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E-Book

Endlich frei von Rückenschmerzen

Psychische Einflussfaktoren und Therapiemöglichkeiten

AutorAndré Matthias Müller, Josef Galert, Sven Schneider
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783656523444
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Volkskrankheit Rückenschmerzen - viele Menschen leiden darunter. Die meisten Rückenpatienten sind mehrmals in ihrem Leben wegen unerträglicher Schmerzen in Behandlung. Bei vielen wird die Ursache nie gefunden, die klassische Medizin versagt. Doch die Psyche spielt häufig eine entscheidende Rolle. Dieses Buch betrachtet Rückenschmerzen hauptsächlich aus psychologischer Sicht. Zunächst werden grundsätzliche Erklärungsansätze vorgestellt im Anschluss widmen sich die Autoren dem Einfluss des Kohärenzgefühls. Außerdem stellen sie psychologische Therapiemöglichkeiten vor. Aus dem Inhalt: Risikofaktoren, Erklärungsansätze, Kognitiver Verhaltensansatz, Kohärenzgefühl, Interventionsmöglichkeiten

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Berufliche Faktoren und Rückenschmerz

Der erste Teil der eingangs formulierten Fragestellung ist deskriptiv leicht zu beantworten: Nach unseren Daten litt jeder dritte erwachsene Bundesbürger (36%) innerhalb der letzten 7 Tage unter Rückenschmerzen. Die Ein-Jahres-Prävalenz beträgt 59% (Schneider, Schiltenwolf et al. 2005).

Berücksichtigt man ausschließlich Erwerbstätige, so beträgt die 7-Tage-Prävalenz für Rückenschmerz 34%, die Ein-Jahres-Prävalenz 60% (Schneider, Schmitt et al. 2005b).

Unser erster Blick galt berufsspezifischen Risikofaktoren des Rückenschmerzes (Schneider, Lipinski et al. 2005): Tabelle 1 stellt zunächst diejenigen Berufsgruppen mit unterdurchschnittlicher Schmerzbelastung (7-Tage-Prävalenz < 34,4%) dar. Beispielsweise berichtet nur einer von sechs Ingenieuren (16%) und nur einer von fünf Ärzten (19%) von Rückenschmerzen in der letzten Woche vor der Studienteilnahme (Tabelle 1). In der Synopse fällt auf, dass sich unter den gering belasteten Berufsgruppen vermehrt typische Akademiker- und Führungstätigkeiten finden (Ingenieure, Ärzte, Apotheker, Unternehmer, Geschäftsführer, Marketingfachleute, Informatiker, Schauspieler, Musiker, Pädagogen und Hochschullehrer). Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich um Berufe des „tertiären Sektors“, welche gemäß des Statistischen Bundesamts als technische und dienstleistende Berufe klassifiziert werden (Berufscodes 60-93). Eine unterdurchschnittliche Schmerzprävalenz weisen auch einige Berufe des „sekundären Sektors“, also Fertigungsberufe, auf. Fertigungsberufe finden sich typischerweise im Handwerk und in der Produktion. Sie werden in der deutschen Arbeitsstatistik durch die Berufscodes 10-59 gekennzeichnet. Es fällt auf, dass die in Tabelle 1 enthaltenen Fertigungsberufe nur selten das Bewegen schwerer Lasten erfordern (Tabelle 1). Als Beispiele seien Prüfer, Kranführer, Floristen, Laboranten, Elektriker und Techniker genannt. Für die in Tabelle 2 präsentierten Berufe mit überdurchschnittlicher Schmerzbelastung (7-Tage-Prävalenz ? 34,4%) ist dagegen das Bewegen, Tragen und Halten schwerer Lasten und/oder das Arbeiten in Rumpfbeugehaltung häufiger anzunehmen (Maurer, Betonbauer, technische Meister, Drucker, Klempner, Installateure, Heizungsbauer, Monteure). Überdurchschnittliche Prävalenzangaben haben aber auch Erwerbstätige aus dem Dienstleistungssektor gemacht: Im Gegensatz zu den Berufsgruppen mit meist akademischen Zugangsvoraussetzungen (Tabelle 1) finden sich in Tabelle 2 eher einfache Tätigkeiten (Lagerarbeiter, Möbelpacker, Briefträger, Reinigungskräfte, Bedienungen, Hilfsarbeiter, Alten- und Krankenpfleger). Auch für diese Berufe sind Arbeiten in unphysiologischen Körperhaltungen und/oder das regelmäßige Bewegen schwerer Gegenständen bzw. der Umgang mit bettlägerigen Patienten nicht untypisch (Schneider, Lipinski et al. 2005).

Die im Rahmen dieser Querschnittstudie erhobenen Informationen erlauben neben den Berufsangaben vertiefende Einblicke in die konkreten arbeitsplatzspezifischen Belastungsfaktoren sowie in die hierarchische Stellung des Beschäftigten. Während die Fallzahlen innerhalb der einzelnen Berufsgruppen für eine geschlechtsspezifische Stratifizierung der Daten zu gering ist, ermöglichen die im Folgenden fokussierten qualitativen Aspekte der Arbeit getrennte Analysen nach Männern und Frauen. Nach unseren Daten sind 43% aller Erwerbstätigen in Voll- oder Teilzeitbeschäftigung weiblich. Frauen weisen sowohl hinsichtlich der 7-Tage-Prävalenz (38% versus 32%) also auch hinsichtlich der Ein-Jahres-Prävalenz (62% versus 58%) signifikant (p<0.001) höhere Werte auf (Schneider, Lipinski et al. 2005). Weiterführende, an anderer Stelle publizierte Analysen zur beruflichen Stellung belegen, dass unter Männern wie auch unter Frauen die Schmerzangaben für Arbeiter und einfache Angestellte über denjenigen der leitenden Angestellten im gehobenen und höheren Dienst liegen (Schneider & Zoller 2006), wenngleich dieser Schichtgradient für Frauen weniger deutlich ausfällt (Männer: p<0.001; Frauen p=0.718). Ein ähnliches Bild zeichnet sich ab, wenn man nach dem höchsten Ausbildungsabschluss fragt:

Tab. 1: Erwerbstätige mit unterdurchschnittlicher Rückenschmerz-Prävalenz nach Beruf (Eigene Berechnungen zu: Erster Bundes-Gesundheitssurvey)

Tab. 2: Erwerbstätige mit überdurchschnittlicher Rückenschmerz-Prävalenz nach Beruf (Eigene Berechnungen zu : Erster Bundes-Gesundheitssurvey)

Auch hier weisen sowohl männliche wie auch weibliche Akademiker und Abiturienten die geringsten und Hauptschüler die höchsten Beschwerde-Prävalenzen auf. Und auch bei diesem soziologischen Indikator vertikaler Ungleichheit sind die Differenzen unter den männlichen Befragten deutlicher (Männer: p<0.001; Frauen p=0.025).

Abschließend wurde die Bedeutsamkeit konkreter arbeitsplatzspezifischer Risikofaktoren für den Rückenschmerz untersucht: Demnach sind körperlich anstrengende Tätigkeiten in einseitiger Körperhaltung sowie das Tragen schwerer Lasten mit einem signifikant höheren Rückenschmerz-Risiko assoziiert (Schneider, Schmitt et al. 2005b). Erwerbstätige ohne diese Belastungen klagen deutlich seltener über Rückenbeschwerden, was sich bei Männern in einer Differenz von zwölf Prozentpunkten und bei Frauen von 13 Prozentpunkten ausdrückt. Auch Umgebungseinflüsse (wie Lärm, Belastung der Atemluft durch Staub, Gase und Dämpfe am Arbeitsplatz) scheinen mit dem Auftreten von Rückenschmerz assoziiert zu sein. Nacht- bzw. Schichtarbeit und lange Arbeitszeiten gehen dagegen nicht mit höherem Beschwerderisiko einher.

Soziale sowie lebensstilspezifische Faktoren und Rückenschmerz

In einer Serie von Publikationen (Schneider & Zoller 2006, Schneider, Schiltenwolf et al. 2005, Schneider & Schiltenwolf 2005) wurde zunächst bivariat kontrolliert, welche Bevölkerungsgruppen eine signifikant über- und unterdurchschnittliche Schmerzbelastung aufweisen und ob die aus der Literatur bekannten sozialen und lebensstilspezifischen Risikofaktoren auch hierzulande eine empirische Entsprechung haben:

Rückenschmerzbetroffene sind im Durchschnitt eher mittleren Alters, wohnen häufiger in den alten Bundesländern und sind bezüglich Einkommen, Schulbildung und Sozialstatus (der sog. meritokratischen Triade) sozial schlechter gestellt. Zudem weisen Frauen mit einer 7-Tage-Prävalenz von 40,2% höhere Schmerzwerte auf als Männer (31,8%, p<0.05). Auch ein passiver und ungünstiger Lebensstil korreliert mit dem Risiko für Rückenschmerz: Für sportlich Inaktive, Raucher und Übergewichtige lassen sich ebenfalls höhere Prävalenzwerte nachweisen (Schneider, Schiltenwolf et al. 2005). In der weiterführenden logistischen Regressionsanalyse wurde überprüft, inwieweit diese sozialen Faktoren und der individuelle Lebensstil per se morbiditätsrelevant sind und ob sich einzelne bivariate Effekte durch die Einbeziehung und Konstanthaltung weiterer Variablen (wie beispielsweise ebenfalls sozial ungleich verteilte Arbeitsbelastungen) verändern.

Dabei zeigte sich, dass die rein deskriptiven Prävalenzunterschiede bezüglich der sozialen Integration und des Alkoholkonsumes unter Konstanthaltung möglicher konfundierender Variablen (wie beispielsweise des Berufes oder des Geschlechtes) statistisch nicht bedeutsam bleiben. Die größten Risikodifferenzen zeigen sich zwischen Männern und Frauen, West- und Ostdeutschen sowie zwischen Sportlern und Inaktiven. So bedeutet das Odds ratio von 1,41 für Frauen ein signifikant höheres Schmerzrisiko im Vergleich zur Referenzgruppe der Männer (mit einem Risiko von per definitionem 1.00; Schneider, Schiltenwolf et al. 2005).

Präventives Verhalten und Rückenschmerz

Die Analyse des Präventionsverhaltens stellte im Rahmen unserer Arbeiten neben der Analyse arbeitplatz- und berufsspezifischer Faktoren einen zweiten Forschungsschwerpunkt dar (Schneider& Becker 2005b, Schneider & Becker 2005, Schneider, Hauf et al. 2005a, Schneider, Hauf et al. 2005b, Schneider & Schiltenwolf 2005). Hierbei war eine defizitäre und inadäquate Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen (Rückenschulen, Freizeitsport) festzustellen.

Zunächst zu dem in der Rückenschmerz-Prävention am weitesten verbreiteten Maßnahmetyp – den Rückenschulen: Insgesamt haben nach unseren Daten in der Bundesrepublik Deutschland 7% der erwachsenen Bevölkerung innerhalb des letzten Jahres eine Rückenschule besucht. Verschiedene logistische Regressionsanalysen zeigten, dass die Teilnahmerate (bei Konstanthaltung unter anderem typischer geschlechtsspezifischer Lebensstilunterschiede) für Frauen deutlich über derjenigen der Männer liegt (OR 1,64, p<0,05). Darüber hinaus stellen die Wohnregion (OR für westdeutsche Bundesländer: 1,57, p<0,05), das Vorhandensein eines Ehepartners (OR für Ledige: 0,55, p<0,05), koinzidente sportliche Freizeitbetätigung (OR für Sportler: 2,11-3,07, p<0,05) und ein gesunder Ernährungs- und Lebensstil (OR für gesunde Ernährungsmuster: 1,64, p<0,05) die deutlichsten Korrelate der Teilnahme dar (Schneider & Schiltenwolf 2005). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der typische Teilnehmer an Rückenschulkursen weiblich, teilzeitbeschäftigt und privat krankenversichert ist und einer vergleichsweise höheren sozialen Schicht angehört. Diese typischen Teilnehmer(innen) pflegen des Weiteren einen vergleichsweise aktiven, sportlichen und gesunden Lebensstil.

In Abbildung 3 sind in Form einer Matrix Teilnahmeraten und Schmerzprävalenzen einander gegenübergestellt. Die an Abszisse und Ordinate nur grob zu schätzenden Ausgangswerte finden sich...

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