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E-Book

Ein Fleck im Meer

Eine abenteuerliche Rettungsaktion auf hoher See

AutorAnthony Sosinski, John Aldridge
VerlagTempo
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783455001020
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Was ist der einzelne Mensch in den Weiten des Ozeans? Nicht mehr als ein unbedeutender winziger Fleck? Wird Anthony mich retten? Und noch viel wichtiger: Wie lange halte ich durch? Diese Fragen stellt sich der 45-jährige John Aldridge aus Montauk. Mitten in der Nacht, vierzig Kilometer vor der Küste, ist der erfahrene Hummerfischer bei rauer See über Bord gegangen - unbemerkt von seinem Freund Anthony Sosinski, mit dem er gemeinsam das kleine Fischerboot Anna Mary betreibt. Als der aufwacht und Aldriges Abwesenheit bemerkt, ist es fast zu spät. Mitten im Atlantischen Ozean kämpft Aldrige ohne Schwimmweste ums Überleben, während sein Freund, die Küstenwache und sämtliche Fischer im Nordosten der USA fieberhaft versuchen, ihn zu finden und zu retten, bevor die letzte Welle über ihm zusammenbricht. Eine dramatische Geschichte über Willensstärke und Widerstandsfähigkeit, die auf beeindruckende Art zeigt, wie es einem Menschen allen Widrigkeiten zum Trotz gelingen kann, zu überleben. Die bewegende Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Männern, die alles füreinander tun würden.

John Aldridge und Anthony Sosinski sind seit der Grundschule beste Freunde. Nach vielen Jahren, in denen sie als Fischer in Montauk, New York, gearbeitet hatten, erfüllten sie sich ihren Lebenstraum und kauften zusammen den Hummerkutter Anna Mary, der Mittelpunkt ihrer dramatischen Geschichte ist. Die beiden fahren immer noch täglich zum Fischen aufs Meer.

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Leseprobe

Über Bord


24. Juli 2013

»Warst du heute Muschelsammeln?«, frage ich Anthony, als er vom Steg auf das Deck der Anna Mary springt.

»Klar, heute Morgen.«

Anthony geht ständig auf Muschel- und Austernsuche. Doch er watet nicht einfach durchs Wasser, bis er etwas findet, sondern er zieht Flossen und eine Maske mit Schnorchel an und taucht weiter draußen nach den besten Exemplaren, die am meisten Geld einbringen. Das hat er schon gemacht, als wir noch Kinder waren.

»Hast du Bob oder Marie von der Fish Farm angerufen?«, fragt er mich. »Nehmen sie unseren Fang?«

»Alles geregelt«, erwidere ich.

Wir machen unser Boot klar für die dreißig Stunden oder länger dauernde Fahrt aufs Meer, überprüfen die Körbe, Leinen und die übrige Ausrüstung und warten auf die Anlieferung des Köders. Ich sehe, wie Anthony sich einen frisch reparierten Hummerkorb schnappt. Er untersucht ihn genauer, scheint aber mit dem Ergebnis zufrieden.

Aus dem Steuerhaus weht mir eine Zigarettenwolke entgegen. Das muss Mike Migliaccio sein, schon seit vielen Jahren unser dritter Mann an Bord.

»Mikey!«, rufe ich. »Könntest du bitte draußen rauchen? Du bringst mich um mit dem Gestank.«

Mike kommt paffend aus dem Steuerhaus. Man sieht ihn nur selten ohne eine Marlboro zwischen den Lippen. Das ist einer der Gründe – wenn auch nicht der einzige –, warum er nicht viel redet.

»He, Mike«, ruft Anthony. »Wohnst du immer noch bei Gary?« Es ist alte Tradition an Bord von Fischkuttern, dass der Kapitän seine Crewmitglieder aufzieht, und Co-Kapitän Anthony macht da keine Ausnahme.

Mike spuckt die Kippe über Bord. »Ich ziehe da aus«, erklärt er. »Das ist das reinste Dreckloch.«

Wir lachen, auch Mike.

Der Wagen von L&L kommt vorgefahren. Sie betreiben einen Köderhandel weiter im Westen der Insel, genauer gesagt in Bay Shore, etwa hundertzwanzig Kilometer von Montauk entfernt, und sie beliefern uns mit gut zweitausend Pfund gefrorener Bunker und Rochen in großen Transportschalen aus Karton. Zu dritt laden wir den Köder in zwanzig Kunststoffkisten um, die hinter dem Steuerhaus stehen, und schütten noch mehrere Körbe Beifang von anderen Kuttern im Hafen hinzu. Hier geht nichts verloren.

Irgendwann zwischen acht und halb neun legen wir ab. Es ist ein ruhiger, warmer Sommerabend, und am Horizont ist noch ein letzter Streifen Tageslicht zu sehen. Ich stehe im Steuerhaus und manövriere das Boot vorsichtig zu Gosman, einem Großhändler, der im Hafen von Montauk einen eigenen Steg hat, um unsere Kühlboxen mit Eis zu füllen. Wir haben vier davon, jede mit einem Fassungsvermögen von zweihundert Pfund. Eine der Boxen enthält die Lebensmittel, die wir als Verpflegung mitnehmen. Die anderen drei sind für Thunfisch und Mahi Mahi, die wir auf der Fahrt von einer Leine mit Hummerkörben zur nächsten angeln. Die Boxen sind rasch gefüllt, und wenig später steht Anthony am Steuer, lenkt die Anna Mary durch die Ausfahrt am nördlichen Ende des Hafenbeckens, und wir fahren in östlicher Richtung am Strand entlang in Richtung Montauk Point.

Auf den Felsklippen über uns kann ich das Denkmal für die auf See verunglückten Fischer und den Leuchtturm von Montauk sehen, tausendfach auf Postkarten und Postern abgebildet, und ich spüre, wie die See etwas rauer wird. Gegen neun Uhr haben wir den Montauk Point hinter uns gelassen und fahren nach Süden hinaus auf den Atlantik zu unseren Körben.

Anthony ruft mich zu sich ins Steuerhaus, weil er soeben über Funk erfahren hat, dass ein südlich von uns fischendes Boot dreitausend Pfund Hummer bei Gosman abgeliefert hat. Wir sind uns einig, dass das vielversprechend klingt. Dennoch sind wir noch acht Stunden von unseren ersten Fallen entfernt, da kann vieles passieren.

Ich bin bereit für die erste Wache, und da uns alle ein langer Arbeitstag erwartet, sobald wir unsere Fanggründe erreicht haben, schaltet Anthony die Anna Mary auf Autopilot und er und Mike legen sich in ihre Kojen zum Schlafen. Ich bin allein im Steuerhaus.

Das Alleinsein macht mir nichts aus. Ich mag es sogar. Die Anna Mary ist diese Strecke so oft gefahren, dass sie es fast von allein kann und ich nicht viel zu tun habe. Außerdem bin ich nach einigen Tagen an Land immer froh, wieder auf dem Meer zu sein. Die Zeit an Land dient in der Regel dazu, das Schiff für die nächste Fahrt vorzubereiten, was alle möglichen Routinearbeiten an Deck bedeutet, oder das Öl zu wechseln, Seile zu spleißen und vor allen Dingen Fallen zu reparieren. Wir haben insgesamt achthundert Fallen, von denen wir pro Fahrt gut vierhundert vom Meeresgrund holen, sodass ständig irgendetwas kaputtgeht und das Reparieren praktisch ein Vollzeitjob ist.

Deshalb fühlt es sich gut an, wieder auf dem Wasser zu sein. Seit ich ein kleiner Junge war, hat es mich hinaus aufs Wasser gezogen. Nicht nur, weil ich immer schon Fischer werden wollte – obwohl das genau so war –, sondern auch, weil ich gerne mein eigener Herr bin, ohne dass irgendwer mein Leben kontrolliert oder mein Schicksal diktiert oder mich anschnauzt, dies oder das zu tun. Anthony sagt mir niemals, was ich tun soll. Wir sind seit ewigen Zeiten gleichberechtigte Partner. Und bei der Arbeit, wenn wir die Fallen an Deck hieven und den Fang herausholen, läuft alles wie am Schnürchen, als würden zwei Paar Hände wie eins arbeiten. Aber für drei ausgewachsene Männer ist auf einem vierundvierzig Fuß langen Kutter wie der Anna Mary wenig Platz. Während also Anthony und Mike unten in der Vorpiek vor sich hin sägen und mir nichts als die laue Sommerluft und ein fast voller Mond Gesellschaft leisten, bin ich gerne ganz allein im Steuerhaus. Ich lehne mich in dem abgewetzten Kapitänssessel zurück – ein schwarzer Kunstlederthron, der so oft geflickt wurde, dass es aussieht, als wäre er mit Klebeband gepolstert –, lege meine Füße auf die Instrumententafel, trinke einen Schluck Wasser aus der Flasche, die auf dem Fenstersims neben dem Stuhl steht, und lasse mich mit der Anna Mary in den leichten Wellen wiegen, die Nachwehen eines Sturms vor ein paar Tagen. Das Funkgerät bleibt stumm bis auf gelegentliche Kontaktaufnahmen, nach denen die Gesprächspartner rasch auf einen anderen Kanal wechseln. Das fahle Mondlicht und die Lichter der Anna Mary zeigen ruhige See voraus. Ich begnüge mich damit, ein Auge auf die Messgeräte und den Radarschirm zu werfen, und spüre mein Boot mit den üblichen sechseinhalb Knoten dahintuckern.

Nur eine Sache ist noch zu erledigen, damit wir morgen früh gleich an die Arbeit gehen können, aber das schaffe ich auch alleine und muss Anthony nicht extra um halb zwölf wecken, worum er mich gebeten hat. Wir haben vor kurzem ein neues Kühlsystem installiert, das vor Inbetriebnahme genau justiert werden muss, eine Aufgabe, die nicht unbedingt Anthonys Sache ist. Ein kommerzielles Fischereiboot wie die Anna Mary ist im Grunde ein überdimensioniertes Fischbecken, und das System, mit dem wir unseren Fang lebendig und frisch halten, basiert auf gekühltem Meerwasser. Es ist ein geschlossener Kreislauf: eine Pumpe saugt Meerwasser in die Tanks, in die unser Fang kommt, aber das überlaufende Wasser wird erneut in den Kreislauf eingespeist, sodass nichts zurück ins Meer gelangt. Das System muss jedes Mal neu eingestellt werden. Dazu müssen sämtliche Ventile so weit geöffnet werden, dass das Wasser gleichmäßig durch die Tanks fließt, und dann müssen die Überlaufhähne mit einer Kappe verschlossen werden, damit kein Wasser ins Meer gerät. Idealerweise versucht man die Tanks randvoll zu machen, damit das Wasser möglichst wenig hin und her schwappt. Keine großartige Aufgabe, doch benötigt man für die Feineinstellung der Ventile ein gewisses Maß an Geduld und Konzentration, was nicht gerade Anthonys Stärke ist. Da ich ohnehin hellwach bin, lasse ich Anthony lieber schlafen und gehe gegen halb drei oder drei Uhr früh auf Deck, um den Job zu erledigen.

Der größte Teil der Anna Mary ist Deck. Neunzehn der vierundvierzig Fuß Länge und fast die gesamte vierzehneinhalb Fuß Breite sind Deck, und wir brauchen davon jeden Zentimeter. Das Heck ist offen, damit wir die Leinen mit den Körben zu Wasser lassen können, und die Luken schließen eben mit dem Deck ab. Ich öffne die mittlere Luke über den Tanks, öffne die Ventile und schließe die Luke wieder. Dann gehe ich zurück ins Steuerhaus und überprüfe Geschwindigkeit, Radar und Öldruck und ob die Kompassnadel den richtigen Kurs des Autopiloten bestätigt. Anschließend gehe ich wieder an Deck, um die Überlaufhähne zu verschließen. Zwei unserer Kühlboxen stehen übereinander auf der Luke für den Tank, die ich öffnen muss, um die Plastikkappe auf den Überlauf zu schrauben und das System zu schließen. Frisch mit Eis gefüllt, stehen die Kühlboxen fest auf dem Boden, also schnappe ich mir einen langstieligen Bootshaken und angle damit nach dem Plastikgriff der unteren Box.

Ich spüre das kompakte Gewicht, fast so, als seien die Boxen fest mit dem Deck verwachsen. Ich greife das untere Ende des Bootshakens, gehe in die Knie und lehne mich weit nach hinten, mehr oder weniger hockend, und ziehe mit aller Kraft. Es klappt. Die beiden Boxen rutschen mir über die Hälfte der Tankluke entgegen. Ich gehe ein Stück zurück, lehne mich noch weiter nach hinten, ziehe noch fester – und der Griff reißt ab. Die Kühlboxen bleiben stehen, aber ich stolpere mit hoher Geschwindigkeit rückwärts über Deck, den Bootshaken immer noch umklammernd, geradewegs auf das Heck zu, wo es kein Tor und kein Seil...

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