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E-Book

Ein Bruderkampf um Troja

Die griechische Götterwelt im Ritual der Freimaurer

AutorHeinz Sichrovsky
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl155 Seiten
ISBN9783706559416
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Ein Logenplatz für Homer: Die Epen Ilias und Odyssee, gemeinhin dem angeblich blinden Dichter zugeschrieben, sind die ältesten literarischen Werke Europas und gehören unbestritten zu den einflussreichsten der Weltliteratur. Seit Jahrtausenden werden sie eifrig gelesen, rezipiert, übersetzt, nachgedichtet. In den faszinierenden Geschichten über eifersüchtige Göttinnen, listige Helden und rachsüchtige Könige fanden sich auch die Freimaurer wieder. So sahen sie im Urteil des trojanischen Prinzen Paris die Suche nach Schönheit, Stärke und Weisheit verkörpert und betrachteten den Götterschmied Hephaistos als ihren Prototypen und Bruder im Geiste. Von Herder, Voß und Goethe bis Gabriele D'Annunzio oder Nikos Kazantzakis - immer wieder ließen sich masonische Dichter und Denker von den antiken Göttern inspirieren. Heinz Sichrovsky zeigt die vielfältigen Einflüsse, die Homers Welt auf die Werke und Rituale von Freimaurern ausübte. Mit Illustrationen von Oskar Stocker.

Heinz Sichrovsky, geboren 1954 in Wien, war zunächst als Kultur- und Theaterkritiker für Tageszeitungen tätig, bis er Kulturchef und Chefredakteur des Wochenmagazins 'News' wurde. Er moderiert zahlreiche Veranstaltungen mit literatur- und musikwissenschaftlicher Ausrichtung, seit 2010 die Literatursendung 'erLesen' im Fernsehsender ORF III. Seit 2017 ist er wieder verstärkt als Kritiker und Kolumnist tätig, vor allem für die 'Kronenzeitung' und den ORF. Oskar Stocker, geboren 1956 in Lienz, lebt und arbeitet als Maler in Graz. International bekannt machte ihn seine Porträtserie 'Facing Nations', die 2000 u.a. im UN-Hauptquartier in New York ausgestellt wurde. In jeder ORF III-Sendung 'erLesen' ist ein von ihm gezeichnetes Porträt eines Studiogastes zu sehen.

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Leseprobe

I. Die Ursprünge


1. Die Mystifikationen des Reverend Anderson


Adam war kein Freimaurer, dennoch: Chapeau! Was er an Vorarbeit geleistet hat, verdient Respekt. „Da sich Adam aus dem Paradiese verjaget sahe, nahm er seinen Aufenthalt in den bequemsten und natürlichen Wohnplätzen des Landes Eden, allwo er sich am besten vor Kälte und Hitze, vor Sturmwinden, Regen und Ungewitter, und vor wilden Thieren, versichern konte, bis seine Söhne dergestalt heranwuchsen, daß sie eine Loge anlegen konten. Er lehrte dieselben Geometrie, und zeigte ihnen den grossen Nutzen derselben in der Bau-Kunst, ohne welche die Menschen-Kinder, wie die unvernünftigen Thiere, in Wäldern, tieffen Gruben und Höhlen, oder wenigstens in armseligen leimernen Hütten, oder aus den Zweigen der Bäume geflochtenen Lauben, u. s. f. hätten leben müssen.“2

Diese verdienstvollen Aktivitäten wurden im unmittelbaren Anschluss an die Erschaffung der Welt gesetzt, also bei Vernachlässigung kleiner Berechnungsunschärfen nach 4000 v. Chr. Weshalb die symbolische freimaurerische Zeitrechnung auch mit diesem Datum beginnt und einschlägige Dokumente entsprechend unterfertigt werden. Mozarts Geburtsjahr 1756 etwa fiele demnach auf das maurerische Jahr 5756.

Mit anderen Worten: Die Freimaurerei ist die Urzelle der menschlichen Zivilisation. Immer vorausgesetzt, man vertraut dem Konstitutionen-Buch des schottischen Priesters James Anderson aus dem Jahr 1723 – dem ersten Regelwerk der Freimaurer, dem innerhalb des verschwiegenen Bundes ähnliche Bedeutung zugestanden wird wie unter deutschsprachigen Gebildeten Robert Musils Titanenwerk Der Mann ohne Eigenschaften: Viele berufen sich darauf, wenige haben es gelesen. Wohl deshalb verehrt man den Reverend anhaltend: in erster Linie als den Aufbringer der „Alten Pflichten“, die dem Freimaurer Schätzenswertes und Zweifelhaftes auferlegen. Schätzenswert ist insbesondere die Achtung vor allen Religionen, zweifelhaft das Selbstverständnis als „friedlicher Unterthan“, der niemals „die Ehrerbietung gegen die Unter-Obrigkeiten aus den Augen setzet“.3

Die „Alten Pflichten“ beanspruchen im dickleibigen Werk überblickbare elf Seiten. Der Rest aber – aus gotischen Quellen und englischen Zunftsagen collagiert, für bare Münze erklärt und zum Standard erhoben – ist das haarsträubendste Stück Professionistenlatein in der Geschichte des Handwerks wie der Literatur. Adams Sohn Seth (der Substitut für den ermordeten Abel) war demnach der erste Freimaurergroßmeister, da sein Bruder Kain strafhalber unberücksichtigt blieb und sich mit der Existenz eines erstklassigen Technikers zufriedengeben musste. Ein Viererkomitee namens Enos, Cainan, Jared und Enoch trat Seths Nachfolge an. In weiterer Folge läuft Anderson einen atemberaubenden Parcours durch die welthistorische Prominenz: Moses (der beste von allen), der „Erzmagus“ Zoroaster (Zarathustra) aus den persischen Lichtmythen und der Babylonier Nebukadnezar waren nachgewiesenermaßen Großmeister, Hannibal mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Cäsar gab sogar die Eroberung Englands auf, „weil er im Sinn hatte, sich zum Groß-Meister von der römischen Republic zu machen“.4 Nero blieb aus Gründen, die keiner Erläuterung bedürfen, die Würde versagt, seinem zeitnahen Nachfolger Vespasian wurde sie verdientermaßen ebenso zuteil wie Marc Aurel und dem milden Titus.

In dieser Reihe, die sich zu den Gründern Englands fortsetzt und auch den Schotten Macbeth einschließt, bekleidet der Überlebenskünstler Noah herausragende Position. Der Linie seines Sohns Japhet verdankt überraschend auch das antike Griechenland seine flächendeckende freimaurerische Bemusterung: „Zuletzt hat die Königliche Kunst auch in Griechenland geblühet (…) Selbige wurde kurz nach der Zerstreuung der Völcker durch einen von Japhets Söhnen, Namen Jon, dahin gebracht, welcher Jonien bevölckert, und allda einige Frey-Maurer-Logen gestifftet, auch diesen als Großmeister vorgestanden.“ In der Liste der nachfolgenden Zelebritäten, unter ihnen Sokrates und Aristoteles, vermisst man Alexander den Großen: Er wird „für keinen Frey-Maurer geachtet, weil er, auf Anstifften einer trunckenen Hure, bey seiner nächtlichen Schwelgerey, das kostbare und vortreffliche Persepolis (…), in die Asche legen lassen, welches kein wahrer Frey-Maurer in der grösten Trunckenheit thun würde“.5

Ohne Angabe von Gründen bleibt auch der griechische Dichter Homer masonisch (das heißt: freimaurerisch) unbeteilt. Das allerdings ist ein ernstes Versäumnis. Denn so gewiss sich die Freimaurerei erst im Mittelalter in ihren Vorformen zu entwickeln begann, wesentlich aus den Zunftritualen der englischen Dombauhütten und der französischen Gesellenbruderschaften; so gewiss sie sich erst im frühen 18. Jahrhundert in englischen Logen organisierte: Wie alle – und besonders alle jungen – Weltentwürfe bediente sie sich aus dem reichen Fundus der Mythologien, Religionen und Philosophien. Und bei Homer, dem Urvater der literarisierten westlichen Zivilisation, sprudeln die Quellen besonders hell.

2. Singe den Zorn, o Göttin: Die Ilias


Μῆνιν ἄειδε, ϑεά, Πηληιάδεω Ἀχιλῆος

οὐλομένην, ἣ μυρί‘ Ἀχαιοῖς ἄλγε‘ ἔϑηκεν,

πολλὰς δ‘ ἰφϑίμους ψυχὰς Ἄιδι προΐαψεν

ἡρώων, αὐτοὺς δὲ ἑλώρια τεῦχε κύνεσσιν

οἰωνοῖσί τε δαῖτα – Διὸς δ‘ ἐτελείετο βουλή –,

ἐξ οὗ δὴ τὰ πρῶτα διαστήτην ἐρίσαντε

Ἀτρεΐδης τε ἄναξ ἀνδρῶν καὶ δῖος Ἀχιλλεύς.

τίς τ‘ ἄρ σφωε ϑεῶν ἔριδι ξυνέηκε μάχεσϑαι;

Λητοῦς καὶ Διὸς υἱός. ὃ γὰρ βασιλῆι χολωϑεὶς

νοῦσον ἀνὰ στρατὸν ὦρσε κακήν, ὀλέκοντο δὲ λαοί,

οὕνεκα τὸν Χρύσην ἠτίμασεν ἀρητῆρα

Ἀτρεΐδης.

 

Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,

Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte

Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Ais

Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden

Und dem Gevögel umher. So ward Zeus’ Wille vollendet:

Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten

Atreus’ Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus.

Wer hat jene der Götter empört zu feindlichem Hader?

Letos Sohn und des Zeus. Denn der, dem Könige zürnend,

Sandte verderbliche Seuche durchs Heer; und es sanken die Völker:

Drum, weil ihm den Chryses beleidiget, seinen Priester,

Atreus’ Sohn.6

Der griechische
Heerführer
Agamemnon

Der Gott Apollo

So beginnt die Ilias, einer der einflussreichsten Texte der Kulturgeschichte. Doch abgesehen vom monumentalen, 15.693 Verse umfassenden Korpus sind die Informationen spärlich. Einigkeit besteht lediglich darüber, dass die Ilias im 8. oder 7. Jahrhundert v. Chr. entstand und auf eine lange mündliche Erzähl- oder Gesangstradition zurückgeht. Der Verfasser hat aus einem unüberblickbaren Fundus mythologisch-theologisch-belletristischer Überlieferung seine Auswahl getroffen und daraus ein kompaktes, autonomes Kunstwerk geformt. Welche Rolle dabei der Wandersänger Homer einnahm, ist in der Forschung heute noch so umstritten wie vor 200 oder 2000 Jahren.

Denn umstritten ist Homers gesamte Existenz.7 Sollte er gelebt und als Rhapsode die Epen Ilias und Odyssee...

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