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Einigkeitsdiskurse

Zur Inszenierung von Konsens in organisationaler und öffentlicher Kommunikation

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl237 Seiten
ISBN9783531914251
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR


Prof. Dr. Stephan Habscheid lehrt Germanistik/Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Siegen.
Prof. Dr. Clemens Knobloch lehrt Sprachpsychologie, sprachliche Kommunikation und Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft an der Universität Siegen.

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Leseprobe
Gemeinschaft ohne Solidarität: Zur paradoxen Grundstruktur der „Du bist Deutschland"- Kampagne (S. 154-155)

Werner Holly (Chemnitz)

1. „Du bist Deutschland": die Kampagne als Prototyp einer Einigkeitsinszenierung

Kampagnen können als moderne Form gelten, durch den kommunikativen Einsatz von Massenmedien öffentliche Unterstützung strategisch zu organisieren (Baringhorst 1998): für politische Einstellungen, Programme und Akteure (Wahlkampagnen), für den Absatz von Waren und Dienstleistungen (Werbekampagnen), für wohltätige Zwecke (Benefizkampagnen) oder etwa für ethisch und rational erwünschte Verhaltensweisen (Aufklärungskampagnen). Zusätzlich zur nahezu ubiquitären Berieselung, der man als Konsument und Bürger in Gestalt politischer und kommerzieller Werbung in expliziter oder impliziter Form ausgesetzt ist, werden hier kräftigere Duschen verabreicht, und zwar durch eine Verstärkung und Bündelung von kommunikativen Maßnahmen. Kampagnen sind gängige Strategien, wenn ein Thema oder ein Produkt neu lanciert werden soll oder wenn die Bürger und Konsumenten vom Dauerkampf um Aufmerksamkeit (Franck 1998) ermüdet sind, wenn ihr Engagement oder ihre Kauflust erlahmen, so dass Trägheit überwunden werden muss – oder aber, weil erwartete Akzeptanz hartnäckig ausbleibt.

Als ab 26. September 2005 die ersten Plakate und Werbespots der „Du bist Deutschland"-Kampagne zu sehen und hören waren, wussten die meisten Rezipienten zunächst nicht recht, worauf eigentlich gezielt wurde, wer dahinter stand und was genau man eigentlich tun oder denken sollte. Während gewöhnlich politische, kommerzielle oder karitative Werbung und sogar allgemeine PRAktionen auf relativ leicht durchschaubare perlokutionäre Effekte aus sind – man soll jemanden wählen oder gut finden, etwas kaufen, glauben oder spenden oder sonst etwas tun oder lassen –, blieben hier die Akteure, die Ziele, ja sogar die Bezugswelten oder kommunikativen Domänen, in denen man sich befand, einigermaßen im Vagen, jedenfalls bei werbungstypischer unkonzentrierter Rezeption: Ging es um Politik, Kommerz, Soziales, um Alltag oder die großen Linien der Lebensführung?

Bei näherem Hinsehen erwies sich die Kampagne aber durchaus als politisch, denn es wurde doch rasch deutlich, dass Akzeptanz für Grundideen der umstrittenen „Agenda 2010"-Politik geschaffen werden sollte. Allerdings – und das ist das eigentlich Verblüffende – handelte es sich nicht um ein Stück Regierungspropaganda, sondern um das Werk einer so genannten Initiative „Partner für Innovation", die unter der Ägide der Bertelsmann AG und deren damaligem Vorstandschef, Gunter Thielen, 24 große Medienunternehmen (auch die öffentlich- rechtlichen ARD und ZDF) zusammenführte.

Der Zusammenhang mit der „Agenda 2010"-Politik war jedoch nicht explizit, man suchte im Gegenteil Abstand von allzu direkten parteipolitischen Bezügen und verschob deshalb sogar den Start der Kampagne auf die Zeit nach der (vorgezogenen) Bundestagswahl (18. September 2005). Zwar sind politische Kampagnen in den Medien nichts Ungewöhnliches, aber normalerweise sind sie entweder versteckt als Tendenz im redaktionellen Teil zu vermuten (Kampagnenjournalismus) oder erscheinen offen im Anzeigenteil als bezahlte Werbung außermedialer Auftraggeber. Dass nun Medienunternehmen selbst als politische Akteure einer PR-Kampagne auftraten, hatte insofern eine neue Qualität und war nur legitimierbar im Gewand einer „parteiübergreifenden", quasi „unpolitischen" Zielsetzung.

In der Selbstbeschreibung (aus dem Pressematerial der Kampagne, s. www.dubistdeutschland.de) ist entsprechend die Rede von sehr allgemeinen, gewissermaßen soziokulturell zu nennenden Aspekten des Verhaltens- und Meinungsspektrums, die aber im Kontext doch unmittelbare politische Relevanz haben: Auf dem Hintergrund einer jahrelang öffentlich diagnostizierten Stimmung von Mutlosigkeit und Depression sollte nun die „Initialzündung einer Bewegung für mehr Zuversicht und Eigeninitiative" erfolgen, eine „Aufbruchsstimmung" sollte geschaffen werden (ebd.).
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Zur Einführung in den Band8
Literatur17
I. Diskurs, Begriff, Interaktion: Theoretische und methodologische Ansätze19
Zum Anteil des flexiblen Normalismus an der medialen Konsensproduktion20
1. Normalität: Grundlagen20
2. Protonormalismus und flexibler Normalismus22
3. Interdiskursives Mainstreaming23
4. Kopplungen26
5. Dissidenzprobleme26
6. Akzeptanz und Rückkopplung27
7. Die „mittlere Geschichte“29
8. Das „Fun-and-Thrill“-Band30
9. Demographische Engführung30
10. Programmatischer Konsens31
Literatur32
Staging Politics in Television: Fiction and/or Reality?33
1. Introducing the problem33
2. Staging politics35
2. The Construction and Representation of Everyday Politics in the Media40
4. Constructing the modern hero44
5. Conclusions53
Literature54
Einigkeit und Einheit: Zur Semantik zweier deutscher Leitbegriffe58
1. Vorab58
2. Zwei Begriffe, viele Bedeutungen59
3. Die schwierige Einheit63
4. Einigkeit als nationale Tugend64
5. Notwendige Vielheit66
6. „Einigkeit und Recht und Freiheit“67
Literatur68
Globalisierung und Reform: Die Hegemonie des Globalisierungs- und Reformdiskurses am Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung69
1. Einleitung69
2. Der Globalisierungs- und Reformdiskurs in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung84
3. Fazit und Ausblick102
Literatur112
Kulte, Kommunikation, Konsens-Inszenierungen115
1. ‚Nicht-diskursive‘ Konsensbildung durch Kulte115
2. Zu René Girards „mimetischer Theorie“118
3. „Nachahmungsnachahmung“ als Kern einer Kommunikationstheorie120
4. Konsequenzen123
Literatur124
Die Ordnung des Wettbewerbs: Zum interaktionalen Vollzug von Handel auf Kunst- und Antiquitätenauktionen125
1. Einleitung125
2. Einrichtung des Wettbewerbs: Die Etablierung der Protagonisten128
3. Verdeutlichen der Authentizität von Geboten134
4. Legitimierung des Verkaufs140
5. Die Erschaffung von Märkten: Institutionelle Formen und interaktionale Praxis144
Danksagung148
Literatur149
II. Öffentlichkeit, Organisation, Alltag: Empirische Fallstudien und Anwendungen151
Gemeinschaft ohne Solidarität: Zur paradoxen Grundstruktur der „Du bist Deutschland“- Kampagne152
1. „Du bist Deutschland“: die Kampagne als Prototyp einer Einigkeitsinszenierung152
2. Der Text des „Manifests“ der Kampagne und seine filmische Umsetzung: ein intermedialer Komplex von transkriptiven Bezugnahmen156
3. „Volkskörperrhetorik“ statt Ohnmacht162
4. „Soft-Nationalismus“ statt Ungleichheit164
5. „Leistungsmythos“ statt Unsicherheit167
6. Fazit und Schlussbemerkung170
Literatur172
Die sprachliche Inszenierung von Konsens in Organisationen: Qualitative Befunde zu Mitarbeiterzeitungen174
1. Einleitung: Zwei Bilder von Führung174
2. Führung, Konflikt und Konsens als Grundtopoi der Organisationstheorie176
3. Von der fordistischen zur postfordistischen Konstellation179
4. Gegenstand der Analyse und Anmerkungen zur Methodik181
5. Konsensinszenierung in den MAZ – qualitative Befunde185
Literatur199
The Influence of Collective Orientation Patterns on Internal Business Communication204
1. Introduction204
2. The data205
3. The reintroduction of uncertainty and flexibility205
4. Bureaucratization and failure210
5. Identity management and chaos214
6. Summary and discussion218
Literature220
Organizational Change: Creation of Consensus and Prevention of Conflict through Guided Communication and Participation222
1. Change, Conflicts of Interest, Cultures of Interaction222
2. A Tool for Designing Consensus-Supporting Communication Processes223
3. Stages of the Communicative Procedure225
4. Moderation, Mediation, Creation of Consensus: The Stage of Operational Communication as the Main Component of the Participative Process226
5. Conclusion235
Appendix236
Literature236
Über die Autorinnen und Autoren238

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