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E-Book

Ego

Das Spiel des Lebens

AutorFrank Schirrmacher
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641105846
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Dieses Buch erzählt davon, wie nach dem Ende des Kalten Kriegs ein neuer Kalter Krieg im Herzen unserer Gesellschaft eröffnet wird. Es ist die Geschichte einer Manipulation: Vor sechzig Jahren wurde von Militärs und Ökonomen das theoretische Model eines Menschen entwickelt. Ein egoistisches Wesen, das nur auf das Erreichen seiner Ziele, auf seinen Vorteil und das Austricksen der anderen bedacht war: ein moderner Homo oeconomicus. Nach seiner Karriere im Kalten Krieg wurde er nicht ausgemustert, sondern eroberte den Alltag des 21. Jahrhunderts. Aktienmärkte werden heute durch ihn gesteuert, Menschen ebenso. Er will in die Köpfe der Menschen eindringen, um Waren und Politik zu verkaufen. Das Modell ist zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden. Der Mensch ist als Träger seiner Entscheidungen abgelöst, das große Spiel des Lebens läuft ohne uns.

Frank Schirrmacher zeichnet in seinem bahnbrechenden neuen Buch die Spur eines monströsen Doppelgängers nach und macht klar, dass die Konsequenzen seines Spiels das Ende der Demokratie sein könnte, wie wir sie heute kennen.



Frank Schirrmacher, Jahrgang 1959, Studium in Heidelberg und Cambridge, Promotion. Seit 1994 war er einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 2004 sagte er dem Altersrassismus den Kampf an - für sein Buch Das Methusalem-Komplott erhielt er u. a. den Corine-Sachbuch-Preis und die Auszeichnung Journalist des Jahres 2004. Mit Minimum landete er 2006 erneut einen publizistischen Coup und setzte das Thema des Jahres. 2007 erhielt er als erster Journalist den Jacob-Grimm-Preis-Deutsche-Sprache und wurde 2009 mit dem Ludwig-Börne-Preis ausgezeichnet. 2009 erschien bei Blessing Payback. Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen und 2013 Ego. Das Spiel des Lebens. Frank Schirrmacher verstarb am 12. Juni 2014 in Frankfurt am Main.

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Leseprobe

Vorwort

Wir sind wahnsinnig unkompliziert geworden. Leider spüren wir selbst nichts davon. Warum tun wir, was wir tun? Warum lieben wir, was wir lieben? Fragen, so vielschichtig, dass sie kaum jemand für sich selbst beantworten kann. Uns ist nicht bewusst, dass längst andere die Antworten für uns geben.

Vergessen Sie für einen Moment, was Sie von Psychologie, Hirnforschung oder auch nur aus der eigenen Erfahrung über die Rätsel des eigenen Daseins wissen. Ohne dass wir es gemerkt haben, haben Ökonomen den Seelenhaushalt des modernen Menschen zu ihrer Sache gemacht.

Zur Vereinfachung einer überkomplexen Welt und zur Beschleunigung des Geschäftsverkehrs ist hinter den Kulissen unseres Lebens ein Modell aufgetaucht, das unser Leben nachhaltig verändert.

Man kann sich, so lehrt dieses Modell, das Leben sehr viel einfacher und einträglicher machen, wenn man unterstellt, dass jeder Mensch ausschließlich an sich und seinen Vorteil denkt. In diesem Buch soll es darum gehen, wie aus dem ursprünglich harmlosen Modell eine Falle wurde. Und wie gut sie getarnt ist.

Alle Fallensteller tarnen ihre Fallen. Im Wald können es mit Blättern und Erde verdeckte Fangeisen sein: Artefakte, die so tun, als seien sie Natur. Unter Menschen tarnt man die Fallen als Naturgesetze. So wie die Behauptung: »Der Mensch ist eigensüchtig« – und zwar von den Genen bis zu seiner Moral. Eine ökonomische Theorie hat diese These, unterstützt von modernen Rechenmaschinen, zu einem neuen Naturgesetz gemacht. Und wir beginnen es zu spüren.

In der heutigen Welt glauben viele, dass ihre Freiheiten und Wahlmöglichkeiten zahlreicher sind denn je. Und dass sie Theorien ja schließlich ablehnen oder akzeptieren können.

In Wahrheit haben sie sie nicht nur unwissentlich akzeptiert; sie leben und arbeiten längst damit.

Wir erleben die neue Ära des Informationskapitalismus. Er hat damit begonnen, die Welt in einen Geisteszustand zu verwandeln. Er tut und plant große Dinge. Er will Gedanken lesen, kontrollieren und verkaufen. Er will Risiken vorhersagen, einpreisen und eliminieren. Sein Hirn ist unablässig damit beschäftigt, herauszufinden, was Menschen tun, sagen, kaufen und welche Spielzüge sie als Nächstes planen. Wo immer sie ihm begegnen, treffen sie auf ein System, das alles immer besser weiß. Es spricht den Menschen das Recht ab, sich der Umwelt anders darzustellen, als sie sind. Was immer sie tun, es behauptet, dass sie es um des eigenen Vorteils willen tun.

Verhalten, für das es »keine Gründe« gibt, kennt der Informationskapitalismus nicht. Auch Freundschaft, Loyalität, Liebe haben in seinen Augen rationale Gründe, die im eigennützigen Interesse des Einzelnen liegen. Deshalb überall die Inflation von »Incentives«, von Belohnungen, die von den Boni der Wall Street bis zu virtuellen Orden und Abzeichen und »Like it«-Abstimmungen für die privatesten Dinge reichen.

Es gibt offene Spiele wie Schach und verdeckte Spiele wie Poker, bei dem keiner in die Karten des anderen schauen kann. Die Informationsökonomie atmet die Luft einer Pokerrunde. Ihre Welt ist eine Welt, in der niemand wirklich sagt und tut, was er denkt, aber jeder und jede durchsichtig werden, wenn man ihnen egoistische Absichten unterstellt. Deshalb dieser gewaltige Bedarf an Informationen. Deshalb dieser Zwang zu Verstellung, Bluff und zu falschen Fährten. Finanzalgorithmen tarnen Aktiengeschäfte, um heranpreschende Raubtieralgorithmen in die Irre zu führen, oder Raubtieralgorithmen füttern andere ökonomische Agenten in Lichtgeschwindigkeit mit falschen Informationen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Menschen legen sich Scheinidentitäten zu, basteln sich Facebook-Profile für den Personalchef oder die Bank. Ganze Staaten senden falsche Signale, um Märkte zu verwirren. Es ist eine Gesellschaft, in der man nicht nur anderen, sondern sich selbst misstraut. Wer einmal so weit ist, der nimmt hin, dass seine Ausbildung, seine Erfahrung, sein Lebensweg nicht das bedeuten, was er glaubte, dass sie bedeuten.

Das Versprechen, Antworten auf Fragen zu finden, die man sich selbst noch gar nicht gestellt hat, die Behauptung, mehr über die Menschen zu wissen, als sie selbst, die Voraussagen darüber, was man will, ohne selbst schon davon zu wissen, der Vorschlag, wer Freund sein soll, sind strukturell identisch mit geheimdienstlichen Überwachungsalgorithmen, die von Verbrechen wissen, von denen der Verbrecher selbst vielleicht noch nichts weiß. Die neue Ökonomie bedient sich der Maschinen und sie erfasst menschliche Beziehungen mithilfe der Mathematik. Sie liebt das »Gefangenendilemma«, eine spieltheoretische Urszene von zwei Menschen, die ein gleiches Schicksal teilen, aber nicht miteinander reden können, und die das Angebot bekommen, auf Kosten des anderen einen Vorteil zu erhalten. Verrat des anderen ist in diesem Spiel nicht nur vorgesehen, »er ist die als vernünftige Verhaltensweise akzeptierte Norm«.1

Es hat sich herausgestellt, dass Menschen, die mit diesem Denken in Berührung kommen, ihr Verhalten verändern. Ein Weltbild, das hinter allem menschlichen Tun die unausweichliche Logik des Eigennutzes am Werk sieht, produziert Egoismus wie am Fließband.2 Neuerdings kommt aber jeder ständig damit in Berührung. Umgeben von einer Welt, in der Informationen nicht nur an Börsen, sondern am Arbeitsplatz, in der Kommunikation und sogar bei Freundschaften von logisch arbeitenden Rechenmaschinen organisiert werden, die nach den Gesetzen der persönlichen Profitmaximierung den menschlichen Charakter kalkulieren, verändern sich gesellschaftliche Wertvorstellungen in staunenswerter Geschwindigkeit.

Der Informationskapitalismus stellt zusammenhängende Lebensläufe und Identitäten von einzelnen Menschen infrage, er hat die Realwirtschaft für seine Zwecke eingespannt und ist nun im Begriff, konstitutionelle und völkerrechtliche Ordnungen umzuschreiben.

Denn nicht nur der Einzelne verliert seine Souveränität. Die in der gegenwärtigen Eurokrise amputierten Souveränitätsrechte europäischer Staaten und Parlamente sind kein Kunstfehler, sondern Teil seiner operativen Logik.

Er hat das menschliche Denken mit einem Labyrinth von Stollen und Schächten untergraben und verarbeitet das ausgebeutete Rohmaterial auf Maschinen, die – je nachdem, auf welchem Schreibtisch sie stehen – Kriege führen, Revolutionen anzetteln, Geld erschaffen, Menschen kontrollieren oder die Fotos der letzten Urlaubsreise versenden können. Er scheint mittlerweile in der Lage zu sein, über Nacht ganze Nationen abzuschalten oder den Einzelnen, der sich ihm zuschaltet, unter Umständen mit der Macht eines Staates zu versehen. Deshalb sind die Menschen im Begriff, mit ihm unter Tage zu wandern, in geschlossene Räume mit künstlichem Licht, und die Tunnel, die er grub, für ihr Denken selbst zu halten.

Die Tarnung einer Falle muss alle Sinne täuschen. In seiner Enzyklopädie empfiehlt Diderot, den Geruch des Eisens zu verschleiern, weil erfahrene Tiere mit ihm ihre Vernichtung assoziieren. Ein modernes Standardwerk über das Fangen von Tieren beschreibt in aller Unschuld, was zu tun ist: »Das Tier in die Maschine zu locken, sei es durch einen Köder oder aufgrund seiner natürlichen Neugierde.« Kein Zufall, dass nach Otto Mayr die englischen Worte engine und machine lange Zeit die negativen Nebenbedeutungen von List, Trick und Komplott und sogar von Intrige hatten.3 Die Maschine des Informationskapitalismus ist der Computer, aber das Gerät selbst ist unschuldig. Es kommt einzig darauf an, wer es in Händen hat und zu welchen Zwecken einsetzt. Hat man, wie heute geschehen, den menschlichen Egoismus erst mal auf eine Formel gebracht, kann man mit ihm eine ganze Gesellschaft berechnen.

Es ist Diderot, der das »Fallenstellen« – nicht die Falle – eine »Wissenschaft« nennt. Die Herausforderung besteht darin, Lebewesen zu fangen, die aus Erfahrung misstrauisch sind. Sie erwischt man nur, indem man Informationen sammelt und Informationen verfälscht. Die Falle muss den Köder als leichte Beute präsentieren. Der Bär, Fuchs oder Wolf muss denken, einen unerwarteten Profit zu machen. Damit das funktioniert, muss man »mit größter Sorgfalt die Stellen erkunden, an die sich die Tiere bei Tage zurückziehen, die Orte, an denen sie die Nacht verbringen, und die Wege, die sie gewöhnlich nehmen«.

Auch das Fallengehäuse ist nichts wert, ohne die Strategie des Fallenstellers. Der erfolgreichste Fallensteller ist der, der so denkt wie das Lebewesen, das gefangen werden soll; die erfolgreichsten Fallenumgeher sind die, die so denken wie der Fallensteller, der sie fangen will. Das ist die »Wissenschaft«, sie ist pure Mathematik und lässt sich in Computern programmieren: Im Kalten Krieg, als sie erfunden wurde, gab man ihr Namen wie »rational choice theory«, die Theorie des rationalen Handelns und den harmlosen Namen »Spieltheorie«.

Psychologisch getrieben von der Angst, dass totalitäre Systeme wie die Sowjetunion den Menschen dadurch entmündigen, dass sie behaupten zu wissen, was das Beste für ihn ist, haben Ökonomen einen Gegenentwurf erdacht, in der jeder nur noch das tut, was für ihn selbst das Beste ist. Er wurde eine der wichtigsten strategischen Waffen im Kalten Krieg, und durch ihn hat der Westen das Spiel der Supermächte entscheidend gewonnen.

Aber das war, wie sich...

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