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Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand

AutorDavid Hume
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl507 Seiten
ISBN9788026806080
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand ' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand ist der Titel, unter dem das Buch An Enquiry Concerning Human Understanding von David Hume im deutschsprachigen Raum bekannt geworden ist. Bei der Erstveröffentlichung in London 1748 war der Titel der erkenntnistheoretischen Schrift noch Philosophical Essays Concerning Human Understanding. Das Buch, das zu den wichtigsten Werken Humes zählt, besteht aus zwölf Essays, die die Themen aus dem Erstlingswerk Humes, A Treatise of Human Nature (Ein Traktat über die menschliche Natur), wieder aufnehmen. Während Hume für seine Schrift von Seiten der Schulmetaphysik scharf angegriffen wurde, regte er wichtige Veränderungen in der nachfolgenden Philosophie an. Der Herausgeber der deutschsprachigen Erstausgabe, Johann Georg Sulzer, selbst Anhänger Christian Wolffs und keineswegs ein Skeptiker wie Hume, bezeichnete diesen als 'Wohlthäter der Philosophie', nach dessen Kritik das Feld der Metaphysik neu bestellt werden könne. Immanuel Kant ging noch einen Schritt weiter, indem er aus Humes Skeptizismus die Verpflichtung zur kritischen Prüfung der Erkenntnismöglichkeiten ableitete, die ihn zu seiner kritischen Philosophie führte.

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Leseprobe

Abtheilung II.


Ueber den Ursprung der Vorstellungen.



Jedermann wird einräumen, dass ein erheblicher Unterschied zwischen den Vorstellungen der Seele besteht, je nachdem man den Schmerz einer ausserordentlichen Hitze oder das Vergnügen einer mässigen Wärme fühlt, oder je nachdem man diese Empfindung nur nachher in das Gedächtniss zurückruft oder im Voraus sich vorstellt. Diese Vermögen können die Wahrnehmungen der Sinne nachahmen oder abbilden, aber sie können niemals die ganze Kraft und Lebhaftigkeit der ursprünglichen Empfindung erreichen. Das Höchste, was selbst bei ihrer stärksten Aeusserung man von ihnen sagen kann, ist, dass sie ihren Gegenstand in so lebhafter Weise darbieten, dass man beinahe meint, ihn zu fühlen oder zu sehen. Aber niemals können sie, Fälle der Geistesstörung durch Krankheit oder Irrsinn abgerechnet, einen solchen Grad von Lebhaftigkeit annehmen, dass man diese Vorstellungen nicht von einander zu unterscheiden vermöchte. Der Dichter kann selbst mit den glänzendsten Farben seiner Kunst einen Naturgegenstand nicht so ausmalen, dass man seine Beschreibung für eine wirkliche Landschaft hält. Der lebhafteste Gedanke erreicht hier die dunkelste Empfindung nicht.

Ein gleicher Unterschied zieht sich durch alle anderen Vorstellungen der Seele. Ein Mensch, der von Zorn ergriffen ist, benimmt sich ganz anders, als der, welcher nur an einen solchen Affekt denkt. Wenn man mir sagt, dass Jemand verliebt ist, so verstehe ich es leicht und bilde mir eine richtige Vorstellung von seinem Zustande; aber ich kann niemals diese Vorstellung mit den wirklichen Neigungen und Aufregungen dieser Leidenschaft verwechseln. Denkt man an vergangene Empfindungen und Erregungen, so ist das Denken ein treuer Spiegel, der seinen Gegenstand genau wiedergiebt; aber die benutzten Farben sind blass und matt in Vergleich zu denen, in welche die ursprünglichen Empfindungen gekleidet waren. Es bedarf keines Scharfsinns und keines metaphysischen Geistes, um den Unterschied zwischen beiden anzugeben.

Man kann deshalb alle Vorstellungen der Seele in zwei Klassen oder Arten theilen, die sich durch den verschiedenen Grad von Stärke und Lebhaftigkeit unterscheiden. Die wenigst starken und lebhaften nennt man gewöhnlich Gedanken oder Vorstellungen. Für die andere Art hat die englische wie die meisten anderen Sprachen kein Wort; wahrscheinlich, weil, von philosophischen Zwecken abgesehen, das Bedürfniss fehlte, sie unter einem allgemeinen Ausdruck oder Namen zu befassen. Ich nehme mir die Freiheit, sie Eindrücke zu nennen, indem ich dies Wort in einem von dem gewöhnlichen etwas abweichenden Sinne gebrauche. Mit dem Worte Eindruck meine ich also alle unsere lebhaften Zustände, wenn wir hören oder sehen oder fühlen, oder hassen oder wünschen oder wollen. Die Eindrücke bilden den Gegensatz zu den Vorstellungen, welche jene weniger lebhaften Zustände bezeichnen, deren man sich bewusst ist, wenn man an eines jener obigen Gefühle oder Erregungen zurückdenkt.

Nichts erscheint auf den ersten Blick so schrankenlos, als das menschliche Denken; es entzieht sich nicht allein aller menschlichen Macht und Autorität, sondern überschreitet auch die Grenzen der Natur und der Wirklichkeit. Ungeheuer zu bilden und widerstreitende Gestalten und Erscheinungen zu verbinden, kostet der Einbildungskraft nicht mehr Mühe, als die Vorstellung des natürlichsten und bekanntesten Gegenstandes. Während der Körper auf einem Planeten beschränkt ist, auf dem er mühsam und schwerfällig herumkriecht, kann das Denken uns in einem Augenblick in die entferntesten Gegenden des Weltalls tragen; ja selbst darüber hinaus in das grenzenlose Chaos, wo die Natur in gänzlicher Verwirrung liegen soll. Was man nie gesehen oder gehört, kann man sich doch vorstellen; kein Ding ist der Macht der Gedanken entzogen, mit Ausnahme dessen, was einen unbedingten Widerspruch einschliesst.

Obgleich indess unsere Gedanken diese unbegrenzte Freiheit zu besitzen scheinen, zeigen sie sich doch bei näherer Untersuchung in Wahrheit in sehr enge Grenzen eingeschlossen. All die schöpferische Kraft der Seele ist nichts weiter, als die Fähigkeit, den durch die Sinne und die Erfahrung gewonnenen Stoff zu verbinden, zu umstellen, zu vermehren oder zu vermindern. Wenn wir uns ein goldenes Gebirge vorstellen, so verbinden wir nur zwei bereits vorhandene Vorstellungen, Gold und Gebirge, die uns von früher bekannt sind. Ein tugendhaftes Pferd kann man sich denken, weil man die Tugend aus seinen eigenen Gefühlen kennt; man verbindet sie mit der Gestalt und dem Aussehen eines Pferdes, was ein bekanntes Thier ist. Kurz, aller Stoff des Denkens ist von äusseren oder inneren Wahrnehmungen abgeleitet; nur die Mischung und Verbindung gehört dem Geist und dem Willen; oder, um mich philosophisch auszudrücken, alle unsere Vorstellungen oder früheren Empfindungen sind Nachbilder unserer Eindrücke oder lebhafteren Empfindungen.

Zum Beweise dessen werden hoffentlich die zwei nachstehenden Gründe ausreichen. Erstlich finden wir bei der Trennung unserer Gedanken und Vorstellungen, wenn sie auch noch so verwickelt und erhaben sind, immer, dass sie sich in solche einfache Vorstellungen auflösen, welche das Abbild eines früheren Gefühls oder Empfindens sind. Selbst die Vorstellungen, welche bei dem ersten Blick am weitesten von diesem Ursprung entfernt scheinen, zeigen sich bei näherer Untersuchung als daraus abgeleitet. Die Vorstellung von Gott, welche ein allwissendes, weises und gutes Wesen bezeichnet, bildet sich aus den Vorstellungen von unseren geistigen Thätigkeiten und aus der Steigerung dieser Eigenschaften der Güte und Weisheit ins Grenzenlose. Man mag diese Untersuchung noch so weit fortführen; immer wird man finden, dass jede Vorstellung bei ihrer Prüfung sich als das Abbild einer gleichen Empfindung darstellt. Die Gegner, welche diesen Satz nicht allgemein und ohne Ausnahme zulassen wollen, haben eine, und zwar leichte Art, ihn zu widerlegen; sie mögen eine Vorstellung beibringen, welche nach ihrer Meinung nicht aus dieser Quelle geschöpft ist. Dann wird es mir zur Vertheidigung meiner Ansicht obliegen, den Eindruck oder die lebhaftere Erregung darzulegen, welche ihr zu Grunde liegt.

Wenn zweitens ein Mensch wegen eines Fehlers im Organe für eine Art von Empfindung nicht empfänglich ist, so ergiebt sich, dass er dann auch ebenso wenig die Vorstellung davon fassen kann. Ein Blinder kann keine Vorstellung von Farben, ein Tauber kann keine von Tönen sich bilden. Wenn Jeder den ihm fehlenden Sinn zurück erhält, so ist mit der Oeffnung dieses neuen Kanals für seine Empfindungen auch ein Kanal für seine Vorstellungen eröffnet, und es ist ihm leicht, die betreffenden Bestimmungen sich vorzustellen.

Ebenso verhält es sich, wenn der Gegenstand der Empfindung noch niemals an das Organ gebracht worden ist. Ein Lappländer oder Neger hat keinen Begriff von dem Weingeschmack. Dasselbe gilt, wenn auch in geringerem Grade, wenn Jemand eine seiner Gattung eigenthümliche Empfindung oder Leidenschaft nie gefühlt hat oder deren unfähig ist; obgleich solche Fälle geistiger Gebrechen selten oder niemals vorkommen. Ein gutmüthiger Mensch kann sich keine Vorstellung von eingewurzelter Grausamkeit und Rache machen, und ein selbstsüchtiges Herz kann sich nicht leicht die höchsten Opfer der Freundschaft und des Edelmuths vorstellen. Man giebt zu, dass andere Wesen Empfindungen von Dingen haben mögen, von denen wir keine Vorstellung haben, weil uns diese nie auf dem Wege zugeführt worden sind, durch den allein eine Vorstellung in die Seele eintreten kann, d.h. durch wirkliches Fühlen und Empfinden.

Es giebt indess eine dem entgegenstehende Erscheinung, welche die Möglichkeit beweisen könnte, dass Vorstellungen auch unabhängig von den ihnen entsprechenden Eindrücken entstehen können. Man wird sofort zugeben, dass die verschiedenen Vorstellungen der Farben, welche durch das Auge eintreten, oder die der Töne, welche das Ohr zuführt, von einander wirklich unterschieden und zu gleicher Zeit einander ähnlich sind. Ist dies von verschiedenen Farben richtig, so muss es auch von verschiedenen Schattirungen derselben Farbe gelten. Jede Schattirung erzeugt eine bestimmte Vorstellung, welche von den übrigen unabhängig ist. Wollte man dies leugnen, so könnte man durch eine allmähliche Abstufung, die Schattirung, einer Farbe unmerklich in die ihr geradezu entgegengesetzte umwandeln. Will man keinen Unterschied für die Mittelfarben anerkennen, so muss man dasselbe auch für die Extreme gelten lassen, wenn man sich nicht widersprechen soll. Man nehme nun einen Menschen, der dreissig Jahre lang sein Gesicht gehabt und mit allen Arten von Farben bekannt geworden ist, eine einzige Schattirung z.B. von Blau ausgenommen, welche er zufällig niemals gesehen hat. Wenn man diesem nun alle Schattirungen dieser Farbe, mit Ausnahme dieser einen, vorlegt, die allmählich von der dunkelsten zur hellsten ansteigen, so wird er offenbar eine Lücke bei dieser fehlenden Schattirung bemerken, und er wird empfinden, dass hier die nächsten Farben mehr von einander abstehen, als sonst wo. Ich frage nun, ob es ihm möglich sein wird, aus seiner Einbildungskraft diese fehlende zu ergänzen und sich die Vorstellung von dieser besonderen Schattirung zu bilden, obgleich seine Sinne sie ihm niemals zugeführt haben? Ich glaube, nur Wenige werden sagen, dass er es nicht könne.

Dies kann als ein Beweis gelten, dass die blossen Vorstellungen nicht immer und überall von ihren entsprechenden Empfindungen sich ableiten. Indess ist dieser Fall so vereinzelt, dass er kaum Beachtung verdient, und ich brauche...

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