Gründe für eine Einbindung von Kunden in den Innovationsprozess können sehr unterschiedlich sein, sodass im Folgenden die Motive für eine Integration von Kunden aus Unternehmens- und Kundensicht detailliert betrachtet werden. Ein Motiv[148] wird für diese Ausarbeitung als Beweggrund des Handelns definiert.[149] Motive regen somit das Handeln von Personen oder Unternehmen an, halten es in Gang und geben ihm eine
Richtung.[150] Grundsätzlich stellen Motive dabei die Grundlage für die Motivation einer Person oder eines Unternehmens dar.[151] Ergänzend weisen Reichwald und Piller darauf hin, dass die Motive des Handelns je nach Branche und Situation sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein können.[152]
Hauptziel eines Unternehmens bei einer Integration von Kunden in den Innovationsprozess ist - wie zuvor bereits beschrieben - die Vermeidung von Fehlern in der Entwicklung und eine damit verbundene Steigerung des Innovationserfolgs.[153] Dadurch soll den unter Punkt 3.1.2 beschrieben veränderten Umweltbedingungen begegnet werden. Neben diesen externen Beweggründen sollen im Folgenden jedoch auch weitere Punkte aufgezeigt werden, die Unternehmen von innen heraus dazu veranlassen, den Innovationsprozess zu öffnen.
Grundsätzlich müssen Unternehmen bei der Integration von Kunden in den Innovationsprozess darauf achten, dass eine Einbindung immer auch mit Kosten der Durchsetzung, Umsetzung und Kontrolle verbunden ist. Im Vorhinein sollte daher stets überprüft werden, ob der Erfolg einer solchen Maßnahme die finanziellen Aufwendungen rechtfertigt.
Im Folgenden werden die fünf wichtigsten Beweggründe vorgestellt, warum Unternehmen Kunden in den Innovationsprozess einbinden.
Zum einen integrieren Unternehmen Kunden in den Innovationsprozess mit dem Ziel, den Zeitraum vom Beginn der Entwicklung eines Produkts bis zu dessen Markteinführung (Time-to-Market) zu verkürzen.[154] Dies kann in der Praxis im Idealfall dadurch erreicht werden, dass Kunden nach dem Prinzip der Arbeitsteilung in den gesamten Innovationsprozess eingebunden werden.[155] Wesentlicher Vorteil einer zeitlichen Verkürzung der Time-to-Market ist, dass Unternehmen - insbesondere bei radikalen Innovationen - über einen Zeitvorsprung verfügen.[156] Dieser ergibt sich dadurch, dass Unternehmen Produkte vor der Konkurrenz in den Markt einführen und somit einerseits einen hohen Marktanteil und gleichzeitig Markteintrittsbarrieren aufbauen und andererseits bereits in der frühen Phase des Produktlebenszyklus Erfahrungskurven- und Skaleneffekte nutzen können (first mover advantages).[157] Piller et al. fügen zudem an, dass insbesondere vor dem Hintergrund sich immer weiter verkürzenderer Produktlebenszyklen Zeitvorsprünge von Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnen.[158]Darüber hinaus können sich Unternehmen durch einen frühen Markteintritt sowohl das Image eines Innovationsführers aufbauen, als auch die erhöhte Zahlungsbereitschaft für innovative Produkte nutzen (Skimming-Strategie).[159]
Grundsätzlich umfassen die Cost-to-Market alle im Rahmen des Innovationsprozesses von Beginn der Planung eines Produkts bis zu dessen Markteinführung tatsächlich angefallenen und einem Produkt zurechenbaren Kosten.[160] Insbesondere aufgrund zunehmender globaler Märkte kommt dem Kostenfaktor der Produktentwicklung eine kritische Bedeutung zu.[161] Durch die Integration von Kunden in den Innovationsprozess kann jedoch eine Reduzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten erreicht werden, da die Auslagerung definierter Innovationsaktivitäten nicht nur zu Zeit-, sondern auch zu Kosteneinsparungen im Unternehmen führt.[162] Nach Reichwald und Piller tritt dieser Effekt insbesondere ein, wenn Kunden Innovationsaktivitäten durchführen, die über die reine Ideengenerierung hinaus gehen (z.B. Entwicklung eines Prototyps).[163]
Eine Steigerung des Fit-to-Market beinhaltet die Erhöhung der Marktakzeptanz eines neuen Produktes im Sinne einer positiven Kaufeinstellung der Nachfrager.[164] Eine hohe Marktakzeptanz ergibt sich dadurch, dass die Produktanforderungen der Nachfrager den Leistungsmerkmalen des Produkts (bezüglich Technik, Qualität, Preis etc.) entsprechen.[165] Dadurch wird das Absatzrisiko (Flop-Risiko) eines Produkts verringert.[166]Eine Steigerung des Fit-to-Market kann vor allem über die Integration von Kunden in den Innovationprozess erreicht werden, da die Qualität der Kenntnisse sowohl über Bedürfnis- als auch über Lösungsinformationen dadurch verbessert werden können.[167]Potzner weist ergänzend darauf hin, dass ein hoher Fit-to-Market zudem zumeist auch dazu führt, dass die Zahlungsbereitschaft der Kunden für ein Produkt steigt.[168] Für Unternehmen ergeben sich aus einer Steigerung des Fit-to-Market zudem die Vorteile, dass einerseits tendenziell weniger Kosten für eine spätere Anpassung von Produkten entstehen und andererseits auch positive Imageeffekte aufgrund passenderer Produkte erreicht werden können.[169]
New-to-Market beschreibt den von den Nachfragern wahrgenommenen Neuigkeitsgrad einer Innovation. In der Praxis handelt es sich bei den meisten Innovationen vor allem um Weiterentwicklungen bestehender Produkte (inkrementelle Innovationen[170]) oder um Modellpflegen.[171] Für Reichwald et al. liegt die Ursache für die Herausgabe von inkrementellen Innovationen vor allem darin, dass Hersteller zumeist auf Basis ihres bestehenden Verfahrens- und Produktionswissens den Innovationsprozess aufbauen[172].
Durch eine Integration von Kunden in den Innovationsprozess können jedoch unbefriedigte Bedürfnisse von Nutzern aufgezeigt werden, sodass durch die Berücksichtigung von Bedürfnis- und Lösungsinformationen ausgewählter Kunden funktional neue Innovationen - die über den Neuigkeitsgrad ursprünglicher Innovationsprojekte hinaus gehen - entstehen können.[173] Nach Potzner sowie Reichwald und Piller kann dies sogar so weit gehen, dass durch die Einbindung von Kunden in den Innovationsprozess ein ganz neuer Markt entsteht.[174]
Auch der Aufbau und die Vertiefung von Kundenbeziehungen können als Motiv einer Kundenintegration angesehen werden.[175] So kann durch intensive Beziehungen - in jeder Phase des Innovationsprozesses - die Kundenbindung zwischen Hersteller und Kunde verstärkt werden.[176] Auch der Aufbau einer Beziehung zwischen Kunden und Herstellern bereits vor der Marktreife eines Produktes ist dadurch möglich.[177] Empirisch konnten Franke und Piller sowie Dholakia und Morwitz bereits in ihren Studie jeweils nachweisen, dass Kunden sich stärker mit einem Unternehmen und dessen Produkte verbunden fühlen, wenn sie beispielsweise in Marktforschungsaktivitäten eingebunden werden.[178] Dieses Gefühl der Verbundenheit führt nach Rath in der Folge zu einer erhöhten Kundenbindung.[179] Reckenfelderbäumer fügt zudem an, dass eine Steigerung der Kundenbindung letztendlich auch dazu führt, dass Unternehmen Kosten (z.B. bei der Werbung) einsparen können. Somit wirkt das Motiv einer Steigerung der Kundenbindung zudem unterstützend auf das Motiv einer Reduzierung der Cost-to-Market.[180]
Im folgenden Abschnitt soll die Frage geklärt werden, was Kunden dazu bewegt, ihre „Arbeitskraft" - zum Teil ohne Aussicht auf Belohnung (free revealing[181]) - im Rahmen von Innovationsprozessen zur Verfügung zu stellen. Die Beantwortung dieser Frage ist für Unternehmen besonders interessant, da diese dadurch erfahren, welche Anreize ihre Kunden motivieren.[182] Zu beachten ist, dass Motive zur Beteiligung am Innovationsprozess bei Kunden unterschiedlich stark ausgeprägt sein können, sodass Anreize situationsbedingt bestimmt werden müssen.[183] Auch besteht die Möglichkeit, dass in bestimmten Situationen intrinsische und extrinsische Aspekte gleich motivierend wirken.[184] Die Anpassung von Anreizen wird nach Bartl sowie Reichwald und Piller insbesondere in den nächsten Jahren ein entscheidender Faktor werden, da zur Zeit zwar scheinbar grenzenlose intrinsische Motive (nach dem Motto: „Das Unternehmen hört mir jetzt endlich mal zu') vorzufinden sind, jedoch mit der Zeit diese abnehmen werden und sich die Meinung grundsätzlich verschlechtern wird, wenn Kunden merken, wie wichtig ihr Input ist (nach dem Motto: „Die Unternehmen nutzen einfach nur mein Wissen und forschen selbst nicht mehr').[185]
Zu beachten ist, dass Kunden immer zwischen der Nutzenerwartung (Erfüllung von Bedürfnissen), den mit der Beteiligung verbundenen Kosten (Interaktionskosten) und dem wahrgenommenen Risiko (u.a. Risiko der Nichterfüllung von Bedürfnissen) abwägen müssen.[186] Insbesondere Büttgen verweist in diesem...