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E-Book

Entspannt euch!

Eine Philosophie der Gelassenheit

AutorMichael Schmidt-Salomon
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783492993500
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wie findet man zu einem sinnerfüllten, glücklichen Leben? Der Schlüssel dazu ist laut Michael Schmidt-Salomon die Überwindung von Schuld und Scham, sowie der Abschied von der Vorstellung des »grandiosen Ich«. Denn um ein gelasseneres Selbst zu entwickeln, muss man von seinem Selbst lassen können. In seinem Buch zeigt uns der bekannte Philosoph, wie wir moralische Schuldgefühle überwinden und zu einer neuen Leichtigkeit des Seins finden, wie wir lernen zu ertragen, was wir nicht verändern können, und zu verändern, was wir nicht ertragen müssen. So gelingt es, die eigenen Fähigkeiten zu entfalten und einen tragfähigen Lebenssinn zu finden.  Ein Weisheitsbuch für das 21. Jahrhundert - originell, positiv und wohltuend unaufgeregt.

Michael Schmidt-Salomon, Dr. phil., geboren 1967, ist freischaffender Philosoph und Schriftsteller sowie Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung. Er ist häufiger Interviewpartner in Presse, Funk und Fernsehen. Bei Piper erschienen von ihm »Jenseits von Gut und Böse«, »Leibniz war kein Butterkeks« (mit Lea Salomon), »Keine Macht den Doofen«, »Hoffnung Mensch«, »Die Grenzen der Toleranz« sowie zuletzt »Entspannt euch!«.

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Leseprobe

Lektion 1


Die Lotterie des Lebens


Kannst du dich an den Moment erinnern, in dem du dich das erste Mal bewusst geschämt hast? Hat man dich gescholten als »böser Junge« oder »böses Mädchen«? Haben die anderen im Vergleich zu dir besser abgeschnitten? Waren sie schöner, klüger, sportlicher, erfolgreicher als du?

Scham ist eine Form des Zorns, die sich nach innen richtet. Sie kann dich zu größeren Leistungen motivieren, aber auch das glatte Gegenteil bewirken. Denn das peinigende Gefühl der Scham führt dazu, dass viele von uns vorschnell resignieren. Die Angst vor dem Versagen, vor der Blamage, kann einen so sehr hemmen, dass man ein Leben führt, das weit unter den eigenen Möglichkeiten bleibt.

Dies gilt allerdings auch für die Kehrseite der Scham, den Stolz. Um das Hochgefühl des Stolzes zu erleben, nehmen wir große Anstrengungen in Kauf, wir feilen an unseren Fähigkeiten und optimieren unsere Talente. Tragischerweise aber macht uns der Stolz blind für unsere eigenen Fehler, die wir unter dieser Voraussetzung nicht korrigieren können. Und so leben nicht nur besonders schamhafte, sondern auch besonders stolze Menschen häufig unter ihren Möglichkeiten. Warum auch sollten sie sich um Verbesserung bemühen, wenn sie sich ohnehin für etwas »Besseres« halten?

Oft verbirgt sich hinter ausgeprägtem Stolz ein tief sitzendes Minderwertigkeitsgefühl. Hochmütige Menschen meinen gerade deshalb, etwas Besonderes zu sein, weil sie die beschämende Wahrheit nicht ertragen können, dass sie nichts Besonderes sind. Tief in ihrem Inneren spüren sie zwar, dass sie keineswegs so »großartig« sind, wie sie sich nach außen darstellen. Doch diese Erkenntnis ist so schmerzhaft, dass sie sie schnell wieder verdrängen.

In der christlichen Tradition galt der Stolz als die erste der sieben Todsünden, gewissermaßen als Wurzel allen Übels.[1] Und auch in der antiken Philosophie hatte er keinen guten Ruf. Im Unterschied zu den christlichen Theologen störte es die griechischen und römischen Philosophen allerdings nicht, dass unser Hochmut eine Beleidigung »des Schöpfers« sein könnte. Sie sahen im Stolz bloß eine schlechte Strategie, das Leben in den Griff zu bekommen. Warum? Ganz einfach: Weil alles, worauf wir uns irgendetwas einbilden könnten, über kurz oder lang verschwunden sein wird, weshalb wir uns beim besten Willen nicht daran klammern sollten.[2] Hochmut kommt vor dem Fall.

Wer wollte dies auch bestreiten? Tatsächlich sind alle Eigenschaften, auf die wir in unserem Leben stolz sein könnten, nur von kurzer Dauer. Schönheit beispielsweise ist ebenso vergänglich wie Sportlichkeit oder intellektuelle Brillanz. Und genau hier liegt das Problem, denn: Je stolzer du auf die Qualitäten bist, über die du heute verfügst, desto größer wird deine Scham sein, wenn sie dir verloren gehen.

Aber nicht nur deshalb zeugt Hochmut nicht gerade von Lebensweisheit. Die siamesischen Zwillinge Stolz und Scham sind auch bestens geeignet, unser Verhältnis zu den Mitmenschen zu vergiften. Warum? Weil Scham sehr schnell Neid gebiert und Stolz Überheblichkeit. Wir sind eifersüchtig auf diejenigen, die schöner, klüger, erfolgreicher sind als wir, und strafen jene mit Verachtung, die es im Leben nicht so weit gebracht haben wie wir selbst mit unserem »ach so grandiosen Ich«.

Dies führt zu schweren sozialen Verwerfungen und öffentlichen Demütigungen. Es zwingt uns dazu, an einem unaufhörlichen Überbietungswettbewerb teilzunehmen, bei dem man stets auf der Hut sein muss, nicht selbst zum Opfer von Neid und Missgunst zu werden. Ein kluges Rezept für ein gutes Leben ist dies zweifellos nicht. Und doch haben all die gut gemeinten Ratschläge, all die eindringlichen Warnungen vor der »Todsünde des Stolzes« über die Jahrhunderte hinweg nur wenig ausrichten können. Noch immer sind wir hin- und hergeworfen zwischen grenzenloser Selbstüberschätzung und maßloser Selbstzerknirschung. Woran liegt das?

Man könnte hier ein biologisches Argument anführen und darauf hinweisen, dass die Natur uns zu solchen »Überbietungswettbewerben« anstachelt, da wir untereinander um Ressourcen und Liebespartner(innen) konkurrieren müssen. Allerdings übersieht dieses Argument, dass die Evolution nicht nur Konkurrenzdenken, sondern auch Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, ja sogar Opferbereitschaft hervorgebracht hat.[3] Zudem wissen wir, dass einige Menschen, deren Leistungen wir besonders bewundern, im persönlichen Umgang keinerlei Überheblichkeit zeigten, sondern äußerst bescheiden aufgetreten sind.[4] An ihren Genen allein wird dies mit Sicherheit nicht gelegen haben.[5]

Man könnte an dieser Stelle auch ein soziologisches Argument bemühen und aufzeigen, dass uns das »kapitalistische System« in besonderer Weise dazu drängt, in einen Konkurrenzwettbewerb mit anderen zu treten und unsere eigenen Qualitäten auf dem Markt anzupreisen.[6] Auch das ist richtig, übersieht aber, dass Menschen zu allen Zeiten und in allen Kulturen Neid und Missgunst zeigten – und dass einige unserer heutigen Zeitgenossen diese zweifelhaften Eigenschaften trotz des bestehenden Wirtschaftssystems nicht an den Tag legen.

Ich bin überzeugt, dass es einen sehr viel tiefer liegenden Grund dafür gibt, warum die wohlmeinenden Ratschläge der Philosophen und Theologen nur selten auf fruchtbaren Boden gefallen sind (und warum viele von ihnen diese Ratschläge im eigenen Leben kaum befolgen konnten). Denn wir stehen hier nicht zuletzt vor einer existenziellen Frage, nämlich der Frage danach, wie wir uns selbst als Menschen verstehen und wie wir uns als bewusstseinsfähige Wesen in dieser Welt verorten.

Der Kern des Problems besteht darin, dass wir das Wechselspiel von Überheblichkeit und Demütigung so lange nicht überwinden werden, solange wir an den althergebrachten Überzeugungen festhalten, welche besagen, dass wir zu Recht stolz auf eigene Leistungen sein können, und uns zu Recht dafür schämen müssten, wenn wir diese Leistungen nicht erbringen.

Genau hier liegt aber ein fundamentaler Denkfehler – und wenn du ihn als solchen erkennst, bist du schon ein gutes Stück weiter auf dem Weg zu größerer Gelassenheit. Denn wir erleben die Gefühle von Stolz und Scham nur deshalb, weil wir die Gründe für unseren Erfolg oder Misserfolg uns selbst zuschreiben. Doch diese Zuschreibung beruht auf einer Illusion. Je genauer wir nämlich hinschauen, desto klarer erkennen wir, dass die Ursachen für unsere Siege und Niederlagen, für unsere Qualitäten und Mängel, keineswegs in unserem »grandiosen« oder »kläglichen« Selbst zu finden sind, sondern in einem chaotischen Netzwerk von Milliarden und Abermilliarden Faktoren, über die wir keine Kontrolle hatten.

Wenn man diese kausalen Zusammenhänge in ihrer Tiefendimension begreift (wie es Albert Einstein getan hat, siehe die Lektionen 3, 4 und 6), so nimmt dies viel von der Dramatik, die wir gemeinhin erleben, wenn wir an einer Aufgabe scheitern. Mehr noch: Es gibt unserem seltsamen Verhalten, bei positiven Erlebnissen mit stolzgeschwellter Brust durch die Welt zu marschieren und bei negativen schamhaft in uns zusammenzusacken, eine geradezu komische Note. (Die Einsteinsche Sichtweise führt, wir erinnern uns, zu einer Lebensauffassung, die »auch besonders dem Humor sein Recht lässt«.)

Schauen wir uns dies an einem einfachen Beispiel an: Viele Menschen sind stolz auf ihr gutes Aussehen, bilden sich also etwas darauf ein, in puncto Schönheit besser abzuschneiden als andere. Nun wissen wir aber, dass Schönheit über weite Strecken nichts weiter ist als das Produkt der zufälligen Kombination von Erbmerkmalen beim Verschmelzen einer Samenzelle mit einer Eizelle. Gutes Aussehen geht also maßgeblich auf ein Ereignis zurück, das zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als das »stolze Ich« längst noch nicht existierte. Macht man sich dies bewusst, wird klar, dass Stolz auf die eigene Schönheit vor allem eines ist: lächerlich. Da niemand etwas dafür kann, welche Erbinformationen bei seiner Entstehung zufällig aufeinandertrafen, ist es einfach grotesk, sich irgendetwas auf das eigene Aussehen einzubilden.

Das gilt allerdings auch für andere hochgeschätzte Merkmale, etwa für unsere Intelligenz: Auch die Fähigkeit zu intellektuellen Leistungen ist zu einem großen Teil von der zufälligen Mischung von Erbmerkmalen abhängig. Manche Menschen können sich anstrengen, so viel sie wollen, schwierige Zusammenhänge werden sie nie verstehen. Anderen hingegen fällt das Lösen komplexester Gleichungen in den Schoß. Doch wie könnten sie darauf »stolz« sein?! Schließlich gab es ihr Ich noch nicht, als die Voraussetzungen für ihre Fähigkeiten gelegt wurden. Und das bringt mich zu einer etwas paradox klingenden Schlussfolgerung: Wer tatsächlich meint, sich etwas auf seine Klugheit einbilden zu müssen, zeigt damit nur, dass er so klug gar nicht ist. Stolz auf Intelligenz ist kein Zeichen von Intelligenz.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich behaupte keineswegs, dass wir bloß...

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