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Entwicklung und Transformation von Neutralität

Ein Vergleich zwischen der Schweiz und dem EU-Mitglied Österreich

AutorJürgen Sucher, Manfred Simanek
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783640159178
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Politische Systeme - Allgemeines und Vergleiche, Note: 2, Universität Wien (Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften), 135 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Sowohl die österreichische als auch die schweizerische Neutralität sind seit 1989 aufgrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der damit verbundenen Beendigung des Kalten Krieges einem Veränderungsprozess unterworfen. In der vorliegenden Arbeit bzw. dem Buch wird die Entstehung und Entwicklung der österreichischen Neutralität und jener der Schweiz analysiert und verglichen. Insbesondere wird darauf eingegangen, inwiefern sich der EU-Beitritt Österreichs und der UNO-Beitritt der Schweiz auf die jeweiligen Neutralitätskonzeptionen ausgewirkt hat. Im ersten Teil werden die wichtigsten Begriffe rund um Neutralität behandelt. Inklusive der rechtlichen Grundlagen und verschiedenen Formen von Neutralitätspolitik. Der Hauptteil beschäftigt sich eingehend mit den beiden Neutralitätskonzeptionen. Von der jeweiligen Entwicklungsgeschichte bis zur gegenwärtigen Neutralitätspolitik, inklusive der öffentlichen Meinung und dem Standpunkt von Parteien. Wesentliche Fragen die beantwortet werden: • Inwiefern unterscheidet sich die Entwicklung der Neutralität und die gegenwärtige Neutralitätspolitik der beiden Staaten? • Wie wirkten sich maßgebliche Ereignisse wie die Beendigung des Kalten Krieges, der EU-Beitritt Österreichs sowie der UNO-Beitritt der Schweiz auf die beiden Neutralitätskonzeptionen aus? • Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten ergaben sich daraus hinsichtlich der Annäherung an Verteidigungsbündnisse? • Welche Differenzen der Zustimmung gibt es in den beiden Ländern vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Entwicklungen?

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Leseprobe

3.4 Öffentliche Meinung und Zustimmung der Schweizer Bevölkerung zur Neutralität


Im folgenden Abschnitt soll die Einstellung und Meinung der schweizerischen Bevölkerung zur Neutralität untersucht werden. Während in den letzten Jahren der kritische und wissenschaftliche Diskurs über die aktuelle Bedeutung der Neutralität immer mehr zunahm, steht die Neutralität innerhalb der Schweizer Bevölkerung nach wie vor hoch im Kurs.

Vor den 1990er Jahren wurden nur wenige aussagekräftige Umfragen zur Neutralität durchgeführt. Meist wurde die Einstellung zur Neutralität am Rande oder im Rahmen von Umfragen zum Verhältnis zu internationalen Organisationen erhoben. Eine davon war eine allgemeine Umfrage zum Verhältnis der Schweiz zur UNO, die im Jahre 1946 stattfand. Unter anderem wurde dabei in einer allgemeinen und einer wissenschaftlichen Umfrage auch nach der Zustimmung zur Neutralität gefragt. Gesamtschweizerisch sprachen sich 68,2 Prozent auch dann für ein Festhalten an der Neutralität aus, wenn dies ein Fernbleiben von der UNO zur Folge hatte. Die wissenschaftliche Untersuchung ergab sogar einen Zustimmungswert von 91,2 Prozent zur Neutralität. 166 Interessant, aber nicht so aussagekräftig (da vorwiegend die Haltung junger Menschen untersucht wird), waren so genannte Rekrutenbefragungen zum Thema Neutralität. Auf die Frage, ob die Schweiz die Neutralität aufgeben sollte, antworteten Ende der sechziger Jahre 69,1 Prozent von 30.000 befragten Rekruten mit einem klaren Nein. Auf der anderen Seite stimmten 8,2 Prozent für ein Aufgabe bzw. 6,1 Prozent für eine Neutralität in anderer Form. 167 Obwohl wissenschaftlich schwer vergleichbar, zeigen diese Werte dennoch einen Trend dahingehend, dass die Zustimmung zur Neutralität in den 1960er und 1970er Jahren etwas abflaute. Wirklich systematische und wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zur Bedeutung der Neutralität liefern seit 1993 von der ETH-ZH (Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich) durchgeführte Umfragen. Die folgenden Abbildungen und Interpretationen basieren auf diesen Erhebungen.


Quelle: Haltinger, Karl. W. (2006), 98.

Wie in Abbildung 1 zu ersehen, befindet sich die Zustimmung zur Neutralität innerhalb der Schweizer Bevölkerung seit 1993 auf konstant hohem Niveau (2006: 90 Prozent). Betrachtet man das Jahr 2002, so scheint es, als ob der beginnende Irak-Krieg die hohe Zustimmung der Neutralität weiter verstärkt habe. 168 Im Gegensatz ist der Anteil der Befürworter eines Neutralitätsverzichtes sehr gering (2006: 11 Prozent). Es zeigt sich also, „dass die Neutralität in der Schweiz eine hohe Zustimmung genießt. Seit Beginn des neuen Jahrtausends muss sogar von einer Art Renaissance der Neutralität gesprochen werden“. 169


Ebenfalls seit 1993 werden in den Untersuchungen der ETH-Zürich die jeweiligen Indikatoren für die Bewertung der Funktionen der schweizerischen Neutralität erhoben. Dabei werden vor allem Vor- und Nachteile, sowie die Wahrnehmung und Bedeutung der Funktionen erhoben, die die SchweizerInnen mit der Neutralität verbinden. Der höchste Wert und damit die größte Bedeutung kommt dabei der Solidaritätsfunktion zu (2006: 89 Prozent). Die Meinung, dass die Schweiz aufgrund ihrer Neutralität in internationalen

Konflikten vermittelt und Gute Dienste leistet, ist in der Bevölkerung ebenfalls stark verankert.

Signifikant steigend ist die Identitätsfunktion. „Im langjährigen Mittel verbanden noch nie so viele SchweizerInnen wie 2006 die Neutralität ’untrennbar mit unserem Staatsgedanken’.“ 170 Hier lässt sich auch eine gewisse Spaltung zwischen den politischen Blöcken beobachten. Während politisch rechts stehende (relativ stabil) die Neutralität besonders stark mit der Schweiz verbinden (86%, +4%), stehen dem linksgerichtete Personen kritischer gegenüber - allerdings deutlich geringer als in den Jahren zuvor (71%, +11%). 171

Im Bereich der sicherheitspolitischen Funktion der Neutralität lässt sich im Gegensatz zu den beiden anderen ein etwas anderer Trend beobachten. Während Solidarität und Identität auf relativ stabilem Niveau verlaufen, verlor die sicherheitspolitische Funktion in den Augen der Bevölkerung seit 1995 bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA stetig an Glaubwürdigkeit. 172 Seit diesem Zeitpunkt ist eine klare Trendumkehr nach oben zu beobachten. Daraus lässt sich die Interpretation ableiten, dass die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die Neutralität auch als angemessenen Schutz vor gegenwärtigen Bedrohungen (wie dem internationalen Terrorismus) sieht. Immerhin sind 59 Prozent der Meinung, dass die Schweiz aufgrund ihrer Neutralität nicht in internationale Konflikte involviert wird. „Es scheint, als ob die skeptische Einstellung gegenüber der weltpolitischen Lage (z.B. wegen Terrorbedrohung, Irakkrieg) das Meinungsbild verstärkt, die Schweiz werde dank ihrer Neutralität nicht in aktuelle Krisen und Konflikte hineingezogen.“ 173


Quelle: Haltinger, Karl. W. (2006), 109.

Die Neutralitätsauffassungen werden anhand von vier Typologien differenziert. So stehen Neutralitätskritiker der Solidaritätsfunktion ambivalent gegenüber und lehnen sowohl die Identifikationsfunktion als auch die sicherheitspolitische Funktion deutlich ab. Weiters wird die bewaffnete Neutralität angezweifelt, die nicht zur Sicherheit und Stabilität in Europa beiträgt. Sie glauben auch nicht, das die Schweiz durch ihre Neutralität von Konflikten verschont bleibt und halten diese für ein nationalegoistisches Konzept, dass die Schweiz an internationaler Mitarbeit hindert. 174 In der Abbildung 3 sieht man, dass

Neutralitätskritiker in allen Altersstufen den geringsten Wert einnehmen. Am höchsten ist der Anteil bei den 20-29 Jährigen (22 Prozent). Im Gegensatz dazu glauben Neutralitätspragmatiker an eine internationale Solidaritätsfunktion der schweizerischen Neutralität, und stimmen der Identifikationsfunktion klar zu. Sie sind der Meinung, dass die Schweiz dank ihrer Neutralität vor Konflikten verschont bleibt und die bewaffnete Neutralität zur Sicherheit und Stabilität in Europa beitragen kann. Neutralitätspragmatiker würden die Neutralität auch dann nicht aufgeben, wenn sie der Schweiz keinen Nutzen mehr bringt. Sie sehen auch kein Problem der Vereinbarkeit der Neutralität bei der Verflechtung und Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. 175 Neutralitätspraktiker haben unter den 50-59 Jährigen (30 Prozent) den höchsten Wert. Interessant ist dabei, dass sich die niedrigsten Werte an beiden Enden der Altersskala finden, und zwar bei den unter 19 Jährigen (23 Prozent) und über 70 Jährigen (18 Prozent).

Personen, die unter dem Begriff Neutralitätsdissonante zusammengefasst werden, beantworten fast alle positiven und negativen Neutralitätsfunktionen zustimmend. Ihr Antwortverhalten ist also widersprüchlich. Hohe Zustimmung erhalten dabei die Solidaritäts- und Identitätsfunktion. Eine Mehrheit glaubt auch, dass die Neutralität eine positive Wirkung auf die europäische Sicherheit und Stabilität ausübe und bejaht deren sicherheitspolitischen Nutzen. Neutralitätsdissonante würden auch dann nicht auf die Neutralität verzichten, wenn diese der Schweiz keine Vorteile mehr brächte. In dieser Widersprüchlichkeit zeigt sich ein hohes Maß an Verunsicherung in Neutralitätsfragen. Personen dieser Auffassungsrichtung sehen zwar verstärkende Hindernisse für die Neutralität, möchten aber emotional trotzdem an ihr festhalten. 176 Die Grafik zeigt, dass dieser widersprüchliche Typus vor allem bei den jüngeren Teilen der Schweizer Bevölkerung vorherrscht und in der Altersgruppe der bis 19 Jährigen (45 Prozent) seinen höchsten Wert hat.

Der vierte in der Grafik dargestellte Typus ist jener der Neutralitätstraditionalisten. Im Vergleich zu den anderen Neutralitätstypen erfahren für diese Personen insbesondere die

Solidaritäts- und Identitätsfunktion eine hohe Zustimmung. Sie stimmen überaus deutlich den positiven Neutralitätsfunktionen zu und lehnen ganz klar jegliche Negativaussagen ab. Gleichsam ist der Glaube an die der Neutralität zu verdankenden Gelegenheiten für Gute Dienste ungebrochen. Traditionalisten lehnen die Vorgabe, wonach die schweizerische Neutralität ein Hindernis für gemeinsames Handeln mit anderen europäischen Staaten wäre, klar ab. Grundsätzlich wird der Neutralität eine hohe symbolische Wirkung zugeschrieben, die eng mit dem schweizerischen Gedankengut verbunden ist. 177 Die meisten Personen dieses Typus findet man in der Grafik bei den über 70 Jährigen (46 Prozent). Demgegenüber ist der Wert bei den jüngeren Bevölkerungsschichten am geringsten (bei den 20-29 Jährigen 22 Prozent). Interessant ist allerdings, das bei den 50- 59 Jährigen der zweitniedrigste Wert (23 Prozent) aufscheint wogegen Traditionalisten in den Altergruppen davor (40-49 Jährige 28 Prozent) sowie danach (60-69 Jährige 40 Prozent) vermehrt aufscheinen.


Quelle: Haltinger, Karl. W. (2006), 106.

Abbildung 4 verdeutlicht, dass gegenwärtig das traditionalistische...

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