Die Einführung eines schlanken Produktionssystems hat weitreichende Konsequenzen für das ganze Unternehmen.[90]) Es ist daher wichtig, diesen Wandel als strategischen Prozess zu verstehen, der strukturiert gestaltet werden muss.[91]) Andernfalls besteht die Gefahr entweder komplett zu scheitern oder jedenfalls keine nachhaltigen Verbesserungen zu erzielen.[92])
Von herausragender Bedeutung ist daher die aktiv gestaltende Rolle des Top-Managements.[93]) Es muss eine übergreifende, langfristige Vision vorgeben und aufzeigen, welche strategischen Ziele mithilfe der schlanken Produktion erreicht werden sollen. Beginnend bei den Führungskräften muss die Unternehmensleitung auf plausible Art und Weise kommunizieren, weshalb ein Wandel der Produktionsphilosophie notwendig ist.[94]) Dies schließt die Darstellung der Vorgehensweise und der resultierenden Anforderungen und Herausforderungen ein. Diese Transparenz zu vermitteln, stellt eine anspruchsvolle Aufgabe dar, die aber notwendig ist, um der Belegschaft Ängste, insbesondere vor Arbeitsplatzverlust im Zuge der ja angestrebten Rationalisierung zu nehmen. Langfristige Jobgarantien können ein adäquates Mittel sein, um Vertrauen in das Management sicherzustellen.[95]) Erst wenn die Belegschaft überzeugt und motiviert ist, können Prozesse und Ablaufstrukturen verändert werden, nicht umgekehrt.[96])
Schlanke Produktion kann nur dann gelingen, wenn das Top-Management absolut überzeugt ist und die Umsetzung mit Entschlossenheit vorantreibt.[97]) Andernfalls sind alle anderen Anstrengungen vergeblich. Die substanzielle Bedeutung der Führung ist kaskadenartig zu verstehen.[98]) Von oben ausgehend müssen nachfolgend alle weiteren Führungsebenen die Philosophie der schlanken Produktion verinnerlichen und dann konsequent ihren Mitarbeitern vorleben. Dafür müssen sie im Vorfeld in der Methodenkenntnis trainiert und vor allem auch auf ihre Rolle als „Coach“ vorbereitet werden.[99])
Jedoch ist es nicht unüblich, dass erste Aktivitäten vom mittleren Management ausgehen, die das Top-Management dann auch wohlwollend annimmt.[100]) Wenn es aber um die Bereitstellung von Ressourcen geht, Verantwortliche benannt werden müssen und erste Konflikte auftreten, schwindet häufig die Unterstützung des Managements. Auch wenn der Anstoß vom oberen Management selbst kommt, verhält es sich oftmals zu passiv und lässt die nachfolgenden Führungsebenen alleine bzw. sorgt nicht für die notwendigen Rahmenbedingungen.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die Führungskräfte aller Ebenen erkennen, wie wichtig ihre eigene Präsenz bei den Mitarbeitern vor Ort ist.[101]) Auch für das Top-Management gehört dazu etwa die Teilnahme an Workshops, deren Ergebnispräsentationen oder die Begleitung von Audits. Teilweise unterbleibt dies wohl auch deshalb, weil das Management die eigenen Prozesse weder kennt noch versteht. Das Management muss das eigene Interesse an der schlanken Produktion deutlich machen.[102]) Nur das eigene Vorleben kann den Mitarbeitern die Bedeutung der neuen Werte und Prinzipien glaubhaft vermitteln und sie davon überzeugen ihr Verhalten zu ändern bzw. ihren Teil zum Unternehmenserfolg beizutragen. Bei Toyota lautet ein wichtiges Managementprinzip Genchi Genbutsu, was so viel wie „Haben Sie es selbst gesehen?“ bedeutet.[103]) Dies geht soweit, dass es nicht unüblich ist, wenn ein Werks- oder Produktionsleiter ein bis zwei Tage pro Woche direkt in der Produktion verbringt. Manche Toyota-Manager treffen sich auch am Abend mit den Arbeitern auf ein Getränk.[104]) Der intensive Kontakt zu den Mitarbeitern am Band ist neben dem Ausdruck von Wertschätzung auch ein Mittel um das für Großkonzerne typische Problem einer schlechten Kommunikation zu vermeiden.[105]) Es ist anzunehmen, dass diese weniger autoritäre Kultur in manchen Unternehmen sogar als negativ eingestuft wird und eine dahingehende Veränderung deshalb umso schwerer umsetzbar ist.
Der vorgelebte Top-Down-Ansatz zieht sich bis auf die untersten Ebenen der Führung (häufig: Meister, Teamleiter).[106]) Sie sind die täglichen Treiber des Verbesserungsprozesses. Die Bedeutung der Teamleiter etwa tritt besonders am Beispiel des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zu Tage, denn dieser ist kein Selbstläufer.[107]) Er funktioniert nur dann, wenn er von den Führungskräften aktiv gesteuert wird. Dies beginnt damit, dass der Teamleiter Verbesserungsvorschläge schnell prüft (und ggf. umsetzt), um die nachhaltige Motivation der Mitarbeiter für Verbesserung sicherzustellen. Konkret bedeutet das, dass der Teamleiter permanent vor Ort präsent ist. Seine Hauptaufgabe ist die Prozessbegleitung durch Einfordern und Weiterentwicklung von Standards im Sinne der Verschwendungseliminierung. Dazu muss die Führungskraft vom direkten Arbeitsprozess freigestellt sein, so dass sie die Gruppe bei allen auftretenden Problemen unterstützen, Verbesserungsvorschläge prüfen und selbst Verschwendung identifizieren kann. Von Bedeutung ist die Rolle der Führungskräfte auch deshalb, weil Verschwendung häufig an Schnittstellen auftritt und durch einen übergeordneten Gesamtblick besser erkennbar ist.
Der Teamleiter ist zu einem großen Anteil seines Arbeitsalltags Lehrer und Trainer seiner Mitarbeiter.[108]) Er ist dafür verantwortlich, dass ihr Qualifikationsniveau stets den neuesten Anforderungen entspricht und sie über aktuelles Prozessstandardwissen verfügen. Dafür muss er eine starke Fach- und Sozialkompetenz aufweisen, weshalb ein durchdachtes Auswahlverfahren für die Stellenbesetzung unabdingbar ist.
Ein Beispiel für notwendiges Umdenken der Führungskräfte stellt der positive Umgang mit Fehlern dar.[109]) Fehler sind die Chance für zukünftige Verbesserung. Weißt ein Arbeiter auf ein Problem hin, soll er dafür nicht kritisiert werden. Stattdessen soll sich die Führungskraft bei ihm dafür bedanken. Mitarbeiter werden Fehler nur dann offen eingestehen, wenn ihre Führungskräfte eine positive Fehler- und Lernkultur vorleben. Anstatt von Sanktionen muss deshalb die Versachlichung von Problemen und die gemeinsame Suche nach Lösungen im Vordergrund stehen, so dass eine Wiederholung nachhaltig vermieden wird.[110]) Hier zeigt sich auch, dass die japanische Kultur keinen Erfolgsfaktor darstellt, denn sie vermeidet das Offenlegen von Fehlern um das Ansehen des Gegenübers zu wahren.[111])
Dass eine solche Fehlerkultur nur funktioniert, wenn sie auf allen Ebenen gelebt wird, zeigt das Beispiel vom Aufbau des Toyota Werkes in Georgetown, Kentucky (USA). R. Scaffede, ehemaliger Manager von General Motors war es gewohnt stets für die richtigen Zahlen zu sorgen.[112]) Das bedeutete das Montageband nie abzuschalten, denn Überproduktion war unschädlich für den Manager, zu wenige Motoren dagegen der Weg zur Kündigung. Nach seinem Wechsel zu Toyota überraschte ihn die Reaktion seines neuen Chefs F. Cho, der wenig beeindruckt war, dass das Band nur einmal im Monat abgeschaltet werden musste. Bei Toyota geht man
davon aus, dass alle Montagewerke Probleme haben; wer nie das Band abschaltet, versteckt sie lediglich. Das Denken des amerikanischen Managers prägte die gesamte Belegschaft. Es dauerte Monate bis die Mitarbeiter begriffen hatten, dass ein Bandstopp notwendig für eine kontinuierliche Verbesserung des Prozesses war, denn sie nahmen an, dass sie für schlechte Leistungen kritisiert werden würden. Bei Toyota stehen Sicherheit und Qualität vor dem Produktionsziel. Paradoxerweise zählen Toyotas Werke dennoch regelmäßig zu...