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Erkenntnis und Irrtum

Vollständige Ausgabe

AutorErnst Mach
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl659 Seiten
ISBN9783849631086
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Als glühender Anhänger der Aufklärung und entschiedener Gegner jeder Form der Metaphysik plädierte Mach für eine methodische Denkökonomie, worunter er eine größtmögliche Sparsamkeit in begrifflicher und spekulativer Hinsicht versteht. Naturerkenntnis hat ihr Fundament in der Erfahrung - entweder direkt über Sinneseindrücke oder über Messinstrumente vermittelt. Er ist daher als Empirist anzusehen. Des Weiteren wird Mach als Vertreter des Positivismus gesehen. Inhalt: Vorwort Vorwort zur zweiten Auflage. Philosophisches und naturwissenschaftliches Denken. Eine psycho-physiologische Betrachtung. Gedächtnis, Reproduktion und Association. Reflex, Instinkt, Wille, Ich. Die Entwicklung der Individualität in der natürlichen und kulturellen Umgebung. Die Wucherung des Vorstellungslebens. Erkenntnis und Irrtum. Der Begriff. Empfindung, Anschauung, Phantasie. Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und aneinander. Über Gedankenexperimente.240 Das physische Experiment und dessen Leitmotive. Die Ähnlichkeit und die Analogie als Leitmotiv der Forschung.269 Die Hypothese. Das Problem. Die Voraussetzungen der Forschung. Beispiele von Forschungswegen. Deduktion und Induktion an psychologischer Beleuchtung. Zahl und Maß. Der physiologische Raum im Gegensatz zum metrischen. Zur Psychologie und natürlichen Entwicklung der Geometrie.485 Raum und Geometrie vom Standpunkt der Naturforschung.526 Die physiologische Zeit im Gegensatz zur metrischen. Zeit und Raum physikalisch betrachtet. Sinn und Wert der Naturgesetze

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Reflex, Instinkt, Wille, Ich.


 


1. Bevor wir unsere psycho-physiologischen Betrachtungen fortsetzen, bemerken wir, daß keine der Einzelwissenschaften, deren wir bedürfen, den wünschenswerten Grad der Entwicklung erreicht hat, um als sichere Grundlage für die andern zu gelten. Die beobachtende Psychologie bedarf gar sehr der Stütze der Physiologie oder Biologie. Letztere kann aber von physikalisch-chemischer Seite gegenwärtig nur sehr unvollkommen aufgeklärt werden. Unter diesen Umständen sind alle unsere Überlegungen nur als vorläufige, und deren Ergebnisse als problematische, durch künftige Untersuchungen vielfach zu korrigierende, anzusehen. Das Leben besteht aus Vorgängen, welche sich tatsächlich erhalten, fort und fort wiederholen und ausbreiten, d.h. successive größere Quantitäten von »Materie« in ihr Bereich ziehen. Die Lebensvorgänge gleichen also einem Brand, mit dem sie auch sonst verwandt, wenn auch nicht so einfach sind. Die meisten physikalisch-chemischen Prozesse hingegen kommen, wenn sie nicht durch besondere äußere Umstände immer wieder von neuem hervorgerufen oder im Gang erhalten werden, sehr bald zu einem Stillstand. Abgesehen von diesem Hauptunterschied im Charakter, weiß die heutige Physik und Chemie auch den Einzelheiten des Lebensprozesses nur sehr unvollkommen zu folgen. Dem Hauptzug der Selbsterhaltung entsprechend müssen wir erwarten, daß die Teile eines komplizierteren Organismus, einer Symbiose von Organen, auf die Erhaltung des Ganzen abgestimmt sein werden, welche ja sonst sich nicht ergeben könnte. Und auch an den psychischen Vorgängen, die jenen Teil der Lebensvorgänge vorstellen, welche sich im Großhirn abspielen, die somit ins Bewußtsein reichen, wird uns diese Richtung auf Erhaltung des Organismus nicht überraschen können.

 

2. Betrachten wir zunächst einige Tatsachen, welche Goltz45 genau studiert hat. Ein gesunder unverletzter Frosch benimmt sich derart, daß man demselben eine gewisse »Intelligenz« und »willkürliche« Bewegung zuschreiben muß. Er bewegt sich aus eigenem Antrieb in unberechenbarer Weise, entflieht dem Feinde, sucht einen neuen Sumpf auf, wenn der alte vertrocknet, entweicht eingefangen durch eine Lücke des Behälters u.s.w. Die Intelligenz ist allerdings nach menschlichem Maß eine sehr beschränkte. Der Frosch schnappt sehr geschickt nach sich bewegenden Fliegen, gelegentlich aber auch nach einem Stückchen roten Tuches und wiederholt erfolglos auch etwa nach den Fühlhörnern einer Schnecke, verhungert aber lieber, statt frisch getötete Fliegen anzunehmen. Das Benehmen des Frosches ist eng begrenzten Lebensumständen angepaßt. Wird der Frosch des Großhirns beraubt, so bewegt er sich nur mehr auf einen äußeren Anlaß. Ohne denselben sitzt er ruhig da. Er schnappt nicht nach Fliegen, nicht nach dem roten Tuch und reagiert nicht auf Knall. Eine über ihn kriechende Fliege streift er bloß ab. Die in das Maul gebrachte Fliege verschluckt er jedoch. Auf schwachen Hautreiz kriecht er fort, durch starken wird er zu einem Sprunge veranlaßt, wobei er Hindernissen ausweicht, die er also sieht. Wird ein Bein festgenäht, so gelingt es ihm dennoch, das Hindernis kriechend zu vermeiden. Der Frosch ohne Großhirn kompensiert die Drehung, die ihm auf einer horizontalen Drehscheibe erteilt wird. Setzt man ihn auf ein Brett, das man vorn hebt, so kriecht er hinan, um nicht hinabzufallen, und überkriecht sogar die obere Kante, wenn das Brett noch in demselben Sinne weiter gedreht wird. Unverletzte Frösche springen bei diesem Versuch davon. So wird das, was man Seele oder Intelligenz nennen könnte, durch Abtragung von Hirnteilen auf eine kleinere Sphäre eingeschränkt. Der Frosch mit bloßem Rückenmark, auf den Rücken gelegt, weiß sich nicht aufzurichten. Die Seele – sagt Goltzist nichts Einfaches; sie ist teilbar, wie deren Organ.

 

Ein Frosch ohne Großhirn quakt nie spontan. Streicht man aber demselben einmal mit dem feuchten Finger über die Rückenhaut zwischen den Armen, so quakt er ganz regelmäßig reflektorisch einmal. Er verhält sich wie ein Mechanismus. Daß geköpfte Frösche die aufgetropfte Säure mit den Hinterbeinen ganz mechanisch abwischen, ist schon nach älteren Versuchen bekannt. Solche Reflexmechanismen sind für die Lebensführung von Bedeutung. Wie vielfach wichtige Lebensfunktionen, wie die Begattung der Frösche, durch diese Mechanismen gesichert sind, hat Goltz durch ausführliche Untersuchungen gezeigt.46

 

3. Wenden wir unsere Betrachtung gleich anderen Lebewesen zu, welchen wohl, wenigstens instinktiv, niemand Intelligenz und Willen zuschreibt – den Pflanzen. Auch hier finden wir zweckmäßige, die Erhaltung des Ganzen fördernde Bewegungsreaktionen. Unter diesen fallen uns zunächst auf die durch Licht und Temperatur bestimmten Schlafbewegungen der Blätter und Blüten, die durch Erschütterungen ausgelösten Reizbewegungen der insektenfressenden Pflanzen. Solche Bewegungen könnten aber als Ausnahmen erscheinen. Ein allgemeines Verhalten liegt dagegen darin, daß der Stamm der Pflanzen der Schwere entgegen nach oben wächst, wo Licht und Luft ihm die Assimilation ermöglichen, während die Wurzel, das Wasser und die darin gelösten Stoffe aufsuchend, nach unten in den Boden eindringt. Wird ein Teil des Stammes aus seiner vertikalen Richtung gebracht, so krümmen sich die noch im Wachstum befindlichen Teile desselben sofort aufwärts, kehren ihre konvexe Seite der Erde zu, indem die unteren Teile stärker wachsen als die oberen. Hierin spricht sich der »negative Geotropismus« des Stammes aus, im Gegensatze zu dem umgekehrten Verhalten der Wurzel, die wir als »positiv geotropisch« bezeichnen. Der Stamm wendet sich in der Regel dem Lichte zu, wobei die noch wachsenden Teile desselben die konvexe Seite dem Dunkeln zuwenden, also an der beschatteten Seite stärker wachsen. Wir nennen den sich so verhaltenden Stamm »positiv heliotropisch«, während die Wurzel in der Regel das entgegengesetzte »negativ heliotropische« Verhalten zeigt. Nach älteren und neueren Untersuchungen (Knight, J. v. Sachs) kann kein Zweifel bestehen, daß die Richtung der Massenbeschleunigung (der Schwere) und die Richtung des Lichtes das geotropische, bezw. heliotropische Verhalten bestimmt. Das entgegengesetzte Verhalten von Stamm und Wurzel deutet auf Teilung der Arbeit im Interesse des Ganzen. Sehen wir die Wurzel steinzerklüftend in die Tiefe dringen, so können wir noch glauben, daß sie dies im eigenen Interesse tut. Dieser Eindruck verschwindet aber, wenn wir die Wurzel auch im Quecksilber, wo sie nichts zu suchen hat, abwärts dringen sehen. Die Vorstellung absichtlicher Zweckmäßigkeit muß hier weichen und jener eines physikalisch-chemisch bestimmten Geschehens Platz machen. Die bestimmenden Umstände müssen wir aber aus der Verbindung von Wurzel und Stamm zu einem Ganzen hervorgehend denken.47

 

4. J. Loeb48 hat in einer Reihe von Arbeiten nachgewiesen, daß sich die Begriffe: Geotropismus, Heliotropismus u.s.w., welche sich auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie ergeben haben, auf die Tierphysiologie übertragen lassen. Selbstverständlich werden sich die betreffenden Erscheinungen dort am einfachsten und klarsten äußern, wo die Tiere unter so einfachen Verhältnissen leben, daß ein hoch entwickeltes psychisches Leben noch unnötig ist und daher nicht störend eingreifen kann. Der eben aus der Puppe geschlüpfte Schmetterling kriecht aufwärts und orientiert sich an der vertikalen Wand, welche er mit Vorliebe wählt, mit dem Kopfe nach oben. Eben ausgeschlüpfte Räupchen kriechen rastlos nach oben. Will man eine Eprouvette mit solchen Räupchen entleeren, so muß man dieselbe, wie ein Gefäß mit Wasserstoff, mit der Mündung nach oben kehren. Küchenschaben suchen mit Vorliebe vertikale Wände auf. Stubenfliegen, deren Schwingkolben oder Flügel man abgeschnitten hat, kriechen an einem vertikalen Brett vertikal aufwärts. Dreht man während dessen das Brett in seiner Ebene, so kompensiert die Fliege jede Drehung. Auf einem schiefen Brett kriecht sie nach der Richtung der steilsten Linie aufwärts. Auch hoch entwickelte Tiere werden von der Richtung der Schwere beeinflußt, sind geotropisch, wie die neueren Untersuchungen über das Ohrlabyrinth und dessen Bedeutung für die Orientierung lehren; nur werden diese Erscheinungen durch das Eingreifen mannigfaltiger anderer überdeckt.

 

Ähnlich verhält es sich mit dem Heliotropismus. Wie bei den Pflanzen ist auch bei den Tieren die Richtung des Lichtes maßgebend. Unsymmetrische Reizung durch das Licht bewirkt Änderung der Orientierung des Tieres, welche mit der Einstellung der Lichtrichtung in die Symmetrieebene zur Ruhe kommt. Nun wendet das Tier entweder den oralen oder den aboralen Pol dem Lichte zu und bewegt sich entweder dem Lichte zu oder von diesem weg; es ist positiv oder negativ heliotropisch. Die Motte ist positiv, der Regenwurm, die Muscidenlarve ist negativ heliotropisch. Wenn eine positiv heliotropische Larve auf einer Ebene sich bewegt, so kriecht sie nach der Komponente der Lichtrichtung, welche in diese Ebene entfällt. Indem sie so dem einfallenden Lichte entgegen sich bewegt, kann sie ganz wohl von einer helleren in...

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