Bürger bringen sich immer mehr in die Politik und Verwaltung ein und möchten aktiv mitgestalten. Regieren bzw. Verwalten heute ist kein Verhandeln und Klüngeln hinter verschlossenen Türen mehr. Stattdessen wird offener interagiert, um verschiedene Akteure in (Entscheidungs-)prozesse mit einzubeziehen. Zunächst war hier die Forderung nach Transparenz der Aktionen von Politik und Verwaltung. Darauf folgte die vermehrte Forderung der Bürger, in höherem Maße beteiligt und ‚gefragt‘ zu werden. Die Bürger erweitern so ihre traditionelle und ihnen rechtlich zustehende Teilhabe, das Wahlrecht, es wird ergänzt um zwei neue Wege der Partizipation: Zum einen die partizipativen Formen, also Bürgerbegehren, Bürgerentscheide und ähnliche Ausprägungen der demokratischen Beteiligung und zum anderen die dialogorientierten, deliberativen[8] Verfahren.
Abbildung 1: Beteiligungsleiter
Viele Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung scheinen ihre Befürchtungen und Vorbehalte gegenüber den Bürgen zu verlieren und die Türen der Rathäuser und Verwaltungen dem Bürger zu öffnen, anders ließe sich die steigende Zahl der Bürgerbeteiligungsverfahren kaum erklären. Hier geht es nicht nur um eine Legitimierung und Transparenz der politischen Aktionen und Entscheidungen, sondern auch um das Nutzen von Input, Ideen und Expertenwissen,[9] welches bei den Bürgern als Betroffene und Adressaten von Entscheidungen verortet ist. Gerade dieses Expertenwissen geht bei Entscheidungsprozessen, die nicht durch den Bürger beeinflussbar sind, verloren. Beispielsweise kann der Standort einer zusätzlichen Tramhaltestelle mathematisch bestimmt werden. Oder aber im Zuge eines Beteiligungsverfahrens durch die Bürger vor Ort entschieden werden. Tendenziell führt solch ein Diskurs zu zufriedenstellenderen Ergebnissen auf beiden Seiten, als die bloße Bestimmung eines neuen Standorts.[10]
Zusätzlich stärken solche Verfahren ungemein das ‚Wir-Gefühl‘ unter den Bürgern.[11] Denn eine Kommune, also Gemeinde, ist aus soziologischer Sicht ein Teil unserer Identität, eine (Über-)Lebensgemeinschaft zur gemeinschaftlichen Bewältigung von Aufgaben und die Geburtswiege unserer Gesellschaft und kann als lokales Gegengewicht zur Staatspolitik gesehen werden.[12]
Zur Einordnung solcher partizipativer Verfahren schuf Sherry Arnstein die sogenannte ‚Beteiligungsleiter‘. Dieses Modell zeigt den Weg, den der Bürger über Stufen erklimmen muss, um von der Nicht-Partizipation zu Bürgermacht zu gelangen (vgl. Abbildung Nr. 1 oben). Eine solches Verfahren zur Erlangung von Bürgermacht sind Bürgerhaushalte.
Der Bürgerhaushalt ist in Deutschland ein relativ neues Verfahren zur Beteiligung der Bürgerschaft bei der Erstellung des Haushaltes, insbesondere auf lokaler Ebene. Die Vorreiter dieser Entwicklung waren die Städte Porto Alegre in Brasilien sowie Christchurch in Neuseeland. Hier wurden die Verfahren unabhängig voneinander in den 1980er-Jahren durchgeführt und weltweit beachtet. Nach Deutschland kam diese Art der Bürgerbeteiligung im Jahr 1998. Die Kommunen Mönchweiler und Blumberg im Schwarzwald (Baden-Württemberg) waren hier Pioniere, im Jahr 2000 folgten dann die Kommunen Rheinstetten (ebenfalls Baden-Württemberg), Neustadt an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz), Staufenberg (Hessen) und Groß-Umstadt (Hessen).[13]
Gründe für die Einführung von Bürgerhaushalten sind mehrheitlich die Einführung neuer, partizipativer demokratischer Elemente auf kommunaler Ebene, oft unterstützt von dem Versuch der Kommunalverwaltungen, eine transparente Geldpolitik zu betreiben sowie die finanzielle Situation der Kommune offenzulegen. Konkret geht es darum, ein Verfahren bereitzustellen, welches über die verpflichtenden gesetzlichen Regelungen der Partizipation am Prozess der Haushaltsplanung hinausgeht. Diese Regelungen sind in den jeweiligen Kommunalverfassungen der Länder verankert, für Nordrhein-Westfalen beispielsweise in § 80 KomVerf[14]welcher regelt, dass die Sitzungen öffentlich sein müssen oder die Haushaltssatzung inklusive aller Anlagen offen zugänglich ausliegen muss.
Allerdings gibt es auch Fälle wie z. B. beim Bürgerhaushalt der Stadt Solingen (Nordrhein-Westfalen) im Jahr 2010, bei welchem die Bürger konkret dazu aufgefordert wurden Sparvorschläge einzubringen, um der ohnehin geplanten Kürzung von Mitteln eine größere Akzeptanz zu verleihen.[15]
Ziel eines Bürgerhaushaltes ist allerdings stets das Schaffen eines Dialogs zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung, es soll über die bloße Information der Bürger hinausgehen.[16]
In Deutschland ist die Beteiligung von Bürgern über Bürgerhaushalte zwar immer noch eine Randerscheinung. Dennoch sind die vorhandenen Verfahren bereits etabliert und über die ‘experimentelle Phase‘ hinaus. Bürgerhaushalt.org[17], eine Homepage die sich das Berichten über Bürgerhaushalte und alles rund um das Thema Bürgerhaushalt zum Thema gemacht hat, zählte im Januar 2013 von 403 untersuchten Kommunen, 96 Kommunen zum „Status E“ und „F“, also Kommunen die einen Bürgerhaushalt eingeführt haben, oder in bereits mehrfach fortgeführt haben.[18]
Um sich der Komplexität der oben aufgeworfenen Frage nach Erfolgsfaktoren solcher Bürgerhaushalte besser nähern zu können, nutzte ich eine minimale Definition von Erfolg eines solchen Verfahrens: Das Verfahren ist dann erfolgreich, wenn es nach Abschuss einer bestimmten Periode fortgeführt wird. Im Umkehrschluss ist der Bürgerhaushalt gescheitert, wenn er durch die Politik eingestellt wird.
Diese ausschließliche Betrachtung von Erfolg bzw. Misserfolg schließt natürlich eine differenzierte Betrachtung des outputs von Fallbeispielen aus, allerdings liegt hier auch nicht der Fokus der Arbeit. Die Folgen bzw. der output sind in obenstehender Definition bereits als Fortführung bzw. Einstellung hinreichend skizziert. Zumal die Definition von ‚Erfolg‘ bei Bürgerbeteiligungsverfahren momentan noch umstritten ist und hier zunächst geeignete Kategorien geschaffen werden müssen. Die Wahl einer solchen minimalen Definition ist der einzige geeignete Kompromiss für die Betrachtung der auch ohne Definition vorhandenen Faktoren des Erfolgs von Bürgerhaushalten. Um der politischen Praxis adäquat zu begegnen, werden darüber hinaus in dieser Arbeit die Faktoren des Erfolgs einer näheren Betrachtung unterzogen, als die des Scheiterns. Durch die Abwesenheit des Erfolgs ist der Misserfolg sodann definiert.
Art.28. Absatz 2 Satz 3 GG zählt die finanzielle Eigenverantwortlichkeit auch zur Gewährleistung der Selbstverwaltung folglich darf die Budgethoheit, das „Königsrecht“ der kommunalen Gremien, nicht beschnitten werden. Daher, wird in Deutschland stets ein konsultatives Verfahren angewandt. Deutsche Kommunen befinden sich damit in der oben vorgestellten Beteiligungsleiter lediglich auf Stufe drei, „Konsultation“. Die abschließende Entscheidung darüber, welche Vorschläge in welcher Form umgesetzt werden, oder ob eingereichte Vorschlage überhaupt umgesetzt werden, liegt demnach bei der Kommunalpolitik und der Gemeindeverwaltung. Diese Tatsache kann bei Beteiligten eines Bürgerhaushalt-Verfahrens bisweilen enttäuschend wirken, daher sollte sich dies vor dem Verfahren vergegenwärtigt werden, um solchen Enttäuschungen vorzubeugen.
Der Begriff Bürgerhaushalt oder das Verfahren an sich sind nicht gesetzlich definiert, allerdings werden von Sachverständigen folgende Kriterien genannt[19]:
Es muss sich um eine Beteiligungsform an der Aufstellung des Haushalts handeln, die über die gesetzlichen Mindesterfordernisse (Öffentlichkeit der Beratung, Auslegung des Entwurfs, Möglichkeit der Erhebung von Einwendungen, Publizität des beschlossenen Plans, Publizität der Jahresrechnung) hinausgeht.
Es muss sich um ein auf Dauer angelegtes und wiederholtes Verfahren handeln. Ein einmaliges Referendum zu Haushalts oder steuerpolitischen Fragen ist kein Bürgerhaushalt.
Es sollte sich um einen eigenständigen Diskussionsprozess handeln, der mittels Internet und/oder Versammlungen bzw. Treffen geführt wird. Eine Befragung oder ein Referendum allein ist demnach kein Bürgerhaushalt. Ebenso nicht die bloße Öffnung bestehender Verwaltungsgremien oder Institutionen der repräsentativen Demokratie.
Die Ergebnisse des Verfahrens sind öffentlich zu machen.
Ein eigenes Bürgerbudget wird gelegentlich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, ist aber nicht zwingend erforderlich.“
Zusätzlich zu diesen Kriterien gibt es noch einen idealtypischen Ablauf des Verfahrens in drei Schritten: [20]
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