Wie zuvor erwähnt muss das Management eines Unternehmens, bevor es mit der Strategieentwicklung beginnen kann, in einem ersten Schritt die externe Unternehmensumwelt untersuchen, um mögliche Chancen und Risiken zu identifizieren.[41] Der Erfolg der Strategieentwicklung hängt weitgehend davon ab, inwiefern es einem Unternehmen gelingt, sich auf die konkrete Umwelt einzustellen. Daher ist die Analyse der gegenwärtigen sowie der zukünftigen Situation des betreffenden Ziellandes ein wesentliches Element des strategischen Planungsprozesses. Jedoch sind nicht alle Faktoren für jede Industrie gleich relevant. Aus diesem Grund muss sich ein Unternehmen speziell auf diejenigen Faktoren fokussieren, die den größten Einfluss auf seine Branche haben.[42] Da die Unternehmensstrategie in dieser theoretischen Arbeit generisch entwickelt wird, entfällt die Wettbewerbsanalyse. In der Praxis stellt sie einen wichtigen Bestandteil der Analyse der externen Umwelt dar und muss vom jeweiligen Unternehmen für seine Industrie durchgeführt werden.
Obwohl Länder sehr verschieden sind, kann man zur Strukturierung der Informationsgewinnung die Umweltbedingungen generell hinsichtlich politischer, wirtschaftlicher sowie soziokultureller Faktoren analysieren. Durch dieses Vorgehen können Geschäfts- und Marktchancen identifiziert werden.[43] Auch in dieser Arbeit wird der brasilianische Markt anhand der drei genannten Kategorien systematisch analysiert. Eine Untersuchung der politischen, wirtschaftlichen sowie sozio-kulturellen Faktoren Brasiliens ist essenziell wichtig, da sich die Umwelteinflüsse sehr von der für deutsche Führungskräfte vertrauten und internalisierten Stammland-Umwelt unterscheiden.[44] Versteht das Management eines Unternehmens die Unterschiede in den relevanten Umweltsegmenten und die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken, schafft dies die Grundlage für eine erfolgreiche Strategieauswahl und -implementierung.
Die Frage nach den politischen Verhältnissen ist eine der ersten, die hinsichtlich der Analyse eines Landes zu beantworten ist, da diese die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln darstellen.[45] Eine wesentliche, zu untersuchende Einflussgröße der politischen Dimension ist die Organisation und Stabilität der politischen Willensbildung. Politische Risiken entstehen beispielsweise durch ein unstabiles politisches System, einen Politikwechsel oder eine schlechte politische Führung. Dies stellt insofern eine Gefahr für Unternehmen dar, als dass sich dadurch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Landes unerwartet ändern können. Als assoziierter Faktor fällt auch Korruption in diese Kategorie. Eine weitere wichtige Einflussgröße ist die Rechtssicherheit, das heißt, die Effektivität und Verlässlichkeit des Rechtssystems. Ebenso gilt es die externen Konfliktpotenziale des Landes zu untersuchen. Darunter fallen Kriege, Territorialkonflikte sowie Terrorismus.[46]
Brasilien ist nach Russland, Kanada, den USA und China das fünftgrößte Land der Erde und 24-mal so groß wie Deutschland. Mit 8,5 von 17,8 Millionen Quadratkilometern stellt das Land knapp die Hälfte der Fläche Südamerikas und mit 191 Millionen Einwohnern auch die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 388 Millionen dieses Subkontinents.[47]
Brasilien ist seit dem 7. September 1822 von Portugal unabhängig und hat nach Jahren der Militärdiktatur seit 1985 durch sein System der präsidialen Bundesrepublik eine mittlerweile sehr stabile Demokratie. Die Wirtschaft profitierte vor allem von den Reformen des 1995 ins Amt gewählten Präsidenten Fernando Henrique Cardoso. Unter anderem liberalisierte er die Wirtschaft und führte den Real als neue Währung ein. Durch diese Maßnahmen erreichte er es, die Inflation, die im Jahr 1994 über 5.500 Prozent betrug, auf ein Normalmaß zu senken.[48] Auf die wirtschaftliche Relevanz der Inflation wird bei der Analyse der wirtschaftlichen Dimension eingegangen.
Mit der Wahl von Luiz Inacio Lula da Silva, Mitglied der moderaten, linksgerichteten Partei Partido dos Trabalhadores (PT), zum Präsidenten im Jahr 2002 begann in Brasilien ein wirtschaftlicher, politischer und sozialer Wandel. Lula da Silva führte das Sozialprogramm Bolsa Famllia ein, welches sich an brasilianische Familien mit einem Einkommen von unter 120 Real pro Monat[49] richtete. Hierbei bekommen Mütter finanzielle Unterstützung, wenn sie dafür Sorge tragen, dass ihre Kinder in die Schule gehen und regelmäßig geimpft werden. Durch dieses innovative Programm, von welchem mehr als 40 Millionen Brasilianer profitierten, gelang es, die vorherrschende extreme Armut in Brasilien zu verringern und die Stabilität im Land zu erhöhen. Dies konnte - im Vergleich zur Reichweite des Programmes - ohne hohe Ausgaben des Staates erreicht werden. Umgerechnet ca. vier Millionen Euro wurden über das Programm an die betreffenden Familien ausgezahlt. Aus diesem Grund wird die Bolsa Famllia heute weltweit von fast allen Entwicklungsorganisationen als vorbildlich gelobt.[50]
Eine Fortsetzung dieser Politik ist auch durch die Wahl von Dilma Rousseff am 31. Oktober 2010 zur ersten brasilianischen Präsidentin zu erwarten, da sie wie Lula da Silva der PT angehört und eine enge Vertraute des Ex-Präsidenten ist. Nachdem die PT und ihr Hauptkoalitionspartner, die in der politischen Mitte stehende Partei Partido de Movimento Democrätico Brasileiro, auch die Wahlen zum Kongress mit einem Ergebnis von über 60 Prozent gewinnen konnten, wird Rousseff mit einem starken Mandat regieren können.[51] Es lässt sich somit hinsichtlich der Organisation und Stabilität der politischen Willensbildung festhalten, dass das politische System Brasiliens Kontinuität garantiert und somit für Unternehmen Planungssicherheit bietet.[52]
Einschränkend anzumerken ist jedoch, dass Korruption immer noch ein ernstzunehmendes Problem in Brasilien darstellt. So belegt das Land im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International, bei dem der weltweite Grad der im öffentlichen Sektor wahrgenommenen Korruption gemessen wird, im Jahr 2010 punktgleich mit Kuba lediglich den 69. Platz von 178 Ländern.[53]
Mit Blick auf das Justizsystem lässt sich feststellen, dass in Brasilien weitgehend Rechtssicherheit herrscht. Dies trifft zumindest in hohem Maße auf die wirtschaftlichen Ballungsgebiete im Süden des Landes zu.[54] Dennoch ist die Rechtssicherheit nicht mit der in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern zu vergleichen. Des Weiteren erschwert die extreme Bürokratie des Landes das Erhalten von Genehmigungen oder anderen Dienstleitungen der Behörden.[55]
Externe Konfliktpotenziale sind in Brasilien kein kritischer Faktor. Ebenso hatte das Land bis heute keine Probleme mit terroristischen Anschlägen. Dilma Rousseff wird die Außenpolitik Lula da Silvas weiter fortsetzen und versuchen, die internationale Rolle Brasiliens auszubauen. Dazu wird auch der nichtständige Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bis Ende 2011 beitragen. Ein Schwerpunkt wird auf der Stärkung der Beziehungen mit anderen Schwellenländern durch die G20 und den gemeinsamen Markt Mercado Comün del Sur (MERCOSUR), bestehend aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, gelegt werden. Dadurch soll die politische Unabhängigkeit von den westlichen Nationen weiter ausgebaut werden.[56]
Die Analyse der politischen Faktoren zeigt, dass Brasilien durch seine politische Stabilität in allen drei untersuchten Unterkategorien einen attraktiven Markt für deutsche Unternehmen darstellt. Trotz negativer Einflussfaktoren wie der hohen Bürokratie und der Korruption im Land sind die politischen Rahmenbedingungen insgesamt sehr positiv.
Ein zentraler Bestandteil der Unternehmensumwelt sind die ökonomischen Umweltbedingungen eines Landes. Bei der Analyse der wirtschaftlichen Dimension steht dabei die allgemeine volkswirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund. Dementsprechend werden unter den ökonomischen Umweltbedingungen diejenigen Einflussfaktoren verstanden, die Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Leistung eines Landes haben und somit die Bedingungen auf dem Absatzmarkt verändern können.[57] In Bezug auf die wirtschaftliche Dimension gilt in dieser Arbeit das Bruttoinlandsprodukt absolut und pro Kopf als wesentlicher Indikator für die Wirtschaftskraft Brasiliens. Wirtschaftswachstum, gekennzeichnet durch ein ansteigendes BIP, ist wichtig, da es eine Haupteinflussgröße auf das Kaufverhalten der Bevölkerung eines Landes darstellt. Durch einen Anstieg der Konsumausgaben ist es Unternehmen möglich, ihre Tätigkeiten auszuweiten und höhere Profite zu erzielen. Ein Rückgang des Wirtschaftswachstums führt hingegen zu einem Sinken der Konsumausgaben und erhöht den Wettbewerbsdruck im Markt.[58] Aus diesem Grund wird analysiert, wie sich das Bruttoinlandsprodukt Brasiliens in den letzten Jahren verändert hat und mit welcher Entwicklung...