Sie sind hier
E-Book

Einfach nur leben. Ein Leben mit Behinderung als ein Leben am Rand der Gesellschaft?

Perpektiven für einen bewussten Umgang mit Behinderung

AutorGünter-Manfred Pracher
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl447 Seiten
ISBN9783640229659
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2018 im Fachbereich Theologie - Praktische Theologie, , 90 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Behinderung, was ist das, wie gehe ich damit um? In diesem neu überarbeitet vorliegenden Buch habe ich versucht diese Fragen klar zu benennen und in einer verständlich Form darzustellen; dabei wurden in verständlichen Sätzen medizinische Erkenntnisse (nur für Laien, nicht für Fachleute) erläutert; es ist nicht immer möglich, medizinische Fachausdrücke nicht zu verwenden, sie wurden jedoch erklärt, siehe Glossar. Psychische Probleme behinderter Menschen wurden in ihren unterschiedlichsten Formen beschrieben. Wissen heißt mich auch verstehen. Nur wenn man etwas weiß, kann man auch entsprechend agieren. Die Problematik kann nur verdeutlicht werden, wenn psychologische und soziologische Einflüsse und Überlegungen nicht übergangen werden. So habe ich die psychologisch-soziologischen Aspekte zur Problematik der Randgruppen aufgenommen, denn Behinderte werden den Randgruppen unserer Gesellschaft zugeordnet. Die ersten Kapitel dieses Buches setzen sich mit den unterschiedlichsten Behinderungsformen, den Aspekten, Krankheitsbildern und Hilfsangeboten auseinander. Darauf aufbauend werden dann die Probleme beleuchtet, Schwierigkeiten konkretisiert; deshalb werden an unterschiedlichen Stellen die Probleme und Schwierigkeiten im Alltag dargestellt. Behindertes Leben meint zunächst immer Behinderte, die in der Lage sind, für sich selbst zu denken, zu handeln und sich im Wesentlichen selbst zu versorgen. Um diese Gruppe von 'selbständigen' Behinderten geht es mir primär, denn sie lebt viel zu häufig zurückgezogen im 'stillen Kämmerlein', frustriert, deprimiert und einsam. Leben und nicht gelebt werden ist einer dieser wegweisenden Grundgedanken dabei. Unsere Umwelt ist in der Regel nicht an der Behinderung schuld; unser Leben spielt sich nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart ab; wenn Berührungsängste abgebaut werden, dann können wir alle miteinander leben, einfach nur leben, denn dann wird aus dem ICH ein DU, und aus dem DU wird ein tragkräftiges WIR. Dieses Buch versucht Probleme zu benennen und Fragen neu aufzuwerfen; wenn wir alle mehr Geduld, Gelassenheit, Ausdauer und Durchstehvermögen einüben, können wir besser miteinander umgehen; ich wünsche von Herzen, dass neue Informationen, Perspektiven, Anregungen, Hinweise und neuer Mut dazu beitragen den Umgang mit Behinderten zu erleichtern und die Bereitschaft gewachsen ist, intensiver und auch bewusster auf uns Behinderte zuzugehen! Gottes Segen beim Lesen!

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Kapitel 1


 

Was versteht man unter Behinderung?

 

Begriffserklärung mit entsprechenden Beispielen

 

Alle sprechen von Behinderung, an vielen Litfasssäulen kann man das Wort „Behinderung“ lesen, doch genau sagen, was es eigentlich bedeutet, kann fast niemand;  es gibt einen so schönen und wahren Satz, den ich bei einer Einrichtung des Diakonischen Werkes gelesen habe, der leider mit der Realität und dem Verhalten der Menschen in jener Einrichtung nicht viel zu tun hat: Behindert ist man nicht, sondern behindert wird man!

 

Normativität und / oder Normalität

 

Vorurteile sind ein Bestandteil des stereotypen Wahrnehmungsmusters unserer Gesellschaft, richten sich auch gegen Behinderte, und werden von den Kindern im Laufe des Hineinwachsens in unsere Gesellschaft erlernt. Ganz besonders deutlich und anschaulich wird dieser Lernprozess bei der Betrachtung unserer Kinofilme und oder auch der Märchen. Hier wird das Böse unproportional hoch über die körperliche Abweichung dargestellt. So ist die Hexe in „Hänsel und Gretel“ buckelig und hässlich. Im Struwwelpeter werden Konrad die Daumen abgeschnitten, weil er das Daumenlutschen nicht lässt.

 

Behinderte widersprechen damit der Normalität, allerdings gesellschaftlich bedingt, und nicht naturgegeben. Aus diesem Grund unterscheidet sich das Selbstverständnis vieler Behinderter von dem der Bevölkerungsmehrheit. Behinderte müssen also lernen, ihren persönlichen Eigenwert zu erkennen, und sich nicht als reparaturbedürfte Lebewesen, als eine Panne der Natur verstehen, sondern als normales Individuum zu sehen.

 

„Behinderung: Eine auf eine Beschädigung oder Beeinträchtigung zurückgehende Benachteiligung, die einen bestimmten Menschen teilweise oder ganz daran hindert, eine Rolle auszufüllen, die für ihn nach Alter und Geschlecht und sozio - kultureller Faktoren normal wäre.“[4]

 

„Wir haben unsere eigene Kultur. Wir sind stolz auf das, was wir sind. Wir sind mutig, stark und schön.“[5]

 

Im ersten Zitat ist von Beschädigung, Beeinträchtigung, Benachteiligung und

hindern die Rede, also durchweg Ausdrücke, die negativ belegt sind und

etwas Fehlendes, und zwar schmerzlich Fehlendes, verdeutlichen. Dieses Fehlende ist umso schmerzlicher, als es dem betreffenden Menschen seine Normalität raubt. Normalität also scheint das Maß des Lebenserfolgs zu sein.

 

Das zweite Zitat besteht im Wesentlichen aus vier üblicherweise positiv belegten Adjektiven; mit keinem Wort wird hier von Normalität gesprochen, denn der Mensch, der dieses sagt, vergleicht sich nicht mit Mitmenschen gleichen Alters, Geschlechts oder sozio - kulturellen Hintergrunds. Die Behauptung besteht exklusiv für die betreffende Gruppe und nur für sie beansprucht sie Gültigkeit.

 

Beide Aussagen haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun; dennoch beziehen sich beide Aussagen auf Behinderung.

 

Wie kann das sein?

 

Um weiter in die Problematik einsteigen zu können, ist eine Klärung in Richtung „Normalität, Normativität und Behinderung erforderlich. Ich möchte deshalb versuchen darzustellen, wie Behinderung entgegen der Normalität definiert wird, was einen behinderten und im Gegenzug dazu einen normalen Körper ausmacht. Ich möchte dabei bestimmenden, aber verschiedenen Konzepten von Behinderung und Normalität nachgehen. Da die beiden zitierten Ausdrücke über Behinderung zu  unterschiedliche Aussagen führen, möchte ich in einem weiteren Schritt klarstellen, wie diese unterschiedlichen Konzepte zustande kommen können, wie sie sich bilden konnten und wo der Hintergrund und die Motivation liegen. In einem letzten Schritt in dieser Fragestellung werde ich mich auf völlig neue Denkformen von Behinderung und damit von Körpernormen einlassen und Spekulationen über eine mögliche zukünftige Körpernorm formulieren.

 

Wie können sich Körpernormen verändern?

 

Anne Waldschmidt unterscheidet in ihren Gedanken zwei Formen von Normalität: Sie spricht von der

 

normativen Norm und der

 

normalistischen Norm.

 

Wird die Normalität mit dem Normativen gleichgesetzt, dann ist das Normalsein ein Verhalten, das sich an geltenden Normen ausrichtet. Es handelt sich dabei also um die so genannten normativen Normen.

 

Die normativen Normen sind  in folge dessen Normen, die von außen vorgegeben/gesetzt sind und damit für den Einzelnen bestimmend sind. Diese Normen spiegeln sich dann in sozialen, ethischen, juristischen Normen wieder, nehmen Einfluss bis hin zu den gültigen gesellschaftlichen Regeln und Erwartungshaltungen. Kennzeichnend für alle diese Normen ist, dass diese gegenüber dem einzelnen Menschen durchgesetzt werden sollen und ihre Einhaltung durch unsere Gesellschaft „überwacht“ wird. Damit wird deutlich, dass es Kontrollmechanismen gibt, die für die Einhaltung der normativen Normen sorgen, verantwortlich zeichnen.[6] Werden diese Normen nicht eingehalten, dann folgen Strafen und Sanktionen, denn sonst wäre das  Ziel dieser Normen, die Herstellung einer Konformität nicht erreichbar. Damit wird aber gleichzeitig deutlich, dass es sich bei den normativen Normen um ein eher stabiles „Prinzip“ handelt, denn normative Normen ändern sich nicht ständig und geben damit eine gewisse Stabilität. 

 

Da sich die Gesellschaft der heutigen Zeit jedoch spürbar weniger auf die herrschenden Normen, sondern deutlich mehr auf die statistische Normalität bezieht, wird der soziale Zusammenhalt über den Durchschnitt hergestellt; deshalb handelt es sich hierbei um die so genannten normalistischen Normen.

 

Normalistische Normen entstehen im „Vergleich der Menschen untereinander vor dem Hintergrund eines Maßstabes.“[7] Es wird sofort deutlich, dass diese Normen anders gesetzt sind. Im Vordergrund steht hier zunächst der Einzelne, der sich dann allerdings im Vergleich zu den anderen Menschen und dem daraus resultierenden Maßstab sieht. Damit steht „nicht das regelgerechte Benehmen des Einzelnen, sondern eher das regelmäßige Verhalten der Masse“[8] im Vordergrund, an dem sich der Einzelne orientiert. Die quantitative Mehrheit wird somit zum Vergleichspunkt. Sie setzt die Norm für das Aussehen und das Verhalten. Wenn die normale Mitte durch die „Menge“ hergestellt wird, dann bedeutet das, dass es sich hierbei um einen dynamischen Prozess handelt, handeln muss, denn eine so entstandene Mitte ist veränderbar. Natürlich verändern sich „aktuelle“ Trends oder Verhaltensweisen einer Gesellschaft nicht plötzlich, dennoch ist dieser Typ als dynamisch zu bezeichnen, da grundsätzlich Veränderungen und Verschiebung in jede Richtung möglich sind. 

 

Waldschmidt verweist an dieser Stelle auf Durkheim.

 

Emile Durkheim führte die statistische Normalität ein. „Als normal bezeichnete er alle diejenigen Phänomene, die allgemein in der Gesellschaft vorkommen.“[9] Das hat zunächst zur Konsequenz, dass alle, wenn auch abweichenden Verhaltensweisen als normal zu bezeichnen sind. „Den entscheidenden Indikator, ob eine bestimmte Abweichung als normal oder pathologisch anzusehen ist, stellt ihr jeweiliger prozentualer Anteil am sozialen Geschehen dar.“[10] Das bedeutet, dass die Häufigkeit einer Abweichung in einer Gesellschaft darüber entscheidet, ob diese noch als normal oder als pathologisch (krankhaft) anzusehen ist. Aus dieser Erkenntnis folgen natürlich sofort die Fragen: Wo und wie werden die Grenzen zwischen „normal“ und „abweichend“ gesetzt? Hofstra gibt auf diese Frage eine Antwort: „Die Unterscheidungen zwischen normal und abweichend beständen aus einer Vielzahl von Übergängen und gäben mehr eine Richtung an als einen fixierbaren Punkt.“[11]

 

            Als erstes Ergebnis bleibt an dieser festzuhalten, dass  es zwei unterschiedliche Arten von Normen gibt. Zum einen gibt es „normative Normen“ und zum anderen gibt es „normalistische Normen“[12]. Normativität und Normalität unterscheiden sich entscheidend in der Reihenfolge. Normativität setzt eine von außen gesetzte Regel voraus und führt dann zu einem Verhalten vieler Menschen. Normalität setzt das gleiche Verhalten vieler Menschen voraus und führt dann zu einer Norm. Das bedeutet nicht, dass es keine sozialen Normen mehr gibt. Dennoch lässt sich festhalten, dass sich eine statistische Normalität herausgebildet hat, die das Verhalten der Gesellschaft neben der Normativität bedeutend beeinflusst. Was bedeutet diese Erkenntnis für die Problematik der Behinderung?

 

Von Behinderung spricht man immer dann, wenn Menschen wegen einer geistigen,...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Einführung - Religion - Philosophie

Anleitung zum Philosophieren

E-Book Anleitung zum Philosophieren
Selber denken leicht gemacht Format: PDF

Mit diesem Buch werden Sie Ihren Intelligenzquotienten steigern. Sie lernen die wichtigsten Philosophen aus Ost und West privat kennen, werden mit philosophischen Gedanken über Themen wie…

Nietzsche

E-Book Nietzsche
Eine philosophische Einführung (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Günter Figal nähert sich dem Philosophen Nietzsche von außen, von seiner Biographie und von den Positionen her, die die Nachwelt ihm zugewiesen hat, um den Leser sodann behutsam, anregend und…

Benedictus de Spinoza

E-Book Benedictus de Spinoza
Eine Einführung (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Spinozas Philosophie ist vor allem (rationale) Metaphysik. Auch seine Ethik, die Psychologie der Affekte, die Lehre von Recht und Staat und seine Religionsphilosophie beruhen auf metaphysischen…

Benedictus de Spinoza

E-Book Benedictus de Spinoza
Eine Einführung (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Spinozas Philosophie ist vor allem (rationale) Metaphysik. Auch seine Ethik, die Psychologie der Affekte, die Lehre von Recht und Staat und seine Religionsphilosophie beruhen auf metaphysischen…

Immanuel Kant

E-Book Immanuel Kant
Vernunft und Leben (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Die ebenso originelle wie fundierte Studie ermöglicht einen neuen Zugang zu Kant, indem sie 'Vernunft und Leben' in einen systematischen Zusammenhang stellt. Aus dem Inhalt: Die Programmatik des…

Das Unendliche

E-Book Das Unendliche
Mathematiker ringen um einen Begriff Format: PDF

Philosophen und Theologen haben über das Unendliche nachgedacht. Doch die wahre Wissenschaft vom Unendlichen ist die Mathematik.Rudolf Taschner gelingt es, diesen zentralen Begriff auch dem…

Das Unendliche

E-Book Das Unendliche
Mathematiker ringen um einen Begriff Format: PDF

Philosophen und Theologen haben über das Unendliche nachgedacht. Doch die wahre Wissenschaft vom Unendlichen ist die Mathematik.Rudolf Taschner gelingt es, diesen zentralen Begriff auch dem…

Philosophiegeschichte

Format: PDF

Wie eine Geschichte der Philosophie zu schreiben ist, ist nicht nur selbst ein systematisches Problem der Philosophie, eine entsprechend verfasste Philosophiegeschichte hat Konsequenzen für die…

Paris - Wien

E-Book Paris - Wien
Enzyklopädien im Vergleich Format: PDF

Eines der zentralen Anliegen des 'Wiener Kreises' ist heute aktueller denn je. Es bestand darin sichtbar zu machen, wie ganz unterschiedliche, weit auseinanderliegende Bereiche wissenschaftlicher…

Weitere Zeitschriften

FESTIVAL Christmas

FESTIVAL Christmas

Fachzeitschriften für Weihnachtsartikel, Geschenke, Floristik, Papeterie und vieles mehr! FESTIVAL Christmas: Die erste und einzige internationale Weihnachts-Fachzeitschrift seit 1994 auf dem ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

Berufsstart Gehalt

Berufsstart Gehalt

»Berufsstart Gehalt« erscheint jährlich zum Sommersemester im Mai mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

dima

dima

Bau und Einsatz von Werkzeugmaschinen für spangebende und spanlose sowie abtragende und umformende Fertigungsverfahren. dima - die maschine - bietet als Fachzeitschrift die Kommunikationsplattform ...

DULV info

DULV info

UL-Technik, UL-Flugbetrieb, Luftrecht, Reiseberichte, Verbandsinte. Der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. - oder kurz DULV - wurde 1982 von ein paar Enthusiasten gegründet. Wegen der hohen ...