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Entwicklungspsychologie - Kindes- und Jugendalter

AutorGudrun Schwarzer, Martin Pinquart, Peter Zimmermann
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl390 Seiten
ISBN9783844428612
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Der Band liefert in 14 Kapiteln einen gut verständlichen Überblick über die Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Dazu beleuchtet er die zentralen Forschungsfelder, Theorien und Befunde der Entwicklungspsychologie. Zahlreiche Kästen mit Beispielen und Zusammenfassungen, Tabellen und Abbildungen, Verständnisfragen sowie ein Glossar strukturieren den Text und erleichtern die Prüfungsvorbereitung. Nach einer Einführung in die Grundannahmen der Entwicklungspsychologie wird auf die methodischen Aspekte bei der Durchführung entwicklungspsychologischer Untersuchungen eingegangen. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Entwicklung der verschiedenen Funktionsbereiche: Ausführlich werden die basalen Entwicklungen von Wahrnehmung und Psychomotorik sowie von Denken und Informationsverarbeitung erörtert. Zudem werden die wesentlichen Aspekte der moralischen, emotionalen, motivationalen, sozialen und sprachlichen Entwicklung dargestellt. Weitere Kapitel widmen sich der Entwicklung von Persönlichkeit und Selbstkonzept sowie der Entwicklung der Geschlechtsidentität, von geschlechtstypischen Einstellungen und Verhaltensweisen. Abschließend behandelt der Band ausgewählte Entwicklungsstörungen und psychische Probleme im Kindes- und Jugendalter sowie Möglichkeiten zur Förderung der Entwicklung.

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Leseprobe

|15|Kapitel 1
Gegenstand und Aufgaben der Entwicklungspsychologie


Martin Pinquart

|16|Schlüsselbegriffe

  • Was versteht man unter psychischer Entwicklung?

  • Der Gegenstand der Entwicklungspsychologie

  • Die Rolle von Erbanlagen, Umwelt und der Eigenaktivität des Individuums bei der Entwicklung

  • Geschichte der Entwicklungspsychologie

1.1 Der Entwicklungsbegriff


Sich mit Entwicklungspsychologie zu beschäftigen, setzt eine Vorstellung darüber voraus, was man unter psychischer Entwicklung versteht, was die dabei zugrunde liegenden Mechanismen sind und welche Faktoren die Entwicklung beeinflussen. Hierbei gab und gibt es eine Vielfalt von theoretischen Vorstellungen, wobei zu bestimmten Zeiten und in einzelnen Teilbereichen der Entwicklungspsychologie jeweils bestimmte Auffassungen dominierten (zur Übersicht, Pinquart & Silbereisen, 2006). Die folgende Definition von Entwicklung wird von vielen Vertretern des Faches geteilt:

Definition

Unter psychischer Entwicklung des Individuums versteht man die geordnete (regelhafte), gerichtete und längerfristige Veränderung des Erlebens und Verhaltens über die gesamte Lebensspanne.

Die Definition soll im Folgenden weiter erläutert werden:

  • Entwicklung des Individuums: Prinzipiell ist es möglich, die Entwicklung auf verschiedenen Zeitachsen zu untersuchen. Entwicklungspsychologen beschäftigen sich in der Regel mit der Individualentwicklung (Ontogenese) oder Abschnitten davon (etwa der Kindheit oder dem Jugendalter). Darüber hinaus kann man auch die Entwicklung des Psychischen im Rahmen der Stammesentwicklung (Phylogenese) und im Rahmen der Herausbildung der Gattung Mensch bis zu ihrem heutigen Entwicklungsstand betrachten (die sogenannte Anthropogenese als Ausschnitt der Phylogenese). Dies erfolgt aber vor allem im Rahmen der vergleichenden Verhaltensforschung. Hier ist z. B. von Interesse, ob bestimmte Verhaltensweisen des Menschen Vorläufer im Tierreich und bei den unmittelbaren Vorfahren der Gattung Mensch haben und damit eine biologische Basis aufweisen. Weiterhin ist es möglich, die Entwicklung eines einzelnen psychi|17|schen Prozesses (etwa eines einzelnen Denkprozesses vom Stellen einer Frage bis zur Formulierung der zugehörigen Antwort) zu betrachten (die sogenannte Aktualgenese). Damit beschäftigt sich allerdings die Allgemeine Psychologie und nicht die Entwicklungspsychologie.

  • Geordnetheit/Regelhaftigkeit der Veränderung: Um Veränderungen als Entwicklung zu bezeichnen, sollten sie eine irgendwie geartete Ordnung und einen inneren Zusammenhang aufweisen und systematisch auseinander hervorgehen (Thomae, 1959). So kann ein Entwicklungsschritt die notwendige Voraussetzung für den Übergang zum nächsten Schritt sein (etwa im Stufenmodell der Denkentwicklung von Piaget, 1936; vgl. Kapitel 4). Das Kriterium der Geordnetheit von Veränderungen mag auf den ersten Blick zu deterministisch wirken, wenn man daran denkt, dass unsere Entwicklung auch von Zufällen beeinflusst wird (z. B. von kritischen Lebensereignissen wie einem Unfall oder einer schweren Krankheit). Aber auch hier hängen die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Entwicklung von der vorherigen Entwicklung ab (etwa welche Kompetenzen schon vorhanden sind, um mit dem Lebensereignis umzugehen).

  • Gerichtetheit der Veränderung: Entwicklungspsychologen sind sich darin einig, Schwankungen und zufällige, völlig desorganisierte Veränderungen nicht als Entwicklung zu bezeichnen. Wenn man z. B. nach durchzechter Nacht am Morgen in der Vorlesung müde ist, am nächsten Tag nach ausreichend Schlaf wieder munter und am darauf folgenden Tag wieder verschlafen ist, so handelt es sich zwar um Veränderungen des Wachheitszustandes, jedoch nicht um Entwicklung. Weniger Einheitlichkeit besteht in der Meinung, worauf die Entwicklung gerichtet ist. Während man lange Zeit Entwicklung nur als Höherentwicklung ansah (etwa als Zuwachs von Fähigkeiten), geht man heute mehrheitlich davon aus, dass Entwicklung sowohl Gewinn als auch Verlust, den Aufbau als auch den Abbau von Fähigkeiten umfasst. Hierbei treten Gewinn und Verlust oft nebeneinander auf, etwa wenn bis in das höhere Erwachsenenalter das Wissen (die sogenannte kristallisierte Intelligenz) zunehmen kann, während die Fähigkeit zum Lösen neuartiger Probleme (die flüssige Intelligenz) bereits früher wieder abzusinken beginnt. Man spricht somit auch von der Multidirektionalität der Entwicklung (Baltes, Lindenberger & Staudinger, 2006).

  • Längerfristigkeit der Veränderung: Mit diesem Kriterium möchte man kurzzeitige Veränderungen – wie etwa die bereits weiter oben genannten Schwankungen – aus der Definition von Entwicklung ausschließen. Allerdings kann man nicht nur jene Veränderungen als |18|Entwicklung bezeichnen, die ein Leben lang anhalten, denn viele eingetretene Veränderungen können später modifiziert oder – etwa bei einem Altersabbau – auch wieder teilweise oder vollständig rückgängig gemacht werden. Zudem sind kurzzeitige Veränderungen dann von entwicklungspsychologischem Interesse, wenn sie langfristige Veränderungen nach sich ziehen. So wächst z. B. zwischen dem 4. und 5. Lebensjahr vorübergehend der Anteil der Kinder, die mit einer Verkleidung als Junge oder Mädchen auch eine Veränderung des eigenen Geschlechts verbinden. Dieses Übergangsstadium beruht aber nur darauf, dass sie vorher vertretene irrelevante Begründungen aufgeben (etwa weil Jungen keine Mädchenkleider anziehen würden) und erst danach die richtigen (biologischen) Begründungen für die Geschlechtskonstanz lernen (vgl. Kapitel 12).

  • Veränderungen über die Lebensspanne: Die Entwicklung des Individuums beginnt mit der Befruchtung der Eizelle und endet erst mit dem Tode. Während sich die Entwicklungspsychologie anfangs fast ausschließlich mit dem Kindes- und Jugendalter befasste, steht heute die Entwicklung über die gesamte Lebensspanne im Mittelpunkt (Baltes et al., 2006). Wenn man Entwicklung als mit dem Alter assoziierte Veränderungen versteht, ist es wichtig zu betonen, dass das Alter nicht die Ursache dieser Veränderungen ist, sondern nur die zeitliche Dimension, auf der sich Entwicklung vollzieht (Wohlwill, 1970). Auslöser der Entwicklung ist stattdessen das mit dem Alter assoziierte Zusammenspiel von biologischen und sozialen Veränderungen (etwa von Reifungsprozessen des Gehirns und von Möglichkeiten zum Sammeln von Lernerfahrungen beim Übergang zur Schule; vgl. Abschnitt 1.4).

Bei anderen Aspekten der Definition von Entwicklungsprozessen gibt es in der Literatur weniger Übereinstimmung:

  • Quantitative und/oder qualitative Veränderungen: Während Stufentheorien die psychische Entwicklung als Durchlaufen qualitativ unterschiedlicher Stufen charakterisieren (z. B. Piagets Theorie der Denkentwicklung; vgl. Kapitel 4), haben Lerntheorien die Entwicklung als quantitative Veränderungen beschrieben (z. B. als Zuwachs von Wissen über einen bestimmten Gegenstand). Beides stellt eine Einengung des Entwicklungsbegriffes dar und qualitative sowie quantitative Veränderungen treten oft gemeinsam auf. Wenn z. B. beim Erlernen von Wortlisten beobachtet wird, dass die Zahl von erinnerten Wörtern in Kindheit und im Jugendalter ansteigt, so handelt es sich um einen quantitativen Zuwachs. Wird aber zudem beobachtet, dass die Jugendlichen im Gegensatz zu den Kindern Stra|19|tegien einsetzen, um eine höhere Leistung zu erzielen (etwa die Gruppierung der Wörter anhand von Oberbegriffen), so liegt eine qualitative Veränderung vor (Schneider, Knopf & Stefanek, 2002).

  • Reversible und/oder irreversible Veränderungen: Stufentheorien der...

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