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Endstation Sarajevo

Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand. Eine Spurensuche von Böhmen bis Bosnien

AutorFrank Gerbert
VerlagVerlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783218009188
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
'Mir scheint, wir werden heut? noch ein paar Kugerln bekommen.' Franz Ferdinand zwei Minuten vor seiner Ermordung. Frühsommer 1914: Der greise Kaiser Franz Joseph kränkelt, sein Neffe Franz Ferdinand wähnt sich nur noch Monate von der Thronbesteigung entfernt. In Einübung künftiger Aufgaben reist er mit seiner Gattin ins annektierte Bosnien-Herzegowina. Dort nimmt das Drama seinen Lauf, am Attentat auf den Thronfolger entzündet sich der Erste Weltkrieg. Der deutsche Journalist und Autor Frank Gerbert folgt im Juni 2013 den Spuren des Erzherzogs auf seiner Reise in den Tod. Er kommt durch ein zerrissenes Bosnien, das immer noch gezeichnet ist vom grausamen Krieg der 1990er-Jahre. Mit Schreibblock und Kamera ausgerüstet inspiziert er die Stätten, an denen der Thronfolger Halt machte. Er analysiert aber auch Psyche und Politik des schwierigen Menschen Franz Ferdinand, dieses 'Klaus Kinski der Habsburger'. Bei der Untersuchung des Attentats von Sarajevo stieß Gerbert auf eigenartige, wenig bekannte Zusammenhänge. Obwohl Militarist, lehnte Franz Ferdinand einen Krieg gegen Serbien ab, seine Ermordung ermöglichte den 'Falken' erst das Losschlagen. Warum zeigte sich sogar Franz Joseph erleichtert über den Tod seines Neffen? Warum gab es so wenig Sicherheitsvorkehrungen? Warum stoppte das Auto direkt vor dem Mörder Princip? Wollte man Franz Ferdinand loswerden, weil er einen Krieg gegen Serbien ablehnte? Trotz des ernsten Themas schreibt Frank Gerbert mit Witz und viel Gespür für die Absurditäten der historischen Abläufe. Spannend von der ersten bis zur letzten Seite: Wie ein Krimi liest sich diese akribische Spurensuche.

Frank Gerbert, geboren 1955, Geograf, Germanist, Buchautor und Journalist, veröffentlichte u.a. in 'Zeit', 'Spiegel' und 'Focus'. 2013 gab er bei K & S das von Rezensenten hochgelobte Weltreisetagebuch von Erzherzog Franz Ferdinand heraus, unter dem Titel 'Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck'.

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Leseprobe

VORGESCHICHTEN


Eine weiße Gams. Eine ziemlich schwarze Seele. Reisen wie der Thronfolger: Von der Unmöglichkeit, ein Schlachtschiff zu chartern.


Das gespenstische Tier versteckt sich. Ich suche und suche und finde es nicht. Erst eine Dame vom Museum weist mich auf den Lichtschalter hin. Der liegt nun wirklich so weit unten, dass er leicht zu übersehen ist. „Weiße Gams – Bitte Knopf drücken“, steht da, was ich sofort tue. Hoppla – wo mich eben noch ein Hubertushirsch anstarrte, mit einem Kreuz aus Plexiglas zwischen den Hörnern, steht nun das Unglückstier vor einer Hochgebirgskulisse. Zack, da ist es schon wieder weg – und auf Knopfdruck sofort wieder da, denn hier haben sich die Museumsleute des „Hauses der Natur“ in Salzburg einen Beleuchtungstrick mit Zeitschaltung ausgedacht. Die weiße Gams steht seitlich in einer Nische, wird auf Knopfdruck grell beleuchtet, und ihr Spiegelbild überstrahlt auf einer diagonal gestellten Glasscheibe den dahinter befindlichen Hubertushirsch.

Neben der Gams wird dann auch ein Erklärschild lesbar: „Die Erlegung eines weißen Wildes soll nach altem Jägeraberglauben Unglück bringen. Der Gamsbock wurde vom österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand d’Este im August 1913 im Blühnbachtal (Salzburg) erlegt. Am 28. Juni 1914 – noch innerhalb der Jahresfrist – fiel der Thronfolger einem politischen Attentat zum Opfer.“

Unklar bleibt hier die Sache mit der Jahresfrist, deshalb muss ich ergänzen, dass der Sage nach der Erleger eines Albino-Tiers eben innerhalb eines Jahres mit einem unnatürlichen Ableben zu rechnen hat. Eine strengere Variante dieses Mythos besagt, dass nicht jeder weiße Bock tödlich ist, sondern nur, wenn es sich um ein „Satanstier“ handelt, eine Verkörperung des Teufels; ob das der Fall war oder nicht, weiß der Schütze erst ein Jahr später – wenn er dann noch lebt. Kronprinz Rudolf und Erzherzog Franz Ferdinand sollen weniger als ein Jahr vor ihrem jeweiligen Ableben Satanstiere erlegt haben, ebenso im Januar 1989 der Karpaten-Diktator Nicolae Ceau?escu, der dann an Weihnachten von Aufständischen hingerichtet wurde. Alle drei waren passionierte Jäger.

Rudolf, der einzige Sohn Kaiser Franz Josephs I. und Kaiserin Elisabeths, schoss 1888 also erst den fatalen Bock, dann im Januar 1889 auf seine aktuelle Geliebte und kurz danach auf sich selbst, worauf sein Cousin Franz Ferdinand zum Thronfolger wurde. Auch für ihn galt: erst weiße Gams, dann Jäger tot.

Nein, ich glaube natürlich nicht an derlei finsteres Geraune und habe das bleiche Wild hier nur zur Unterhaltung eingeführt. Allerdings: Bedenkt man, wie viele seltsame Zufälle und haarsträubende Fehlentscheidungen dazu beigetragen haben, dass der designierte nächste österreichische Kaiser bei einem dilettantisch ausgeführten Attentat ums Leben kam, und bedenkt man weiter, welche unfassbaren Katastrophen dieser Mord auslöste (nachdem freilich noch weitere Kausalereignisse dazugekommen waren), nämlich zwei Weltkriege mit bis zu 80 Millionen Toten, dann liegt es gar nicht so fern, hier an ein mythisches, satanisches Verhängnis zu glauben.

Ich möchte hier nicht Autoren wie Stephen King Konkurrenz machen, aber wenn ein Dokument stimmt, das mir das Haus der Natur in Salzburg im Nachhinein übersandte, wurde das unheilvolle Tier gar nicht im Blühnbachtal erlegt, wie im eigenen Museum behauptet, sondern weiter nördlich im Bluntautal, und zwar an einer Stelle, die in der Luftlinie (ich habe auf einer genauen Landkarte nachgemessen) nur etwa sieben Kilometer entfernt liegt vom „Berghof“ auf dem Obersalzberg, auf dem zwei bis drei Jahrzehnte später ein gewisser Adolf Hitler viel Böses ausheckte. Und da man nicht genau weiß, wo genau „in einem Lawinengraben über der Alpwinkelalm“ das Tier erlegt wurde, könnten es auch nur 6,66 Kilometer sein …

Im Salzburger Museum sieht das Tier indes alles andere als unheilvoll aus, sondern eher wie ein scheues, sanftes Reh. Seine braunen Kulleraugen sind herzerweichend, und in diesem Moment kann ich es sogar nachempfinden, wenn radikale Jagdgegner (zu denen ich mich nicht zähle) Jägern den Tod wünschen. Franz Ferdinand war ein besonders umtriebiger, manischer, vielleicht sogar psychopathischer Jägersmann, der einen erheblichen Teil seiner Zeit auf Erden damit verbrachte, Tiere totzuschießen. Sogar seinem Onkel, dem Kaiser, der selber gern jagte, wurde er dadurch ein bisschen unheimlich. Als der Neffe einmal im Lainzer Tiergarten, einem eingezäunten Wildpark bei Wien, mehrere hundert Abschüsse tätigte, soll Franz Joseph gesagt haben: „Unbegreiflich, das sind doch Haustiere!“

Nach offizieller Zählung hat der Thronfolger 274.899 Geschöpfe in Wald und Flur vom Leben zum Tode befördert, und es wären sicher noch hunderttausend mehr geworden, hätte FF (so sein offizielles Monogramm, das ich mir im Folgenden zu verwenden gestatte) nicht schon mit 50 Jahren sein Schnellfeuergewehr für immer aus der Hand legen müssen.

Ich möchte hier gleich klar sagen, dass der Hauptgegenstand dieses Buches kein Sympathieträger war und ist. Der „Wüterich“, so nannte man ihn in Kreisen der Armee, war weithin unbeliebt, ja gefürchtet.

Sozusagen als Vorgeschmack gebe ich hier eine Charakterisierung wieder, die von Josef Redlich (1869–1936) stammt, einem Juraprofessor, der zweimal Finanzminister in österreichischen Regierungen war und später in Harvard, USA, lehrte:

„Gegen den Erzherzog bestehen tiefe, in breite Volksschichten herabreichende Antipathien, sein herrisches Wesen, seine Bigotterie, seine in Geldsachen ganz unglaublich kleinliche und unwürdige Art, seine geschmacklose Kunstsammlerei, mit der er schon längst zum Schrecken aller Antiquitätenhändler geworden ist, die krankhafte Tötungssucht, die er am Wilde ausließ, seine jeden edleren Menschen verletzende Gewohnheit schimpflichen Misstrauens, die ihn jeder Denunziation zugänglich machte; dies und die beschränkt-bigotte, intolerante, hochmütige, alles perturbierende Art seiner Gemahlin haben ihn in Österreich und vollends in Ungarn höchst unbeliebt gemacht.“

Manche Biografen finden, dass Redlich etwas übertrieben hat, und stellen den Erzherzog und seine Frau in Nuancen sympathischer dar. Jedenfalls ist FF schon wegen seiner vielen drastischen Aussprüche eine sehr unterhaltsame Figur, und wegen seiner aus heutiger Sicht unglaublich reaktionären Ansichten.

Im Übrigen hoffe ich, dass meine Leserinnen und Leser mit mir der Meinung sein werden, dass schwierige und finstere Persönlichkeiten oft interessanter sind als brave Menschen. Verwiesen sei hier auf den ebenso berühmten wie berüchtigten Schauspieler Klaus Kinski (1926–1991), der nicht nur fast immer Kriminelle oder Wahnsinnige darstellte, sondern auch im realen Leben ziemlich unangenehm werden konnte. Franz Ferdinand könnte man als den „Klaus Kinski der Habsburger“ bezeichnen – ein Vergleich, der zugegebenermaßen hinkt, nicht nur wegen des markanten Gesichts Kinskis und des recht durchschnittlichen des Thronfolgers, sondern weil der erste ein extrovertierter, „getriebener“ und exzentrischer Mensch war, während der zweite eher den Typus des Biedermanns verkörperte, wenn auch cholerisch aufgeladen.

Es gibt sogar eine kleine Verbindung zwischen Kinski und dem Erzherzog: 1955, in einem seiner ersten Filme, durfte der Mime in einem deutschen Spielfilm über die Morde von Sarajevo mitwirken („Um Thron und Liebe“). Natürlich verkörperte er einen Bösewicht – nicht den Mörder Princip, sondern dessen Kumpel ?abrinovi?, der erfolglos eine Bombe auf FF warf.

Obwohl Ultrakonservativer, Antidemokrat und Militarist, muss man Franz Ferdinand doch eines zugutehalten: Er war in seinen letzten Jahren der Einäugige unter den Blinden in der Führungsschicht der Donaumonarchie – fast als einziger hat er sich dem dort erwogenen „Präventivkrieg“ gegen Serbien widersetzt, weil dieser, wie er überzeugt war, in einen großen europäischen Waffengang münden würde. Obwohl es nicht Pazifismus und Menschenliebe waren, die ihn dazu brachten, gegenüber den Monarchen Deutschlands, Großbritanniens und Russlands auf Entspannung zu drängen, sondern Pessimismus (ein Krieg, so glaubte er zu Recht, werde den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zerreißen), war er in dieser Frage weitsichtiger als die anderen. Und deshalb ist es von doppelter Tragik, dass mit ihm nicht nur ein einflussreicher Kriegsgegner erschossen wurde, sondern sein Tod auch noch von der Wiener „Kriegspartei“ dazu verwendet wurde, einen Angriff auf Serbien zu rechtfertigen.

Dass ich mich mit FF beschäftige, hat überdies einen familiären Hintergrund. Meine Großmutter erzählte gern von ihrer, und vor allem von ihres Vaters Begegnung mit dem Thronfolger. Mein Urgroßvater Jan ?ervenak, in Mähren, in einem Dorf in der Nähe von Brünn, geboren, schlug sich eher schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durchs Leben. Immerhin reichte es zum Heiraten und Kinder Großziehen, eines davon war meine Großmutter Cecilie, geboren 1905. Etwas später lebte die Familie knapp nördlich der mährischen Grenze, im Dorf Istebna im Kronland Österreichisch-Schlesien, wo mein Ahn als Heger in einem wohl staatlichen Forstamt angestellt war. Eines Tages erschien Franz Ferdinand im Ort, auch die kleine Oma Cilly hat ihn zu Gesicht bekommen. Es wurde eine große Treibjagd veranstaltet, denn der Thronfolger war seit seiner schweren Tuberkuloseerkrankung Mitte der 1890er-Jahre nicht mehr in der Lage, nach dem Wild zu pirschen; es musste ihm vor die Büchse getrieben werden. Um die Sache zu vereinfachen, hatte mein Urgroßvater vor ihm niederzuknien, sozusagen als Stativ, und FF, ihm den...

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