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Erinnerungen aus dem äußeren Leben

Vollständige Ausgabe

AutorErnst Moritz Arndt
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783849604028
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
In diesem Band beschreibt Arndt sein wechselvolles Leben, unter anderem auch sehr detailliert seine Kindheit auf der Insel Rügen.

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Leseprobe

Erinnerungen aus dem äußeren Leben.


 

  Ich steh, ich steh auf einem breiten Stein,

  Und wer mich lieb hat, holt mich ein.

 

Diesen Spruch habe ich in der lieben Heimat oft gesprochen in den Tagen, wo es mir noch lustig deuchte, im Pfänderspiel eine hübsche Dirne anzulocken und von ihr mit einem Kusse von dem festen Platze erlöst zu werden. Es lag nämlich im Mittelalter in der alten herrlichen Stadt Stralsund auf dem alten Markt ein sogenannter breiter Stein, umweit einer andern Stand- und Schaustelle, dort Kak, anderswo Pranger genannt. Dieser breite Stein hatte weiland gedient wie letzt die Kanzel zu allerlei feierlichen Ausrufungen und Verkündigungen, namentlich: wann hohe Ehrenstellen in der Obrigkeit besetzt werden sollten, wurden sie dem Volke durch Ausrufungen von jener Stelle bekannt gemacht; Verlöbnisse wurden dort verkündigt, Verlobte stellten sich in Feierkleidern dahin und ließen unter Pauken- und Trompetenschall ihre Namen erklingen und so jedermänniglich zu Einrede und Einwand auffordern.

 

Auf eine ähnliche Weise meine ich mich hier auf dem breiten Stein hingestellt zu haben und nicht an seinem Nachbar, wenn ich auch nicht glaube, daß mir wie mit Jugendglück die liebebrennenden Herzen mit Küssen entgegenfliegen werden. Ich habe in einzelnen dünnen Linien die Umrisse meines öffentlichen Lebens hingezeichnet, meines Lebens, Wollens und Wirkens als demscher Mann und Bürger. Beruf dazu hatte ich schon deswegen genug, weil es öffentlich vielfältiglich angefochten worden ist. Danton, ein wälsches Ungeheuer, hat einmal das große Wort gesprochen: Mein Name sei geschändet! nur sei das Vaterland gerettet! Aber doch, wenn es nicht die allerhöchsten Dinge gilt, wer mögte sich freiwillig schänden und anprangern lassen? was hätte das liebe Vaterland des Gewinn, daß irgend eines seiner Kinder unverdient für einen Schurken oder Narren gälte? Darum stelle ich mich hier auf den breiten Stein und rufe: Hier steh ich, ein redlicher und verständiger Mann. Ist einer, der meint, mich davon auf die Nachbarstelle hinüberstoßen zu können, der komme! Ich lebe noch, und will ihn bestehen.

 

Die meine Schicksale kennen, verstehen die Meinung dieser Verkündigung. Weiter wüßte ich über diese Umrisse nichts zu sagen, als daß in Beziehung auf die Schilderung meiner jugendlichen Jahre manches vielleicht zu breit ausgeführt scheinen mögte. Ich glaube nicht, daß mich hier mit einer gewissen Breite der Darstellung die Geschwätzigkeit des Alters beschlichen hat, sondern eine sehr natürliche Luft an vergangenen Dingen, die nicht bloß für mich vergangen sind. Jene Menschen und Dinge, ja das ganze Leben der Jahre von 1780 und 1790 stehen schon gleich ein paar Jahrhunderten von uns geschieden, so ungeheure Risse haben die letzten fünfzig Jahre durch die Zeit gerissen. Ich bilde mir ein, jene breiten Bilder seien gleichsam als Bilder längst verschienener Tage auch den Jetztlebenden ergötzlich.

 

Ich selbst? was bin ich, was bin ich nicht unter jenen nun längst verblaßten Bildern? Wie ich gesagt habe, ein fliegendes Blatt unter Millionen fliegenden Blättern, die auf dem Ocean der Zeiten fortschwimmen, bis sie auf immer versinken. Aber ich sehe keinen Grund, warum dieses Blatt, Schmutz bewerfe? Der Sonnenstrahl der Ehre jedes einzelnen ist auch dem Vaterlande heilig; alles Übrige ist gleichgültig. Vergessen auch die Menschen geschwind, Gottes Liebe vergißt kein Stäubchen in seinem All. Man kann von der Menschheit und ihrer heiligen unendlichen Bestimmung, auch von der Bestimmung jedes einzelnen Sterblichen nicht hoch genug denken; und doch, wenn man sich die Pilgerwanderung des Einzelnen auf diesem trugvollen neblichten Planeten, wie er umhertappt und an allen Ecken und Enden anstößt und selten den rechten Pfad findet, in der Wirklichkeit klar vorstellt, dann singt man darüber den Spruch des alten Heiden Pindar: Was ist einer? was ist er nicht? eines Schatten Traumbild ist der Mensch.

 

Bonn, den ersten des Hornungs 1840.

 

Am Schlusse des zweiten Weihnachtstages des Jahrs nach der Erscheinung unsers Herrn Jesu Christi 1769 habe ich zuerst das Licht dieser Welt erblickt, und zwar als ein Wohlgeborner und Hochgeborner, und nach der Meinung Einiger auch als ein Glücklichgeborner. Wohlgeboren konnte ich heißen, weil ich stark und gesund an das Licht dieser Welt fiel, zumal ich schon mit dem neunten Monat meines Alters gelaufen bin, was einige meiner Söhne mir nachgemacht haben; Hochgeboren, weil das Haus meiner Geburt damals durch eine hohe stattliche Treppe und durch Jugendlichkeit und Schönheit ein sehr ritterliches und hochadliches Ansehen hatte, und in seinen Sälen und Gemächern mit Geschichten der griechischen Mythologie, ja mit dem ganzen Olymp, Jupiter und Juno mit Adler und Pfau an der Spitze, verziert war; Glücklichgeboren, weil Glaube und Aberglaube den an hoben Festen Hervorgekommenen allerlei Vorzügliches und Wundersames, als da sind Wahrsagen, Gespenstersehen u.s.w. beizulegen pflegt.

 

Es hätte sich aber leicht begeben können, daß ich ein recht Unwohlgeborner geworden wäre. Einige Wochen vor dem Ziel meiner Ankunft auf Erden war nämlich in der Festung Stralsund vor dem Tribseeer Thore ein Pulverturm1 aufgeflogen, der die nächsten Gassen und Hunderte von Menschen zerschmettert hatte. Dieser Knall war längs dem Meere auf drei Stunden Weite mit so fürchterlicher Gewalt bis Schoritz durchgeklungen, daß ich darüber in der Mutter aufgeschreckt worden, und sie in der Angst wegen meiner ungeuöhnlichen Sprünge gefürchtet hatte, ihr würde was Ungrades geschehen. Sie pflegte mich zur Erinnerung daran, wann ich zu wild war, wohl zuweilen den wilden Pulverjungen zu schelten. Doch legte sie als fromme Christin an solche Dinge eben keine Bedeutung, obgleich sie für die Bedeutung meines Namens Ernst ritterlich gekämpft und den Namen Philipp, den der Vater von meinem Herrn Paten beliebte, niedergesiegt hatte: wie denn die Frauen in solchen Dingen gewöhnlich zu siegen pflegen.

 

Wie es nun auch um alle diese Geborenheiten stehen mag, die Wahrheit bekennend muß ich aussagen, daß der Stamm, aus welchem ich entsprossen bin, unter anderm niedrigen Menschengesträuch ganz tief unten an der Erde stand, und daß mein Vater kein viel besserer Mann war, als der Vater des Horatius Flaccus weiland, nämlich ein Freigelassener. Er hieß Ludwig Nikolaus Arndt und war zu jener Zeit Verwalter der sogenannten Schoritzer Güter. Meine Mutter hieß Friederike Wilhelmine Schumacher. Jene Güter, von welchen meine Geburtsstätte Schoritz der Hauptsitz war, bestanden aus einem halben Dutzend größerer und kleinerer Höfe und einigen Bauerdörfern, und mein Vater war eine Art Oberverwalter und führte den Namen Herr Inspektor, und seine nächsten Unterleute hießen Schreiber. Dieser Besitz und ein großer Teil der Güter auf der angränzenden Halbinsel Zudar waren weiland Lehen des rügenschen adlichen Geschlechts der von Kahlden. Ein sehr reicher Herr von Kahlden hatte das damals noch junge und schöne Haus auf dem Rittersitze Schoritz um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gebaut, seinen schönen Besitz aber um die Zeit des siebenjährigen Krieges an einen General Grafen von Löwen verkauft, schwedischen Statthalter über Pommern und Rügen, und hatte dafür andere große Güter in Pommern wieder erworben. Er war aber durch Krieg und unverständige Wirtschaft zuletzt in schlechte Umstände geraten und mußte nun hier in Schoritz, wo er den schönen Hof und Garten und mehrere Parks gebaut und angelegt hatte, eine Rolle spielen, welche der Volksglaube gewöhnlich Solchen beilegt, die durch schwere und gräuliche Unfälle gegangen sind. Mir hat er die ersten kalten und heißen Gespensterschauer durch den Leib jagen müssen: denn er machte in einem grauen Schlafrocke, mit einer weißen Schlafmütze auf dem Kopf und ein paar Pistolen unter dem Arm abendlich und mitternächtlich häufig die Runde auf seinem Hofe, indem er zwischen den beiden Scheunen über den Damm, der auf das Haus hin führte, langsam in das unterirdische Haus und die Keller marschierte und von da herausschreitend durch das Gartenthor ging, wo er die Bienenstöcke musterte und dann verschwand. Dieser war das Gespensterschrecken; aber ein zweites gespenstisches Schrecken, womit der abenteuernde Mund des Gesindes meine und meiner Brüder jugendliche Phantasie fütterte, waren ein paar mächtige goldige Wasserschlangen, welche in dem großen Teiche hinter der Scheune hausen und den Kühen gelegentlich die Milch absaugen sollten. Von dem General Löwen hatte die Güter der Graf Malte PutbusA2 gekauft, aus dem vornehmsten und ältesten Rittergeschlecht in der ganzen schwedisch-pommerschen Landschaft, Erblandmarschall des Fürstentums Rügen und Präsident der Regierung in Stralsund.

 

Mein Vater, im Jahr 1740 geboren, war der Vorjüngste von vielen Geschwistern und Sohn des unterthänigen Schäfers Arndt zu Putbus und Darsband. Der Vater dieses Schäfers war nach der Familienüberlieferung ein geborner Schwede, als schwedischer Unteroffizier ins Land gekommen, und hatte sich in ein Bauerwesen der Herrschaft Putbus eingeheiratet. Mein Vater war, da der Schäfer in seiner Lage leidlich wohlhabend war, und da sein viel älterer, auch schon zu einigem Wohlstand hinaufgekommener...

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