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Von einem kleinen Zettel, der in einem Herrenhemd um die halbe Welt reiste und unser Leben für immer veränderte

Eine wahre Freundschaftsgeschichte

AutorClaudia Klütsch, Dirk Höner
VerlagBlanvalet
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641230777
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Kleiner Zettel, große Botschaft - wie ein Geschenk aus dem Supermarkt unser Leben veränderte ...
Als Claudia Klütsch ein neues Oberhemd ihres Ehemanns aus der Verpackung zieht, fällt ein Zettel heraus. Es ist der Hilferuf eines Arbeiters aus der Textilfabrik in Bangladesch, in der das Hemd hergestellt wurde. Das Ehepaar versucht monatelang herauszufinden, was und wer genau hinter dieser Nachricht steckt. Schließlich fliegen sie selbst nach Bangladesch, um den Verfasser zu finden.
Die beiden erleben eine Reise ins Ungewisse, die sie mit vielen Eindrücken und Einsichten nach Deutschland zurückkehren lässt. Und mit neu gewonnen Freundschaften, die bis heute währen.

Claudia Klütsch wurde 1965 in Wesseling in der Nähe von Köln geboren, wo sie auch heute noch mit ihrer Familie lebt. Die gelernte Arzthelferin ist Mutter von vier Kindern und unterstützt seit drei Jahren als Inklusionskraft Kinder in ihrem schulischen Alltag. Als Claudia Klütsch 2005 ein ungewöhnlicher Hilferuf aus Bangladesch erreichte und sie beschloss zu helfen, begann für sie und ihre Familie eines der größten Abenteuer ihres Lebens.
Dirk Höner ist Journalist und nach Stationen beim WDR und als Autor bei TV-Produktionen arbeitet er seit 2004 als Redakteur bei stern TV. Dirk Höner lernte die Familie Klütsch 2005 kennen, als diese nach dem Verfasser des Hilferufs im Hemd suchte, und begleitete sie auf ihrer ersten Reise nach Bangladesch.

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Leseprobe

1
Die Geburtstagsüberraschung

Noch fünfundzwanzig Kilometer, dann sind wir in Gazis Dorf, sagte unser Fahrer.

Es war heiß auf der Rückbank des hellblauen Toyota-Vans. Martin fächerte sich durch schnelles, rhythmisches Vor- und Zurückziehen seines obersten Hemdknopfes etwas Luft zu. Wer sagt, dass mein Mann dick ist, hat nicht unrecht. Er schwitzte, mehr als wir alle.

Die Luft draußen war schwül, roch aber angenehm würzig, hier, kurz vor den Sundarbans im Süden von Bangladesch. Reife Mangos hingen an den Bäumen, Landarbeiter ernteten Zuckerrohr. Ein Blick nach vorn zeigte mir: Die rote Lehmstraße, auf der wir mit vierzig Stundenkilometern dahinzuckelten, würde sich noch ein ganzes Stück weiter durch die subtropischen Wälder winden. Die Landschaft sah aus, als hätte jemand die Bilder zu der Internet-Suche »Exotischer Golf von Bengalen« kurzerhand zum Leben erweckt.

»Herrje, ist das schön. Hier könnte ich meine Rente verbringen«, sagte ich zu meinem Mann.

»Wär mir zu heiß«, erwiderte er. »Aber ich komme dich besuchen.«

Ansonsten redeten wir nicht viel während der Fahrt. Wie auch? Die Schlaglöcher sorgten für eine beständige Geräuschkulisse. Die Bleche der Türen klapperten oder quietschten, manchmal auch beides gleichzeitig.

Der Blick in die südasiatische Ebene entschädigte aber für vieles. Ich zeigte mit dem Finger nach rechts, als wir einen Mann mit zerfledderten Badelatschen überholten, der eine alte Karre zog. »Schau mal, Martin, der transportiert Kokosnüsse.«

Der Gegensatz zu der molochartigen Großstadt Dhaka, in der wir vor einigen Tagen die Reise unseres Lebens begannen, könnte kaum größer sein. Dort sahen wir zum ersten Mal, was es heißt, in Armut zu leben.

Ein Bild habe ich bis heute nicht vergessen. Auf einer Straßenbrücke saß ein Mann. Ihm fehlte der rechte Arm. Wir fuhren an ihm vorbei, und ich konnte nicht erkennen, ob er bettelte oder warum er dort saß. Sein Gesicht war schmutzig, der Blick leer. In dem Moment registrierte ich ihn bloß und war durch die vielen Eindrücke rundherum unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Am Abend aber, als ich im Bett lag, fiel mir die Szene wieder ein. Hatte der Mann ein Zuhause? Wovon lebte er? Woher bekam er etwas zu essen? Saß er immer noch auf der Brücke? Warum gerade an dieser vielbefahrenen Straße? Wir hatten bis dahin schon einige verzweifelte Menschen gesehen, aber dieser in dreckige Lumpen gekleidete Mann versinnbildlichte für mich das Elend in dieser Stadt wie kein anderer.

Martin wusste genau, was ich dachte, als der Mann mit der Karre voller Kokosnüsse hinter uns zurückfiel. »Wir können nicht alle retten«, sagte er, pragmatisch wie immer. »Wir sind hier, um Gazi zu finden und ihn bei Bedarf zu unterstützen. Wir dürfen uns nicht übernehmen.«

Auch die anderen Städte, durch die wir bisher gefahren waren, hatten alles andere als einladend gewirkt. Dreck, Plastikmüll und PET-Flaschen bestimmten das Straßenbild. Ganze Müllhaufen schienen neben den Häusern emporzuwachsen. Aus den Auspuffen der unzähligen Tuktuks quoll blauer Qualm. Es stank an vielen Orten fürchterlich. Die schlechte Luft und der Müll waren aber nur Begleitumstände eines viel größeren Übels, das wir mit ansehen mussten: An den Hauptstraßen in den Ballungsräumen lagen immer wieder Menschen reglos auf den Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen oder am Straßenrand. Einfach so, als wären sie gerade eingeschlafen.

Unser Fahrer erklärte uns, dass viele hier Angst hätten, sich um Unfallopfer zu kümmern. Die Polizei könnte annehmen, dass der Helfende etwas mit dem Unglück zu tun habe. Ob also jemand auf dem Bürgersteig schläft oder ob es sich um einen Verletzten handelt, der womöglich sogar im Sterben liegt, ändert für die Passanten nichts: Sie scheren sich nicht darum. In solchen Situationen nicht vor Verzweiflung zu weinen fiel mir schwer.

Meine vier Kinder haben mir mal den Spitznamen Mutter Teresa gegeben – weil ich mich häufig um Hilfsbedürftige aus der Nachbarschaft kümmere. Schon mehrmals schleppten sie befreundete Teenager an, die zu Hause rausgeschmissen worden waren. Meistens ließ ich sie einige Tage bei uns übernachten und besorgte ihnen dann eine neue Bleibe über das Jugendamt, oder ich versuchte die Wogen im Streit mit ihren Eltern wieder zu glätten.

Auch Tiere sind es aus meiner Sicht wert, gerettet zu werden: Einmal ließ ich Martin keine Ruhe, bis er eine aus dem Nest gefallene Waldschnepfe zu einer Tierstation brachte, damit sie dort aufgepäppelt wurde – allerdings erst, nachdem ich sie selbst einige Tage lang durchgefüttert hatte.

Aber in den Städten Bangladeschs gab es so viel Elend, dass ich mich als Einzelne völlig überfordert fühlte. Ich mag den Vergleich nicht besonders, aber er traf unseren Eindruck ganz gut: Ein Menschenleben zählt in Bangladesch offenbar weniger als anderswo.

Ich versuchte mich damit zu trösten, dass wir hergekommen waren, um einer Familie gezielt zu helfen.

Hier, auf dem Land, schien es den Menschen besser zu gehen als in den Städten. Die schrecklichen Zustände waren scheinbar weit weg.

Wir hielten noch einmal an. Links von uns reichten Palmen Dutzende Meter hoch in den Himmel, flankiert von Farnen und dichten, mir bis dahin unbekannten Sträuchern. Der Regenwald wirkte undurchdringlich. Man kann sich leicht vorstellen, dass es stimmt, was im Reiseführer steht: dass es nicht weit von hier noch bengalische Tiger gibt. Viele dieser anmutigen Tiere seien es aber nicht mehr, sagte unser Fahrer.

Spektakulärer Regenwald hin oder her – mein Mann sah nicht glücklich aus. Er wirkte angestrengt und kniff die müden Augen zusammen.

»Ist es noch weit?«, fragte ich unseren Fahrer.

»Nicht mehr weit«, lautete seine wenig aussagekräftige Antwort, die wir heute schon einige Male gehört hatten. Wir saßen bereits seit zwei Stunden in dieser Blechkiste ohne Klimaanlage. Dabei war die Lehmpiste ohne Zweifel eine der besseren Straßen.

Die Impressionen dieser Reise waren voller Gegensätze: auf eine Art wunderschön, was die Freundlichkeit der Leute und die Vegetation betraf. Im nächsten Moment aber wäre ich am liebsten davongelaufen, bei all dem Elend, das uns begegnete.

Wo hatte ich uns da nur hineinmanövriert? Mich durchzuckte einen Augenblick lang Reue, gefolgt von Selbstzweifeln. Ich war die treibende Kraft hinter dieser Reise. Was, wenn wir am Ende nur Enttäuschungen mit nach Hause brächten?

Zum Glück hatten wir vorher lange genug über alles gesprochen und waren uns einig: Wenn wir nicht versuchten, Gazi zu finden, und es uns gelänge, uns selbst ein Bild von seinen Lebensverhältnissen zu machen, würden wir das irgendwann bereuen.

Rechts der Straße, etwas tiefer gelegen, sah ich eine Reihe quadratischer, künstlich angelegter Teiche. Eine Zuchtfarm für Riesenkrebse. Ein Junge, vielleicht acht Jahre alt, hockte im Gras. Ein Mann, vermutlich sein Vater, schaute ihm zu und lehrte ihn den Umgang mit dem Fang. Neben den beiden stand ein alter geflochtener Korb. Der Junge hatte einige der Schalentiere gefangen und bewahrte sie darin auf. Bevor er sie nach und nach in den eimergroßen Bambuskorb fallen ließ, stellte er den linken Fuß auf die handtellergroßen Körper der Krebse. Gleichzeitig wickelte er dicke grüne Halme einer Wasserpflanze um die Scheren, um die Tiere kampfunfähig zu machen. Ab und zu erwischten sie ihn doch. Der Junge blutete leicht am rechten Daumen, sein Vater schimpfte.

Ich schaute neugierig in den Korb, ob sich seine Arbeit heute schon gelohnt hatte. Viele Krebse waren es noch nicht. Der Junge sah aber nicht so aus, als ob ihm das etwas ausmachte. Vielmehr schien er etwas nervös zu sein.

»Weil ihr Weiße seid, ist er aufgeregt«, erklärte unser Fahrer. Viele Europäer habe er in seinem Leben noch nicht zu Gesicht bekommen. Tiger ja, Weiße nein.

Der Junge sah gesund aus, der nackte Oberkörper war drahtig. Er trug eine kurze Sporthose. Das Wappen eines Fußballvereins, laut Martin des FC Barcelona, war darauf zu erkennen. »Wahrscheinlich arbeitet seine Mutter in einer der Fabriken in der nächsten Stadt, wo solche Hosen genäht werden«, flüsterte ich Martin zu. Wir hatten in den letzten Monaten viel über die Bedingungen in den unzähligen Textilfabriken hier gelesen: Es sind fast immer Frauen, die an den Maschinen sitzen und bis zur Erschöpfung ihrer monotonen Arbeit nachgehen. Die Männer erhalten häufig Aufseher-Jobs. Wer nicht zur Schule gegangen ist, und das gilt für zig Millionen in Bangladesch, und dazu keine Beziehungen hat, kann vielleicht Rikschafahrer in einer der größeren Städte werden, für ein paar Cent pro Fahrt. Oder Erntehelfer. Eine größere Auswahl haben die meisten nicht.

Mein Mann verdient in Deutschland nicht viel mehr als einen Durchschnittslohn, aber sein Nettogehalt ist trotzdem über hundertmal so hoch wie das eines Fahrers einer Rikscha in diesem Land.

Jedes Mal, wenn wir, so wie jetzt bei der Krebszucht, die Menschen bei ihren Tätigkeiten beobachteten, wurden wir gleichzeitig von den Einheimischen gemustert. Blonde, halblange Locken, wie ich sie trage, haben viele Bangladescher noch nie aus der Nähe gesehen, und dazu unsere helle Haut. Die gegenseitige Zuguckerei führte häufig zu kuriosen Situationen. Die Arbeiter stellten ihre Tätigkeit ein, um uns anzuschauen, während wir sie ansahen. Dann passierte meistens nicht mehr viel. Ich überlegte, ob es so etwas auch auf unserem Wochenmarkt zu Hause in unserem Städtchen geben könnte, wenn Fremde dort auftauchten. Ich denke, eher nicht.

Bei einer der vergangenen Fahrpausen waren wir wieder...

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