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Einigkeit und Recht

Die DDR und die deutsche Justiz

AutorFriedrich Wolff
Verlagedition ost
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783360510389
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die juristische Aufarbeitung der DDR - ein Kapitel in der problematischen deutschen Rechtsgeschichte - eine fundierte Darstellung. Wolffs Bilanz greift aber weiter aus. In einem pointierten, kenntnisreichen Überblick ist es ihm gelungen, 'Politik und Justiz vom Schießbefehl Friedrich Wilhelm IV. bis zum ?Schießbefehl? Honeckers' unter die kritische Lupe zu nehmen. 'Deutschland hat im 20. Jahrhundert im Westen dreimal und im Osten viermal einen Wechsel des politischen Systems erlebt, vom Kaiserreich zur Republik, von der Republik zum NS-Staat und von diesem in die Bundesrepublik bzw. die DDR und aus dieser in die Bundesrepublik. Es erscheint nützlich, den letzten Systemwechsel mit früheren, die jetzige Vergangenheitsbewältigung mit vorangegangenen zu vergleichen.' Schreibt der bekannte Strafverteidiger Friedrich Wolff im Vorwort zu seiner grundlegenden Untersuchung, in der er polemische Töne nicht scheut und sich unter anderem mit Fragen wie diesen beschäftigt: War die DDR nun ein Unrechtsstaat? War sie die zweite deutsche Diktatur? Sprachen die Richter, wenn sie ehemalige DDR-Bürger verurteilten, im Namen des Volkes? Sind wir ein Volk, in dessen Namen Recht gesprochen wird? War es Recht, das Wessis, über Renten, Arbeitsverhältnisse, Immobilien und über das Volkseigentum sprachen? Sind wir also ein Volk?

Jurist, geboren 1922 in Berlin als Sohn eines jüdischen Arztes. Nach dem Krieg Eintritt in die KPD, 1946-49 Jurastudium an der Humboldt-Universität. Amtsrichter, Referent, ab 1953 Rechtsanwalt. 1983 Promotion. Verteidiger in zahlreichen politischen Prozessen, darunter gegen Walter Janka, Karl Wilhelm Fricke, Günter Guillaume, Erich Honecker, Hans Modrow, Werner Großmann. Fernsehprominent war Friedrich Wolff durch seine Sendereihe 'Alles was Recht ist'. Er war Vorsitzender des Berliner Anwaltskollegiums, Vorsitzender des Rates der Kollegien der Rechtsanwälte der DDR, von 1985-1990 Vizepräsident bzw. Präsident der Vereinigung der Juristen.

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Leseprobe

Rückblick und Erinnerung an den Geschichtsunterricht

Das deutsche Biedermeier und die Demagogenverfolgung

Wie also sah es in Deutschland vor der ersten deutschen Diktatur, etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts, aus? Deutschland war in viele Staaten geteilt, die von Königen oder Fürsten regiert wurden. Des Volkes Wille galt nirgendwo etwas. In den Köpfen der Deutschen rumorte allerdings der Geist der Französischen Revolution um 1789. Dichter wie Schiller, Bürger, Lenz, Heine und andere verlangten nach mehr Freiheit und Gerechtigkeit. Sie nannten die herrschenden Könige und Fürsten Tyrannen, Schillers Motto der »Räuber« hieß »in tyrannos«.

Was ist schlimmer, Tyrannei oder Diktatur?

Wie war es damals in Preußen? Gab es Einigkeit und Recht und Freiheit?

Die Zeitzeugen geben klare Antwort. Studenten, Burschenschafter, forderten damals eine einige deutsche Republik und Beseitigung der Tyrannen. In einem Gedichtband mit dem Titel »Freie Stimmen frischer Jugend« schrieben sie 1819: »Bruder in Gold und Seid‘, Bruder im Bauernkleid, Reicht euch die Hand! Allen ruft Deutschlands Not, Allen des Herren Gebot. Schlagt eure Plager tot, Rettet das Land!«12

Im April 1832 hieß es in dem Aufruf zum nachmals berühmten Hambacher Fest unter Anspielung auf Frankreich, die USA und England: »Völker bereiten Feste des Dankes und der Freude beim Eintritt heilvoller großer Ereignisse. Darauf mußte das deutsche Volk seit Jahrhunderten verzichten. Zu solcher Feier ist auch jetzt kein Anlaß vorhanden, für den Deutschen liegen die großen Ereignisse noch im Keim; will er ein Fest der Hoffnung; nicht gilt es dem Errungenen, sondern dem zu Erringenden, nicht dem ruhmvollen Sieg, sondern dem mannhaften Kampfe für die Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde.«13

Heinrich Heine schrieb in demselben Jahr in einem Artikel unter der Überschrift »Deutsche Zustände«: »Nie ist ein Volk grausamer verhöhnt worden.« Georg Büchner teilte 1833 seinen Eltern mit: »Weil wir im Kerker geboren und großgezogen worden sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde.«14 Im Juli 1834 veröffentlichte er im Hessischen Landboten einen Artikel mit dem Titel: »Friede den Hütten! Krieg den Palästen«. Im Text hieß es: »Ihr seid nichts, ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos. Ihr müsset geben, was eure unersättlichen Fresser fordern, und tragen, was sie euch aufbürden. So weit ein Tyrann blicket – und Deutschland hat deren wohl dreißig –, verdorret Land und Volk.«15

Das alles geschah rund 100 Jahre vor der »ersten deutschen Diktatur«. Woher kommt die Sicht auf die Geschichte, die das alles außer acht läßt? Heute wird der Preußenkönige voll Liebe und Verehrung gedacht. Sind die heutigen Demokraten etwa

Freunde der damaligen Tyrannen? Sind die Feinde der Hohenzollern und der anderen Herrscher auch die Feinde des bundesrepublikanischen Deutschland?

Einer von 204. Der Fall Fritz Reuter

Wie die preußische Justiz, die Justiz der Hohenzollern, auf diejenigen reagierte, die nichts weiter als eine Verfassung und die deutsche Einheit wollten, erlebte der populäre plattdeutsche Dichter Fritz Reuter. Er war als Student in Jena im Mai 1832 Mitglied der Burschenschaft Germania geworden, die dem 1831 auf dem Burschentag zu Frankfurt am Main beschlossenen Ziel verpflichtet war, »ein frei und gerecht geordnetes, in Volksfreiheit gesichertes Staatsleben im deutschen Volk herbeizuführen«.16 Er hatte auch am Hambacher Fest teilgenommen. Er war allerdings wohl eher ein Mitläufer und deswegen bereits im Januar 1833 aus der Burschenschaft Germania ausgetreten. Dennoch wurde er im Oktober 1833 auf der Durchreise durch Berlin verhaftet. Sein Prozeß wurde mit dem Prozeß gegen andere Mitglieder der germanischen Burschenschaft verbunden, insgesamt waren 204 Studenten angeklagt. Das Berliner Kammergericht sprach am 4. August 1834 sein Urteil über sie. »Gegen 39 ›Inculpaten‹ wurde auf die Todesstrafe erkannt. Von diesen sollten 4 mit dem Rad von oben (qualifizierte Todesstrafe) und 35 mit dem Beil (einfache Todesstrafe) hingerichtet werden. 159 Studenten wurden zu langjährigen Festungsstrafen verurteilt und nur gegen 4 wurde ›die Untersuchung und das Urteil noch vorbehalten‹.«17 Das Kammergericht hatte die Angeklagten eines hochverräterischen Unternehmens für schuldig befunden. Zu den zum Tode Verurteilten gehörte auch Fritz Reuter.

In seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1939 meinte der Doktorand Gerhard Figge, »daß hier ein verhängnisvoller Irrtum waltete«,18 da die Burschenschafter ihr Ziel nicht auf einem gewaltsamen Wege hätten erreichen wollen. Auch in einem anderen Punkt hatte das Kammergericht nach seiner Auffassung Unrecht. Es hatte Fritz Reuter als Ausländer (er war Mecklenburger) wegen einer im Ausland (Thüringen) begangenen Straftat verurteilt, das war nicht rechtens. Figge schrieb: »Daß dies ›allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen‹ entspreche und ›mit den Grundsätzen des Landrechts und der Kriminal-Ordnung‹ übereinstimme, kann schwerlich zugegeben werden«.19

Es ist bemerkenswert, daß »Irrtümer« des Gerichts in politischen Prozessen regelmäßig nur zu Lasten der Angeklagten gehen.

Die Entscheidung des Kammergerichts war allerdings nicht rechtskräftig, denn oberster Richter war König Friedrich Wilhelm III. Er erließ am 11. Dezember 1836 die folgende Kabinetts-Order: »Die Ministerial Commission empfängt die mit dem Berichte vom 3-ten vor. Mts. Mir eingereichte Sentenz des Kammergerichts wider die Theilnehmer an geheimen politischen, insbesondere burschenschaftlichen Verbindungen hierneben zurück. Ich genehmige, daß selbige den Inquisitoren publicirt werden, doch mit der Maaßgabe, daß den zur Todesstrafe verurtheilten Theilnehmern, gleichzeitig mit der Publication des richterlichen Urtheils, die Abänderung desselben eröffnet werde, die Ich Kraft Meiner oberst-

richterlichen Befugniß dahin getroffen habe, daß Carl Heinrich Brüggemann. Heinrich Jacobi, Herrmann Müller und August Theodot Otto mit lebenswierigem, jeder der übrigen mit der Todes-

strafe belegten Theilnehmer dagegen mit dreißigjährigem Festungs- Arrest bestraft werde.«20

Damit war Fritz Reuter mit dreißigjähriger Festungshaft bestraft. Figge schreibt: »Die Kasematten, in denen die Gefangenen untergebracht wurden, waren feucht, kalt und dunkel. Schwers-

te Unterleibserkrankungen waren die fast regelmäßig Folge des Arrestes.«21 Reuter ging es in den Festungen Silberbegg, Glogau, Magdeburg und Graudenz nicht besser. In einem Attest des Garnison-Stabs-Arztes Starke vom 4. Dezember 1836 heißt es u. a.: »Der Stubengefangene Friedrich Reuter, 25 Jahre alt, aus Staffhagen im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin gebürtig, litt während seines Festungsarrestes allhier öfters an krankhaften Beschwerden und chronischen Unterleibs Übeln, weßhalb derselbe auch schon mehrere male in das hiesige Garnison-Lazareth aufgenommen werden mußte. Seit mehreren Monaten klagte derselbe über schmerzhafte Entzündungen und ein vermindertes Sehvermögen des linken Auges; wogegen ihm, da sich noch keine sichtbare krankhafte Veränderung an diesem Auge wahrnehmen ließ, die nöthigen Arzeneimittel in seiner Kasematte verordnet wurden, worauf sich indessen bald bei der fortdauernden ungünstigen Einwirkung einer feuchten Luft eine Trägheit der Kontraktion der linken Augen-Regenbogenhaut, als Vorbote eines schwarzen Staares zeigte, weßhalb derselbe abermals in das hiesige Garnison-Lazareth aufgenommen werden mußte, worin er gegenwärtig befindlich ist.«22

Friedrich Wilhelm III., der das Urteil über die 204 Studenten gefällt hatte, starb am 7. Juni 1840. Er hatte 1827, also noch vor der Inhaftierung der Studenten, sein Testament gemacht und darin erklärt: »ich vergebe allen Meinen Feinden; auch denen, die durch hämische Reden, Schriften oder durch absichtlich verunstaltete Darstellungen das Vertrauen Meines Volks, Meines größten Schatzes (doch Gottlob nur selten mit Erfolg), Mir zu entziehen, bestrebt gewesen sind«.23 Sein Sohn, Friedrich Wilhelm IV., begnadigte am 10. August 1840 »eingedenk des Königlichen Wortes der Verzeihung Meines in Gott ruhenden Vaters« alle, »welche während der Regierung Meines Vaters in Verkennung der ihrem angestammten Landesherren schuldigen Treue und Ehrerbietung des Hochverraths, des Landesverraths, der Majestätsbeleidigung, der Theilnahme an unerlaubten Verbindungen, der Erregung von Mißvergnügen gegen die Regierung sich schuldig gemacht haben«.24

Fritz Reuter war inzwischen zur »Abbüßung des Restes« der Strafe auf jahrelanges wiederholtes Ersuchen des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin der großherzoglichen Regierung 1839 ausgeliefert und am 21. Juni 1839 in der Festung Dönitz eingeliefert worden. Er wurde am 25. August 1840 durch den Großherzog Paul Friedrich aus der Festungshaft entlassen. Fritz Reuter hatte sich damit fast sieben Jahre in Haft befunden.

Das war Deutschland zur Biedermeierzeit.

Keine Diktatur, kein Unrechtsstaat?

Wer über den Richter dieses Terrorurteils, König Friedrich Wilhelm III., Auskunft in einem Lexikon sucht, wird z. B. im dtv-Lexikon kein Wort über den Prozeß gegen die 204 Studenten und die übrigen Maßnahmen der...

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