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E-Book

Erinnerung an zu Hause Band II

Gesammeltes aus der Grafschaft Glatz

AutorJoachim Berke
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783743160583
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Dieser zweite Band der Reihe Erinnerungen an zu Hause enthält Notizen, Berichte, Buchauszüge des Grieben Reiseführer, familiäre Erzählungen, romanhafter Entwurf über eine zur Festungshaft verurteilte Dame. Als Ergänzung zum Band I vermittelt diese Veröffentlichung zeitgenössische Erlebnisse besonders in der frühen Nachkriegszeit von 1945/46.

Geboren am 18.11.1930 in Bad Landeck/NS. Aufgewachsen von 1932 bis 1941 in Glatz/Schlesien, danach wieder in Bad Landeck wohnhaft. Besuchte das altsprachliche Gymnasium in Glatz. Zu Ostern im Jahr 1946 nach Ostfriesland vertrieben. Drogistenlehre ab 1949 in Lingen (Ems). Danach innerhalb eines Familienunternehmens Aufbau eines Fotogroßlabors und Reorganisation mehrerer fotografischer Betriebe. Fast 45 Jahre Tätigkeit als Prokurist in den Fachbereichen Fertigung, Organisation, Logistik und Umwelt. Seit 1993 im Ruhestand. Berke ist verheiratet mit Frau Gisela, geborene van Kampen. Zwei Kinder Sohn Stephanus und Tochter Claudia. Der Autor fotografierte in zahlreichen Ländern auf mehreren Kontinenten und veröffentlichte Erzählungen, Romane, Fachliteratur, Bildbände und Bildberichte. Werke: Beachten Sie bitte meine Internetadresse: www.berke-online.de Lesungen: Terminvereinbarung über Telefon 0591-63 601

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Leseprobe

Die Reise nach Landeck


Paul hing im Halbschlaf im Sessel eines Autobusses. Qualvolle Erinnerungen marterten den Heimatvertriebenen. Er ärgerte sich, in dieses Fahrzeug eingestiegen zu sein. Grete, seine Frau, hatte ihn überredet. Sie, die Westdeutsche, wollte die Heimat ihres Mannes kennen lernen. Nach Osten rollte das Vehikel, zurück in die Jugend von Paul, in seine Kindheit.

Eine Ahnung vom Morgen des kommenden Maientages hing knapp über dem Horizont spiegelnd im Betonband der Autobahn. Langsam erwachten einzelne Reisende aus ihrem Dämmerzustand. Achtundzwanzig Frauen und Männer, ein zwölfjähriger Junge und Rainer, der Reiseleiter, hatten sich Otto, dem Busfahrer, anvertraut. In der Zeit der Spendensammlung für notleidende Polen des Jahres 1988 hatten sich die Reisenden aus unterschiedlichen Gründen dieser Fahrt angeschlossen. Einige von ihnen wollten die Menschen kennen lernen, denen die mitgeführten Altkleider geschenkt werden sollten. Andere nutzten die Gelegenheit erstmals einen Ausflug in die Schrecklichkeit des Sozialismus zu machen. Manche von ihnen interessierten sich für Land und Leute und für die Historie und vielleicht auch für die Kultur. Wenige waren dabei, die ihre einstige Heimat wiedersehen wollten. Die sogenannten Flüchtlinge oder Heimatvertriebenen, die Besitzer des Vertriebenen Ausweises A, sie, die ihre verlorene Seele suchten. Der Reiseleiter Rainer Krause und dessen Mutter Anna gehörten zu den Schlesiern. Auch Krauses Sohn Markus sollte das Land der Vorfahren kennen lernen. Obwohl er auf fremder Erde, im Westen, nahe der Grenze zu den Niederlanden geboren worden war, hoffte seine Großmutter Anna, dass Klein-Markus, entsprechend der Forderungen der Vertriebenenverbände, ebenfalls in den Besitz der begehrten Urkunde, des Ausweises A, gelangen würde. Von Generation zu Generation würde so der Status weitergereicht werden. Bis in ferner Zukunft die Schlesier wieder daheim wären, dann könnten sie die Ausweise wieder abgeben. Paul, auch er besaß dieses Dokument, stellte sich den neuen Schlesier als eine Mischung von Menschen mit unterschiedlichstem Erbgut vor. Bis die Leute Kehr ich einst in meine Heimat wieder singen würden, vergingen sicher mehrere Menschenalter. Dann würden Nachkommen zurückfluten, die aus den Vorfahren der Niedersachsen-Bayern-Schwaben-Schlesier entstanden. Schweizer-Österreicher-Italiener-Türken-Schlesier wären denkbar. Nicht zu vergessen, die Amerikaner-Vietnamesen-Thailänder-Kenianer-Schlesier und die reinen, allerreinsten

Schlesien-Schlesier mit einem Hauch von polnischem, russischem oder niederländischem, vielleicht auch französischem oder brabantischem Blut. Dieses ganze Gemisch würde die Reste des alten Lebenssaftes der Horden Tamerlans und Dschingis Khans, von gotischen Kriegsmännern und slawischen Soldaten auffrischen.

Das Gehirn von Paul dämmerte in der Vergangenheit weiter. So dachte er an die Silinger, die es schon seit eineinhalbtausend Jahren nicht mehr gibt. Diese zogen damals nach Afrika und auch die Wandalen, die Krieger der Zeitenwende, die mit den Silingern das Land an der Oder bewohnten, wanderten aus. Sie zerstreuten sich und vermischten sich mit anderen Völkern. Von Osten kommend sickerten in den entstandenen Leerraum Slawen ein.

Später, im 10. Jahrhundert, gelangte das Christentum über das heutige Tschechien, in die Gebiete jenseits der Elbe. In der folgenden Zeit versuchten Böhmen und Polen in kriegerischen Auseinandersetzungen die Vorherrschaft zu erlangen. Im Jahr 1137 fiel der größte Teil des Glatzer Berglandes im sogenannten „Pfingstfrieden“ an Böhmen. Eigentlich gab es damals noch keine nationalen Hoheitsgebiete. Weder kannte man die Begriffe Polen, Deutschland, noch Böhmen, Mähren oder Tschechien, sondern nur Lehngebiete von Kaiser und Königen. So wurden große Teile des heutigen Polens und Tschechiens durch die Przemyslidenherrscher Boleslav I. erst 950 unter Kaiser Otto dem Großen in lockerer Form in das Reich eingegliedert. Im Hochmittelalter wurden politische Veränderungen fast ausschließlich von einzelnen Fürsten durchgesetzt. 1218 nach Christi verfasste der Bischof Vinzenz Kadlubek seine Chronica polonorum. In diesem Werk tauchen zum ersten Mal die Be- griffe Polen für das Land und Piasten für die Herrscher auf. Das sogenannte polnisch-schlesische Herrschergeschlecht stammte von einem Bauern aus Kruschwitz ab. Dieser hatte einzelne Stämme vereint. Im Laufe der Zeit lösten sich die Piasten von der polnischen Vorherrschaft. Sie führten ihre Fürstentümer in die unabhängige Selbständigkeit. Heinrich I. gelang nach Löschung der polnischen Senioratsverfassung im Jahr 1202 die Loslösung seines großen Fürstentums. Sein Sohn Heinrich II. verteidigte sein Reich gegen die Mongolen. Er starb auf dem Schlachtfeld der Walstatt bei Liegnitz 1241. Nur durch den Tod des Mongolenfürsten Ogedei in fernen Osten wurde der Ansturm der wilden Horden gestoppt. Sie mussten zurück, um einen neuen Großkhan zu wählen.

Paul kam hier sein Geschichtspauker Fritsch in den Sinn. Mein Gott, was konnte dieser die Dramatik des Treffens zwischen den schnellen Reiterhorden des Orients und den schwerfälligen Rittern des Abendlandes schildern! Muss das mal daheim nachlesen, dachte er sich, auch von der Heiligen Hedwig. Die Mutter des Kämpfers Heinrich II. wird, wie er, auch von den heutigen Polen verehrt. Dreißig- oder vierzigtausend Gefallene sollen auf dem Schlachtfeld gelegen haben. Nach der Legende hatte die Heilige Hedwig den Kopf ihres Sohnes, getrennt vom Leichnam, am Abend der Schlacht gefunden. Brrrrr, Paul fröstelte es.

Zur Sicherung der weltlichen Fürstentümer und kirchlicher Besitztümer wanderten später germanischstämmige Siedler ein, die sich mit den ansässigen Slawen vermischten. Klöster, Städte und adelige Grundherren sandten zur Anwerbung Lokatoren in die Landstriche westlich der Elbe. Es waren ausgesuchte Männer, sie kannten die örtlichen Verhältnisse des zu besiedelnden Landes, Fachleute für Ackerbau, Recht und Ortsgründung. In dem für die Siedler unbekanntem Land waren diese Mittler, Helfer, Rechtsberater und Gründer. Oft kauften sie den alten Grundherren Land ab, um es danach den Neuankömmlingen in Huben, eine Landeinheitsgröße, die das Auskommen einer Familie sicherte, wieder zu verkaufen. Viele Neugründungen erhielten den Namen des Lokators, wie zum Beispiel: Petersdorf, Waltersdorf, Kunzendorf, Heinzendorf. Oft wurden auch abgewandelte west-elbische Ortsnamen aus den Heimatgebieten der Siedler verwandt. Die Sage des Rattenfängers von Hameln soll als volkstümliche Schilderung der Menschen-Anwerbung entstanden sein. Die Einwanderer vermischten sich mit den Alteingesessenen. So entstanden in den nächsten Jahrhunderten die Schlesier.

Inzwischen war Paul hellwach. Der Bus torkelte von einem in das andere Schlagloch der deutschen, demokratischen und republikanischen Autobahn. Noch bestimmte der real existierende Sozialismus zwischen Lübbenau und Cottbus das Leben hinter dem Eisernen Vorhang. Der Schlesier sortierte die wenigen, zur Kenntnis genommenen Eindrücke der Nacht. Erst Helmstedt mit der Fahrt im gleißenden Scheinwerferlicht durch die Mauer. Zehn oder sogar zwölf betonierte Fahrbahnen eingeengt von zementierten Leitplanken, graue Wachhäuser beidseitig den Autostrom kanalisierend. Vopos, Volkspolizisten mit Verkehrskellen, Waffen, Spiegeln an langen Stangen, die zum Absuchen der Autos von unten dienten. Die Kerle hatten verschlossene, brummig verkniffene Gesichter Es waren stattliche Männer, genährt von Wurst volkseigener, landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und dem vielen Bier aus Brauereien, die ebenfalls dem Volke gehörten. Zwei von diesen Kriegern durchstöberten das Innere des Autobusses, verlangten die Pässe der Fahrgäste, stellten überflüssige Fragen und forderten Grete auf, ihren aufnahmebereiten Fotoapparat zu verpacken. In unserer Deutschen Demokratische Republik wird nicht fotografiert und erst recht nicht auf der Transitstrecke! Basta! Später dann, kurz nachdem das Fahrzeug vom Berliner Ring am Schönefelder Kreuz auf das Autobahnstück E 36 gefahren war, erschütterte Lärm donnernder, schnell folgender Explosionen die Luft. Ein riesiger, sich dunkel gegen nachtdämmrigen Himmel abhebender Düsenbomber startete quer über die Straße hinweg. Acht gewaltige Düsentriebwerke schoben, eine kerosinstinkende Wolke verpesteter Luft hinter sich lassend, den Vogel in die Höhe. Bei der strategischen Luftüberwachung des sozialistischen Brudervolkes der UDSSR begann die Morgenschicht. In der Gegend von Lübbenau stand eine Wolke von rußigem, schwarzem Qualm über vielen Schloten und Türmen am nord-östlichen Horizont. Dort verheizten die republiksozialistischen Henneckes im Akkord den Boden ihres volkseigenen Vaterlandes. Das Braunkohlenkombinat „Schwarze Pumpe“, vielleicht lautete sein Name auch „Ernst-Thälmann-Kombinat“, verstromte torfige Kohle. Strom für Leben, aber auch jede Menge Dreck, Ruß, Schwefel und Gift für das Sterben von Mensch und Tier.

Jetzt, nachdem die...

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