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E-Book

Electri_City

Elektronische Musik aus Düsseldorf

AutorRudi Esch
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783518734681
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
So wie New Orleans für Jazz und Blues gilt das Düsseldorf der 1970er und 80er als Mekka der elektronischen Popmusik. Hier schraubte »Kraftwerk« im legendären Klingklang-Studio an Klassikern wie »Autobahn« oder »Wir sind die Roboter«, hier schuf »Neu!« den Motorik Beat, hier brachte »DAF« den Sequenzern das Schwitzen bei. Und je größer der Abstand, nach Kilometern wie nach Jahren, umso mythischer erscheint der Ort. Rüdiger Esch, selbst Düsseldorfer und als Mitglied von »Die Krupps« Teil der Szene, beleuchtet deren Entwicklung von den Anfängen um 1970 bis zum Ende der analogen Phase um 1986. Und zwar sowohl von innen, als Spur aus exklusiven O-Tönen ihrer Protagonisten wie Wolfgang Flür (»Kraftwerk«), Bodo Staiger (»Rheingold«), Gabi Delgado (»DAF)«, Jürgen Engler (»Die Krupps«), Ralf Dörper (»Propaganda«), wie zugleich von außen, in exklusiven Statements von Giorgio Moroder, Ryuichi Sakamoto, Andy McCluskey (»OMD«), Martyn Ware (»The Human League«), Glenn Gregory (»Heaven 17«) u. v. a. nebst Dokumenten aus der Rezeptionsgeschichte. So wird sowohl die Wirklichkeit des Mythos wie die Wirklichkeit hinter dem Mythos sichtbar, die Weltmetropole des Modernismus genauso wie das Dorf in Düsseldorf.

<p>Rudi Esch, geboren im August 1966 in Du?sseldorf, studierte Philosophie mit Schwerpunkt Ästhetik und gru?ndete 1986/87 eine Band mit <em>Neu!</em>-Drummer Klaus Dinger. Seit 1988 ist er Bassist der Elektronikband <em>Die Krupps</em>, Mitglied der Punkband <em>Male </em>und des Studioprojekts <em>MakroSoft</em>. Esch arbeitet als Autor, Musiker und Music Consultant in London und lebt mit seiner Familie auf Graceland im Su?den von Du?sseldorf.</p>

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Leseprobe

INTRO


ELECTRI_CITY – die elektronische Stadt – das ist Düsseldorf.

Es ist ein globaler Mythos, der von Detroit bis Tokyo, von London bis Madrid, musikalisch immer Düsseldorf als Ursprung elektronischer Musik benennt. Hier an der kleinen Düssel fing es an. Hier ist die Quelle der elektronischen Musik. So wie die Düssel in den Rheinstrom mündet, so entstanden bald aus kleinen Quellen der Inspiration gewaltige neue Strömungen der neuzeitlichen Musik. Analog zum Namen Düssel, der etymologisch »brausen, rauschen, tosen« bedeutet, war ein Brausen und Rauschen sehr wohl auch in unseren ersten Elektroklängen zu vernehmen. Gefolgt von einem ungeheuerlichen Tosen, welches in der Musikwelt losbrach, als wir unsere musikalischen Ideen nur noch in rein elektronischer Form und in nüchtern gestalteten Plattencovern auf den Markt brachten. Also seit der Veröffentlichung von Autobahn im Jahre 1974, in Worten: Neunzehnhundertvierundsiebzig, vor einer halben Ewigkeit.

Der Rhein, der magische Strom, dessen Ufer um Düsseldorf stark besiedelt und industrialisiert sind, dient als Anziehung und Antrieb zugleich. Eine enorme Schaffenskraft scheint von ihm auszugehen; und wie sich sein Flussbett verbreitert und er in die Nordsee mündet, so verbreiteten sich die Strömungen, die besagten Mythos nährten: Industrial, Synthiepop, EBM, Techno, House, Electronica, Ambient, Drum ’n’ Bass, Trip-Hop, Jungle, Dubstep. Immer eine Musik, die tanzbar bleibt und konventionelle Songstrukturen über Bord wirft. Basierend auf unserer eigenen Musik, die die Technik und den noch zu erfindenden Computer in den Mittelpunkt rückte, den Musiker zum Künstler und den Technokraten zum Popstar machen konnte. Es klingt selbst für mich, der ich dabei gewesen bin, ziemlich unglaublich, fast wie ein modernes Märchen; aber in unseren Proberäumen, Studios und WGs entstand der Sound, der um die Welt gehen sollte.

Es war schon eine fantastische Zeit, in der alles möglich schien. Mit den ersten Synthesizern kamen Instrumente auf den Markt, die nach neuen Wegen in der Musik verlangten. Du musstest keine musikalische Ausbildung mehr genossen haben, um sie zu bedienen, und eine musikalische Virtuosität wurde bestenfalls durch einen tüftlerischen Wissensdurst ersetzt. Plötzlich konnte jeder Musik machen. Dies hatte einerseits großen Einfluss auf unser Selbstverständnis und die Musik, aber uns andererseits auch den Ruf der Knöpfchendreher eingebracht. Obwohl es nach wie vor großartige Musiker auch in unseren Reihen gab. Ob wir uns bewusst waren, was wir damit in Bewegung setzten? Ich glaube kaum. Tatsache ist, dass eine kleine Gruppe von Leuten, völlig unabhängig voneinander, nur aus dem gleichen Umfeld, der gleichen Stadt kommend, versuchte, etwas völlig Neues zu kreieren. Wir haben bewusst angefangen mit der Musik der Alliierten zu brechen und eine europäische Identität zu suchen. Wir wollten der angloamerikanischen Musikübermacht etwas entgegensetzen, das so erschreckend deutsch sein würde, dass man uns dafür geliebt hat. Das war ein komisches Gefühl.

Es waren die Tage des Krautrock, der kosmischen Musik, des Progrock und der Elektronikpioniere in München, Berlin und Düsseldorf. Es waren die Tage der Außerparlamentarischen Opposition, der olympischen Sommerspiele und der Kaufhausbrände; der langen Haare, psychedelischen Drogen und Anti-Baby-Pillen. Die Tage der Studenten, Revolten und Aufstände; Tage mit Uschi Obermaier, Amon Düül, Benno Ohnesorg und Cluster oder Can. Der Baader-Meinhof-Gruppe, Bowie, Böll, Fassbinder und Visconti – eine aufregende Zeit zwischen Mogadischu, Mao und dem Mahavishnu Orchestra … und dazwischen wir, Ralf, Florian, Karl und ich, die wir langsam kurzhaariger und zunehmend selbstbewusster wurden, die wir vor allem das Unmögliche taten: uns Anzüge kauften und Krawatten umbanden.

So machten wir den größtmöglichen Eindruck in England und auch auf unserer Amerikatournee im Jahre 75. Natürlich war das Publikum ein wenig verstört von dem, wie wir uns dort auf der Bühne präsentierten, so fernab jeglicher Rockklischees, aber alles in allem waren wir überrascht, wie gut wir vier Krauts im fernen Ausland ankamen. So wie die Amerikaner den Rock ’n’ Roll, den Swing und Blues zu uns gebracht und die Jugend fieberhaft angesteckt hatten, hatte unsere Musik ganze Generationen von englischen Musikern infiziert: Ultravox, OMD, Joy Division, Human League, Heaven 17, Depeche Mode, Visage, Gary Numan, ja selbst David Bowie war nach eigenen Angaben geprägt und inspiriert von Bands wie Kraftwerk, Neu! oder La Düsseldorf.

Hiermit erscheint zum ersten Mal ein Buch, das nicht allein von Kraftwerk als den elektronischen Heilsbringern, sondern von Düsseldorf als Wiege der elektronischen Musik erzählt. Mir als ehemaligem Musiker des elektronischen Quartetts schmeichelte die verkürzte Formel, die elektronische Musik aus Düsseldorf immer schnell mit Kraftwerk gleichsetzte; und sicherlich waren Kraftwerk wichtig und zentral, aber es gab auch ein Davor und ein Dagegen, ein Drumherum und ein Danach, vom Drunter und Drüber ganz zu schweigen! Hier gab es Musiker wie Klaus Dinger und Michael Rother, Eberhard Kranemann, Wolfgang Riechmann und Bodo Staiger, Bands wie Rheingold, DAF, Liaisons Dangereuses, Propaganda und all die anderen – und es gab vor allem Conny Plank, der viele von ihnen entdeckt und sie fast alle produziert hat. Deshalb führen die Spuren nicht nur ins Kling Klang Studio, sondern auch nach Wolperath, ins Weserbergland, nach Wuppertal, in den Ratinger Hof und in die weite Welt. Hierin geht es um den Tenor einer Stadt, um ein elektronisches Lebensgefühl und um die Bands der nachfolgenden Generation, die selbstbewusst ihre Sequenzer gegen uns richteten und so kraftvolle Musik machten, dass bald jeder von ihnen sprach: DAF, Der Plan und Die Krupps.

Rüdiger Esch ist diesen verzweigten, teils verzwickten Spuren erstmals umfassend gefolgt. Er dokumentiert die Geschichte der elektronischen Musik von ihren Anfängen um 1970 bis zum Ende der analogen Phase gegen Ende 86. Er erzählt keine einzelnen Bandgeschichten. Hier wird die Geschichte einer Stadt in einem vielstimmigen Kanon inszeniert. Es ist nur folgerichtig, dass er sie von denen erzählen lässt, die sie geschaffen und erlebt haben. Wir treffen die offensichtlichen und die geheimen Helden, die Visionäre und die Macher, die Feingeister, Freidenker, Großmäuler und Rocker. Die Pioniere, Tüftler, Dandys, Fans und heiligen Irren – alles bunt durchmischt, teils quer durch einzelne Personen.

Wie immer bei Mythen mischt sich viel Wahres mit viel Erfundenem, vieles Authentische mit maßloser Übertreibung. Hier seziert Esch ganz genau. Wirkten Bands aus Düsseldorf zu ihren besten Zeiten, und aus der Ferne betrachtet, übermächtig, so wird unter dem Brennglas eine jede auf ein vernünftiges Maß reduziert. Es geht auch um die kleinen Geschichten, die, ob der Gegenwart des Mystischen, oft zu verblassen drohen. Wahrscheinlich liebt der Düsseldorfer die große Geste so sehr wie seine heimatverbundene Larmoyanz, denn hier gibt es Bands, die ihre Herkunft als Geschenk betrachten und als zwingenden Verweis die Stadt im Namen führen: La Düsseldorf. Neben aller Größe ist es das Dörfliche, nein, nicht das Provinzielle, das das Leben hier so lebenswert macht.

Mit der Akademie und den klangvollen Namen des Kunstbetriebs – von Beuys und Richter zu Lüpertz und Immendorff – bietet die Stadt die Kulisse für die vielen international erfolgreichen Bands. Eher zufällig gefällt man sich in der modernistischen Sachlichkeit und einer Gründlichkeit, die im Ausland geschätzt und als typisch deutsch erkannt wird. Wir erleben den Modernismus, Futurismus und Industrialismus, den Style und Glam, der die Electri__city prägt, aber auch die soziale Realität dahinter. Wir erleben Düsseldorf als Weltstadt und als Dorf, als Ort der Kunst, der Mode und des rheinischen Laisser-faire. Gerade wenn man selbst dabei war, wundert man sich oft, was andere in dieser Stadt so alles sehen. Was hier alles passiert sein soll. Umso spannender ist es, nun die Wirklichkeit hinter dem Mythos sichtbar zu machen. Die verschleiernden Komplimente einer Überprüfbarkeit zu unterziehen.

Rüdiger Esch hat sie gefragt, und sie geben lebendig und begeisternd Auskunft; nur wenige wollten lieber schweigen, um so aus der Ferne noch heller zu strahlen. Andere, wie Riechmann, Plank und Dinger, sind längst tot, aber werden in den Gesprächen wieder lebendig. Erstmals gewinnt das Bild der Elektronikhauptstadt klare Konturen. Die Welterfolge und Blaupausen, aber auch die Flops und Abstürze; die Allianzen und Gemeinsamkeiten, aber auch die Brüche und Dissonanzen – nichts bleibt dem Leser vorborgen. Während musikalischer Umbrüche, wie dem vom Kraut zum Punk, sind es Kontinuitäten wie Plank und Dinger, sind es diese Konstanten, ja, eigentlichen Hauptfiguren, die einem den Weg durch die sechzehn Jahre bahnen.

Rüdiger ist als gebürtiger Düsseldorfer für dieses Buch prädestiniert. Er ist nicht nur selbst Teil der Musikszene, sondern hat auch altersbedingt genügend Abstand zum Sujet. Er hat viele internationale Stimmen für dieses Buch eingefangen, um den Gesprächen aus dem Dorf eine Außensicht zu geben. Er befragte die englischen Bands, die sich initial mit Musik aus...

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