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Ein Plan für die Bahn

Wie die Milliardeninvestitionen in die Schiene mehr bewirken können

AutorPaul Schneeberger
VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783038103837
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,00 EUR
Die Schweiz investiert Milliarden in den Ausbau der Eisenbahn. Doch die Investitionen bewirken weniger, als sie
könnten. Während die Bautätigkeit und die Technik das Land rasant verändern, will man die Bahn nach der Devise
«Mehr vom Gleichen» ausbauen. Dabei könnte sie als spurgeführtes Massenverkehrsmittel die Siedlungsentwicklung
steuern und aus der Digitalisierung Nutzen ziehen. Paul Schneeberger wirft wesentliche Fragen auf: Wie kann die
Bahn zum Rückgrat der Agglomeration werden? Welche neuen Infrastrukturen lassen sich daraus ableiten? Und
welche Spielräume können diese für eine Integration von Massenverkehrsmitteln und baulicher Verdichtung eröffnen?

(* 1968), Dr. phil., studierte an der Universität Zürich Allgemeine Geschichte, Politische Wissenschaften und Allgemeines Staatsrecht. Seit 2001 arbeitet er als Journalist im Inland-Ressort der Neuen Zürcher Zeitung und setzt sich u. a. mit Verkehr, Raumentwicklung, öffentlichem Dienst und Föderalismus auseinander. 2017 hat er ein Diplomstudium in Raumplanung an der ETH abgeschlossen.

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Leseprobe

2  Ein Plan mit Lehren aus der Vergangenheit

2.1«Mehr vom Gleichen» als Programm

Die Ziele des Bundes für die Weiterentwicklung der Eisenbahn in der Schweiz sind in Artikel 48 des Eisenbahngesetzes festgehalten. Sie sehen keine direkte Verknüpfung mit der Raumentwicklung vor, und sie postulieren auch keinen Zusatznutzen, den der Bahnausbau für die Siedlungsentwicklung bringen muss.

«Der Ausbau der (Bahn-)Infrastruktur hat folgende Ziele:

a.Personenverkehr:

1.Verbesserung der Verbindungen mit europäischen Metropolitanräumen,

2.Verbesserung der Verbindungen zwischen den schweizerischen Metropolitanräumen und innerhalb derselben,

3.Verbesserung der Verbindungen im schweizerischen Städtenetz und mit den Zentren der Metropolitanräume,

4.Ausbau des Regional- und des Agglomerationsverkehrs,

5.Verbesserung der Erschliessung der Berggebiete und der Tourismusregionen;

b.Güterverkehr:

1.Verlagerung des alpenquerenden Schwerverkehrs,

2.Verbesserungen für den Binnen-, Import- und Exportverkehr,

3.Verbesserung der Trassenverfügbarkeit.»

Ergänzend hat der Bund eine grobe Langfristperspektive für das Bahnangebot mit dem Zeithorizont 2050 formuliert. Sie enthält für den nationalen Personenverkehr den Viertelstundentakt entlang des Genfersees, im Mittelland zwischen Thun, Bern, Olten und Basel bzw. Zürich und Winterthur, zwischen Brugg und Zürich sowie zwischen Luzern und Zürich. Für den nationalen Güterverkehr sind die Achsen Basel–Olten–Lausanne und Basel–Bern–Lötschberg–Simplon sowie Basel–Brugg–Gotthard–Luino/–Chiasso vorgesehen.

Basierend auf diesen Grundlagen hat der Bundesrat im Herbst 2017 unter dem Titel «Ausbauschritt 2035» ein Paket mit Investitionen von insgesamt 11,5 Milliarden Franken verabschiedet. Dieser Vorschlag ging aus einer Gegenüberstellung mit einer Variante hervor, die nur einen Teil der nun vorgesehenen Massnahmen mit einem Gesamtvolumen von 7 Milliarden Franken bis 2030 umfasst. Die Auswahl der Projekte richtet sich nach der Nachfrage, die bei der Fortschreibung der bestehenden Trends zu erwarten ist. Die Bahn soll dort ausgebaut werden, wo in den Spitzenzeiten die grösste Überlast besteht. Die Verkürzung der Reisezeiten ist sekundär. Im nationalen Verkehr wird der Halbstundentakt auf die meisten Linien ausgedehnt. Für die Verbindungen zwischen Genf und Lausanne, zwischen Bern und Zürich, zwischen Zürich, Baden und Brugg, zwischen Zürich und Zug und zwischen Zürich, Winterthur und Frauenfeld ist jede Viertelstunde ein schneller Zug vorgesehen.

Versteht man die Eisenbahn als roten Faden der Raumentwicklung, so heisst das: Genf und Lausanne werden endgültig zu einer Stadt mit zwei Polen in 60 Kilometer Entfernung, und die Stadt Zürich greift künftig nicht mehr nur bis nach Winterthur und Uster aus, sondern bis nach Brugg, Zug und Frauenfeld. Zudem verdoppelt sie ihre Kapazität als «Förderband» zwischen Zürich und Bern. An grossen Bauprojekten sieht der Bundesrat den Bau des Brüttener Tunnels zwischen Zürich und Winterthur, des Zimmerberg-Basistunnels zwischen Zürich und Zug und den Vollausbau des Bahnhofs Zürich Stadelhofen vor. Sie kosten zusammen rund 6 Milliarden Franken. Der Bundesrat begründet den Fokus auf Zürich damit, dass dort die meisten Menschen leben und dort die grössten Überlasten zu erwarten seien. Eine weitere Milliarde fliesst in die Genferseeregion. Der Bund rechnet am Genfersee und auch zwischen Zürich und Winterthur mit einer Verdoppelung der Passagierzahlen bis 2040.

Der vom Bundesrat vorgesehene Bundesbeschluss für den «Ausbauschritt 2035» spurt über diese Grossprojekte sowie verschiedene punktuelle Massnahmen hinaus bereits einen «Ausbauschritt 2040» vor. Dieser, so heisst es im Entwurf des Beschlusses, soll den eidgenössischen Räten bis 2026 unterbreitet werden. In ihm, so die Suggestion, sollen jene von den betroffenen Regionen mit Prestige aufgeladenen Grossprojekte untergebracht werden, die gemäss dem bundesrätlichen Vorschlag im «Ausbauschritt 2035» aussen vor bleiben: der Vollausbau des Lötschberg-Basistunnels, ein wie auch immer gearteter Ausbau Aarau–Zürich, der Durchgangsbahnhof Luzern und eine neue Verbindungslinie («Herzstück») zwischen dem Bahnhof SBB und dem Badischen Bahnhof in Basel.

Während der Siedlungsbau und die Technik die Schweiz rasant verändern, soll die Bahn in den nächsten Jahren und Jahrzehnten also gemäss der Devise «Mehr vom Gleichen» ausgebaut werden, so als bliebe alles beim Alten. Dabei versteht der Bund in seiner offiziellen Planung unter dem Ausbau vor allem einen Abbau. Den Abbau von «Engpässen», die sich in den morgendlichen und abendlichen Spitzenstunden abzeichnen, wenn man das gegenwärtige Wachstum der Bevölkerung auf Jahrzehnte hinaus ebenso weiterschreibt wie das heutige Mobilitätsverhalten. Auch wenn sich hinter den aktuellen Plänen in absoluten Zahlen eine beträchtliche Leistungssteigerung verbirgt: Der Eisenbahn wird damit auch weiterhin einfach die Rolle eines Juniorpartners im Verkehrssystem zugeschrieben. Nicht mehr und nicht weniger.

Nicht, dass die Schiene dereinst die Hälfte des gesamten Verkehrs bewältigen soll, wie das die blosse Investitionssumme nahelegen würde, die fast ebenso gross ist wie jene, die in die Strasse fliesst. Aber in einem über weite Strecken verstädternden Land muss die Eisenbahn, die auf wenig Raum viele Menschen und Güter transportieren kann, eine bedeutendere Rolle im Verkehr übernehmen als bisher. Warum soll sie dereinst nicht 30 Prozent des Personenverkehrs bewältigen? Als spurgeführtes Massenverkehrsmittel kann sie zu einem wesentlicheren Steuerungsinstrument für die Siedlungsentwicklung und damit auch für die ganze Raumentwicklung werden. Der politisch gewollte Stopp der Zersiedelung – das Ende des Verbauens von grünen Wiesen und des grossflächigen Verstreuens von Bauten und Menschen – ruft nach mehr gebündeltem Verkehr. Zur Konzentration der Siedlungen gehört auch eine Konzentration des Verkehrs.

Eine ernsthafte Siedlungsentwicklung nach innen funktioniert nicht ohne eine Verkehrsentwicklung nach innen. Mehr Menschen an Orten, wo schon Menschen wohnen und arbeiten, mehr Häuser dort, wo schon Häuser stehen. Das funktioniert nicht ohne Bündelung des Verkehrs dort, wo viele Menschen in kurzer Zeit auf wenig Raum vorwärtskommen wollen. Grosse finanzielle Mittel sind also dort in die Eisenbahn zu stecken, wo sie zum Motor für eine kluge Siedlungsentwicklung werden kann. Zum Ersten, indem sie Orte und Regionen gezielt und nicht zufällig miteinander in Beziehung setzt. Zum Zweiten, indem sie durch eine gezielte Haltepolitik auf ihren Achsen ausgewählte Siedlungen zu neuen Arbeits- und Wohnzentren aufwertet, damit die Dinge anderswo so bleiben können, wie sie sind. Und zum Dritten, indem sie weiter beschleunigt wird, um nicht nur zufällig, sondern auch gezielt die Verbindungen zwischen Orten und Regionen zu intensivieren.

Wo tatsächlich nur «Mehr vom Gleichen» gefragt ist oder wo die Nachfrage eine teure Schieneninfrastruktur nicht rechtfertigt, ist die Digitalisierung dienstbar zu machen. Zum einen durch technische Assistenzsysteme, die es ermöglichen, auf dem bestehenden Netz noch mehr Personen und Güter zu transportieren. Zum anderen durch die Vermittlung lückenloser, einfach zu benützender Transportketten. Transportketten, die aus dem kollektiven Verkehrsmittel Eisenbahn und aus den individuellen Verkehrsträgern auf den letzten Meilen gebildet werden. Künftig wird nicht immer das Postauto auf die Bahn warten müssen. Mehr und mehr wird dafür auch ein Auto reichen. Ein Auto, das nicht das eigene ist, in dem aber auch Menschen mitfahren, mit denen man ausser dem Reiseziel nichts teilt.

Trotz der üppigen und nicht befristeten finanziellen Ausstattung des Bahninfrastrukturfonds sind wesentliche Fragen bis heute nicht beantwortet. Was ist zu tun, damit die Eisenbahn in einer ernsthaften Weise zum verkehrsmässigen Rückgrat des verstädternden Landes werden kann? Welche neuen Angebote und Infrastrukturen sind aus dieser Zielsetzung abzuleiten? Welche zusätzlichen Spielräume schaffen die neuen Bauten für den von der Bundesverfassung verlangten haushälterischen Umgang mit dem Boden? Und welche Arten von Verfahren sind geeignet, um die dafür notwendige Kreativität freizusetzen? Kreativität, die in konkrete Entwürfe für ein Bahnnetz von morgen münden kann. Für ein Bahnnetz, das den erwünschten Mehrwert für eine dezentral konzentrierte Siedlungsentwicklung schafft.

Richtet man den Blick auf die gegenwärtigen Debatten zur Zukunft der Mobilität, wird deutlich, dass zwei Dinge die Diskussionen prägen: Software und Hardware. Neue smarte Kommunikationstechnologien und der gute alte Beton. Forscher und Politiker, Lobbyisten und andere Verkäufer dozieren unermüdlich, wie der Verkehr wirtschaftlicher abgewickelt werden könnte. Aber sie erörtern nicht oder nur oberflächlich, welche Wirkung er in Bezug auf die Gestaltung unseres Lebens und unseres Lebensraums entfalten soll. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendein Konzern, irgendeine Hochschule oder irgendein Verband verkündet, wie die Mobilität in Zukunft abgewickelt werden wird. Die Faszination und Verunsicherung, welche die neuen digitalen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten auslösen, sind gross. Das Spektrum der Meinungen ist breit und von selektiven Interessen einzelner Wirtschaftszweige getrieben –...

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