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Zwischen Einbürgerung und Verfremdung. 'Things Fall Apart' von Chinua Achebe in deutschen Übersetzungen

AutorLorena Onken
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl105 Seiten
ISBN9783656762867
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Dolmetschen / Übersetzen, Note: 1,5, Universität Leipzig (IALT), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Frage nach der übersetzungsstrategischen Vorgehensweise beginnt unmittelbar mit der Entscheidung, einen literarischen Text aus Sprache und Kultur A für eine Leserschaft aus Sprache und Kultur B zugänglich zu machen. Dementsprechend ist die Wahl einer Strategie, die der Übersetzung generell übergeordnet ist, zwar keine neue, aber weiterhin keine einfache Entscheidung. Die beiden Pole, zwischen denen sich ein (Literatur-) Übersetzer grundlegend entscheiden muss, bildet auf der einen Seite die Einbürgerung, auf der anderen Seite die Verfremdung des zielsprachlichen Textes. Es handelt sich hierbei um Strategien, deren Grundkonzepte bereits seit Jahrhunderten von Dichtern und Denkern kritisch hinterfragt sowie seit der Herausbildung der Translatologie von Übersetzungswissenschaftlern umfassend diskutiert werden. Heutzutage können retrospektiv Tendenzen erkannt werden, wie sich die Vorgehensweise bei der Übersetzung literarischer Texte in die deutsche Sprache epochenweise entwickelte. Eine Einigung über die universale 'Angemessenheit' einer der beiden Extrempole konnte jedoch bislang nicht erzielt werden. Auch die generelle Frage nach dem Sinn und Zweck literarischer Übersetzungen hält keine allgemeingültige Antwort bereit, da jedes Werk ein ästhetisches Unikat darstellt, welches durch diverse Konditionen wie Entstehungszeit, Herausgeber und intendierte Leserschaft grundlegend geprägt ist. Besonders schwierig gestaltet sich die Übersetzung von Texten, deren kulturspezifischer Inhalt eine große Distanz zum Kulturkreis des Ziellesers aufweist. Bei Chinua Achebes Things Fall Apart (1958) handelt es sich um einen englischsprachigen Roman, der inhaltlich auf dem Schicksal des nigerianischen Stammes der Igbo (Ende 19. Jahrhundert) basiert. Da der Autor internationales Ansehen genießt und das Buch heutzutage als Klassiker der Weltliteratur gilt, scheint die Tatsache, dass es bereits drei Mal in die deutsche Sprache übersetzt wurde, nicht besonders außergewöhnlich. Bei näherer Betrachtung lassen sich jedoch hinsichtlich der strategischen Vorgehensweisen der drei Übersetzer erhebliche Unterschiede feststellen, die die Rezeption und Interpretation des deutschsprachigen Lesers enorm beeinflussen. Ziel dieser Arbeit ist es, die Vorgehensweise der drei deutschen Übersetzer mittels einer vergleichenden Analyse der angewandten Übersetzungsverfahren zu untersuchen, um die Zieltexte im Anschluss in einen größeren übersetzungsstrategischen Gesamtkontext einbinden zu können.

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Leseprobe

3 Theoretische Grundlagen


 

3.1 Literarische (Neu-)Übersetzung


 

Bevor auf die literarische Übersetzung als Tätigkeit des Übersetzers eingegangen wird, soll zunächst hervorgehoben werden, dass sich „die ersten theoretischen Reflexionen über das Übersetzen […] bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich mit der Übersetzung religiöser und literarischer Texte [beschäftigt haben]“ (Zybatow 2009: 241, 242). Mittelpunkt des Diskurses war dabei stets die Frage nach der strategischen Vorgehensweise, nach Treue und Ästhetik (vgl. Stolze 2008: 137). Ab den 1960er Jahren bildete sich die Übersetzungswissenschaft als selbstständige Disziplin heraus. Im Laufe der Zeit nahm das interdisziplinäre Arbeiten innerhalb der Translatologie stetig zu, wobei sich jedoch nicht alle Teilbereiche gegenseitig als gleichwertig relevant für die Translationswissenschaft betrachteten (vgl. Apel 1983: 24-28). Während die Leipziger Schule die literarische Übersetzung in ihrem kommunikationstheoretischen Ansatz als Sonderfall betrachtete, widmeten sich in den 70ern im Zuge der Descriptive Translation Studies verschiedene Translatologen und Literaturwissenschaftler der rein deskriptiven Erforschung der literarischen Übersetzung (vgl. Zybatow 2009: 242, 243). Hierbei wurde die Akzeptabilität der Übersetzungen in der ZK u.a. mithilfe der Polysystemtheorie von Even-Zohar und Toury untersucht, die besagt, dass „literarische Texte als Repräsentationen einer Kultur [nicht zufällig] und ohne Bezug auf diese Kultur und zueinander [existieren]“ (Greiner 2004: 58). Weitere bedeutende Beiträge innerhalb des deskriptiv ausgerichteten Ansatzes lassen sich bei A. Lefevere oder S. Bassnett-McGuire finden (vgl. Stolze 2008: 139). Beinahe zeitgleich beschäftigte sich der Sonderforschungsbereich Die Literarische Übersetzung der Universität Göttingen mit der Übersetzung als interkulturelle Bereicherung und verfolgte hierbei einen „transferorientierten Ansatz“ (Stolze 2008: 144).

 

In den 80er Jahren entfernte sich der wissenschaftliche Diskurs von Even-Zohars Polysystemtheorie (vgl. Carbonell i Cortès: 2002: 241). Die literarische Übersetzung rückte erneut in den Hintergrund, da sie innerhalb der Skopos-Theorie lediglich eine der vielen Tätigkeiten darstellt, bei der der Übersetzer einem bestimmten Zweck folgt (vgl. Albrecht 1998: 259-261 und Zybatow 2009: 245). Allerdings war der funktionalistische Ansatz Auslöser eines bedeutenden Wandels innerhalb der Translatologie, der sich auch auf die literarische Übersetzung auswirken sollte: die Entthronung des Originals. Der Übersetzer steht dem Autor auf gleicher Höhe gegenüber und kann, um das Überleben des Originals in der ZK zu sichern, frei in die Textgestaltung eingreifen. In der Praxis lassen sich in (loser) Abhängigkeit von den verschiedenen theoretischen Standpunkten innerhalb der letzten Jahrhunderte gewisse Tendenzen der literarischen Übersetzung erkennen. Die ausgangssprachliche Ausrichtung ist Greiner zufolge eine recht junge Entwicklung, die erst in der Romantik ihren Anfang fand. Zuvor war die Übersetzungsmaxime weitestgehend an der zielsprachlichen Distanzüberbrückung orientiert (vgl. Greiner 2004: 23). Hinsichtlich der Entwicklungen der letzten beiden Jahrhunderte kann festgehalten werden, dass

 

[while] the 19th century saw a tendency towards the foreign, expressed mainly through the theories put forward by Friedrich Schleiermacher […], the domesticating sense-for-sense strategy was the dominant approach in translation until only recently. (Młotkowski 2006: 4)

 

Diese Aussage wird von Venuti z.T. bestätigt, indem er die Unsichtbarkeit des Übersetzers betont, die in der anglo-amerikanischen Übersetzungspraxis vorherrscht (vgl. Prunč 2007: 303). Auch Pankow stellt allgemein fest, dass es eine übliche Verfahrensweise ist, einen Text so zu übersetzen, dass er „[…] bezüglich der Zielsprache (ZS) und ihrer Kultur vom Standpunkt der dort geltenden Konventionen akzeptiert wird“ (Pankow 1993: 9). Obwohl das Phänomen der literarischen Übersetzung bereits innerhalb verschiedener interdisziplinärer Bereiche der Translatologie untersucht wurde, bleibt eine Vielzahl an praktischen sowie theoretischen Fragestellungen weiterhin unbeantwortet (vgl. Zybatow 2009: 247).

 

Gleichwohl existieren heutzutage zahlreiche Anleitungen und Handbücher zur literarischen Übersetzung. Zybatow betont in diesem Kontext, dass die drei grundlegenden Fragen nach Textverständnis, Wissensbeschaffung und Textproduktion beantwortet werden müssen (vgl. Zybatow 2009: 250). Landers bemerkt hingegen in seinem Buch Literary Translation: A Practical Guide, dass der Literaturübersetzer ein Gefühl für Stil und einen ausgeprägten Sinn für Kreativität haben sollte. Da es sich bei Übersetzungen immer um einen Entscheidungsprozess handelt, braucht er zudem ein besonderes Feingefühl für Nuancen (vgl. Landers 2001: 8,9). Auch für Stackelberg ist eine „angemessene stilistische Einschätzung des Originals die erste, unabdingbare Voraussetzung für eine gelungene literarische Übersetzung […]“ (Stackelberg 1978: 8). Shiyab und Lynch erweiteren die Liste an Fähigkeiten um „theoretical knowledge, practical skills, and the ability to carefully appreciate the tone and spirit of the original work“ (Shiyab / Lynch 2006: 264).

 

Die einzelnen Schritte im Arbeitsprozess werden von Landers wie folgt unterschieden: Bevor der Übersetzer mit seiner Arbeit beginnt, muss die Bedeutung des Werks erschlossen werden. Da es dem Leser praktisch unmöglich ist „a work’s entire ʼpotential of meaning‘“ (Frank 1998: 21) zu erfassen, handelt es sich auch für den Übersetzer, in seiner Rolle als Leser und Interpret (vgl. Pankow 1993:24), um eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Bedeutungserschließung beinhaltet u.a., dass sich der Übersetzer über bestimmte Elemente wie der sprachstilistischen Gestaltung als Teil des Individualstils des Autors bewusst werden muss (vgl. Landers 2001: 45). Dafür bedarf es wiederum einer detaillierten Ausgangstextanalyse (vgl. Nord 1997: 40-52), die sowohl linguistische als auch literaturwissenschaftliche Aspekte näher untersucht (vgl. Zybatow 2009: 253). Shiyab und Lynch heben in diesem Kontext die Betrachtung der Beziehung zwischen Form und Inhalt des literarischen Texteshervor (vgl. Shiyab / Lynch 2006: 262). Bei der literarischen Übersetzung zeugt der Faktor Individualität von besonderer Relevanz, sowohl im Hinblick auf das literarische Werk als Unikat, als auch im Hinblick auf den Übersetzer als Individuum.

 

Nach der umfassenden Werkanalyse erwartet den Übersetzer die Wahl der übergeordneten Übersetzungsstrategie. Innerhalb der Übersetzungswissenschaft findet die Frage nach der strategischen Vorgehensweise sehr verschiedenen Antworten. Einige Wissenschaftler betonen die Erhaltung der emotionalen und psychologischen Wirkung[10] oder der „gleichen Funktionsweise“ (Greiner 2004: 29) des Textes. Andere sehen die ästhetische und stilistische Gestaltung als das zentralste Element der literarischen Übersetzung, um dem Individualstil des Autors gerecht zu werden (vgl. Shiyab / Lynch 2006: 263). Wieder andere vertreten die Meinung, dass eine erfolgreiche Übersetzung daran zu erkennen ist, dass sie sich wie ein Original und eben nicht wie eine Übersetzung lesen lässt (vgl. Landers 2001: 49). Dieser Standpunkt würde für die Strategie der Einbürgerung sprechen, „[that] makes use of stylistic devices, which provide for a transparent and fluent reading, minimizing the foreigness of the TT“ (Młotkowski 2006: 7). Einer ihrer Hauptvertreter ist Eugene Nida. Sein übersetzerisches Ideal beinhaltet eine „vollständige kulturspezifische Anpassung der Übersetzung an die Realien der ZS und sogar an ihre Denkkategorien, aber auch auf die kommunikative Gewohnheiten ihrer Träger“ (Pankow 1993: 17). Dementgegen lassen sich viele wissenschaftliche Arbeiten finden, welche die Hauptaufgabe des literarischen Übersetzers in der Erweiterung der eigenen Sprache durch die fremde sehen (vgl. Schreiber 1993: 138). Dies spricht wiederum einer verfremdenden Übersetzung zu, die neben der sprachlichen auch zur literarischen Bereicherung beitrage. Greiner merkt in diesem Kontext an, dass das Reizvolle eines literarischen Textes oft das Fremdartige seiner Struktur sei (vgl. Greiner 2004: 16). Eine radikale Umsetzung dieser Strategie würde im Sinne der resistance die Fremdheit in der Übersetzung als ranghöchste Invariante ansehen (vgl. Landers 2001: 52).

 

Landers differenziert in seinem Handbuch unter Rückgriff auf die Theorien von Peter Newmark gemäß der jeweiligen Orientierung bzw. Gerichtetheit des Zieltextes generell zwischen „targeteers“ (Zielkultur-ZK) und „sourcerers“ (Ausgangskultur-AK). Dabei stellt er fest, dass sich Akademiker meist der verfremdenden Strategie bedienen, um dem Ausgangstext (AT) als literarisches Unikat in Form und Inhalt Rechnung zu tragen (vgl. Landers 2001: 52). Hierbei kommt es jedoch nicht selten zu umfangreichen Glossaren und Anmerkungen, die der lückenlosen Verständnissicherung des Textes in der ZK bestimmt sind. Landers selbst sieht in der ZK-Gerichtetheit der literarischen Übersetzung die sinnvollere Variante und steht damit in der modernen Übersetzungswissenschaft nicht allein da (vgl. Zybatow 2009: 239). Seiner Meinung nach nimmt der zielsprachliche Leser die Verfremdung in...

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