1. ACT-Coaching und Psychotherapie
Was bedeutet es eigentlich, ein ACT-Coach zu sein? Was unterscheidet einen ACT-Coach von anderen Life Coaches und Psychotherapeuten? Ein ACT-Coach ist jemand, der die ACT-Prinzipien versteht, anwendet und mit ihnen seinen Klienten (auch Coachee genannt) hilft, im Leben voranzukommen und absichtsvolles Verhalten zu zeigen, welches den eigenen Werten entspricht und zu persönlichen Zielen führt. Klienten kämpfen oft mit beunruhigenden Gedanken und schmerzlichen Gefühlen, die dieses Vorhaben erschweren. Je flexibler die Klienten im Umgang mit ihren beunruhigenden Gedanken und schmerzlichen Gefühlen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich stetig vorwärtsbewegen, Fortschritte beim Erreichen ihrer Ziele machen und ein Leben führen, das ihren Werten entspricht. Je starrer und kontrollierender die Klienten mit beunruhigenden Gedanken und schmerzlichen Gefühlen umgehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von ihnen überwältigt werden, in eine Sackgasse geraten und Schwierigkeiten beim Erreichen ihrer Ziele bekommen.
ACT bezeichnet letzteres Szenario als psychische Inflexibilität und hat ein Modell entwickelt, das sechs Faktoren identifiziert, die zu dieser Inflexibilität beitragen und Klienten in Sackgassen führen:
- Festhalten an einem bestimmten Selbstkonzept
- Kognitive Fusion
- Vorherrschen veralteter Skripte und Lerninhalte
- Erlebensvermeidung
- Unklare Wertevorstellungen
- Untätigkeit, Impulsivität und beharrliches Vermeiden
Ich möchte Sie noch einmal ermutigen, sich nicht von dem psychotherapeutischen Klang dieser Begriffe beirren zu lassen. Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt näher darauf eingehen und Ihnen erläutern, wie Sie Ihren Klienten die Faktoren erklären können. Bis auf Weiteres möchte ich Sie darum bitten, die Tatsache zu akzeptieren, dass diese Faktoren ihren Ursprung in unserem Geist haben. Sie entstehen, wenn Klienten die Produkte ihres Geistes (Gedanken, Gefühle, mentale Bilder und Denkmuster) mit realen Dingen verwechseln, die sie mit ihren fünf Sinnen erleben können.
Zur Verdeutlichung möchte ich Sie bitten, das Folgende zu tun: Beschaffen Sie sich alle Zutaten, die Sie für das Mischen Ihres Lieblingsdrinks benötigen. Wählen Sie Ihr Lieblingsglas, fügen Sie Eis hinzu und mischen Sie den Drink. Dieser kann Alkohol enthalten oder auch nicht. Halten Sie das Glas nun gegen das Licht und schauen Sie sich die Farbe und Konsistenz der Mischung genau an. Fühlen Sie das Gewicht des Glases in Ihrer Hand. Schließen Sie die Augen und nehmen Sie das Aroma des Getränkes wahr. Hören Sie, wie die Eiswürfel gegen das Glas klirren. Trinken Sie einen Schluck und verteilen Sie die Flüssigkeit in Ihrem Mund, während Sie langsam schlucken. Stellen Sie das Glas ab und schließen Sie die Augen. Nun möchte ich Sie bitten, nur an das Getränk zu denken. Trinken Sie nicht, sondern denken Sie nur daran. Welche Gedanken zu dem Drink haben Sie? Ist das Denken an das Getränk das Gleiche wie es tatsächlich zu trinken? In Kapitel 3 werde ich Ihnen erklären, wie Sie dieses Beispiel in einer formellen Sitzung als Übung für Ihre Klienten verwenden können.
Klienten verwechseln ihre Gedanken zu einem Ereignis häufig mit der tatsächlichen Erfahrung. In manchen Fällen führt dies in eine Sackgasse. Mit anderen Worten: Die Klienten hängen in ihrem Gedankenleben fest, anstatt ihr wahres Leben zu führen. In diesem Buch werde ich Sie ACT-Methoden lehren, mit denen Sie Ihren Klienten dabei helfen können zu verstehen, wann ein Gedankengang ihnen auf dem Weg zu ihren Zielen hilft oder im Weg steht.
Sie müssen kein Psychotherapeut sein, um Ihre Klienten mithilfe der ACT-Grundsätze und -Methoden aus Sackgassen zu führen. Sie können die Grundsätze und Methoden in Ihre Beratungsarbeit einbauen und Ihren Klienten so helfen, sich zu befreien, auf ihre Ziele hinzuarbeiten und das Leben zu leben, von dem sie schon immer geträumt haben.
Um eine Tradition in der ACT weiterzuführen, möchte ich Ihnen sehr ans Herz legen, alle Übungen in diesem Buch selbst durchzuführen. Das hat gleich zwei Vorteile: Es wird Ihnen dabei helfen zu verstehen, wie alle Vorgänge funktionieren, und Sie werden Ihren Klienten die Wirkung der Übung besser vermitteln können, da Sie sie persönlich erlebt haben.
Bevor ich erkläre, was es bedeutet ein ACT-Coach zu sein, wollen wir einen kurzen Blick auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Coaches und Therapeuten werfen und uns deren Klienten näher anschauen.
1.1 Coaching: eine sich ständig weiterentwickelnde Disziplin
Life Coaching erscheint als der nächste Schritt in der Evolution traditioneller Psychotherapie. Ähnlich wie Berater und Sozialarbeiter sich darum bemühten, ihre Methoden zu definieren und von denen der klinischen Psychologie abzugrenzen, haben Life Coaches um die Einrichtung ihrer eigenen Nische im weiten Feld der helfenden Berufe gekämpft. Die traditionelle Therapie ist durch das Coaching nicht ausgestorben. Traditionelle Psychotherapie hilft immer noch Patienten mit diagnostizierbaren psychischen Störungen, die klinische Dienste benötigen. Das Coaching hilft jenen Klienten, die durch professionelle Unterstützung ein sinnerfüllteres Leben führen möchten und ihr Potenzial voll ausschöpfen wollen. Patrick Williams (2007) beschreibt vier Hauptbereiche, durch die sich Coaching und Psychotherapie klar voneinander unterscheiden lassen:
- Zweck
- Fokus
- Art der Klient-Helfer-Beziehung
- Klientenwerbung
Wir wollen uns diese vier Bereiche im Folgenden einmal genauer anschauen. Seien Sie sich aber immer bewusst, dass hinsichtlich der Darstellung dieser Bereiche große Unterschiede zwischen der ACT und anderen Arten der Psychotherapie bestehen. Ich werde jeweils aufzeigen, an welchen Stellen ACT von anderen Formen der Psychotherapie abweicht.
Zweck
Der Zweck des Coachings besteht darin, dem Klienten dabei zu helfen, sein Potenzial voll auszuschöpfen und ein sinnerfülltes, für ihn bedeutsames Leben zu führen. Im Coaching geht man davon aus, dass der Klient die immanente Fähigkeit besitzt, einen Plan zu entwickeln, um dieses Ziel zu erreichen, oft aber Hilfe und Anleitung benötigt, um die Details auszuarbeiten. Coaching geht nicht davon aus, dass der Klient krank ist und geheilt werden muss. Ein Coach arbeitet mit Klienten, denen keine Diagnose einer psychischen Krankheit gestellt wurde und die bis zu einem befriedigenden Grad in der Gesellschaft funktionieren. Der Coach hilft dem Klienten, seine Werte klar zu definieren, sich Ziele zu setzen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen, sodass es ihm gelingt, nicht bloß zufriedenstellend, sondern hervorragend seinen Weg zu gehen. Anstatt die Klienten als kranke Patienten zu betrachten, die geheilt werden müssen, sieht ein Coach sie als in einer Sackgasse feststeckende Menschen, die Hilfe benötigen, um sich zu befreien.
Der Zweck der Psychotherapie besteht darin, Menschen mit psychischen Störungen, die nicht in zufriedenstellendem Maße in der Gesellschaft klarkommen, zu helfen, wieder normal interagieren zu können. Die hierfür infrage kommenden psychischen Störungen entsprechen den im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV-TR, Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) (APA, 2000) festgelegten Kriterien. Auf den Punkt gebracht, behindern die psychischen Störungen die Fähigkeiten des Klienten, zu arbeiten, Kinder zu erziehen, mit anderen zu interagieren, in sozialen Situationen angebracht zu reagieren usw. Einige ACT-Therapeuten arbeiten zwar auch mit psychisch kranken Klienten, teilen dann aber die Sicht der Coaches, dass der Klient in einer Situation „feststeckt“ und nicht krank ist. ACT-Therapeuten konzentrieren sich darauf, dem Klienten zu helfen, seine störenden Gedanken und schmerzlichen Gefühle zu akzeptieren, statt zu versuchen, sie zu verändern.
Fokus auf die Zukunft
Coaching ist zukunftsorientiert. Klienten suchen einen Coach auf, weil sie Hoffnungen, Träume und Ziele haben, die sie erreichen möchten. Sie freuen sich auf ein besseres Leben und wünschen sich Hilfe, um dorthin zu gelangen. Obwohl sie eigentlich zufriedenstellend zurechtkommen, wollen sie im Job, in der Beziehung und im Leben mehr erreichen. In vielen Fällen handelt es sich bei Coachingklienten um sehr erfolgreiche Menschen, die in den meisten Bereichen ihres Lebens ausgezeichnet zurechtkommen, sich aber manchmal festfahren und Hilfe benötigen, um sich zu befreien. Um ihnen zu helfen, sieht man sich mit ihnen zusammen gewöhnlich die Zukunft an und spricht über ihre Ziele und die Hindernisse, die ihnen im Wege stehen.
Coaches verwenden selten Zeit darauf, sich die Vergangenheit anzuschauen, um herauszufinden, an welcher Stelle die Klienten von ihrem Weg abgekommen sind. Obwohl sie die Klienten darin unterstützen, Kraft aus vergangenen Niederlagen und Erfolgen zu schöpfen, richten sie doch ein geringes Maß an Energie darauf, Sackgassen oder Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation zu analysieren. Nach kurzer Beurteilung aller Informationen beginnt ein Coach auch schon damit, mit dem Klienten zusammen eine Route zu planen, die den Coachee an sein Ziel bringen wird. ACT-Therapeuten verwenden eine ähnliche Herangehensweise, schauen sich die Vergangenheit nur kurz an und versuchen nicht, herauszufinden, was im Leben des Klienten schiefgelaufen ist. Sie konzentrieren sich auf die Gegenwart und darauf, den Klienten dabei zu unterstützen, Maßnahmen zu ergreifen, die seinen Werten entsprechen und durch die...