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Eine gesundheitsfördernde Schule für alle: Chancengleichheit von Grundschulkindern mit Behinderung

Eine qualitative Analyse über Herausforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten aus Sicht von Schulleitern

AutorSandra Krenz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl366 Seiten
ISBN9783656474661
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 1,0, Medizinische Hochschule Hannover (Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung), Veranstaltung: Prävention und Gesundheitsförderung, Inklusion, Sprache: Deutsch, Abstract: Am 26. März 2009 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft, die Deutschland zu einer auf Inklusion ausgerichteten Teilhabepolitik verpflichtet. Artikel 24 fordert alle allgemeinen Schulen auf, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten. Diskutiert wird, wie schulische Inklusion ohne Diskriminierung und auf Grundlage von Chancengleichheit realisiert werden kann. Ziel der Arbeit ist es, zu ermitteln inwieweit gesundheitsfördernde Schulen den Herausforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten von Inklusion begegnen. In leitfadengestützten Interviews wurden SchulleiterInnen und LehrerInnen u. a. zur UN-Behindertenrechtskonvention, zu eigenen Erfahrungen mit gemeinsamer Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung, zu hemmenden und fördernden Faktoren sowie zu einbezogenen Akteuren befragt. Die vorliegende Arbeit soll zwei Strömungen, die auf das Schulsystem einwirken und bislang als scheinbar zwei voneinander unabhängige Säulen gesehen wurden, zusammenbringen. Zum einen betrifft es die Gesundheitswissenschaft mit den Forschungsschwerpunkten Versorgungsforschung, Gesundheitsmanagement in der Grundschule sowie Gesundheitsförderung und Prävention und zum anderen die Rehabilitationswissenschaft und Heilpädagogik mit dem Forschungsschwerpunkt der Behinderten- bzw. Integrationspädagogik. Die Forderung der Gesundheitswissenschaften nach gesundheitsfördernden Schulen und die Forderung der Integrationspädagogik nach einer Schule für alle Kinder, hat die Autorin dieser Arbeit dazu veranlasst, diese beiden Perspektiven zu verbinden, Schnittstellen zwischen Gesundheits- und Behindertenhilfe aufzuzeigen und eine Untersuchung anzustellen, wie eine gesundheitsfördernde Schule für alle aus Sicht von Lehrpersonen in gesundheitsfördernden Grundschulen etabliert werden kann.

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Leseprobe

TEIL II THEORETISCHE GRUNDLAGEN


 

„Alle Kinder und Jugendlichen brauchen die gleiche Chance, gesund aufwachsen zu können. [...] Zusammenarbeit ist an vielen Stellen der Schlüssel, auch bei den Hilfen für behinderte Kinder und Jugendliche, für die - je nach Art ihrer Behinderung - unterschiedliche Leistungssysteme verantwortlich sind. An den Schnittstellen gibt es daher in der Praxis nicht weniger Zuordnungsprobleme. [...] Nicht die Behinderung, sondern der junge Mensch mit seinem Recht auf Förderung muss im Vordergrund stehen.“ (Von der Leyen 2009a, 1).

 

1 Gesundheit und Behinderung - (k)ein Widerspruch


 

Es gibt viele gesunde Menschen oder viele, bei denen eine Erkrankung oder Behinderung nicht offensichtliche ist. Menschen, die auf den ersten Blick eine Behinderung aufweisen sieht man im Verhältnis selten und doch stechen sie aus der allgemeinen Bevölkerung oft heraus. Sie fallen auf, weil es Menschen sind, die von einer wie auch immer definierten Norm abweichen (s. Einleitung). Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker definierte in seiner Eröffnungsansprache einer Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für behinderte Menschen am 1. Juli 1993 in Bonn Behinderung als Verschiedenheit, die auch als solche aufgefasst werden muss, anstelle sie zu benachteiligen (vgl. Von Weizsäcker 1993). „Es ist normal, verschieden zu sein. Es gibt keine Norm für das Menschsein. [...] Um die Lage von Menschen mit Behinderung zu erleichtern, müssen Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung korrigieren“ (ebd.).

 

Ungefähr jeder zehnte Bundesbürger bzw. jede zehnte -bürgerin gilt als behindert (vgl. Wacker 2009b, 101). Im Jahr 2007 lebten nach Aussagen des Statistischen Bundesamtes in Deutschland 6,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. Bezogen auf die gesamte Bevölkerung war in Deutschland jeder zwölfte Einwohnerbzw. jede zwölfte Einwohnerin (8,4%) schwerbehindert[8]. Eine genaue Zahl gibt es jedoch nicht. Die Dunkelziffer von Menschen mit „leichteren“ Behinderung en ist hoch. Auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen lässt sich nur schätzen. Das kann zum einen damit zusammenhängen, dass es keine Meldepflicht für Behinderungen gibt (vgl. Wacker et al. 2009a, 105). Zum anderen wird Behinderung in verschiedenen Kontexten unterschiedlich definiert. Psychische Beeinträchtigungen, Entwicklungsverzögerungen oder Sprachstörungen gelten erst in bestimmten Kontexten als „auffällig“, beispielsweise wenn Kinder im Kindergarten oder in der Schule „nicht mitkommen“ oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen und daraufhin ein Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs eingeleitet wird.

 

Nach den Ergebnissen der Studie des Robert Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS) haben 14 Prozent der Heranwachsenden einen speziellen Versorgungsbedarf (vgl. Scheidt-Nave et al. 2007, 752). Unter spezifischem Versorgungsbedarf sind alle Mädchen und Jungen zu verstehen mit „[...] dauerhaften oder absehbar längerfristig bestehenden körperlichen gesundheitlichen Einschränkungen, Verhaltens- oder Entwicklungsstörungen“ (Scheidt-Nave et al. 2007, 751).

 

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich primär mit Kindern mit Behinderungen oder mit Kindern, denen eine solche droht. Aber auch chronische Erkrankungen fließen in die Arbeit mit ein, da viele Kinder mit Behinderung auch eine chronische Erkrankung aufweisen. Die Klientel wird in dieser Arbeit auf ein Alter zwischen sechs und zwölf Jahren eingegrenzt, da sich die empirische Untersuchung auf die Grundschulzeit von Kindern bezieht und diese je nach Bundesland in ihrer Dauer variiert.

 

Wie in der Einleitung bereits erkennbar wurde, gibt es keine eindeutigen Definitionen von Gesundheit und Behinderung. Die Darlegung der Vielfalt und Multidimensionalität der Begriffe soll dieses Kapitel zum Ziel haben. Zudem bedarf es der Erklärung des Zusammenhangs zwischen Behinderung und Gesundheit sowie der Darstellung der Schnittmenge, abgeleitet von Theorien und Konzepten der Gesundheitswissenschaft und Behindertenpädagogik. Der dieses Kapitel abschließende Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage nach der Public Health-Relevanz sowie der Relevanz für die vorliegende Magisterarbeit.

 

1.1 Von der Vielfalt der Begrifflichkelten und Problematik der Abgrenzung


 

Gesundheit wird gewünscht an Geburtstagen, Feiertagen, zu Weihnachten und zu Silvester für das neue Jahr. „Hauptsache gesund“ sagen schwangere Frauen, wenn sie nach dem Geschlecht des Kindes gefragt werden. Mit Gesundheit werden in der heutigen Gesellschaft Leistungsfähigkeit, Körperfunktionen, (finanzielle) Sicherheit und Wohlbefinden verbunden. Gesundheit gilt im Volksmund als das höchste Gut des Menschen[9], d. h. Gesundheit wird als Leitbegriff und als zu erstrebender und erhaltender Wert gesehen (vgl. Schwartz et al. 2003, 24). Gesundheit ist neben dem Recht auf Unversehrtheit auch ein Grundrecht in der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen (vgl. ebd.). Es existieren aber auch Ängste vor Krankheiten und Behinderungen, die die Lebensqualität und die Attraktivität des Einzelnen mindern. Diese Angst beschreibt Schildmann als „Denormalisierungsangst“ (Schildmann 2009a, 206). In der Regel sei Normalität die Orientierung an der „gesellschaftlichen Mitte (sprich: am statistischen Durchschnitt)“ (ebd.) und die damit verbundene Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Die Grenze zwischen Normalität und Anomalität ist fließend und wird in der Pädagogik, Medizin oder im Sozialrecht immer wieder neu determiniert. Das „zentrale Basisnormfeld, auf dem Behinderung gesellschaftlich ,verhandelt‘ wird“ (Schildmann 2009a, 207), definiert sich über Leistung. Leistung steht in der heutigen Gesellschaftsform als Oberbegriff für Gesundheit, Intelligenz und Sexualität (vgl. ebd.).

 

In den Medien werden täglich Gesundheits- oder Krankheitsthemen behandelt ohne jedoch die Begrifflichkeiten selbst zu erörtern. Gesundheit und Krankheit bzw. Behinderung scheinen sich auf den ersten Blick gegenseitig auszuschließen. Insbesondere aus der medizinischen Perspektive scheint es z. B. für die Diagnosestellung notwendig, zwischen krank und gesund zu unterscheiden (vgl. Schwartz et al. 2003, 27). Bei der Befragung von Menschen aus unterschiedlicher sozioökonomischen Lage, mit unterschiedlichem Lebensalter oder mit verschiedenem Geschlecht nach ihrem subjektiven Gesundheitskonzept, variieren die Antworten stark (vgl. Schwartz et al. 2003, 25). Ein objektiver Befund von Fachleuten im Gesundheitswesen, z. B. durch eine Ärztin oder einen Arzt oder eine Psychologin oder einen Psychologen, stimmt nicht zwangsläufig mit dem subjektiven Befinden des Patienten bzw. der Patientin überein. Gembris-Nübel verweist darauf, dass „Menschen mit [einer Sprach-, Körper- oder Lernbehinderung, mit] geistiger oder mehrfacher Behinderung [...] grundsätzlich keine Kranken [sind]; viele von ihnen erfreuen sich sogar guter Gesundheit“ (erw. n. Gembris-Nübel 2005, 14). Menschen mit ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Behinderungen müssen sich nicht in ihrem Gesundheitserleben beeinträchtigt fühlen. Patientinnen und Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen hingegen haben häufig nur einen minimalen objektiven ärztlichen Befund, fühlen sich jedoch sehr krank (vgl. Franke 2006, 20). Seelische Gesundheit ist folglich dafür verantwortlich, wie Menschen Stresssituation bewältigen und darauf reagieren und inwieweit das gesundheitsbezogene Verhalten ausgeprägt ist. Eine hohe Ausprägung ist assoziiert mit einem höheren Selbstwertgefühl, körperlichem Wohlbefinden oder Autonomie (vgl. Gembris-Nübel 2005, 29).

 

Wenn Expertinnen und Experten aus den Gesundheitswissenschaften in die Situation geraten, eine prägnante Beschreibung von Gesundheit aufzustellen, dann greifen sie auf die Definition der Weltgesundheitsorganisation von 1946 zurück. Diese definiert Gesundheit als einen „Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“[10] (WHO 1946 zit. n. Schwartz et al. 2003, 26). Trotz vielfältiger Kritik, dass Gesundheit kein Zustand, sondern ein dynamischer Prozess und vollständiges Wohlbefinden als Utopie zu bezeichnen sei (vgl. Franke 1993, 17), hat die WHO-Gesundheitsdefinition Einzug in die nationale und internationale Politik und Wissenschaft gefunden (vgl. Schwartz et al. 2003, 26).

 

Krankheit ist ebenso wie Gesundheit ein relativer Begriff. Es gibt keine eindeutige Definition von Krankheit (Schwartz et al. 2003, 24; vgl. Franke 2006, 52). Franke führt vier Kriterien auf, die Krankheit heute kennzeichnen: Das Vorhandensein eines objektiven Befundes, eine Störung des körperlichen, seelischen oder sozialen Wohlbefindens, Einschränkungen von Leistungsfähigkeit und die Notwendigkeit, sich in professioneller (medizinischer und/oder therapeutischer) Betreuung zu begeben (vgl. Franke 2006, 54). Akute Krankheiten beginnen, halten eine gewisse Zeit an oder verschlimmern sich und klingen dann wieder ab. Chronische Erkrankungen entwickeln sich meist langsam oder in Schüben und bleiben über längere Zeit oder das ganze Leben lang bestehen. Aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive schließen sich Krankheit und Gesundheit jedoch nicht aus, sondern es sind zwei Pole zwischen denen sich das Individuum bewegt. Niemand ist nur krank und niemand ist ausschließlich gesund.

 

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