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Epochengrenze 1918?

Beiträge zum Jubiläum '100 Jahre selbstständiges Land Vorarlberg'

VerlagUniversitätsverlag Wagner
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783703009372
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Am 3. November 1918, mit dem Ende des Ersten Weltkriegs für Österreich-Ungarn und der Auflösung der Habsburgermonarchie, wurde in Vorarlberg eine provisorische Landesversammlung gebildet. Damit nutzte Vorarlberg in einer Zeit, in der die Zukunft des neuen österreichischen Staates noch im Ungewissen lag, die Chance auf einen Neubeginn. Mit der Begründung des selbstständigen Landes Vorarlberg und dem Beitritt zu Deutsch-Österreich wurde nicht zuletzt der Grundstein für eine moderne Demokratie gelegt. Seit der Selbstständigkeitserklärung Vorarlbergs sind nunmehr 100 Jahre vergangen - Grund genug, einen Blick auf die Ereignisse von 1918/19 zu werfen, sowie die Entwicklungen, die zu ihnen führten, nachzuzeichnen.

Alois Niederstätter, ao.?Univ.-Prof.??Dr., ist Direktor des Vorarlberger Landesarchivs in Bregenz. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind die Vorarlberger Landesgeschichte, die Geschichte des Bodenseeraumes, die spätmittelalterliche Reichsgeschichte sowie die Historischen Hilfswissenschaften. Im Universitätsverlag Wagner erschien das dreibändige Standardwerk zur Geschichte Vorarlbergs, vom Mittelalter bis in die Gegenwart: 'Vorarlberg im Mittelalter. Geschichte Vorarlbergs, Band 1' (Alois Niederstätter, 2013), 'Vorarlberg 1523 bis 1861. Auf dem Weg zum Land. Geschichte Vorarlbergs, Band 2' (Alois Niederstätter, 2015), 'Das Land Vorarlberg 1861 bis 2015. Geschichte Vorarlbergs, Band 3' (Meinrad Pichler, 2015) sowie 'Die Vorarlberger Burgen' (2016) und 'Vorarlberg kompakt. 101 Fragen - 101 Antworten' (2017).

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Leseprobe

Alois Niederstätter

Ständische Mitbestimmung und Landtage vom Spätmittelalter bis um 1800


Fürst und Land: Aufgaben und Pflichten


Der Fürst des Spätmittelalters herrschte keineswegs »souverän«. Legitime Herrschaft war vielmehr, indem sie beide Seiten verpfl ichtete, in erstaunlich hohem Maß begrenzt bzw. geteilt: [1] Der Herr hatte in erster Linie für den Schutz vor äußeren Feinden zu sorgen, den inneren Frieden durch Gerichtsbarkeit und die Exekution der Urteile zu sichern sowie Gemeinschaftseinrichtungen zu unterhalten. Den Untertanen oblag es, den Herrn beim Erfüllen seiner Aufgaben zu unterstützen, bei Gericht und anderen Gemeinschaftsangelegenheiten mitzuwirken, in einem vorgegebenen Rahmen wehrpfl ichtig zu sein sowie unter bestimmten Voraussetzungen außerordentliche Steuern und Leistungen zu erbringen. Aus dieser Hilfspfl icht erwuchs das Recht zur Mitsprache in den Angelegenheiten der Gemeinschaft sowie zur Genehmigung der Zuwendungen, die über das gewohnheitsrechtlich oder durch Übereinkunft fi xierte Maß hinausgingen.

Den organisatorischen Rahmen dafür bildete das »Land«. Dieser Begriff meint im Zusammenhang mit Landesherrschaft kein Territorium, sondern einen Personenverband. Eine Gruppe von Menschen, die nach einem bestimmten Recht lebte, es tradierte und dabei auch weiterentwickelte, »war« das Land. »Landvolk« bedeutete aber nicht »Bevölkerung«, sondern umriss eine exklusive Gruppe von Grundbesitzern, einen »Grundherrenverband«. Es waren die lokalen adeligen Machtträger, die der Landesherr zusammenrief, um die höchste Ebene der Gerichtsbarkeit auszuüben und Regierungsakte zu setzen. Otto Brunner schuf die noch heute gültige Defi nition dafür: Nur jenes Gebiet war ein Land, in dem ein einheitliches Landrecht galt. [2]

Die alten Länder waren verhältnismäßig groß: Das Herzogtum Schwaben war ein Land, ebenso das Herzogtum Bayern oder das Herzogtum Kärnten. Durch Abspaltung entstanden kleinere Einheiten: Aus dem bayerischen Landrechtsverband lösten sich Österreich, Tirol und Salzburg. Im späteren Mittelalter spielten Größe und Rechtsstellung keine Rolle mehr. Nicht nur Herzogtümer oder Grafschaften fungierten als Länder, sondern auch bäuerliche Gemeinden wie etwa die Talschaften der Innerschweiz.

»Herrschaft« und »Land« konnten sich zwar vom Umfang her decken, waren aber zweierlei. Unter »Herrschaft« versteht man jenen Komplex an Besitzungen und Rechten, über den ein Herr verfügte. »Herrschaft« und »Land« bildeten aber keinen Gegensatz. Die meisten Länder verdankten ihr Entstehen oder ihren weiteren Bestand landesherrlicher Politik, die eine Herrschaft zum Land werden ließ oder zum Land machte. In manchen Herrschaften, wie in denen der Grafen von Montfort im Bodenseeraum, blieb die Landesbildung auf halbem Weg stecken. Andererseits aber konnten Länder unter bestimmten Voraussetzungen durchaus ohne Landesherrn bestehen, wie die Entwicklung der eidgenössischen Länderorte zeigte. In der Regel aber gehörten Land und Herr zusammen.

Um sich der Hilfe des Lands zu versichern, lud der Fürst zum Landtag. Die Zusammensetzung dieses Personenkreises hing von den jeweiligen territorialgeschichtlichen Gegebenheiten ab. In den Herzogtümern Österreich, Steiermark und Kärnten traten die adeligen und geistlichen Grundherren sowie die Magistrate der landesfürstlichen Städte zu den Landtagen zusammen. In Tirol kamen die Repräsentanten jener ländlichen Gerichtssprengel hinzu, die dem Landesherrn unmittelbar unterstanden, also keinen adeligen und geistlichen Grundherrn über sich hatten. Jener Kreis, der zum Landtag geladen war, hieß »Land«, »Landschaft«, »Landstände« oder einfach »Stände«. [3]

Die vorarlbergischen Herrschaften – kein »Land«


Als Graf Hugo I. von Montfort [4] zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Teilen des östlichen Bodenseeraums die Herrschaft antrat, zeichneten sich weder die Grenzen des späteren Vorarlberg ab noch war sein Machtbereich ein Land. Dafür fehlte als wichtigste Voraussetzung ein eigenes Landrecht. Hugos Besitzungen waren Teil des staufischen Herzogtums Schwaben, ihre Bewohner lebten nach dessen Recht.

Erst der Zusammenbruch der staufischen Macht um die Mitte des 13. Jahrhunderts bot die Chance, sich aus dem Herzogtum zu lösen, das Territorium auszubauen, innerlich zu festigen und damit auch die Ausformung eines Lands in die Wege zu leiten. Tatsächlich lassen sich unter der Herrschaft der Söhne und Enkel Hugos einschlägige Maßnahmen belegen: Reichsgut wurde usurpiert, Städte gegründet, Burgen errichtet, Geleit- und andere Hoheitsrechte beansprucht. Im 13. und 14. Jahrhundert tauchen sogenannte »Landgerichte« auf. [5]

Wappen der Grafen von Montfort und von Werdenberg in der Wappenrolle von Zürich (14. Jahrhundert).

Eine rasche Folge von Erbteilungen und familieninternen Auseinandersetzungen machte aber alle Ansätze einer Landesbildung zunichte. Der Herrschaftsbereich der Montforter und der von ihnen abstammenden Grafen von Werdenberg [6] zerfiel in eine Reihe kleiner territorialer Gebilde, die zwar ihren reichsfreien Status behaupten konnten, die Voraussetzungen für die Entstehung eines Landes im herkömmlichen Sinn aber nicht mehr besaßen. Es mangelte an einem gemeinsamen Landrecht ebenso wie an einer Landesgemeinde.

Dass aber dennoch auf Vorarlberger Boden Landstände entstanden, ist zwei Komponenten zu verdanken: zum einen der territoriale Expansion des Hauses Habsburg auf dem Gebiet des nachmaligen Vorarlberg [7] und zum anderen der Ausbildung eines der Landesherrschaft unmittelbar zugehörigen regionalen Gerichts- und Verwaltungssystems.

1363 erwarb Herzog Rudolf IV. von den Reichsrittern Thumb von Neuburg die kleine Herrschaft Neuburg am Rhein. Es folgten – ebenfalls durch Kauf – die Herrschaften Feldkirch (1375/90) von Rudolf V. von Montfort-Feldkirch, Bludenz (1394/1420) von Albrecht III. von Werdenberg-Heiligenberg-Bludenz und die Südhälfte der Herrschaft Bregenz (1451) von Elisabeth von Montfort-Bregenz. 1453 okkupierte Herzog Sigmund »der Münzreiche« den Tannberg und das Kleinwalsertal, 1474 mussten die Truchsesse von Waldburg die Teile des Walgaus und das Klostertal umfassende Grafschaft Sonnenberg an den Habsburger abtreten. Mit dem Kauf der Nordhälfte der Herrschaft Bregenz im Jahr 1532 von Hugo XVII., dem letzten Bregenzer Montforter, fanden die österreichischen Erwerbungen ihr vorläufiges Ende. Aus Innsbrucker Sicht nannte man diese Gebiete die »Herrschaften vor dem Arlberg«. Verwaltet wurden sie in landesfürstlichem Auftrag von adeligen Vögten, die ihre Sitze in Bregenz, Feldkirch und Bludenz hatten. [8]

Gleichzeitig vollzog sich eine Art »Landwerdung« im Kleinen. Den Rahmen dafür gaben die meist schon unter den Montfortern und Werdenbergern aus Personenverbänden entstandenen Niedergerichtsprengel ab. Sie entwickelten allmählich – subsidiär vom schwäbischen Landrecht – eigene Rechtsnormen, sogenannte »Landsbräuche«, die für die Gemeinden der im Gericht ansässigen, überwiegend bäuerlichen Grundbesitzer maßgeblich waren. Tatsächlich verwendete man schon im ausgehenden Mittelalter für diese Gerichtssprengel den Begriff »Land«. [9] Dazu kamen mit Bregenz, Bludenz und Feldkirch die drei Städte auf Vorarlberger Boden, die gleichfalls eigene Gerichts- und Verwaltungssprengel bildeten.

Diese Gerichte [10] wirkten in wichtigen Bereichen der öffentlichen Gewalt – insbesondere der Rechtsprechung, der Steuereinhebung und der Organisation der Landesverteidigung – mehr oder weniger autonom. Ausschlaggebend für den jeweiligen Status war, wer im ausgehenden Mittelalter die Herrschaftsrechte besessen hatte, wann der Übergang an Österreich erfolgt war, ob das Gericht zentral oder peripher lag, es sich um ein ländliches oder ein städtisches Gericht handelte. Während die Stadt Feldkirch und der Hinterbregenzerwald die volle Hochgerichtsbarkeit samt dem Begnadigungsrecht besaßen, [11] fungierten andere Gerichte nur als »Niedergerichte« in Bagatellsachen.

Weil es in den kleinräumigen Herrschaftssprengeln der Montforter und Werdenberger weder deren adeligen Dienstleuten noch den wenigen Klöstern gelungen war, eigene Grundherrschaften mit Gerichtsrechten zu bilden, [12] konnten die Landesherren unmittelbar auf die bäuerlichen Untertanen zugreifen, sie in Gerichtsgenossenschaften organisieren und deren Organen gewisse Kompetenzen delegieren. Die Habsburger hielten an diesem System nicht nur fest, sondern bauten es weiter aus. Der Grund dafür war, dass der Erwerb der vorarlbergischen Herrschaften weniger ökonomische als geopolitische Bedeutung hatte. Eine vergleichsweise milde Herrschaftsausübung erleichterte weitere Erwerbungen, da die Untertanen den Herrschaftswechsel nicht nur begrüßten, sondern teils sogar mitfinanzierten. [13]

An der Spitze des Gerichts stand in der Mehrzahl der Sprengel ein Ammann (Stadt- oder Landammann). [14] Als Beisitzer und...

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