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E-Book

Du sollst nicht töten

Mein Traum vom Frieden

AutorJürgen Todenhöfer
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl464 Seiten
ISBN9783641120368
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Jürgen Todenhöfer mit einem sehr persönlichen Plädoyer für den Frieden
»Wieso darf man Kinder töten?« Auf diese Frage bekommt Jürgen Todenhöfer schon als Kind nach dem Bombenangriff auf Hanau 1945 keine Antwort. Heute, nachdem er viele Jahre damit verbracht hat, Kriegsgebiete zu bereisen, Menschen dort zu erkennen, wo andere nur Feinde sehen wollen, erinnert er sich und stellt wieder die alles entscheidende Frage: »Wie kann, was im eigenen Land als schändliches Verbrechen gilt, außerhalb der Grenzen eine Heldentat sein?«

Sein Buch, das sich vornehmlich aus seinen dramatischen Erlebnissen während des Arabischen Frühlings speist, legt Zeugnis ab von Hass, Demütigung und Vernichtung - gestern und heute. Immer wieder fragt er sich, warum Menschen moralische Grenzen überschreiten. Nicht nur jene, die vergewaltigen, foltern und töten, sondern auch jene, die am Schreibtisch andere aussenden »zur Verteidigung« von Freiheit und Frieden. Immer wieder konfrontiert Jürgen Todenhöfer das Bild, das öffentlich von Kriegen gezeichnet wird, mit der Realität vor Ort. Er gibt den Namenlosen ein Gesicht und zeigt uns unsere beschämenden Feindbilder.

Jürgen Todenhöfer wurde 1940 in Offenburg geboren. Von 1972 bis 1990 war er CDU-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Unionsparteien für Entwicklungshilfe und Rüstungskontrolle, von 1987 bis 2008 war er Stellvertretender Vorsitzender eines großen internationalen Medienkonzerns. Er zählt zu den kenntnisreichsten Kritikern der Militärinterventionen im Mittleren Osten und bereist seit über fünfzig Jahren die Krisengebiete dieser Welt. Dabei versucht stets, mit allen Seiten zu sprechen: mit Rebellen, Terroristen, Präsidenten und Diktatoren, vor allem aber mit der leidenden Bevölkerung. Bei C.Bertelsmann sind zahlreiche Bestseller von ihm erschienen, darunter 'Wer weint schon um Abdul und Tanaya?', 'Andy und Marwa - zwei Kinder und der Krieg', 'Warum tötest du, Zaid?', 'Teile dein Glück' und 'Inside IS. 10 Tage im Islamischen Staat'. Mit seinen Buchhonoraren hat er u.a. ein Kinderheim in Afghanistan und ein Kinderkrankenhaus im Kongo gebaut sowie ein israelisch-palästinensisches Versöhnungsprojekt finanziert.

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Leseprobe

Prolog

Die Fahrt nach Brega

Montag, 14. März 2011, 14 Uhr.

Auf einer Wüstenstraße fahren wir in unserem silbergrauen Hyundai Richtung Brega. Wir – das sind mein 54-jähriger libyscher Gastgeber Abdul Latif, der 21-jährige dunkelhäutige Libyer Yussuf, die 30-jährige deutsche Videojournalistin Julia Leeb und ich. Unser Ziel ist die kleine libysche Ölstadt Brega. Sie liegt rund 200 Kilometer südwestlich von Bengasi. In Bengasi hatte vor vier Wochen die Revolution begonnen. Drei Tage später hatten Gaddafis Truppen die Stadt verlassen und sich Richtung Brega zurückgezogen. Jetzt ist angeblich auch Brega befreit.

Die Farbe des Himmels hebt sich kaum vom Grau der Wüste ab. Immer wieder wirbelt der Wind die Sandkörner meterhoch auf und peitscht sie gegen die Windschutzscheibe. Die Landschaft wirkt unwirtlich, abweisend. Nirgendwo ein Zeichen von Leben.

Doch die Stimmung im Auto ist fast überschwänglich. Wo Abdul Latif ist, herrscht gute Laune. Seine Herzlichkeit verzaubert alle Menschen. Seit er vor drei Tagen im regnerischen Tobruk sein Haupt mit den wallend weißen Haaren lachend durch das Fenster unseres Autos steckte, nenne ich ihn »my smiling hero – meinen lächelnden Helden«. Ich hatte ganz vergessen, dass es so positive Menschen gibt.

Heute ist für Abdul Latif ein besonderer Tag. Er ist nicht nur berauscht vom Hochgefühl der arabischen Revolution. Er freut sich auch spitzbübisch, dass er den Rebellenführer der Region Adschdabiya/Brega, General Suleiman Mahmoud, überlistet hat. Der kahlköpfige Mann mit dem grauen Bismarck-Schnauzer hatte Julia und mir einen langen Vortrag über Clausewitz und Rommel gehalten. Als er erfuhr, dass ich Rommels Sohn mehrfach getroffen hatte, leuchteten seine Augen. Doch dann erklärte er umso entschiedener, eine Weiterfahrt nach Brega komme nicht infrage. Da sei gestern noch gekämpft worden. Menschen, die die Rommel-Familie persönlich kannten, seien für solche Abenteuer »viel zu wertvoll«. Er war stolz auf diese merkwürdige Begründung.

Für mich war die Fahrt nach Brega damit erledigt. Ernüchtert waren wir in Abdul Latifs Auto gestiegen und hatten von der Entscheidung des Clausewitz-Generals berichtet. Als Abdul Latif unsere Enttäuschung sah, blitzten seine Augen schalkhaft.

Er wusste längst, wie er uns nach Brega bringen würde. Während er auf uns gewartet hatte, hatte ihn Yussuf, ein junger Libyer, gefragt, ob er nach Brega mitkommen könne. Er habe dort Familie. Er wisse einen Schleichweg durch die Wüste. Sicherheitshalber hatte Yussuf auch noch bei seiner Familie angerufen. Sie hatte bestätigt, dass die Ölstadt frei sei. Das Gleiche hatte ein langes Telefonat Abdul Latifs mit einem seiner besten Freunde in Brega ergeben.

Die Truppen Gaddafis, die die Stadt tagelang besetzt hatten, waren demnach abgezogen. Wir würden die Möglichkeit erhalten, mit Libyern zu sprechen, die die Besetzung erlebt hatten. Die schildern konnten, ob die Berichte der Medien über Massenerschießungen und Massenvergewaltigungen zutrafen. Die darlegen konnten, was Dichtung und Wahrheit war. Abdul Latif weiß, dass es genau das ist, was ich herausfinden will.

»Sie wissen doch, uns hält niemand auf«, lacht er. Dann singt er mit seiner rauchigen Stimme nicht ganz notenrein: »Yes, with a little help from my friends.« »Beatles«, sage ich. »Nein, Joe Cocker«, schmunzelt er. Er liebt Joe Cocker, Pink Floyd und Tangerine Dream.

Ein Sandsturm kommt auf. Abdul Latif lehnt sich weit nach vorn, um die Piste nicht zu verfehlen. Trotzdem kommen wir immer wieder vom Weg ab und rattern durch holpriges Wüstengelände. Der Sturm legt sich, aber es bleibt düster. Yussuf fotografiert unablässig mit seinem Handy, obwohl kaum etwas zu sehen ist. Am liebsten macht er Aufnahmen von Julia.

Plötzlich tauchen wie aus dem Nichts in der Ferne drei dunkle Punkte auf. Flimmernd nähern sie sich, werden größer, bedrohlicher. Da sie aus dem Gegenlicht kommen, können wir nicht erkennen, ob es Schützenpanzer oder mit Artillerie ausgestattete Pritschenwagen sind. Langsam, ihre Scheinwerfer auf- und abblendend, kommen sie auf uns zu. Im Irakkrieg hatten entgegenkommende blinkende Fahrzeuge immer höchste Gefahr bedeutet. Ihr Signal hieß: »Sofort Weg freimachen!« Wer nicht schnell genug reagierte, wurde weggeschossen. In den Hauptkampfjahren 2004 bis 2007 waren die Autobahnen des Irak gesäumt von ausgebrannten Fahrzeugen, deren Fahrer das zu spät verstanden hatten.

Abdul Latif fährt sofort an den Rand der Piste und stellt den Motor ab. Atemlos warten wir ab. Selbst als die düsteren Fahrzeuge sich bis auf 50 Meter genähert haben, sehen wir nur, dass es sich um Pickups, um Pritschenwagen, handelt. Ob sie Gaddafi-Kämpfer oder Rebellen transportieren, können wir nicht feststellen. Ihre Geschütze sind auf uns gerichtet.

Yussuf ist grau um die Nase, die tapfer filmende Julia bleich. »Freund oder Feind?«, frage ich Abdul Latif leise. Auch er weiß es nicht. Soldaten und Aufständische sehen hier meist gleich aus. Doch plötzlich reißt Abdul Latif die Senussi-Flagge der Rebellen hoch und hält sie gegen die Windschutzscheibe. An irgendetwas muss er erkannt haben, dass es Rebellenfahrzeuge sind. Die Aufständischen veranlasst das nicht, die Richtung ihrer Geschütze zu ändern. Sie schauen uns finster an. Wenige Meter vor uns halten sie.

Abdul Latif greift zu seiner Geheimwaffe, meinem ins Arabische übersetzten Buch Warum tötest du, Zaid?. Es hat uns in den drei Tagen, die wir in Libyen sind, schon mehrere Türen geöffnet. Ein Deutscher, der ein Buch in arabischer Sprache veröffentlicht, kann kein Feind sein, dachten die meisten. Wenn uns jemand mit Misstrauen begegnete, hatte Abdul Latif blitzschnell das Buch hervorgezogen und daraus vorgelesen. Selbst Mustafa Abd Al-Dschalil, der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats, war einer Lesung nicht entkommen. Zehn Minuten lang musste sich das frischgebackene Oberhaupt des freien Libyen in der Rebellenstadt Al-Baida Auszüge aus dem Zaid anhören. Vor allem jene, die Libyen betrafen.

Unsere Wüstenrebellen sehen allerdings wie eine Räuberbande aus, die nur selten Bücher in die Hand nimmt. Doch Abdul Latif kennt kein Erbarmen. Noch während sie ihm ihre Waffen vor die Nase halten, beginnt er seinen Vortrag. Dabei deutet er mehrfach fast theatralisch auf mich. Unerschrocken kämpft seine Stimme gegen den heulenden Wind an, der fast zum Orkan angeschwollen ist. Staunend schauen die Kämpfer zu, wie Abdul Latif, einem Wüstenprediger gleich, mit ausladenden Gesten aus meinem Buch vorliest. Die Szenerie ist skurril.

Abdul Latif ist von seinem Vortrag selbst so mitgerissen, dass er auf Englisch schließt: »Die Russen und die Amerikaner haben uns nicht aufgehalten. Ihr werdet das jetzt auch nicht tun.« Dann lacht er sein herzliches Lachen, dem noch niemand widerstanden hat.

Sein Vortrag mitten in der Wüste ist so spektakulär, dass einige der Rebellen Beifall klatschen. Einer will mir gleich seine Kalaschnikow schenken. Aber ich lehne dankend ab. Auch weil Julia filmt. »Meine Waffe ist die Feder«, sage ich und bin froh, dass der Wind die pathetischen Worte gleich wieder fortträgt. Eine Diskussion über die Revolution beginnt. Dann bekommen wir alle eine Dose Maracujasaft. Dankbar trinken wir das süße Zeug. Es ist das erste Getränk seit heute morgen.

In der Zwischenzeit werden wir von zwei weißen Pkws überholt. Seine Insassen, darunter ein Kleinkind, winken uns fröhlich zu. Sie haben Gepäck auf dem Dach und wollen offenbar auch nach Brega. Wir nehmen nun die Warnungen der Rebellen nicht mehr ganz so ernst. Wenn Familien mit Kindern durchkommen, schaffen wir das auch.

Nach herzlichen Umarmungen und dem unvermeidlichen Siegeszeichen geht es weiter. Die Rebellen hätten uns am liebsten eskortiert. Aber das haben wir überall abgelehnt. Auch in Brega wollen wir nicht mit bewaffneter Begleitung einfahren.

Abdul Latif gibt uns Datteln. Er selbst isst nur eine, weil er Diabetiker ist. Er erzählt uns, dass die Beduinen den Kern der letzten Dattel stets im Mund behalten. Er rege den Speichelfluss an und vermindere den Durst. In der Wüste könne das lebenswichtig sein.

Es gibt einen weiteren Grund, warum Abdul Latif heute so guter Stimmung ist. Er hatte frühmorgens einen Brief an Abd Al-Dschalil entworfen, in dem er aufzeigte, wie man eine NATO-Intervention noch vermeiden könne.

Wir haben über diese Frage in den letzten Tagen stundenlang diskutiert. Abdul Latif ist wie ich der Auffassung, dass eine Verhandlungslösung noch immer möglich ist. Die Alternative zur militärischen Intervention sei eine diplomatische Offensive. Ban Ki-moon, der sich bisher meist nur als Angsthase profiliert habe, müsse in Begleitung von Blauhelmen sofort nach Bengasi – als persönlicher Garant für die Sicherheit der Bevölkerung. Sarkozy und Berlusconi, die bekanntlich gute Freunde Gaddafis seien, müssten gleichzeitig zu Gesprächen nach Tripolis. Gaddafi werde sich diesen Verhandlungen nicht entziehen. Der persönliche Kontakt zu den Führern des Westens sei ihm stets wichtig gewesen.

Gleichzeitig sollten die arabischen Staaten demonstrativ die Lieferung einer eng begrenzten, symbolischen Zahl von Flugabwehrraketen an die Rebellen vorbereiten, um Gaddafi von Luftangriffen abzuschrecken. Parallel solle die UNO vor Bengasi und Tripolis Flottenverbände aufkreuzen lassen und eine wirksame Drohkulisse aufbauen.

Morgen will Abdul Latifs Sohn diesen Brief dem Revolutionsführer überbringen. Am Tag danach will Abdul Latif noch einmal zu ihm fahren. Gemeinsam mit mir. Er glaubt fest, dass wir ihn umstimmen können....

Blick ins Buch

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