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E-Book

Dystopie Eurozone

Gruppendenken und Leugnung im großen Stil

AutorWilliam Mitchell
VerlagLola Books
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl656 Seiten
ISBN9783944203324
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Dieses Buch beweist einmal mehr, dass es nicht um schnelle Urteile und Stellungnahmen geht, sondern um ein auf historische Zusammenhänge und ein bestimmtes theoretisches Verständnis gestu?tztes Wissen, aus dem die politische Kritik wie selbstverständlich folgt. Dass Bill Mitchell an den derzeit herrschenden wirtschaftspolitischen Verhältnissen in Europa kein gutes Haar lässt, mag man als Europäer bedauern, ist man intellektuell ehrlich, muss man ihm aber weitgehend zustimmen. Bill Mitchell leistet mit seinem Buch einen großartigen Beitrag dazu, in Europa die einseitige Diskussion und die einseitige Politik zu beenden. Ganz besonders wichtig ist aber die deutsche Ausgabe, weil hierzulande die Diskussion noch viel steriler verläuft als in den u?brigen Ländern. Deutschland fu?hlt sich im Recht, weil es erfolgreich ist. Doch der Erfolg alleine ist sowohl in den zwischenmenschlichen Beziehungen als auch in den Beziehungen zwischen Nationen ein schlechter Indikator fu?r vernu?nftiges Verhalten. Nur wer hinter die Kulissen schaut, die Vorgänge versteht und fu?r dieses Verstehen einen angemessenen theoretischen Rahmen hat, sollte u?ber Recht und Unrecht urteilen. Bill Mitchell verfu?gt u?ber all diese Fähigkeiten, weswegen sein Buch hoffentlich bald zum Standardrepertoire des Faches gehört. Heiner Flassbeck

William 'Bill' Mitchell (Australien, 1952) ist Professor für Ökonomie an der University of Newcastle in New South Wales. Er gilt als Begründer der Modern Monetary Theory und ist Direktor des Centre of Full Employment and Equity (CofFEE), einer Forschungseinrichtung an der Universität Newcastle, die sich für Vollbeschäftigung und gute ökonomische Lebensbedingungen für alle Menschen einsetzt.

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Leseprobe

KAPITEL 2


FRÜHE VERSUCHE EINER WÄHRUNGSUNION UND DER GIPFEL VON DEN HAAG


FRÜHE VERSUCHE EINER EUROPÄISCHEN WÄHRUNGSUNION


Die Idee einer gemeinsamen Währung in Europa oder in Teilen davon hat eine lange Geschichte. Als es im 19. Jahrhundert zu einem Zusammenschluss von Staaten kam, war eine gemeinsame Währung ein ganz wesentlicher Teil der Staatlichkeit. Die deutschen Staaten vereinten sich schon 1834 im Zollverein und hatten eine gemeinsame Währung, die Vereinsmünze. 1876 wurde dann die Reichsmark die deutsche Währung, nachdem die Reichsbank die Kontrolle über alle Münzen übernommen hatte (Holtferich, 1993). In ähnlicher Weise war die italienische Vereinigung 1861 von der Annahme des Lira durch alle Beteiligten begleitet.

Andere Währungsarrangements im 19. Jahrhundert scheiterten aber. Als Belgien 1830 unabhängig wurde, führte es den französischen Franc ein und wurde Teil der Franc-Zone. 1848 bildeten Frankreich, Belgien und die Schweiz die sogenannte Lateinische Münzunion (LMU); Italien trat 1861 bei und Griechenland und Bulgarien 1867. Wenn wir die modernen Entwicklungen verstehen wollen, so ist es wichtig zu bemerken, dass der Anstoß zur Gründung der LMU von Frankreich kam, das sich mit schrumpfender Kolonial- und Wirtschaftsmacht konfrontiert sah (siehe Flandreau, 1995, 2000; Einaudi, 2000; Flandreau und Maurell, 2005).

Die LMU war ein bi-metallisches, d. h. auf Gold und Silber beruhendes Arrangement, wobei jede Nation ihre eigene Währung in Gold- und Silbermünzen behielt, die dann, abgesehen von einer kleinen Gebühr, über einen festen Wechselkurs getauscht werden konnten. Die jeweiligen Notenbanken haben den Umtausch von Gold und Silber in Münzen zum festenWechselkurs garantiert. Als das Silber an Wert verlor, wurde die Konvertibilität von den Notenbanken aber aufgehoben. Mit dem Ersten Weltkrieg wurde der Goldstandard aufgegeben, weil die Regierungen ihre Goldvorräte verkauften, um den Krieg zu finanzieren, was den Goldpreis sinken ließ. Nach Jahren des Nicht-Funktionierens war dies das Ende des System; förmlich wurde es 1926 abgeschafft,

Eine ähnliche multinationale Währungsunion wurde 1873 als Skandinavische Währungsunion (SWU) durch Schweden und Dänemark gegründet; Norwegen trat zwei Jahre später bei. Diese Währungsunion basierte auf Gold, »wobei jede Nation das Dezimalsystem und eine gemeinsame Währungseinheit einführte«, die Skandinavische Krone (Bergman, 1999: 365). Die Währungen der Teilnehmer (Goldmünzen und andere Silber- und Bronzemünzen) waren zunächst gegenüber dem Goldpreis festgelegt und blieben acht Jahre lang frei tauschbar, bis dann die gemeinsame Währung kam (Bergman, 1999; Bergman et al., 1993; Henrikson und Kaergard, 1995). Die politischen Entwicklungen haben das System dann aber unterminiert. Als z. B. Norwegen den Bruch mit Schweden 1905 vornahm, haben die Schweden die Konvertibilität eingeschränkt. Aber es war, wie mit der LMU, die monetäre Instabilität, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam, die für das Ende sorgte. Formell wurde sie 1921 beendet. Bordo und Jonung (2003) haben andere erfolglose Versuche einer Währungsunion im 19. Jahrhundert dokumentiert.

Was können wir davon lernen, damit es uns hilft, die Optionen für Europa heute zu verstehen? Zunächst einmal kann die Einführung einer gemeinsamen Währung erfolgreich sein, wenn sie Teil eines nationalen Einheitsprozesses ist. Es ist wichtig festzuhalten, dass die früher unabhängigen Staaten, die sich vereinigen wollten, über ganz verschiedene ökonomische Strukturen (Industriezweige, Beschäftigungsverhältnisse) und betrachtliche Einkommensunterschiede verfügten. Auch die kulturellen Unterschiede waren stark ausgeprägt. Man darf also nicht schlussfolgern, dass kulturelle Heterogenität oder ökonomische Unterschiede den Erfolg einer Währungsunion unmöglich machen. Gemeinsam war allerdings allen diesen Staaten, dass sie sich politisch darauf geeinigt hatten, trotz ihrer Unterschiede einen gemeinsamen Nationalstaat zu schaffen, der dann auch u. a. mit den nationalen wirtschaftspolitischen Mitteln ausgestattet war, die man nutzen konnte, um das Wohl aller Bürger zu fördern.

Auf der anderen Seite scheiterten die multilateralen Übereinkommen wie die LMU und SWU, weil es keine politische Übereinkunft gab, um die unabhängigen staatlichen Einrichtungen in eine gleichsam nationale Einheit zu transformieren. Während diese Einrichtungen bestanden, haben die Regierungen nur insofern an der Währungsunion teilgenommen, als es ihre nationalen Ziele unterstützte. In Zeiten extremer monetärer Instabilität (im Ersten Weltkrieg) wurde dies deutlich, denn mit der Aufgabe des Goldstandards konnte man die nationalen Interessen besser ausüben.

1929 wurde dann die Idee einer europäischen Währung wiederbelebt, als der deutsche Außenminister Gustav Stresemann, der in der Zwischenkriegszeit hart gearbeitet hatte, um Frankreich und Deutschland wieder zu versöhnen, vor dem Völkerbund die Frage stellte: »Wo ist die europäische Währung und die europäische Briefmarke, die wir brauchen?« (Europäische Kommission, 2012a). Keine sechs Wochen später brach die New Yorker Börse am Schwarzen Freitag zusammen, was jeden Gedanken einer internationalen Währungszusammenarbeit in Europa auf die lange Bank schob.

Zum Verständnis der gegenwärtigen Lage ist es wichtig zu erkennen, dass Stresemann die Notwendigkeit einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sah. Ein Thema, das die Diskussionen in der Nachkriegszeit dominierte und motivierte und letzlich zum Euro führte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die 44 alliierten Nationen darauf geeinigt, zum Goldstandard zurückzukehren, weil sie sich davon wirtschaftliche Stabilität erhofften. Das sogenannte Bretton-Woods-System wurde im Juli 1944 gegründet und verlangte von den Notenbanken, ihre Währungen in einem festen Kurs zum US-Dollar zuhalten. Dem neuen Internationalen Währungsfonds (IMF) wurde die Möglichkeit gegeben (ausgestattet mit Beiträgen von den Mitgliedsstaaten), Staaten kurzfristige Kredite zu geben, die nicht imstande waren, genügend Währungsreserven zu kaufen, um die festgelegten Wechselkurse zu bewahren. Die amerikanische Regierung versprach ihrerseits, zu einem festen Preis Gold gegen den US-Dollar zu tauschen.

DAS BRETTON-WOODS-SYSTEM UND DER BARRE-BERICHT


Nach dem Römischen Vertrag von 1957, der die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gründete, gab es eine regelmäßige Diskussion zwischen den Mitgliedsstaaten über die Notwendigkeit einer engeren wirtschaftlichen Kooperation. Im Februar 1969 hat der sogenannte Barre-Bericht die europäische Präferenz für feste Wechselkurse und den Weg zu einer gemeinsamen Geldpolitik bestätigt (Barre-Bericht, 1969). Die Europäer waren besorgt über die Entwicklung der Devisenmärkte und die Verringerung der amerikanischen Goldreserven, im Zusammenhang mit dem Versprechen von Bretton-Woods, die Konvertibilität des US-Dollar in Gold zu gewährleisten. Während der 1960er Jahre bewegte sich eine große Menge an Gold von den USA nach Europa als Folge der amerikanischen Zahlungsbilanzdefizite.

Die Benutzung des US-Dollars als Reservewährung hat die Instabilität des Bretton-Woods-Systems deutlich gemacht. Der Ökonom Robert Triffin warnte in den frühen sechziger Jahren, dass dieses System die USA zwingen würde, ein beständiges Zahlungsbilanzdefizit aufrechtzuerhalten, damit die anderen Nationen, die den US-Dollar als dominierende Währung im internationalen Geschäft benutzen, überhaupt im Stande seien, ihn zu kaufen. In den 1950er Jahren gab es einen Mangel an US-Dollars, weil die Nationen sich vom Krieg erholten und der Handel wuchs. Aber in den 1960er Jahren hatte sich die Situation geändert. Die Staaten begannen sich Sorgen zu machen über den Wert ihrer steigenden Dollarreserven und fragten sich, ob die USA weiter die Goldkonvertibilität aufrechterhalten können. Diese Furcht ließ die Staaten immer mehr ihrer Dollarreserven in Gold umtauschen, was die Goldreserven der USA deutlich reduzierte. Das sogenannte Triffin-Paradox war also, dass das Bretton-Woods-System einen Export des US-Dollars in die Weltmärkte erzwang, was wiederum das Vertrauen in den Wert dieser Währung reduzierte und zu einem zunehmenden Verlangen, den US-Dollar in Gold zu tauschen, führte. Der Verlust an Goldreserven bestärkte wiederum die Ansicht, dass der US-Dollar überbewertet sei, und dass das System irgendwann zusammenbreche (Triffin, 1960).

Für die USA wäre ein Weg aus diesem Dilemma gewesen, die Zinsen zu erhöhen, um den Geldfluss umzukehren. Das hätte aber die amerikanische Wirtschaft in eine Rezession getrieben, was politisch nicht ging. Es stand auch zunehmend im Widerspruch zu den anderen politischen Zielen der Innenpolitik (dem Krieg gegen die Armut) und der Außenpolitik, dem obsessiven Kampf gegen den Kommunismus, z. B. dem Aufbau von NATO-Einrichtungen in Westeuropa und die Fortführung des...

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