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E-Book

Ein Vergleich zwischen 'Mirra' von Alfieri und 'Phèdre' von Racine

AutorAnonym
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl64 Seiten
ISBN9783656853718
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Romanistik - Italienische u. Sardische Sprache, Literatur, Landeskunde, Note: 2.0, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Sprache: Deutsch, Abstract: Vittorio Alfieri (1749 bis 1803) gilt als einer der wichtigsten Dichter der italienischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Neben zahlreichen Tragödien veröffentlichte er Gedichte und eine Autobiographie Vita sowie zwei politische Abhandlungen unter den Titeln Della tirannide und Del principe e delle lettere. Einer seiner erfolgreichsten Tragödien, Mirra, thematisiert das Leben eines jungen Mädchens, welches sich in ihren Vater verliebt. Jean Baptiste Racine (1639 bis 1699) war hingegen einer der bedeutendsten Dichter der französischen Klassik. Er gilt bis heute als großer Tragödiendichter der französischen Literatur. Phèdre, eins seiner berühmtesten Werke, behandelt ebenfalls die Inzestthematik. Hiermit werden zwei Werke verschiedener Epochen aufgeworfen: Phèdre, eine Tragödie der französischen Klassik, und Mirra, eine Tragödie, die in Zeiten der Romantik in Italien entstanden ist. Es sind zwei Werke, die einen unterschiedlichen historischen Kontext aufweisen, jedoch beide in der Antike spielen und deren Protagonistinnen Mirra und Phèdre mit dem gleichen Problem zu kämpfen haben, dem der inzestuösen Liebe. Myrrha aus den Metamorphosen von Ovid (10. Buch) diente Vittorio Alfieri als Quelle für sein Werk, wie er in seiner Vita anmerkt. Doch auch Racine entnimmt den Stoff für Phèdre aus der griechischen Mythologie und bezieht sich hierbei vor allem auf den griechischen Dichter Euripides und den römischen philosophischen Dichter und Schriftsteller Seneca, die sich in ihren Werken ebenfalls mit der Inzestthematik beschäftigt haben. Doch inwiefern ähneln sich die Inzestthematiken in den Werken von Alfieri und Racine? Lassen sich noch andere Gemeinsamkeiten zwischen beiden Werken entdecken, sodass die Vermutung geäußert werden könnte, dass Racines Tragödie Alfieri als Modell gedient haben könnte, wie bereits einige Quellen vermuten. [...]

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Leseprobe

2 Inzestmotiv


 

Die Inzestthematik nimmt eine bekannte Stellung in der Literatur ein und weist zudem eine lange Tradition auf. Angefangen in der Bibel über Sophokles bis hin zur modernen Literatur beschäftigten sich zahlreiche Schriftsteller auf unterschiedliche Weise mit dieser Thematik. „Obwohl – oder gerade weil – Inzest einem Tabu unterliegt und an die Grenze des Sagbaren und damit der Sprache rührt, wird unablässig versucht, ihn in literarischen Formen und visuellen Szenen zur Darstellung zu bringen.“[6]

 

Im    Allgemeinen    wird    unter    ‚Tabu‘    als    etwas    ‚Verbotenes‘    bzw.

 

Unmoralisches‘ verstanden. Ursprünglich entstammt der Begriff jedoch aus der Maori-Sprache  und  bezeichnet  Wesen  oder  Sachen,  die  nicht  berührt werden dürfen.[7] Auch wenn ‚Tabu‘ nicht als ein zeitgenössischer Begriff verstanden wird, stellt er doch eine treffende Bezeichnung für das „Spannungsverhältnis des Inzests“[8] dar.

 

Einen Erklärungsversuch des Inzesttabus findet sich in Freuds kulturanthropologischer Schrift ‚Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker‘ aus den Jahren 1912 und 1913. Als Ansatzpunkt dient Freud ein Vergleich zwischen den Naturvölkern und den Neurotikern, welche Übereinstimmungen in ihrem Verhalten aufweisen.[9] Das Wilde stellt für ihn „eine gut erhaltene Vorstufe unserer eigenen Entwicklung“[10]dar. Die Wilden haben sich mit „ausgesuchtester Sorgfalt und peinlichster Strenge  die Verhütung inzestuöser Geschlechtsbeziehungen zum Ziele gesetzt […]“[11]. Zudem bemerkt er, dass die Australier anstelle von religiösen und sozialen Institutionen über das System des Totemismus verfügen.[12]  Mit dem Totemismus verbindet Freud die Exogamie.  Dies  bedeutet,  dass die  „Mitglieder desselben Totem nicht in geschlechtliche Beziehungen zueinander treten, also auch einander nicht heiraten dürfen“[13]. Somit ist nach Freud das Inzestverbot ein Tabu, das sich eine kulturelle Gemeinschaft im Übergang vom natürlichen zum kulturellen Zustand auferlegt hat.

 

Laut Freud besteht ein Inzestverbot nur deshalb, weil die Menschen ursprünglich eine natürliche Inzestneigung aufwiesen:

 

Anstatt also aus dem gesetzlichen Verbot des Inzests zu schließen, daß eine natürliche Abneigung gegen den Inzest besteht, sollten wir eher den Schluß ziehen, daß ein natürlicher Instinkt zum Inzest treibt, und daß, wenn das Gesetz diesen Trieb wie andere natürliche Triebe unterdrückt, dies seinen Grund in der Einsicht zivilisierter Menschen hat, daß die Befriedigung dieser natürlichen Triebe der Gesellschaft Schaden bringt.[14]

 

Dieser Instinkt entsteht „bei jedem Menschen im Laufe seiner frühkindlichen Entwicklung“[15]  und prägt vor allem die Beziehung zu den Familienmitgliedern sowie das Familienbewusstsein.[16]  Dabei richtet sich der Inzestwunsch „auf den gegengeschlechtlichen Elternteil, da dieser im Allgemeinen den ersten gegengeschlechtlichen Partner überhaupt darstellt“[17]. Dieser Prozess wird von Freud unter dem Begriff ‚Ödipuskomplex‘ zusammengefasst. Jedoch verschwindet dieser Wunsch im reiferen Kindesalter in das Unbewusste.[18]

 

Es erscheint einleuchtend, dass sich in fast allen literarisch gestalteten Familienkonstellationen inzestuöse Strukturen auffinden lassen, da „die Familie […] geradezu dafür konstituiert zu sein [scheint], Inzest zu produzieren“[19]. Darüber hinaus besteht eine gewisse Sicherheit, dass ein solches Tabuthema stets Spannung beim Zuschauer erregt, denn meist verbleibt solch ein Tabu bzw. Verbot nicht ohne ein tragisches Ende. Zudem besteht die Möglichkeit, in der fiktiven Welt der Literatur das Tabu auszuleben bzw. es zur Diskussion zu stellen. Besonders stark ausgeprägt scheint das Inzestthema in der Literatur des 18. Jahrhunderts zu sein.[20]

 

So bedient sich auch Vittorio Alfieri der Inzestthematik, die er zuvor jedoch nicht als einen tauglichen Stoff für die Tragödie ansah. Erst die Lektüre der Metamorphosen von Ovid brachte ihn auf die Idee, eine Tragödie zu schreiben, wie er in seiner Vita anmerkt:

 

A Mirra non avea pensato mai; ed anzi essa non meno che Bibli, e così ogni altro incestuoso amore, mi si erano sempre mostrate come soggetti non tragediabili. Mi capitò alle mani nelle Metamorfosi di ovidio quella caldissima e veramente divina allocuzione di Mirra alla di lei nutrice, la quale mi fece prorompere in lacrime, e quasi un subitaneo lampo mi destò l’idea di porla in tragedia […].[21]

 

Eine  immer  wiederkehrende  Auseinandersetzung  genießt  ebenso  die mythologische Geschichte von Phädra und Hippolytos. Diese ist jedoch seit ihrem Aufkommen in der Literatur einem ständigen Wandel unterworfen. Das Motiv der verheirateten Frau, die sich in ihren Stiefsohn verliebt, ist zu einem beliebten literarischen Thema geworden, welches  in den verschiedenen Epochen immer wieder von neuem rezipiert wurde. So fand der Mythos auch Einzug in die französische Literatur des 17. Jahrhunderts unter der Rezeption von Racines Phèdre.

 

Vor diesem theoretischen Hintergrund soll im Folgenden das Inzestthema in den

Werken Mirra von Alfieri und Phédre von Racine erläutert werden.

 

2.1 Das Inzestmotiv bei Mirra und Phèdre


 

Sowohl die Protagonistin Mirra von Alfieri als auch Racines Phèdre sehen sich dem gleichen Konflikt ausgesetzt: Sie lieben einen Mann, den sie aufgrund der gegebenen sozialen Ordnung und der Vernunft nicht lieben dürfen. Mirra, ein junges, reines Mädchen verliebt sich in den eigenen Vater. Phèdre hingegen, eine. etwas ältere Frau und mit dem König von Athen verheiratet, liebt ihren eigenen Stiefsohn Hippolyte. Für beide Frauen ist diese Liebe mit einem unheimlichen Schmerz verbunden, sie fühlen sich als Gefangene eines starken Verlangens, welches sie jedoch auf eine verschiedene Art und Weise ausleben.[22]  Die Leidenschaften gefährden die Ordnung des Daseins, entsprechen nicht der moralischen Vorstellung und Verantwortung und müssen daher unterdrückt und aus dem Lebensalltag verdrängt werden. Die inzestuöse Liebe wird daher zu einem Geheimnis und weder Mirra noch Phèdre können ihre Gefühle frei ausleben bzw. über sie sprechen. Ihre Mitmenschen verbleiben in einem Zustand der Ahnungslosigkeit und können keine Rückschlüsse auf die geheimnisvollen Gemütszustände der Protagonistinnen ziehen, aber gerade „[d]iese Spannung zwischen Wissen und Nicht-Wissen, zwischen der Absicht zu verbergen und der Absicht zu entschleiern, ist für die Inzestthematik kennzeichnend […] Inzest fasziniert, wenn er verhüllt wird und verschleiert erscheint“[23]. Die Tragik der Protagonistinnen besteht darin, dass es für sie kein Entrinnen aus diesem Konflikt gibt: Folglich sehen beide Figuren ihren einzigen Ausweg darin, sich dieser schmerzvollen Liebe zu entreißen und sich das Leben zu nehmen.[24]

 

Wird dies aus der Sicht von Freuds Psychoanalyse betrachtet, so wäre hierin eine Bestrafung  des  Überichs  zu  erkennen.  In  seiner  Schrift  ‚Das  Ich  und  das Es‘ entwickelt Freud den Begriff des Überichsund stellt ihn neben dem Es und dem Ich als eine der drei Instanzen des psychischen Apparats dar.[25] Das Überichwird mit der Rolle „eines Richters oder Zensors beschrieben. Das Gewissen, die Selbstbeobachtung und die Idealbildung sind Funktionen des Überichs“[26]. Das heißt, das Überich entwickelt sich zu einer Instanz, welche verschiedene Werte, Gebote und Normen umfasst und in strukturellem Konflikt mit dem triebhaften Es...

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