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E-Book

Einigkeit und Recht und Doofheit

Warum wir längst keine Dichter und Denker mehr sind

AutorThomas Wieczorek
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783426404461
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Was hält die deutsche Gesellschaft zusammen? Wird die Kluft zwischen reich und arm, intelligent und doof wirklich immer größer, und sind wir nicht alle schon längst in einem Strudel der allgemeinen Doofheit gefangen? Ob Bildungsbürger oder Ballermann, Brauchtumspatrioten oder Multikultispießer -sind sie alle »typisch deutsch« oder einfach nur »typisch dumm«? Bestsellerautor Thomas Wieczorek beweist in seinem neuen Buch einmal mehr, dass er mit seinen provokanten Thesen und Recherchen Diskussionen in Gang bringen kann. Gewohnt bissig und fundiert deckt er auf, wer beim Spiel mit der Dummheit wirklich die Fäden in der Hand hält ... Einigkeit und Recht und Doofheit von Thomas Wieczorek: aktuelle Debatten in den eBooks von Knaur!

Thomas Wieczorek (1953 - 2013) war Journalist und Parteienforscher. Nach einem VWL-Studium an der Freien Universität Berlin arbeitete er u.a. für die dpa und Reuters und als freier Journalist für die Frankfurter Rundschau, den Deutschlandfunk, den Südwestfunk sowie den Eulenspiegel. Thomas Wieczorek, der über 'Die Normalität der politischen Korruption' promovierte, war Autor mehrerer politischer Debattenbücher, darunter die Bestseller 'Die Dilettanten', 'Die verblödete Republik' und 'Die geplünderte Republik'.

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Leseprobe

Teil I
Borniert sein ist alles


1. Die Untertanen


Nicht zufällig gab es in Deutschland, anders als etwa in England, Frankreich oder den USA, keine bürgerliche Revolution. »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«, in Gestalt der parlamentarischen Demokratien von Weimar und Bonn, waren das Ergebnis verlorener Kriege. Duckmäuser und Radfahrer sind ebenso Attribute der Deutschen wie Herdentiere, Vereinsmeier oder Denunzianten.

Die Radfahrer: nach oben buckeln, nach unten treten


Im Jahre 1918 erschien Heinrich Manns bereits 1914 fertiggestellter Roman Der Untertan, in dem anhand eines Fabrikanten namens Diederich Heßling ein gewisser Typ Mensch in der damaligen deutschen Gesellschaft skizziert wird: obrigkeitshörig, feige, ohne Zivilcourage, Mitläufer, Konformist, Stammtischagitator und tyrannisches Familienoberhaupt. Heßling wird einerseits als launischer Despot dargestellt, dem die Hierarchie der Gesellschaft des wilhelminischen Kaiserreichs zur Macht verhilft, andererseits als Untertan, der von der Zugehörigkeit zu einem unpersönlichen Ganzen geprägt ist und unter ihm leidet.

1951 wird der Roman von Wolfgang Staudte mit Werner Peters in der Hauptrolle verfilmt. Beide, Regisseur und Hauptdarsteller, erhielten dafür den Nationalpreis der DDR. Staudtes Film wurde in der Bundesrepublik der Adenauer-Ära bezeichnenderweise erst 1956 und auch dann nur in einer um 11 Minuten gekürzten Fassung freigegeben. Erst etwa dreißig Jahre später wurde er auch ungekürzt gezeigt. 1971 schließlich produzierte der WDR den Untertan als 349 Minuten langes Hörspiel mit dem legendären Schauspieler Heinz Drache (»Edgar Wallace«, »Tatort«) als Heßling.

Nicht erst seit dem Hit »Ein ehrenwertes Haus« (1974) des gefühlten Deutschen, aber Österreichers Udo Jürgens ist klar, dass die feigen Duckmäuser und Intriganten in Deutschland keinesfalls ausgestorben sind.

Der militante Abschaum


Unvergessen ist der frenetische Applaus der Einwohner von Hoyerswerda für die faschistischen Banden, die im September 1991 Jagd auf Asylbewerber machten und ein Asylantenheim überfielen. Hier erschien der Übergang der Biedermänner zu den Neonazis besonders fließend.

Denn nicht nur Skinheads oder Neonazis, sondern auch viele »anständige Bürger« rotten sich gern zusammen, um über sozial schwächere Mitbürger zumindest verbal herzufallen, und sei es auch nur an den berüchtigten »Stammtischen«. Obwohl bezeichnenderweise der militante Ausländerhass vorwiegend in Regionen auftritt, deren Einwohner zum Teil noch nie einen leibhaftigen Ausländer gesehen haben, kann Xenophobie – die Angst vor allem und allen Fremden – hier keine Ausrede sein. Es handelt sich vielmehr um feigen Abschaum und die nicht weniger feigen und verachtenswerten Sympathisanten.

Ebendiese Mitmenschen aber schleimen sich bei der »Obrigkeit« ein und kuschen vor ihr: Das kann der uniformierte (!) Beamte ebenso sein wie der »Herr Papa«, der Adlige »von und zu« ebenso wie der »Herr Doktor« oder die Frau Landtagsabgeordnete.

Inwieweit dieses Duckmäusertum aus der Nazizeit, aus dem wilhelminischen Reich des 19. Jahrhunderts oder aus noch früheren Epochen von Generation zu Generation weitergereicht wurde, sei dahingestellt. Zu beobachten ist jedenfalls, dass beileibe nicht nur ältere Menschen ein ausgesprochen gestörtes Verhältnis zur Demokratie und ihren eigenen Rechten haben. So macht es für viele Untertanen keinen Unterschied, ob sie vor Gericht als Zeuge oder als Angeklagter auftreten sollen, und erst recht nicht, ob ihnen im Zivilprozess der Anwalt der Gegenseite droht oder ein ordentliches Gericht ein Urteil verkündet. Man will mit der Justiz schlicht nichts zu tun haben und ist zutiefst eingeschüchtert.

Die Loser


Eine logische Folge der duckmäuserischen Angst vor der Obrigkeit und den scheinbar höheren Kasten ist die Opferlamm-Mentalität, wie sie zum Beispiel Hans Fallada in seinem Meisterwerk »Kleiner Mann – was nun?« aus dem Jahre 1932 skizziert. Fallada beschreibt eindringlich und akribisch die damalige Rechtslage für das Arbeitsrecht – gemeint sind Gewerkschaften, Betriebsräte ebenso wie das Kündigungsrecht – sowie das sich innerhalb weniger Monate immer wieder ändernde Sozialrecht, vor allem die damalige Unterstützung für die Arbeitslosen. Der Roman bezieht seine brennende Aktualität aus der Tatsache, dass sich auch heute die Verlierer des Lebens – Hartz-IV-Empfänger und Obdachlose ebenso wie chronisch Kranke oder Alleinerziehende – dem Hass und dem Mobbing vieler »ehrbarer Bürger« ausgesetzt sehen. So ehrenvoll und gut gemeint es sein mag, wenn etwa Arbeitslose Kochrezepte für Hartz-IV-Empfänger zusammentragen, so läuft dies letztlich doch darauf hinaus, sich mit menschenunwürdigen Bedingungen abzufinden, statt gegen sie zu kämpfen. Und von diesen Kochrezepten bis zur Häme des damaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin, der den Hartz-IV-Empfängern einen Speiseplan für täglich 4,25 Euro vorschlug, ist es wirklich nur ein kleiner Schritt.

Und auch Schlager wie Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere von Marie Nejar und Peter Alexander von 1952 hatten natürlich weniger mit Sozialkritik zu tun als mit einem Appell an die kleinen Leute, sich mit ihrem minderen Status abzufinden.

In diesen Rahmen fallen auch die zahlreichen Reisesendungen wie das kürzlich ausgelaufene Voxtours oder Länder – Menschen – Abenteuer auf Phoenix. Diese sollen beileibe nicht in erster Linie dem Normalbürger zur Information oder Reisevorbereitung dienen, sondern vor allem den Ärmeren als Ersatz für eine – für sie unbezahlbare – Reise selbst: Während die parasitären Reichen und Schönen – nicht zu verwechseln mit den echten Leistungsträgern der Gesellschaft – mal eben zum Frühstück nach Rom und zum Shopping nach Mailand düsen, dürfen die Loser Roma und Milano wenigstens vor der Glotze bestaunen und in einigen taktlosen Berichten sogar, wie es sich die »Eliten« dort bei Champagner, Hummercocktail und Scotch mit extra für sie eingeflogenen Alaska-Eiswürfeln gutgehen lassen.

Nicht nur für die Ossis wurde so die lang ersehnte Reisefreiheit zu einem »Muster ohne Wert«: Mallorcas Ballermann 6 oder Antalya, na schön, vielleicht sogar Tunesien oder die Dominikanische Republik – aber auch hier sind die Loser weitgehend unter sich: wie früher die DDR-Bürger am ungarischen Balaton, am bulgarischen Goldstrand oder im rumänischen Mamaia.

Sogar im Urlaub werden also die Verlierer ausgegrenzt, zu denen man mittlerweile getrost auch die Mittelschicht rechnen darf. Das Problem ist aber keineswegs, dass die einen mehr verdienen als die anderen: Zum einen wird man heutzutage nur in Ausnahmefällen durch ehrliche Arbeit reich, sondern meist durch Heirat, Erbschaft oder leistungsloses Einkommen in Form von Aktien oder anderem Kapitalbesitz. Zum anderen scheinen sich die »Betrogenen« mit ihrem Los als Menschen zweiter Klasse abzufinden.

Die Allesbefolger


Nachts an einer roten Ampel in einer leergefegten Innenstadt. Weit und breit weder Mensch noch Auto zu sehen. Dennoch wartet der deutsche Duckmäuser geduldig, bis die Ampel Grün zeigt. Legendär ist auch die deutsche Untertanenbürokratie am Hindukusch: Die Bundeswehrtruppen in Kabul mussten sich beispielsweise im Jahre 2003 erst umständlich vom Dosenpfand befreien lassen.[6]

Aber auch bei anderen Bestimmungen weiß man nicht, ob man lachen oder sich an den Kopf fassen soll. So verlangen die Hygienevorschriften, dass Küchenräume in Betrieben glatte, leicht zu reinigende Bodenfliesen haben müssen. Zugleich fordern die Unfallverhütungsvorschriften aber in denselben Räumlichkeiten aus Sicherheitsgründen gerippte Fliesen.[7]

Wohin hirn-, kritik- und charakterlose Befolgung von Anordnungen und Befehlen führt, zeigte der Fall des in Israel wegen millionenfachen Mordes verurteilten und 1962 hingerichteten ehemaligen SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann, der als Leiter der für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zuständigen Abteilung des Reichssicherheitshauptamtes zentral mitverantwortlich war für die Ermordung von schätzungsweise sechs Millionen Menschen. Während des gesamten Prozesses verteidigte er sich immer wieder damit, er habe nur auf Befehle hin nach dem sogenannten Führerprinzip gehandelt und sich somit nicht im juristischen Sinne schuldig gemacht. Auch sei er nie direkt an der Ermordung oder Deportation von Menschen beteiligt gewesen, sondern habe lediglich als »Rädchen im System« Befehle weitergegeben.

Fähnlein im Wind: die Opportunisten


Ganz ähnlich den Allesbefolgern ticken die Opportunisten.Die ungekrönte Königin des Opportunismus ist zweifellos Angela Merkel. Nach dem Examen 1978 (Promotion 1986) arbeitet sie bis 1990 am Institut für Physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften Berlin und wird...

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