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E-Book

Eine kurze Geschichte der nordischen Welt

von der Eiszeit bis heute

AutorMichael Engelbrecht
VerlagGmeiner-Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9783839260623
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Warum verbindet man den Norden mit Fjorden und Elchen, mit Kälte, mit Modernität und hoher Bildung, mit Möbeln, Kunst und erfolgreicher Musik? Was hat es mit dem Germanentum und den nordischen Mythen auf sich? Waren die Wikinger wirklich plündernde Wilde? Spannend und geistreich führt Michael Engelbrecht durch 12.000 Jahre nordische Kulturgeschichte. Dabei deckt er Irrtümer auf und stellt Unbekanntes vor. Der Clou dabei: Typisch nordische Rezepte machen jede Epoche sinnlich erlebbar - serviert selbstverständlich mit kulturellem Hintergrund.

Michael Engelbrecht war Nordeuropahistoriker, Skandinavist, Experte für Interkulturelles Management und Senior Advisor für das Digitallernzentrum. Seit 1988 hatte er diverse Leitungsfunktionen im internationalen Wissenschaftsbereich inne. In seinen Publikationen beschäftigte er sich mit Nordeuropa und zeigte Wege auf, um interkulturelle Differenzen auszuräumen sowie Brücken zwischen den Kulturen zu bauen. Im Themenkreis Nordeuropa, Geschichte und Kochen war er als Journalist bei dem Onlinemagazin »Nordische Esskultur« aktiv.

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Leseprobe

Der Norden wird flügge


 

500 v. Chr. bis 800 n. Chr.

Bereits in der Bronzezeit hatte der Norden Anschluss an den Rest Europas gefunden. Damit kamen nun alle Neuigkeiten und Innovationen aus dem Süden innerhalb kürzester Zeit hierher. Hatte die Ankunft der Bronze noch 1.200 Jahre gedauert, benötigten die Neuerungen aus dem Mittelmeerraum jetzt nur noch einige Jahrhunderte, Jahrzehnte oder sogar nur Jahre. Der Handel brachte nicht nur viele schöne und nützliche Dinge, sondern transportierte ganz nebenbei neue Ideen.

Ein Beleg für den Handel mit Ländern aus dem südlichen Europa ist der in Dänemark gefundene Kessel von Gundestrup. Er ist reich verziert und zeigt unter anderem eine männliche Gestalt mit einem Hirschgeweih, um die herum viele Tiere zu sehen sind. In der Hand hält die Gestalt eine große Schlange. Unter den Tieren befinden sich auch Löwen und ein Delfin, auf dem ein Knabe reitet. Eine Deutung des Bildes besagt, dass es sich bei dem Mann um den von Kelten im Süden verehrten Hirschgott Cernunnos handeln könnte. Sowohl seine als auch die Abbildung der Tiere aus südlicheren Ländern, vor allem aber die durchgeführten Materialanalysen legen eine Herstellung zwischen dem 5. und 1. Jahrtausend vor Christus im Gebiet des Balkans nahe.

Im Mittelmeerraum hatten sich vermutlich seit dem 7. oder 8. Jahrhundert vor Christus Schriften mit einzelnen Schriftzeichen entwickelt. Jedes Schriftzeichen stand für einen Laut und zusammengesetzt ergaben sich Wörter. Diese neue Fähigkeit erreichte mit der Zeit auch den Norden und wurde dort eigenständig weiterentwickelt. Es entstanden die Runen. Ihr wichtigstes Merkmal waren die eckigen Formen, die besonders gut in Holz oder Stein geritzt werden konnten. Runen sind also nicht unabhängig entstanden. Dies fällt sofort ins Auge, wenn zum Vergleich etruskische Schriftzeichen herangezogen werden. Sie waren seit dem 7. Jahrhundert vor Christus im heutigen Italien gebräuchlich.

Das berühmteste Beispiel für eine frühe Runeninschrift, datiert etwa auf 400 nach Christus, ist leider unwiederbringlich verloren. Es handelt sich um die zwei Goldhörner von Gallehus, die in Südjütland im 17. und 18. Jahrhundert gefunden wurden. Ein dänischer Goldschmied stahl sie 1802 und schmolz sie ein. Anhand von Zeichnungen und Beschreibungen wurden jedoch Rekonstruktionen der Hörner aus vergoldetem Silber angefertigt, die sich heute im Dänischen Nationalmuseum befinden. Auf dem kürzeren der Hörner gab es eine Inschrift von 32 Runenzeichen, sie lautete: »ek hlewagastiz : holtijaz : horna : tawido«. Frei übersetzt heißt das: »Ich, der berühmte Gäste empfing, heiße Holtijaz und machte das Horn.« Die kurze Textform ist typisch für frühe Runeninschriften, da sie in Stein oder in Metall geritzt wurden. Die Schreiber hielten sich ähnlich kurz wie heute die Verfasser von Posts in sozialen Netzwerken.

Die Runen wurden fortan ein Teil der nordischen Kultur, als Schriftzeichen aber auch als magische Zeichen, die eingesetzt wurden, um jemanden zu heilen, zu segnen, zu verfluchen, zu schützen und so weiter. Auch fanden sie Eingang in die Mythologie der Eddas. Doch zu einer breiten Schriftlichkeit führten sie aufgrund ihrer widerspenstigen Schreibutensilien nicht. Einer gewissen Beliebtheit erfreuen sich Runen heute noch unter Esoterikern, in der Metal-Szene und auch in nationalistischen und rechtsextremen Kreisen, da sie als eine eigenständige germanische Leistung angesehen werden – zu Unrecht, wie wir jetzt wissen!

Steine als Mitteilungs- und Erinnerungszeichen wurden mit kurzen Runentexten verziert.

Der Norden wird zur Marke


Die Kontakte zwischen Nord und Süd waren über den Bernsteinhandel hinaus keine Einbahnstraße. Langsam drang der Norden als Region in das Bewusstsein der Südländer. Da die Hochkultur und damit die Schriftlichkeit rund um das Mittelmeer viel weiter gediehen waren, hielten erste »Schriftsteller« ihre Vorstellungen vom und Kontakte mit dem Norden in Texten fest, die bis heute das Bild der nordischen Welt prägen. Als erster Schriftsteller in diesem Zusammenhang ist Herodot (484 v. Chr.–425 v. Chr.), ein griechischer Historiker, zu nennen. Er hält den Norden für weitgehend menschenleer und die nördlichen Gegenden für zu kalt, um dort zu wohnen und zu leben. Außerdem behauptet er, dass innerhalb einer unendlichen Öde einige Menschenfresser hausen.

Neben ihm berichtete als zweiter Grieche der Händler Pytheas von Marseille (4./3. Jahrhundert v. Chr.) von seinen Reisen, die ihn aus dem Mittelmeer hinaus auf den Atlantik trieben. Die Niederschriften dieses Seefahrers sind heute nur indirekt in anderen Berichten erhalten. Er erzählt von einer Insel mit dem Namen Thule, auf der sich Menschen von Wurzeln, Früchten und Gemüse ernähren.

Die Bandbreite der ersten schriftlichen Beschreibungen des Nordens reicht also von Menschenfressern bis zu Veganern.

Seit Pytheas’ Erzählungen geistert der Begriff Thule als Synonym für den Norden beziehungsweise die skandinavischen Länder durch die Weltliteratur. Viele seiner Berichte sind fantasievoll und vielseitig interpretierbar, so die Erzählung über ein fest gewordenes Meer. Könnte damit das Eismeer oder vielleicht auch das Wattenmeer gemeint sein? Belesene Geografen versuchen immer wieder, Pytheas’ Reisen zu rekonstruieren, und diskutieren die Lage von Thule, das im nördlichen Atlantik hinter den Britischen Inseln zu finden sein müsse. Gerne wird es auch an der Küste Norwegens verortet.

In diesem Bereich liegt auch die vermutete Position von Atlantis. Überhaupt wimmelt es in den Nordmeeren bis heute von sagenhaften Inseln und versunkenen Großstädten. Neben Thule und Atlantis beispielsweise Rungholt und Vineta, Sodom und Gomorra des Nordens, zwei wegen der unchristlichen Lebensweise der Bewohner untergegangene Metropolen, von denen zumindest Rungholt sich bei genauerem Hinsehen als ein durch eine Sturmflut untergegangenes Dorf entpuppt. Dem Mythos nach hört man bei ruhigem Wetter die Kirchenglocken von Rungholt bis heute unter der Wasseroberfläche der nordfriesischen Küstenlandschaft schlagen.

Die größte und weiteste Verbreitung fand der Thule-Mythos. Man denke an den »König in Thule« von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) oder an den Comichelden »Prinz Eisenherz« von Hal Foster (1892–1982), der aus dem Königreich Thule stammt. Des Weiteren wurde von 1911 bis 1930 unter dem Titel »Thule – Altnordische Dichtung und Prosa« eine Buchreihe mit ins Deutsche übersetzten altisländisch-nordischen Schriften herausgegeben, die 1963 bis 1971 als kommentierte Neuausgabe nochmals verlegt wurde. Auch ein deutscher Geheimbund mit Schwerpunkt in München, der zu einem Wegbereiter der NSDAP wurde, nutzte den Namen von 1918 bis Anfang der 1930er Jahre. Ebenfalls machen sich Hardrockbands den Namen gerne zu eigen. Als »Thulekultur« wird eine Stufe der Inuitentwicklung zwischen 2.000 vor Christus und 1.000 nach Christus bezeichnet. Und die Thule Air Base ist ein amerikanischer Luftwaffenstützpunkt auf Nordgrönland, in dessen Nähe 1968 nach einem Flugzeugunglück laut Medienberichten nicht alle Einzelteile der vier an Bord befindlichen Wasserstoffbomben gefunden werden konnten. Zwar gab es immer wieder Untersuchungen, die diese These widerlegten, jedoch geistern bis heute Zweifel daran durch die Medien.

Die Germanen sind los


Mit der Ausbreitung des Römischen Reiches über die Alpen hinaus wurden auch die Begegnungen mit dem Norden und seinen Bewohnern zahlreicher. Die Nachrichten über den Süden als eine attraktive Region ziehen bis heute Menschen in die südliche Wärme. Erste Auszüge aus dem Norden unternahmen Kimbern und Teutonen. 100 Jahre vor Christus drangen sie ins Römische Reich ein, nachdem sie ihre Siedlungsgebiete im heutigen Dänemark vermutlich auf der Suche nach fruchtbaren Böden verlassen hatten. Bereits die ersten Zusammentreffen mit den Römern verliefen kämpferisch, jedoch siegten die Kimbern und Teutonen. Als sich die Stämme trennten, machten die Römer mit den ungebetenen Besuchern kurzen Prozess und vernichteten die beiden Völker in den Schlachten bei Aquae Sextiae in der Provence (heute: Aix-en-Provence) und Vercellae im Piemont.

Friedrich Schiller (1759–1805) fasste die Begegnung der Menschen aus dem Norden mit der Antike in den heutigen italienischen Regionen eindrucksvoll in Worte. In seiner Zeitschrift »Die Horen« wendet sich »Die Antike an einen Wanderer aus Norden«, so der Titel des Beitrags (3. Bd., 9. St., 1975). In diesem Gedicht spricht die personalisierte Antike den nordischen Besucher an: »Hinter dir liegt zwar dein nebligter Pol und dein eiserner Himmel, deine arkturische Nacht flieht vor Ausoniens Tag«, doch könne er sich im Herzen nicht von seiner Heimat lösen, auch »Ioniens Sonne« vermöge diesen »nordischen Fluch« nicht zu verdrängen.

Ob Dunkelheit und Kälte wie bei Schiller, oder Wildheit oder Anderssein – schon seit der Antike tauchen bei Schriftstellern diese Stereotypen auf. Bereits Gaius Julius Cäsar hatte sich schriftstellerisch mit den Menschen jenseits der Grenzen des Römischen Reiches im Norden befasst und ihnen den Namen Germanen verpasst, ohne Rücksicht auf ihre wirklichen ethnologischen Wurzeln. In seinem unzähligen Lateinschülern bekannten Werk »Der Gallische Krieg« (um 50 v. Chr.) erwähnt er die Gallier als Bewohner westlich des Rheins, und alle Bewohner östlich des Rheins nennt er Germanen. Es ist davon auszugehen, dass Cäsar diese Einteilung vornahm, um alles Linksrheinische und damit...

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