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Eigenverantwortung haben immer die Anderen

AutorBettina Schmidt
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl231 Seiten
ISBN9783456945521
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Bettina Schmidt
Eigenverantwortung haben immer die Anderen
Der Verantwortungsdiskurs im Gesundheitswesen
2008. 230 S., Kt
ISBN: 978-3-456-84552-4


Ist mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit immer besser?

Das Fördern und Fordern von Eigenverantwortung ist zentrale Zielsetzung zahlreicher gesundheitspolitischer Anstrengungen, um Menschen zu mehr Gesundheit zu aktivieren. Aber wer kann diese Verantwortung überhaupt leisten? Neben konzeptionellen und begrifflichen Präzisierungen werden Chancen und Risiken von Eigenverantwortung für die Gesundheit sowie für das Gesundheitswesen dargestellt und funktionierende Möglichkeiten zur Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit erörtert.

Gesundheitswissenschaften - Einführungen und Übersichten Prävention und Gesundheitsförderung

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1. Der unausgewogene Diskurs zur Eigenverantwortung
  3. 2. Begriff und Konzept von Verantwortung
  4. 3. Verantwortung privatisiert – Eigenverantwortung
  5. 4. Die Geschichte der Verantwortung im Gesundheitswesen
  6. 5. Eigenverantwortung im Gesundheitswesen
  7. 6. Eigenverantwortung für Gesundheit
  8. 7. Krank und schuldig?
  9. 8. Gesund statt rund! Schlanke Bürger im schlanken Staat
  10. 9. Lösungs(ver)suche
  11. Literatur
Leseprobe
5. Eigenverantwortung im Gesundheitswesen (S. 73-74)

Die Agenda 2010, seit der die Aktivierung der Bevölkerung massiv vorangetrieben wird und die auf das Fördern und Fordern setzt, wurde auch im Gesundheitswesen verankert. Dies geschieht bislang implizit, noch niemand hat explizit formuliert, dass Gesundheit nicht nur gefördert werden soll, sondern auch gefordert werden muss. Gesundheit zu fördern und zu fordern geschieht überwiegend mittels Appellen an die Gesunden und Kranken, verstärkt Eigenverantwortung zu übernehmen für langfristigen Gesundheitserhalt und nachhaltige Gesundheitsverbesserung.

5.1 Eigenverantwortung als Gesundheitsreforminstrument

Seit rund 30 Jahren inszeniert sich Gesundheitspolitik als Kostendämpfungspolitik und befasst sich damit, die Ausgaben im Gesundheitswesen zu senken, genauer gesagt, die Kosten anders zu verteilen. Politisches Ziel des Umbaus im Gesundheitswesen ist nicht primär, dass der Staat sich zunehmend aus der Versorgung herauslöst, sondern nur partiell Verantwortungen verschiebt. „Der Staat zieht sich zum Beispiel aus der direkten Leistungserbringung zurück und ‚kommt wieder als Regulierer’, damit die nun privat erbrachten Leistungen weiterhin den staatlichen Zielvorstellungen entsprechen" (Wendt et al., 2007, S. 3). Bauch (2004) erkennt – abgesehen von den Kostenverlagerungsinteressen – in diesem janusköpfigen Umbau das Bestreben von Politik, auch in Zeiten staatlichen Rückbaus die eigene Daseinsberechtigung zu legitimieren. Doch wenn Verantwortung vom Staat in Privathaushalte und Privatwirtschaft abgegeben werden soll, verringert sich parallel die Existenzberechtigung des geschrumpften Staatsapparats. Durch die Verlagerung staatlicher Aufgaben von monetären (z.B. Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen) in ideelle (z.B. Propagierung von krankheitsvermeidenden Erziehungsbotschaften) Strategien soll die Legitimationsgrundlage des Staats kostenlos gewährleistet werden. „Abzusehen ist, dass die materialen, geldwerten, staatlichen und parastaatlichen Gesundheitsleistungen eingeschränkt werden und gleichzeitlich die staatlich induzierten gesundheitsrelevanten Gesundheitszumutungen im Sinne einer ‚Saluto-Correctness’ wachsen" (S. 158).

Die Privatisierung von Gesundheitskosten gilt als ein wesentliches Instrument zur Behebung der Finanzmisere im Gesundheitssystem (Gerlinger, 2004). Dem initialen „Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz" von 1977 folgten zahlreiche weitere Gesetze, alle vordringlich der Ausgabenpolitik verschrieben (Busse &, Riesberg, 2005). Mit Ausnahme des 1999 von der rot-grünen Regierung als Übergangsgesetz implementierten GKV-Solidarisierungsgesetzes, das stärker auf Kollektiv- als auf Eigenverantwortung setzte, bauten alle übrigen Gesetze – Gesundheitsstrukturgesetz (1992), Beitragsentlastungsgesetz (1996), das 1. und 2. GKV-Neuordnungsgesetz (1997), die GKV-Gesundheitsreform (2000) sowie das GKV-Modernisierungsgesetz (2004) – beständig die Eigenverantwortung aus (Meier, 2004). Eigenverantwortung wurde realisiert mittels Finanzierungs- und Eigenleistungsverantwortung, aber auch mittels Wahl- und Entscheidungsverantwortung, z.B. im Hinblick auf Kostenerstattung, Beitragsrückgewähr, Teilnahmemöglichkeiten an besonderen Versorgungsmodellen, Wahlleistungen und Wahltarifen. Gewöhnt haben sich die PatientInnen inzwischen an Praxisgebühr, Zuzahlungen zu Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln, Eigenbeteiligungen bei Krankenhausaufenthalten und zusätzlichen Versicherungsleistungen, Privatisierung der Zahnersatzleistungen sowie an monetäre und nichtmonetäre Anreize zur Verbesserung des präventiven Verhaltens, beispielsweise in Form von Bonusprogrammen.

Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 gilt als Meilenstein, mit dem die Privatisierung der Gesundheitsleistungen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß vorangetrieben wurde (Aust et al., 2006). Das aktuelle GKVWettbewerbsstärkungsgesetz, das am 1.4.2007 in Kraft trat, schreibt diesen Trend fort. Verantwortung und Kosten werden von öffentlichen Haushalten, von Versicherungen und vom Gesundheitswesen in Privathaushalte, d.h. zu den Versicherten transferiert. Das aktuelle Gesetz sieht vor allem folgende Neuerungen (Weller &, Meyers-Middendorf, 2007) vor: Eine allgemeine Versicherungspflicht wird eingeführt.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
1. Der unausgewogene Diskurs zur Eigenverantwortung10
2. Begriff und Konzept von Verantwortung16
2.1 Die historische Prägung von Verantwortung17
2.1.1 Christliche Verantwortung vor Gott17
2.1.2 Säkulare Verantwortung vor Gericht18
2.1.3 Moralische Verantwortung vor sich selbst und der Gemeinschaft19
2.2 Verantwortung als Verpflichtung auf die Zukunft21
2.2.1 Prospektiv gedehnte Verpflichtung22
2.2.2 Positiv gedehnte Verpflichtung23
2.2.3 Grenzenlose Verantwortung – beschränkt auf den Einzelnen25
2.3 Die Zurechnungsprozedur von Verantwortung28
2.3.1 Einfache Formen der Verantwortungszuweisungen28
2.3.2 Zurechnungsprozeduren in der komplexen Moderne29
2.4 Das Subjekt der Verantwortung30
2.4.1 Voraussetzungen der Verantwortungszurechnung31
2.4.2 Der Homo oeconomicus als Verantwortungssubjekt33
2.4.3 Annahme und Abwehr von Subjektverantwortung35
2.5 Das Objekt der Verantwortung35
2.5.1 Verantwortung für Handlungen36
2.5.2 Verantwortung für Handlungsfolgen36
2.6 Wer wem? Konstruktion der Verantwortungssubjekte und - objekte38
2.6.1 Verantwortungszurechnungen im formalisierten Rechtssystem38
2.6.2 Die Macht der Verantwortungszuweiser39
3. Verantwortung privatisiert – Eigenverantwortung42
3.1 Die politisch-praktische Anwendung von Eigenverantwortung42
3.1.1 Eigenverantwortung für einen schlanken Staat42
3.1.2 Eigenverantwortung nur für (potenzielle) PatientInnen44
3.1.3 Eigenverantwortung als subsidiäre Solidarität45
3.1.4 Eigenverantwortung als verpflichtendes Recht47
3.1.5 Eigenverantwortung als privatisierte Politik48
3.2 Die begrifflich-inhaltliche Verwendung von Eigenverantwortung50
3.2.1 Verantwortung für und vor sich selbst und einander51
3.2.2 Eigenverantwortung als Gesundheitsrecht und -pflicht52
3.2.3 Eigenverantwortung als Gesundheitsverhalten und Kostenbewusstsein54
3.3 Eigenverantwortung: Eine definitorische Annäherung59
4. Die Geschichte der Verantwortung im Gesundheitswesen62
4.1 Die öffentliche Sozialverantwortung62
4.2 Die sozialstaatliche Risikoverantwortung63
4.3 Die arische Volkskörperverantwortung65
4.4 Die biomedizinische Akteursverantwortung65
4.5 Die Eigenverantwortung als Megatrend69
5. Eigenverantwortung im Gesundheitswesen74
5.1 Eigenverantwortung als Gesundheitsreforminstrument74
5.2 Die nachgereichte Rationalisierung76
5.2.1 Unvermeidbare Kostendämpfung erzwingt Eigenverantwortung77
5.2.2 Überflüssige Leistungserbringung3 erlaubt Eigenverantwortung87
5.3 Chancen und Risiken der Eigenverantwortung im Gesundheitssektor100
5.3.1 Der emanzipatorische Anspruch – Selbstverantwortung wollen101
5.3.2 Die unterkomplexe Wirklichkeit – Eigenverantwortung sollen110
6. Eigenverantwortung für Gesundheit132
6.1 Konstruktion von Gesundheit132
6.1.1 Gesundheit als unbestimmte positive Grunderfahrung136
6.1.2 Gesundheit als makellose Normalität und Glücksverheißung137
6.1.3 Gesundheit als beschäftigungsfähige Funktionstätigkeit139
6.2 Produktion von Gesundheit143
6.2.1 Vom Sollen: Gesund und mündig!143
6.2.2 Zum Wollen: Gesund oder gesündigt?147
6.3…und Können?151
6.3.1 Eigenverantwortung können151
6.3.2 Gesundheitsverhalten können154
7. Krank und schuldig?158
7.1 Krank sind immer die Schwächsten160
7.1.1 Ungleichheit bei der realisierbaren Gesundheitsproduktion161
7.1.2 Ungleichheit bei den erreichbaren Gesundheitsergebnissen166
7.2 An der Grenze der eigenverantwortlichen Gesundheit173
7.3 Hinter der Eigenverantwortung die Exklusion178
7.3.1 Integrierende Disziplinierung mittels Sanktion und Selektion178
7.3.2 Exkludierende Disziplinierung mittels Verwaltung und Verwahrung179
8. Gesund statt rund! Schlanke Bürger im schlanken Staat186
8.1 Ernährung als totales Phänomen186
8.2 Ernährungsverhalten als soziales Phänomen188
8.3 Ernährungsverhalten als gesundheitliches Phänomen193
8.4 Ernährung als gesundheitspolitisches Phänomen196
8.4.1 Die gesundheitspolitische Ernährungsprogrammatik196
8.4.2 Die Grenzen von Ernährungsprogrammen197
9. Lösungs(ver)suche200
9.1 Lösung 1. Ordnung: Gesunde neue Welt200
9.2 Lösung 2. Ordnung: Eigenmächtigkeit in gestufter Verantwortung202
9.2.1 Zentrale Prinzipien eines anständigen Verantwortungssystems202
9.2.2 Zentrale Prämissen eines realistischen Verantwortungssystems208
Literatur220

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