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Ein Sandkorn im Sturm

Aufzeichnungen eines Soldaten 1905 - 1945

AutorJosef Selmayr
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl392 Seiten
ISBN9783741228919
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Der Autor war Berufsoffizier in Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Seine Aufzeichnungen über die ersten 40 Jahre seines Lebens reichen vom Wilhelminischen Kaiserreich bis zur Kapitulation Deutschlands im II. Weltkrieg. Das Buch ist ein Zeitzeugnis mit unterschiedlichen Aspekten. Historisch ist es ein Lesebuch gelebter deutscher Geschichte aus schwierigster Zeit. Soziologisch skizziert der Autor am Beispiel der Eltern und Großeltern die Gesellschaft des vergangenen 20. Jahrhunderts und ihren Untergang in Krieg und Inflation. Seine gymnasiale Schul- und soldatische Ausbildung werden kritisch beleuchtet, ebenso die Haltung der Reichswehr im damaligen politischen Zeitgeschehen. Es wird deutlich, dass der Weg des Dritten Reichs in einen Krieg zwangsläufig und frühzeitig erkennbar war. Sehr bald war es dem Autor bewusst, in die Vorbereitung des II. Weltkriegs aktiv eingebunden zu sein. Seinen Einsatz in Frankreich, Russland und auf dem Balkan schildert er ausschnittweise und anekdotenhaft, wobei nicht die Kriegs- oder Divisionsgeschichte, sondern der Mensch im Mittelpunkt steht.

Josef Selmayr, geboren 1905 in Straubing, erlebte als Gymnasiast in München den Weltkrieg 1914/18 und die Anfänge der Weimarer Republik. Um den Kräften zu dienen, die nach seiner Meinung als einzige in den Wirren der damaligen Zeit den Staat zu stabilisieren schienen, entschloss er sich 1924, als Berufssoldat in die Reichswehr einzutreten. Als Transportkommandant in Mainz sah er bereits 1938 den II. Weltkrieg voraus. Nach Einsätzen in Frankreich und Russland war er ab 1943 der 1. Generalstabsoffizier des Oberbefehlshabers Südost in Belgrad. Nach der Kapitulation Deutschlands stand er bis Herbst 1950 im Gewahrsam Jugoslawiens. Nach seiner Freilassung arbeitet er beim Bundesnachrichtendienst, bis er 1956 als Offizier der Bundeswehr reaktiviert wurde. Dort baute er die militärische Spionageabwehr auf, die er bis zu seiner Pensionierung 1964 leitete. Der Autor starb 2005 in München.

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Leseprobe

2. Band: Mit der Unerbittlichkeit einer antiken Tragödie


Die nächsten 21 Jahre


I. Teil: Mit dem Kaiserreich im Rückspiegel


Emotionen und Unerfahrenheit hatten meinen Entschluss, Offizier zu werden, herbeigeführt. Als Alternative schwebte mir der Altphilologe vor, was mir schwerlich mehr Befriedigung verschafft hätte, aber darauf hinweist, dass der junge Mensch sich an Bekanntes hält und Vorbilder benötigt. Da ich die Tätigkeiten eines Paukers täglich vor Gesicht hatte, schienen sie mir nachahmenswert. Von den Tätigkeiten anderer Berufsgruppen wusste ich so gut wie nichts. Das humanistische Gymnasium hatte keinen Versuch gemacht, die Abiturienten zu beraten. Ich verbuche es heute als schwerwiegende Unterlassung. Wer nicht seinem Vater nacheifern wollte oder konnte, wozu er im Elternhaus zumindest atmosphärisch vorbereitet worden wäre, stand vor einem Glücksrad. Er wurde Opfer vorgefasster Meinungen oder zufälliger Stimmungen. Freilich – er hatte ja ein hohes Maß an Allgemeinbildung erhalten – kam er deshalb immer zurecht, auch wenn er sich vergriffen haben sollte; exemplum docet.

Wenn ich es heute überdenke, so hätte ich wohl in vielen Berufen schlecht und recht meinen Mann gestanden, in keinem Beruf Überdurchschnittliches zu Wege gebracht. Zweifel, ob ich das Dritte Reich heil überstanden hätte, wenn ich nicht Offizier geworden wäre, dürften allerdings berechtigt sein. Insoweit waren es dann doch gute Geister, die mein Schicksal in jenem Augenblick gelenkt haben, als ich meinen Beruf wählte.

Man muss verstehen: mein Vater, der gewiss kein Militarist gewesen ist und mancherlei am Gehabe der aktiven Offiziere auszusetzen hatte, der auch die Schattenseiten dieses Berufes der Ungelernten voll erkannte, war dann doch wieder stolz, einen Sohn in den „ersten Stand“ einsteigen zu sehen, den der Reichswehroffizier trotz Niederlage und Revolution anno 23 bereits wieder repräsentierte. Seine Generation war den Wertungen des wilhelminischen Zeitalters eben doch bis zum Tode ausgeliefert, wie seine bald darauf in Auftrag gegebene Grabinschrift bezeugt, mit der ihn seine Witwe nicht nur als Apotheker, sondern auch als „Rittmeister der Reserve” dem Andenken der Nachwelt anvertraut hat. Nichts spricht eindringlicher für die Prägekraft einer Epoche als derlei, an sich belanglose Herzensangelegenheiten.

Also schickte mich Papa, noch ehe der Termin zum Einrücken gekommen war, zum Schneider Petersen in der Gabelsbergerstraße, der ihn jahrzehntelang uniformiert hatte, um mir eine Extrauniform anmessen zu lassen. Dies gab die allererste Enttäuschung. Wie ich mir eine Offizierskleidung vorgestellt hatte, ist nicht mehr feststellbar, wohl aber, dass mir das vorgeschriebene zweierlei Tuch missfallen hat. Man erklärte mir damals wie auch später, auf diese Weise könnten sowohl Rock wie Hose einzeln erneuert werden. Als es ab 1935 eine deutsche Luftwaffe gab, wurde mit deren Uniform aus nur einem Tuch der Gegenbeweis geliefert. Immerhin haben sich die Argumente eines sparsamen Intendanten bis in die Bundeswehrzeit erhalten, wie dies ja auch mit anderen und wichtigeren militärischen Maximen zu gehen pflegt. Ohne zu ahnen, dass ich mit meiner kleinen Geschmacksdifferenz auf ein Kernproblem meines gerade erwählten Berufs gestoßen war, verließ ich damals den Schneiderladen ohne die rechte Begeisterung.

Auch das erhabene Gefühl, nach langen Jahren des Lernens und Vorbereitens endlich zum Einsatz fürs bedrängte Vaterland zu kommen, währte nicht länger als die Eisenbahnfahrt von München nach Landshut. Sie fand am 15. April 1924 statt.

REKRUT IN LANDSHUT


Sieben Abiturienten trafen sich damals vor dem Tor der Schwere-Reiter-Kaserne in Landshut. Sie waren für die Offizierlaufbahn vorgesehen, durften sich aber nicht Offizieranwärter nennen, weil es solche in der Reichswehr vorläufig nicht zu geben hatte, aber natürlich gab. Wie jeder andere Freiwillige mussten sie sich zu einer zwölfjährigen Dienstzeit verpflichten. Das 19. Bayer. Infanterieregiment97, das sie aufgenommen hatte, bestand aus drei Bataillonen, unterhielt aber als viertes auch noch ein Ausbildungsbataillon, wo die Grundausbildung vermittelt wurde. Genau dort landeten die sieben Abiturienten, übrigens 14 Tage später als der übliche Ersatz, weil man ihnen zwei Wochen Sonderurlaub zwecks Erholung von den Strapazen des Abiturs gewährt hatte. Diese Tatsache verschaffte den Sieben von Anfang an den Ruf der Privilegierten, von Leuten also, die es in der republikanischen Reichswehr gar nicht hätte geben dürfen. Wir stießen damit bereits am allerersten Tag unseres erwählten Berufs auf das fatale System des „als ob“, das die gesamte Seecktsche98 Reichswehrschöpfung dominierte. Als ob es keine Weimarer Republik gäbe!

Erst im historischen Rückblick erkenne ich, dass ich dazumal in eine Als-ob-Armee geraten war. Als ob es keinen Weltkrieg gegeben hätte, so wurde ich ausgebildet und die Kasernenhofszenen des Jahres 1924 mochten sich in nichts von jenen der Jahre vor 1914 unterschieden haben. Man lernte „Stellung und Haltung“, übte den Gewehrgriff und den Einzelmarsch, betrieb Schießvorschule und – vielleicht – ein bisserl mehr Leibesübungen als früher. Gottlob ist nicht mehr feststellbar, wieviel Zeit aufgewendet wurde, um uns die vorschriftsmäßige Ehrenbezeigung beizubringen. Auch der Felddienst, der auf dem kleinen oder manchmal auch großen Exerzierplatz stattzufinden pflegte – beileibe nicht im Gelände – erschöpfte sich in der Einübung exerziermäßiger Bewegung in geöffneter Ordnung. Selbst das Scharfschießen wurde, angeblich aus Sicherheitsgründen, zum Marionettentheater.

Als ob jene ca.150 Buben, die sich aus welchen Gründen auch immer, jedenfalls aber freiwillig, zur Reichswehr gemeldet hatten, weniger Verstand hätten, als irgendein Pudel oder Foxl, unterwarf man sie und natürlich auch uns sieben sogenannte Offizieranwärter einer brutalen Dressur, nur darauf bedacht, das soldatische Handwerk in allen seinen Variationen mechanisch und ausschließlich mechanisch auszuführen. Der obherrschende Ton war ordinär, die angewandte Methodik primitiv. Unausgesprochenes Ziel mochte gewesen sein, die Einzelpersönlichkeit zu zerschlagen, um einen Schablonenmenschen zu gewinnen. Körperliche und seelische Misshandlungen waren an der Tagesordnung.

Der Drill verfolgte uns vom Wecken bis zum Zapfenstreich. Auf jeder Treppenstufe, in jedem Winkel, hinter jeder Tür stand jemand, der uns Befehle geben, der uns beschimpfen, der uns höheren Orts verpfeifen oder in eigener Machtvollkommenheit schikanieren durfte. Die sogenannte „alte Mannschaft“, d.h., diejenigen, die gestern noch Rekruten gewesen waren, gebärdeten sich wie Halbgötter und revanchierten sich an den Neuankömmlingen für die Bosheiten, die ihnen angetan worden waren. Die Dienstgrade vollends taten sich viel darauf zugute, noch persönlich am Krieg teilgenommen zu haben, und fühlten sich berechtigt, ja verpflichtet, harte Kämpfer aus uns zu machen, indem sie uns durch den Staub robben ließen oder Kniebeugen bis zum Umfallen kommandierten, die Hände in den Hosentaschen. Als beliebte Gehorsamsübung galt, einen Rekruten, der sich eine Kleinigkeit hatte zuschulden kommen lassen, in die Mitte des Kasernenhofs zu stellen oder gar auf einen der diesen Kasernenhof umsäumenden Kastanienbäume zu schicken, auf dass er laut schreie, er sei der größte Idiot des Bataillons.

Unerschöpflich waren daneben die Möglichkeiten im Innendienst, uns weh zu tun. Bettenbau, Schrankordnung, Gewehrreinigen, Stiefelputz und und und – lieferten tausend Vorwände für Beanstandungen und Strafen, die im Disziplinarrecht nicht verankert waren. Meiner damaligen Situation kommt am nächsten die Schilderung seiner Kadettenjahre, die Ernst von Salomon ebenso einfältig wie ehrlich in seinem Buch „Kadetten“99 der Nachwelt überliefern zu müssen glaubte.

Nicht, dass es derlei Zustände gegeben hat, wundert mich heute, sondern dass nicht ein einziger der Misshandelten zum Kadi lief, zur Presse oder zur Partei. Offenbar galt das „als ob“ auch für die gesamte Öffentlichkeit der Zwanziger Jahre. Als ob die Armee immer noch, wie zu Zeiten der Zaberner Affäre100, außerhalb aller Rechtsnormen stünde, unfehlbar, unangreifbar. Ein Vaterlandsfeind, wer anderer Meinung gewesen!

Es ist nicht meine Absicht, meine Rekrutenausbildung in ihren schmerzlichen und lächerlichen Einzelheiten zu Protokoll zu geben, weil ich ja keine Memoiren schreiben will. Ich will nichts anderes, als aufzeigen, was im Jahre 1924 noch möglich gewesen ist; aufzeigen auch, dass die Revolution 1918 jenen Kräften eben nicht ein Ende bereitet hatte, die im wilhelminischen Kaiserreich unangreibare Macht und unkontrollierten Einfluss ausübten. Man fing genau wieder da an, wo man um die Jahrhundertwende gestanden hatte. Als ob nichts passiert wäre!

Es ist für den heutigen Menschen schier unverständlich, warum keiner der körperlich und seelisch Misshandelten die durchaus vorhandenen Rechtsmittel ergriffen hat, um dem Treiben Einhalt zu gebieten. Wir müssen diese Duldsamkeit gegenüber dem militärischen Terror auf Jahrzehnte zurückverfolgen und finden dann vielleicht folgende Erklärung:

Im zivilen Leben erging es den Unterprivilegierten noch viel dreckiger, ob sie nun in der Landwirtschaft, in der Fabrik oder im Handwerk ihren Lebensunterhalt verdienten. Die Jugend wurde geschurigelt und ausgebeutet, beides unter dem Vorwand von Ausbildung und Erziehung zur Härte. Beim Kommiss ergab sich insoweit eine Besserstellung, als der junge Mensch „nach“ dem Dienst etwas galt, trug er doch „des Königs Rock“ durch die Straßen. Auch dem Gemeinen verschaffte...

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