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Dystopie und Utopie bei Christian Kracht. 'Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten', 'Metan' und 'Imperium'

AutorStefanie Weber
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl41 Seiten
ISBN9783656654070
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Ruhr-Universität Bochum (Germanistisches Institut), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit bietet eine detaillierte Analyse von Christian Krachts Bestseller 'Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten' bezüglich dystopischer und utopischer Elemente, wobei ebenfalls sein (zusammen mit Niermann geschriebener) Roman 'Metan' und sein neuestes Werk 'Metan' en detail untersucht und hinsichtlich ihrer kategorischen Einteilung in literarische Dystopien (Metan) und literarische Utopien (Imperium) analysiert werden. Des Weiteren werden bei dieser Analyse v.a. auch die Parallelen zwischen diesen drei Werken herausgearbeitet und ein besonderes Augenmerk liegt auf der Kracht-typischen Motivik, die seinen (fast schon grundsätzlich) kritischen Werken zu Grunde liegt.

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Leseprobe

III. Imperium


 

Christian Krachts aktuellster Roman Imperium sorgte bei seiner Publikation im Februar 2012 für große Furore in der Presse: Wird er von den einen noch „als Parabel auf die deutsche Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“[40] und als „furiose Satire auf deutsche Ermächtigungsphantasien“[41] gesehen, so deklariert Georg Diez Krachts neuestes Werk – und eigentlich die gesamte „Methode Kracht“, wie er sie nennt – als faschistische Allegorie mit Befürwortung des Autors von „rechtem Gedankengut“[42].

 

Imperium erzählt – basierend auf der Biographie des Nürnberger Apothekers August Engelhardt – die Geschichte eines deutschen „Aussteiger[s] am Beginn des 20. Jahrhunderts, der sein Glück in der Südsee sucht“, indem er versucht, dort einen neuen, vollkommenen Staat zu gründen[43]. Als Begründer des Kokovorismus siedelt Engelhardt, der sich selbst „als Prophet […] und als Missionar zugleich“ sieht, nach Kabakon, einer kleinen, zu den Südseekolonien des Wilhelminischen Imperiums gehörenden Insel in der Nähe der Kolonialstadt Herbertshöhe, über, um dort eine nudistische „Kolonie der Kokovoren zu erschaffen“, in der sich ein jeder lediglich von Kokosnüssen ernähren soll, da alle anderen Nahrungsmittel – seiner Meinung nach – „unrein“ seien (IP 41). Die Eingeborenen dulden Engelhardt zwar und arbeiten zunächst auch für ihn, bis auf den jungen Makeli schließt sich ihm jedoch keiner der Eingeborenen an (Vgl. IP 72). Auch ansonsten findet Engelhardts Radikal-Kokovorismus kaum Anklang: Neben Heinrich Aueckens, einem homosexuellen und antisemitischen Vegetarier aus Helgoland, der nur eine kurze Zeit auf Kabakon verweilt, da er nach der Vergewaltigung Makelis unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt (ob Engelhardt selbst ihn für die Missetat tötet „verschwindet im Nebel der erzählerischen Unsicherheit“ (IP 130)), beschließt lediglich Max Lützow, ein stark hypochondrischer „Geigen- und Klaviervirtuose aus Berlin“, der sich durch die rigorose Kokosnuss-Diät Heilung seiner „Ansammlung halbimaginierter Krankheiten“ erhofft (IP 148), sich Engelhardt anzuschließen, obwohl man ihn davon abzuhalten versucht, da – wie man ihm sagt – „der Nürnberger drüben auf seinem Eiland […] doch nicht ganz bei Trost“ sei (IP 153). Gemeinsam versuchen sie weitere Adepten anzuwerben, jedoch haben sie damit keinen Erfolg: Es reisen zwar „etliche Heilssucher“ an und nach der Publikation von Engelhartds Schrift „Eine sorgenfreie Zukunft“ werden auch fernab der Kolonie im heimischen Deutschland Kokosnüsse verlangt, doch ist dies nur ein äußerst kurzlebiges Phänomen und Lützow und Engelhardt verbleiben alleine auf Kabakon (IP 161). Als sich die beiden jedoch einige Jahre später entzweien, da sich Engelhardt paranoider Weise von Lützow bedroht fühlt und „ein infames Übernahmemanöver“ fürchtet (IP 185), reist Lützow ab, kommt jedoch wenig später, kurz nach seiner Vermählung mit Emma Forsayth, ums Leben (Vgl. IP 207-215); zur gleichen Zeit legen auch die Eingeborenen die Arbeit nieder, da sie die Abreise Lützows „als schlechtes Omen“ ansehen (IP 187). Engelhardt hat währenddessen nicht nur eine gravierende Paranoia entwickelt, sondern zudem völlig den Verstand verloren und ist auf Grund seiner Mangelernährung und den schlechten hygienischen Verhältnissen an Lepra erkrankt (Vgl. IP 185-188). Aus diesem Grund wird Kapitän Christian Slütter, den Engelhardt bereits einige Jahre zuvor in Herbertshöhe kennengelernt hat, von Gouverneur Hahl mit der Erschießung des verrückt gewordenen „Kokosapostel[s]“, der wahrscheinlich sogar „einen Mord begangen“ hat, beauftragt (IP 204). Auf Kabakon angekommen findet er Engelhardt zusammen mit Makeli  vor:

 

„Engelhardt hat sich […] in sein Haus begeben und, nachdem er Innen- und Außenwände sowie die Seiten vielleicht eines guten Dutzends seiner Bücher [...] über und über mit schwarzen Streifen bemalt hat, sich anschließend [...] mit der Schere den Daumens seiner rechten Hand abgeschnitten […], seine Beine sind von den gelblich-schwarzen Flecken des Aussatzes überzogen, als habe er sich wiederholt gestoßen. […] Sich am Barte ziehend, beginnt Engelhardt zu klagen, daß […] allein Jung Makeli hier […] geblieben [sei][…]. Makeli muß grinsen und legt die Hände vor den Mund. Slütter sieht, daß [auch] dem Jungen ein Mittel- und ein Zeigefinger fehlen“ (IP 216-220).

 

Slütter erkennt also, dass Engelhardt nicht nur dem Wahnsinn verfallen und in äußerst schlechter körperlicher Verfassung, sondern zudem auch vom veganen, friedliebenden Kokovoren zum paranoiden Antropophagen geworden ist und sogar Makeli in den Wahnsinn getrieben hat. Er überlässt ihn schließlich sich selbst und kehrt nach Rabaul zurück; auch Makeli verlässt Engelhardt letztendlich. Erst kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als australische Soldaten die Insel okkupieren, ist Engelhardts „Herrschaft“ auf Kabakon beendet und man bringt ihn in das neue „Imperium“, wo er einige Jahre später stirbt (IP 240).

 

Vor der Analyse utopischer Elemente in Imperium sei im Folgenden zunächst eine kurze allgemeine Definition des Begriffs „Utopie“ gegeben, wobei zu beachten ist, dass auf Grund der mittlerweile starken „Ausweitung des Begriffs […] eine einheitliche Definition [nahezu] unmöglich“ ist, weshalb „die meisten Literaturwissenschaftler für eine flexible Auslegung des Begriffs, die der Fülle utopischer Literatur gerecht wird“ plädieren[44]. Aus diesem Grund basiert die Definition im Folgenden auf differenten in der Literatur vertretenden Begriffsdefinitionen:

 

Etymologisch stammt das Wort „Utopie“ aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt so viel wie „Nicht-Ort“, hergeleitet von der altgriechischen Vorsilbe „oὺ-“ für „nicht“ und „τóπος“ für „Ort“[45]. Ausgehend von Thomas Morus' „Utopia“ meint der Begriff „Utopie“ einen „von Glücksvorstellungen“ geprägten, gesellschaftlichen Idealzustand und wird mittlerweile weitgehend als Terminus für die Deskription eines fiktiven – meist erhofften – und idealen Gesellschaftszustands verwendet[46]. Eben jenes fiktive Gesellschaftskonzept hebt literarische Utopien – v.a. durch das Einfließen realer Gegebenheiten – „von anderen epischen Genres wie dem Abenteuerroman […] ab“[47]. Im Allgemeinen werden als utopische Texte solche mit einer spezifischen „literarischen Struktur“ bezeichnet, deren Hauptmerkmal die Darstellung eines imaginären Inhaltes ist, der ein „Gegenbild“ einer bereits existenten Realität (in welcher die Utopie entstanden ist) darstellt und dieser in impliziter oder expliziter Weise „kritisch entgegengehalten wird“[48]; Utopien „entsprechen also einer in der Realität angelegten Tendenz, die sich jedoch keineswegs in der Zukunft durchsetzen muß“[49] und basieren dementsprechend auf dem „Prinzip des Kontrastes“[50]. Weiterhin ist zu beachten, dass die repräsentierte Relation „von Wirklichem […] und Möglichem“, auf Grund dessen, dass Utopien i.d.R. „geschichtlich bedingt“ und „anlaßgebunden“ sind, „gattungskonstitutiv“ ist, weshalb sich eine Art „spezifischer Antwortcharakter von Utopien auf Geschichte“ und umgekehrt ergibt[51]. Eine solche „Doppelfiktion“ meint, dass Utopien sich immer in einen realistischen und einen utopisch-visionären Aspekt gliedern. Bezüglich literarischer Utopien lassen sich dementsprechend zwei Grundtypen differenzieren: Einerseits die so genannten „Wunschräume“, die meistens als „insulare Raumutopien“ dargestellt werden (bspw. Imperium) und andererseits „Wunschzeiten“, die „in die Zukunft entworfene Zeitupoien“ meinen, wobei zu beachten ist, dass eine Überschneidung der beiden Formen nicht ausgeschlossen, sondern sogar relativ häufig ist und solche Utopien sowohl positiv, als auch negativ konnotiert sein können[52]. Abgesehen davon implizieren literarische Utopien – wie auch Dystopien – häufig eine alternative history, die (wie bereits im vorigen Kapitel konstatiert) die veränderten Gegenwartskonstitutionen bedingen. Thematisch sind literarische Utopien nach Ingrid Hantsch v.a. durch die präferierten Handlungsräume der Stadt und der Insel und eine grundlegende Symmetrie, die die gesamte Handlung durchzieht und sich bspw. dadurch auszeichnet, dass sich alle Gegebenheiten „immer [um] einen unumstrittenen Mittelpunkt […] relativ strikt konzentrisch gruppieren“, was die „Einheit des Raumes“ garantiert, gekennzeichnet[53]. Weitere Merkmale sind eine „autoritäre Hyperinstanz“, die einerseits den Kollektivismus fördert und andererseits (hinsichtlich der Herrschaftsstrukturen) „auf Konstanz angelegt“ ist und die Verwendung zahlreicher Naturmotiviken[54]. Zusammengefasst fungiert eine literarische Utopie i.d.R. also quasi als Repräsentation einer spezifischen idealen Gesellschaft, weshalb der Begriff der Utopie in diesem Sinne eine Art semantisches Changement vom „ursprünglichen >Nichtort<“ bis hin zur idealen Gesellschaft, zum „besten Staat“ vollzogen hat[55].

 

Auch Imperium lässt sich zu den literarischen Utopien zählen: Das utopische Grundkonzept des Romans basiert auf dem Vorhaben...

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