des Psalters gewiss an König David denken, den großen Psalmendichter und König, dem das Werk zugeschrieben wird, es gilt aber auch für alle Frauen und Männer, »die in der Nachfolge Davids seine Psalmen lesen«18.

2.1 Psalm 1


AUF DEN ERSTEN BLICK


Wer erwartet, zu Anfang des Psalters ein Gotteslob zu finden, wird enttäuscht. Der 1. Psalm gehört zu denen, die nicht einmal eine Gottesanrede aufweisen. Er und mit ihm das gesamte Psalmenbuch beginnt mit der Seligpreisung eines Menschen. Des Menschen nämlich, der Gottes Wort sucht und nach seiner Weisung handelt. Wie ein kräftiger und fruchtbarer Baum wird er sein. Der 1. Psalm ist sozusagen eine »Gebrauchsanweisung« für ein gelingendes Leben. Auf der anderen Seite stehen die Spötter und Frevler, die als nutzlose Spreu im Abgrund enden: Kann man Menschen so in schwarz und weiß einteilen?

DEN URSPRUNG WAHRNEHMEN


Psalm 1 beinhaltet weisheitliches Gedankengut, er ist ein »Weisheitslied«19. Unter die biblische Weisheitsliteratur rechnet man z. B. das Buch Hiob, das Buch der Sprüche, das Hohelied, das Buch der Weisheit und Jesus Sirach. Sie schildern die Weisheit als etwas von Gott Kommendes, geben aber gleichzeitig konkrete Handlungsanweisungen in erzieherischer Absicht, etwa so, wie hier im 1. Psalm der Weg zu einem Gott wohlgefälligen und glücklichen Lebensweg beschrieben wird. Die Form der Seligpreisung entstammt dieser für ein gottgefälliges Leben werbenden Weisheitsschule. »Wohl dem Menschen, der Weisheit erlangt ...«, heißt es grundsätzlich in Sprüche 3,13 und im Weiteren wird die Weisheit mit einem Lebensbaum verglichen, ähnlich wie im 1. Psalm: »Sie ist ein Baum des Lebens allen, die sie ergreifen, und glücklich sind, die sie festhalten.«20

Die Blütezeit der Weisheitsliteratur war das 2. Jahrhundert vor Christus, der Psalm ist in seiner Endgestalt etwa im 3. Jahrhundert entstanden, möglicherweise als eigens für den Psalter geschaffenes Vorwort.

DEN TEXT BETRACHTEN


Insgesamt

Inhaltlich handelt der Psalm von zwei Lebenswegen, zwischen denen sich der Mensch entscheiden soll. Er stellt aber den Lesern nicht »wie die hellenistische Zwei-Wege-Lehre an den Scheideweg, sondern er will eindeutig dazu motivieren, den Weg der Gerechten zu gehen ...«21. Wegweiser dafür ist die Tora, die göttliche Weisung durch die Gebote.

Die beiden Lebenswege werden je durch eine Sachhälfte (Verse 1, 2, 5) und eine Bildhälfte (Verse 3, 4) skizziert, »die sich auch motivlich chiastisch zueinander verhalten (der Gerechte inmitten der Frevler – der Fruchtbaum – die Spreu – der Frevler angesichts der Gemeinde der Gerechten)« 22.

 

Im Einzelnen

Verse 1–3: Der Weg zum Leben

Das Böse, von dem der Gerechte sich abgrenzen soll, wird in sich steigernder Weise dargestellt: Der Fromme teilt weder die Gedanken der Bösen (»Rat«), noch ihr Tun (»Weg«), noch ihre Zusammenkünfte und Handlungen (»Kreis«). Dem entsprechen die Verben wandeln, stehen (Luther: »auf den Weg treten«) und sitzen, die zusammen genommen die Ganzheitlichkeit des Lebens mit der Tora versinnbildlichen, wie es etwa im 5 Mose 6,7 positiv beschrieben wird: Du sollst die Worte der Tora zu Herzen nehmen, »wenn du in deinem Haus sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst«.

Dieses ständige Nachsinnen (»Tag und Nacht«, Vers 2) mag einerseits an das »Murmeln« über der Tora erinnern, wie es als halblautes Rezitieren zum Auswendiglernen in orthodox-jüdischen Bibelschulen geschieht, bedeutet aber auch reflektieren, auslegen und aktualisieren, eben mit der Tora zu leben in hellen Zeiten (»Tag«) und in dunklen Stunden (»Nacht«).

Der Baum an Wasserbächen wird zum Symbol der Kraft, des ewig jungen und fruchtbaren Geistes, der sich speisen lässt aus der Quelle der Tora und aus den Psalmen. Man kann dabei auch an die vom Propheten Ezechiel...

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