EINLEITUNG
Auf der Suche nach einem «wahrheitsgetreuen»
Bild der Eleonore von Aquitanien
Eleonore von Aquitanien (1124–1204) ist die berühmteste Königin des gesamten Mittelalters und eine der Frauengestalten der Geschichte, um die sich die meisten Sagen ranken. Von legendärer Schönheit und mit einem willensstarken und temperamentvollen Naturell begabt, ist sie mit Kleopatra, der viel gerühmten ägyptischen Pharaonin, Königin Elisabeth I. von England und anderen Herrscherinnen verglichen worden. Eleonore war stolzer Sprössling einer erlauchten Dynastie, der Herzöge von Aquitanien, Nachfolger karolingischer Könige von Aquitanien und Herrscher über das größte Herzogtum auf dem Boden Frankreichs. Eleonores Großvater war Wilhelm IX., der «Troubadour-Herzog», dessen Versdichtungen in ganz Europa berühmt wurden. In ihren Jugendjahren bekam Eleonore den in ihrer Familie ausgeprägten Sinn für die eigene dynastische Würde als Nachfolgerin der karolingischen Könige eingeimpft, und so vergaß sie nie, dass ihre Dynastie nach der königlichen Familie die vornehmste in Frankreich war, deutlich angesehener etwa als die der Plantagenets.
In erster Ehe verheiratet mit dem König von Frankreich, in zweiter mit dem König von England und Mutter dreier englischer Könige, ist Eleonore eine überlebensgroße Figur der Geschichte, eine lebende Verkörperung der Extreme Hass und Liebe. Nach den Strapazen des Zweiten Kreuzzuges, den sie mitmachte, kehrte sie ihrer unbefriedigenden Ehe mit Ludwig VII. von Frankreich den Rücken und wählte den jungen Heinrich Plantagenet zu ihrem zweiten Mann. Der Herzog von Anjou und der Normandie war Anwärter auf die englische Krone, die ihm dann auch keine drei Jahre nach der Heirat mit Eleonore zufiel. Durch diese Heirat wurde Eleonore zu einer Schlüsselfigur für die von Heinrich betriebene Zusammenlegung der im Besitz der Familie befindlichen Territorien zum sogenannten Angevinischen Reich. Als auch diese Ehe für Eleonore zur Enttäuschung wurde, weil sich die Beziehung zu Heinrich konfliktreich und turbulent gestaltete, stiftete sie ihre Söhne zum Aufbegehren gegen ihren Vater an, wofür Heinrich sie 15 Jahre lang unter Hausarrest stellte. Nach Ablauf dieser Zeit wieder auf freiem Fuß, übernahm Eleonore eine bedeutsame politische Rolle im Regierungsapparat ihrer beiden überlebenden Söhne Richard Löwenherz und Johann Ohneland. Diese Jahre gehörten zu den schwierigsten und ereignisreichsten, aber auch befriedigendsten ihres Lebens. Ihr Leben als langjährige Ehefrau Heinrichs II. und Mutter seiner streitbaren Söhne lieferte ein Drama, das «direkt der Phantasie eines mittelalterlichen Autors von Schicksalsromanen entlehnt» hätte sein können.[1] Keine andere Königin des Mittelalters kann eine Lebensgeschichte vorweisen, die der von Eleonore an Dramatik auch nur annähernd gleichkäme, was zur Folge hatte, dass sich nicht nur in ihrer Epoche, sondern auch noch im 20. Jahrhundert zahlreiche Autoren mit ihr beschäftigten und dass in all den seit ihrem Tod 1204 verstrichenen Jahrhunderten Gerüchte und Mythen über sie ins Kraut schossen.
Auf der einen Seite steht Eleonore von Aquitanien stellvertretend für die Probleme einer ehrgeizigen und fähigen Frau in einer mittelalterlichen Gesellschaft, auf der anderen Seite hatte ihr Leben eine über ihre individuelle Geschichte hinausreichende Bedeutung. Ihre Lebensspanne von 80 Jahren schließt viele wichtige Momente der mittelalterlichen Geschichte ein, Wendungen, an die sie sich auch angesichts der Tatsache, dass sich ihre Situation des Öfteren schlagartig änderte, immer wieder anpassen musste. Die Rolle, die Eleonore ausfüllen musste, wandelte sich praktisch alle zehn Jahre. Mit 13 als Erbin eines großen Herzogtums zur Braut Ludwigs VII. von Frankreich gekürt, wurde sie bald die wichtigste Ratgeberin ihres ebenfalls noch jungen Mannes und begleitete ihn auf dem Zweiten Kreuzzug. Nachdem sie diesen haarsträubenden Gewaltmarsch durchgestanden hatte, geriet sie im Heiligen Land in den Brennpunkt eines durch Gerüchte über angebliches sexuelles Fehlverhalten angefachten Skandals. Diese bösartigen Gerüchte folgten ihr auf dem Rückweg nach Frankreich und führten zur Auflösung ihrer Ehe mit dem französischen König nach 15 Jahren. Ihre postwendende Eheschließung mit dem jungen Heinrich von Anjou gab dem Skandal neue Nahrung. Zwei Jahrzehnte lang nahm Eleonore am glanzvollen Hof des wichtigsten europäischen Monarchen des 12. Jahrhunderts, ihres zweiten Gatten, König Heinrichs II. von England, eine herausragende Stellung ein. Stets dessen eingedenk, dass sie als Erbin des Herzogtums Aquitanien eine große Macht repräsentierte, ging sie in ihren beiden Ehen, der ersten mit Ludwig VII. und der zweiten mit Heinrich Plantagenet, davon aus, dass sie Anspruch auf eine besondere Autorität als Königin und Herzogin und auf einen partnerschaftlichen Anteil an der Macht hatte. Diese willensstarke Erbin des Throns von Aquitanien fühlte sich berufen und berechtigt, ihr eigenes Herzogtum zu regieren, und war entschlossen zu verhindern, dass es seiner eigenen Identität beraubt und in das Reich ihres ersten oder das ihres zweiten Gatten eingegliedert würde.
Ihrem eigenen Anspruch nach legitimiert dazu, Macht auszuüben, kam die Königin-Herzogin diesem Ziel im Verlauf ihrer Ehe mit Heinrich II. sehr nahe. In einer Zeit, in der sie neun Schwangerschaften hinter sich brachte, amtierte sie in England als Regentin, in Vertretung Heinrichs, der in den bedeutsamen Anfangsjahren seiner Regierungszeit immer wieder für längere Zeiträume abwesend war. Danach kehrte sie für einige Jahre nach Poitiers zurück, um in Aquitanien nach dem Rechten zu sehen, bis sie sich der Rebellion ihrer Söhne gegen den Vater anschloss, ein Schritt, der ihr Negativimage noch einmal verstärkte. Hin- und hergerissen zwischen ihrem Ehegelöbnis, ihrem verletzten Stolz, ihren Ängsten um die Zukunft ihres Herzogtums und ihrer Identifizierung mit den Ambitionen ihrer Söhne, ging sie weiter als jede andere unglückliche Ehefrau aus hohem Hause, indem sie buchstäblich Krieg gegen den eigenen Ehemann führte. Nach ihrem Aufbegehren gegen Heinrich kehrte sie als Gefangene nach England zurück und musste 15 Jahre Hausarrest erdulden. Zu ihrem Glück konnte ihr Mann es nicht wagen, sie zu töten, weil seine Beteiligung an der Ermordung Thomas Beckets ihm schon schwer genug zu schaffen machte. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1189 kam Eleonore endlich frei und konnte in den Regierungszeiten ihrer beiden überlebenden Söhne noch ein aktives und einflussreiches Leben führen, in dem sie endlich die politische Bedeutung erlangte, die sie immer gewollt hatte. Sie hielt das Reich von Richard Löwenherz zusammen, während er den Dritten Kreuzzug mitmachte und als Gefangener in Deutschland saß; mit über 70 Jahren, in einer Lebensphase, in der die meisten Herrscherwitwen sich auf ein Landgut oder in ein Kloster zurückgezogen hätten, reiste sie durch halb Europa, um sich für ihren Sohn Richard einzusetzen. Nach seinem Tod kämpfte sie für die Sicherung der Thronfolge ihres letzten überlebenden Sohnes. Wenige Jahre bevor sie 1204 im Alter von 80 Jahren starb, warf sie sich noch ein letztes Mal politisch in die Bresche, um ihre Untertanen in Poitiers für den in Bedrängnis geratenen König Johann zu mobilisieren.
Die Hingabe, mit der sich Eleonore von Aquitanien als Witwe der Aufgabe verschrieb, das von ihrem gehassten Mann zusammengezimmerte Herrschaftsgebiet für ihre Söhne zusammenzuhalten, straft das Urteil vieler Historiker Lügen, sie sei eine «wesensmäßig frivole Frau» gewesen, deren Leben aus einer Abfolge von Skandalen bestanden habe.[2] Tatsächlich verdient die Rolle, die sie ihr Leben lang auf der machtpolitischen Bühne spielte, einen herausragenden Platz in ihrer Biografie. Leider sind viele Autoren der Neuzeit dem Beispiel ihrer mittelalterlichen Vorläufer gefolgt und haben dem Handeln Eleonores persönliche, nicht politische Beweggründe unterstellt. Eleonore war eine Frau, die um die Freiheit kämpfte, die Weichen ihres Lebens selbst zu stellen wusste und die zweimal in der Erwartung heiratete, einen Partner zu gewinnen. Als sich diese Erwartung nicht erfüllte, hatte sie den Mut, aufzubegehren und ihren eigenen Weg zu gehen. Die Gesellschaften des 12. Jahrhunderts sprachen Frauen die Fähigkeit weitgehend ab, Macht auszuüben, und konnten oder wollten Eleonores Freiheitsanspruch nicht tolerieren. Ihr Verlangen nach Unabhängigkeit löste Ängste, Abscheu und Hass aus, ein Nährboden für hässliche Gerüchte über angebliche sexuelle Ungeheuerlichkeiten im Verlauf ihrer beiden turbulenten Ehen, Gerüchte, die bis heute ihren Ruf beschädigen, obwohl es ihnen an Substanz fehlt. Eleonore wagte viel, und der Preis, den sie für ihr Aufbegehren gegen Konventionen und religiöse Lehren bezahlte, war eine «schwarze Legende», die im Verlauf des Zweiten Kreuzzuges gestrickt wurde und ihr für immer anhaftete.[3] Als das 13. Jahrhundert anbrach, war der Ruf Eleonores so ruiniert, dass sich sogar...