In diesem Kapitel wird beschrieben, was die Automobilindustrie bisher unter Nachhaltigkeit versteht und welchen Beitrag sie aktuell zum Thema Nachhaltigkeit leistet. Des Weiteren wird versucht darzustellen, welches Kennzahlensystem die Automobilindustrie bisher verwendet. Dazu werden die gewonnen Erkenntnisse im Folgenden den einzelnen Automobilmarken zugeordnet. In dieser Bachelorarbeit wurde sich auf die Automobilmarken der Porsche AG, Audi AG, VW AG, Opel AG, Daimler AG und BMW AG beschränkt, da weitere Marken den Rahmen dieser Bachelorarbeit gesprengt hätten. All diesen Marken ist gemein, dass sie in Deutschland produzieren und am deutschen Automobilmarkt quantitativ starke vertreten sind.
Innerhalb dieser Bachelorarbeit wird von einer mittleren Position der Nachhaltigkeit ausgegangen. Die mittlere Position der Nachhaltigkeit befindet sich zwischen der starken und der schwachen Nachhaltigkeit. Die bedeutet, dass einerseits davon ausgegangen wird, dass natürliches Kapital nur eingeschränkt substituierbar ist, z.B. sind die Möglichkeiten des Recyclings beschränkt, natürliche Prozesse wie zum Beispiel Photosynthese müssen erhalten bleiben und es besteht keine Möglichkeit für alle ökologischen Funktionen einen künstlichen Ersatz zu schaffen. Diese Faktoren sprechen gegen eine schwache Nachhaltigkeit. Andererseits ist ein völliger Verzicht, z.B. auf Rohöl auch nicht sinnvoll. Bei einem völligen Verzicht auf Rohöl (starke Nachhaltigkeit) hätte keine Generation etwas von dieser natürlichen Ressource.
Aus diesem Grund erscheint eine mittlere Position zwischen der starken und der schwachen Nachhaltigkeit sinnvoll. In der mittleren Position der Nachhaltigkeit wird die Substitution von natürlichem Kapital durch künstliches Kapital für sinnvoll erachtet, wobei aber die grundlegenden Funktionen der Nachhaltigkeit erhalten bleiben müssen. Dies bedeutet, dass essenzielle Umweltgüter wie zum Beispiel Trinkwasser, Atemluft und fruchtbare Böden geschützt werden müssen. Anderes natürliches Kapital darf nur in solchen Maßen genutzt werden, dass ihr Gebrauch zu keinerlei Nutzeneinbußen für zukünftige Generationen führt, z.B. Vernichtung der Artenvielfalt.
Im Verlauf dieser Bachelorarbeit wurden alle Automobilhersteller, inklusive einiger Experten angeschrieben, welches Kennzahlensystem zur Beurteilung der Nachhaltigkeit bisher bei ihnen genutzt wird. In der nachfolgenden Tabelle wurden die Ergebnisse festgehalten:
Bild 3.1: Aussagen der Befragten Personen zu der Frage, welches Kennzahlensystem in der Automobilindustrie bzw. in ihrem Unternehmen zur Beurteilung der Nachhaltigkeit eingesetzt wird, Quelle: Eigene Darstellung nach Rückantworten der befragten Personen
Aufgrund der Tatsache, dass kein Rücklauf bzw. keine konkreten Angaben zu den verwendeten Kennzahlensystemen in der Automobilindustrie gemacht wurden, wird von der Nutzung der bekannten Kennzahlensystemen (DuPont-, ZVEI und RL- Kennzahlensystem, sowie der Balanced Scorecard) ausgegangen.
Um die Nachhaltigkeit der verschiedenen Unternehmen der Automobilindustrie einheitlich beurteilen zu können, wird der Integrierte Produktlebenszyklus herangezogen. Entlang des integrierten Produktlebenszyklus werden die Nachhaltigkeit und die Umweltbemühungen der Unternehmen aufgeführt und bewertet.
Neben den Automobilherstellern sind auch die Zulieferer von Relevanz. Es werden viele Einbauten und Komponenten von Zuliefern direkt an die Automobilhersteller geliefert, ohne dass die Automobilhersteller an der Produktion der Zulieferteile beteiligt wären. Die Nachhaltigkeit der Zulieferern wird von den Automobilherstellern (wie zum Beispiel der BMW AG) geprüft und nimmt dort einen hohen Stellenwert ein. Um die Nachhaltigkeit der Zulieferer in die Beurteilung der Nachhaltigkeit der Automobilindustrie miteinbeziehen zu können, wird der Ansatz des integrierten Controllings verfolgt. Beim integrierten Controlling werden zum einen die internen Geschäftsprozesse und zum anderen die Interessen der Stakeholder auf die gesamte Wertschöpfungskette übertragen und das Controlling auf beide Ansätze gleichermaßen ausgerichtet.[42] Beim Supply Chain Management erfolgt eine wertkettenbezogene Planung, Steuerung und Kontrolle der Material-, Informations-, Geld- und Dienstleistungsströme. Dies erfolgt im Rahmen der aufeinanderfolgenden Wertschöpfungsstufen, also der Entwicklung, Produktion und Verwertung von Sachgütern oder Dienstleistungen, um so die Effektivität und die Effizienz zu steigern.[43] Die Autoren Westhaus und Seuring unterscheiden vier Aufgaben des Supply Chain Managements:
1. Die Konfiguration von Produkt und Netzwerk,
2. die Produktentwicklung innerhalb der Wertschöpfungskette,
3. die Gestaltung des Produktionsnetzwerkes und
4. die Prozessoptimierung innerhalb der Wertschöpfungskette.[44]
Um der erweiterten Produktverantwortung gerecht zu werden, wurde ein erweitertes Supply Chain Management entwickelt. Dieses Managementsystem findet zum Beispiel in der Elektro- und Elektronikindustrie Anwendung. Das erweiterte Supply Chain Management sorgt dort dafür, dass die Produkte u.a. so entwickelt werden, dass eine fachgerechte Entsorgung gewährleistet ist. Das weiter entwickelte Supply Chain Management ist damit annähernd deckungsgleich mit dem Product Life Cycle Management, auch Integrierter Produktlebenszyklus genannt. Im Folgenden wird der Begriff des Supply Chain Managements nicht weiter verfolgt, sondern konkret auf den integrierten Lebenszyklus eingegangen.
Der klassische Produktlebenszyklus besteht aus den Phasen Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration. In diesem Modell des Produktlebenszyklus sind weder die Kosten des Entstehungszyklus (z.B. Value Engineering im Rahmen der Wertanalyse), noch die Kosten des Nachsorgezyklus (z.B. die Kosten für das Entsorgen von Altfahrzeugen in der Automobilindustrie in Folge der Rücknahmeverpflichtung[45]) enthalten.[46]
Das Modell des integrierten Produktlebenszyklus geht von vier Phasen aus:
1. Die Phase der Beobachtung,
2. die Phase der Produktentstehung (der Entwicklungs- oder Vorsorgezyklus),
3. die Phase des Angebots (der Marktzyklus, der aus dem klassischen Produktlebenszyklus bekannt ist) und
4. der Nachsorgezyklus.
Bild 3.2: Integrierter Produktlebenszyklus nach Pfeiffer, Quelle: in Anlehnung an Pfeifer, W., 1985, S. 27.
Dabei ist zu beachten, dass alle vier Phasen sich zeitlich überschneiden können. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das Fahrzeug eines Kunden nicht mehr fahrtüchtig ist und der Fahrzeughersteller dieses Fahrzeug dann für den Kunden entsorgt. Im Folgenden wird der Fokus auf die drei Phasen Vorsorge-, Markt- und Entsorgungszyklus gelegt und der Beobachtungszyklus vernachlässigt.
Damit ein Produkt der Automobilindustrie nachhaltig ist, ist es besonders wichtig, dass bereits im Vorsorgezyklus auf eine hohe Umweltverträglichkeit geachtet wird. Bereits in dieser frühen Phase der Produktentwicklung werden wichtige Entscheidungen getroffen, z.B. die Auswahl der Karosseriemetalle, wodurch das Gewicht des Fahrzeugs bestimmt wird und damit auch der Spritverbrauch. Auch die Wahl der Motorisierung ist eine wichtige Komponente um ein spritsparendes Automobil zu entwickeln. Um die Nachhaltigkeit und die Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge weiter voran zu treiben, ist auch die Entwicklung neuer Antriebe eine wichtiger Bestandteil. Die Wahl der Rohstoffe und der Komponenten entscheidet auch über die Verwertbarkeit der Fahrzeuge im Nachsorgezyklus. Der Entwicklungszyklus stellt somit in vielerlei Hinsicht die Weichen für die Produktion eines umweltfreundlichen Fahrzeugs.
Auch die Weiterentwicklung von Produktionsverfahren kann beträchtlich zur Ressourcenschonung und damit zur Umweltverträglichkeit der Produktion beitragen.
In der Automobilindustrie werden viele Vorleistungen bereits von den Zulieferern erbracht. Viele Automobilhersteller (zum Beispiel BMW) führen spezielle Auswahlverfahren durch um die Nachhaltigkeit der Zulieferer zu gewährleisten. Dieser Arbeit liegt die folgende Annahme zugrunde: für den Fall, dass die Wertschöpfungskette bis zum Hersteller nachhaltig ist, auch das zugelieferte Produkt nachhaltig.
Um die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Automobilhersteller systematisch zu untersuchen, wurde der integrierte Produktlebenszyklus als Analyseinstrument gewählt. Dabei wurde aber nur der Vorsorge-, Markt- und Nachsorgezyklus der verschiedenen Automobilhersteller untersucht. Der Beobachtungszyklus wird innerhalb dieser Bachelorarbeit ausgespart, da dabei insbesondere Früherkennungssysteme und Marktforschungsergebnisse zur Anwendung kommen.[47]
Innerhalb der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG (nachfolgend Porsche AG) wird bei Zukunftsprojekten auf die Umweltverträglichkeit geachtet. So wurde am Standort Stuttgart- Zuffenhausen eine neue Lackiererei im September 2011 in Betrieb...