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E-Book

Erlebte Menschlichkeit

Erinnerungen

AutorHans Küng
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2013
ReiheKüngs Memoiren 3
Seitenanzahl752 Seiten
ISBN9783492963701
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Mit großer Offenheit erzählt Hans Küng das Leben »meiner letzten drei Jahrzehnte«. Er beschreibt, wie der Versuch der römischen Kirche scheitert, ihren gefährlichsten (weil aus dem Inneren der Kirche stammenden) Kritiker zu isolieren. Die Macht des Papstes reicht auch im ausgehenden 20. Jahrhundert noch weit und könnte das Leben eines Priesters und Professors zerstören. Küng aber wehrt sich - und bleibt Sieger. Er erschließt sich neue Felder, von der Ökumene der Weltreligionen bis hin zum epochalen »Weltethos«, und wird weltweit als einer der großen wegweisenden Denker gesehen. Bunt, spannungsreich, aufregend sei sein Leben gewesen, resümiert Küng, und lässt den Leser teilhaben an Kämpfen und Krisen, an Begegnungen mit den Großen der Erde und seinen eigenen Erkenntnissen über sein Leben. Denn damit schließt das Buch, mit persönlichen Antworten auf die großen Fragen eines jeden Menschen am Ende des Lebens: War es das wert? Wie will ich sterben? Was kommt dann?

Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, gestorben 2021 in Tübingen, war Professor Emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Ehrenpräsident der Stiftung Weltethos. Er galt als einer der universalen Denker seiner Zeit. Sein Werk liegt im Piper Verlag vor. Zuletzt erschienen von ihm »Was ich glaube« - sein persönlichstes Buch -, »Erlebte Menschlichkeit«, der dritte Band seiner Memoiren, sowie »Sieben Päpste« und »Glücklich sterben?«.

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Leseprobe

I. Zu neuen Ufern

»Seit Beginn Ihres Pontifikats und besonders seit der Erklärung der Glaubenskongregation vom 18. Dezember 1979 habe ich ja direkt wie indirekt immer wieder dem Wunsch nach einem klärenden Gespräch mit Ihnen Ausdruck verliehen und die Möglichkeit zu lernen wahrhaftig nie ausgeschlossen. Ich bin und bleibe zu einem solchen Gespräch bereit, wann und wo immer Sie es wünschen.«

Handschreiben an Papst Johannes Paul II. aus Sursee/Schweiz vom 25. August 1980

Nach der großen Konfrontation mit Rom und dem deutschen Episkopat vom 18. Dezember 1979 bis zum 10. April 1980 um meine kirchliche Lehrbefugnis, um meinen Lehrstuhl und das Institut für Ökumenische Forschung, drängt sich mir auf: Es wäre sinnlos, täglich Tränen zu vergießen, weil der gegenwärtige Papst mich nicht schätzt und mich nie einer Antwort würdigt. Auch mein »streng persönliches« Handschreiben an den Papst vom 25. August 1980, geschrieben in meinem Schweizer Seehaus, blieb unbeantwortet: Bis zum Tod dieses Papstes im Jahr 2005 wird es nie zu einem persönlichen Briefwechsel oder gar Gespräch kommen – ganze 25 Jahre lang. Doch ein Weiteres kommt hinzu: Meinen Namen in der theologischen Wissenschaft möchte ich keinesfalls auf das Etikett »Unfehlbar?« reduziert wissen; »Papstkritiker« und »Kirchenkritiker« war und wird nicht mein Beruf. Nein, es gilt zu neuen Ufern aufzubrechen! Gewiss, die Verbindung mit der alten Heimat lasse ich nie abreißen. Aber lieber als mich auf die Probleme des römisch-katholischen »Binnengewässers« zu fixieren, will ich mich jetzt noch mehr als früher hinauswagen auf die »Weltmeere« der Religionen und Kulturen.

Kräfte sammeln: ein »Ketzerschicksal«?

Ich setze ein, wo ich im zweiten Band meiner »Erinnerungen« aufgehört hatte: im Jahr 1980. Endlich kann ich einen wohlverdienten Erholungsaufenthalt auf der Insel Kreta antreten – die monatelangen Auseinandersetzungen hatten doch an meinen Kräften gezehrt. Welche Freude: im Monat Mai – nach den Erfahrungen meiner sieben römischen Studienjahre der klimatisch angenehmste Monat: warm, aber nicht heiß! – für drei Wochen auf dieser Insel im Süden des Ägäischen Meeres! Schon am Morgen vor dem Frühstück hinausschwimmen in die Bucht, tagsüber noch mehrmals. Auch Wasserski wieder einmal üben. Vor allem aber an der Sonne in aller Ruhe lesen, was ich will, und nicht, was ich muss. »Nichts Schönres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein« (Ingeborg Bachmann).

Nur wenige Bücher habe ich mitgenommen, darunter auch – doch dies war wohl ein Fehler – ein kenntnisreiches, im Jahr zuvor erschienenes Buch mit dem Titel »Ketzerschicksale. Christliche Denker aus neun Jahrhunderten« (Berlin 1979). Autor ist der hochkompetente, damals bereits 84-jährige Kirchenhistoriker EDUARD WINTER, der selber leidvolle Erfahrungen mit der römischen Machtkirche durchstehen musste. Er hatte mir dieses Buch – gleichsam sein geistiges Testament – zugeschickt. In einem großen Bogen behandelt er darin die Schicksale offen oder verdeckt »ketzerischer« Denker vom 12. bis zum 20. Jahrhundert, die der Wahrheit mehr gehorchten als der kirchlichen und weltlichen Macht und dafür zu leiden hatten: von Joachim von Fiore über Nikolaus von Kues, Kopernikus, Kepler, Pascal und Leibniz bis zu Anton Günther, Franz Brentano und Herman Schell. Für mich zumeist bekannte Gestalten, aber hier speziell gesehen in ihrem Widerspruch zu herrschenden Lehren und Auffassungen.

Ein bewegendes Buch, das mich ermutigen sollte, mich aber oft niederdrückte. Konnte ich doch den Gedanken nicht verscheuchen: Wirst du vielleicht auch noch als »Ketzer« – ursprünglich eine ehrende Selbstbezeichnung der südfranzösischen »Katharer« (griech.: »die Reinen«) – in die Geschichte eingehen? Zuallermeist wollten ja die in diesem Buch behandelten »eigenständigen Denker nicht als Häretiker gelten, zum einen, weil sie sich nicht als Gegner der Kirche fühlten, sondern eine bessere Kirche erstrebten, zum anderen, weil sie wussten, was die Abstempelung als Ketzer für sie zur Folge hatte – Diffamierung, ja physische Vernichtung«, so Eduard Winter in seiner Einleitung. Aber, frage ich mich, stimmt denn das von ihm seinem Buch vorangestellte Wort wirklich: »Das Allerstärkste auf Erden ist eben doch der Gedanke. Ihm die Bahn zu verschließen, gelingt auf die Dauer keiner Gewalt und keiner List!«?

Das Wort stammt von dem an der Schwelle zum 20. Jahrhundert berühmtesten katholischen Theologen Deutschlands, dem Würzburger Dogmatikprofessor HERMAN SCHELL (1850  1906). Er hatte die in vielen Auflagen erschienenen Schriften »Der Katholicismus als Princip des Fortschritts« (1897) und »Die neue Zeit und der alte Glaube« (1898) geschrieben. Programmschriften des deutschen Reformkatholizismus, die schon unmittelbar vor Weihnachten desselben Jahres, am 15. Dezember 1898, von Rom auf den »Index der verbotenen Bücher« gesetzt werden! Und Schell? Er unterwirft sich, um seinen Lehrstuhl zu behalten, bleibt aber vehementen Angriffen römisch gesinnter »Antimodernisten« ausgesetzt. Die Korrespondenz mit seinem Lehrer und Freund, dem Philosophen FRANZ BRENTANO, der wegen des Unfehlbarkeitsdogmas (1870) am Karfreitag 1873 in einer Unterredung mit dem Würzburger Bischof auf geistliches Amt, Professur und Kirchenmitgliedschaft verzichtet hatte, spricht Bände. Und zwar über das schon damals fatale Dilemma vieler Katholiken, zwischen römisch-katholischem Glauben und dem Ethos der Moderne, zwischen Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit, zwischen kirchlichem Gehorsam und geprüftem Gewissen. Unter dem fanatischen Antimodernistenpapst PIUS X. (bei dessen höchst anfechtbarer Heiligsprechung durch den zusehends ebenfalls antimodernen Pius XII. 1954 in Rom bin ich als Student zugegen) verstärkt sich auch auf Schell der Druck noch einmal massiv. Schon am 6. Dezember 1905 muss er sich zum zweiten Mal vor dem Bischof kategorisch auf den »integralen« Katholizismus, wie ihn Pius X. verstand, verpflichten; seine Erklärung wird zurechtgestutzt und prompt im bischöflichen Amtsblatt veröffentlicht. Schell ist jetzt ein gebrochener Mann. All die persönlichen Anfeindungen und offiziellen Diffamierungen haben seinem Herzen zugesetzt. Am 13. Mai 1906 wird er 56-jährig von seinem Leid durch den Tod erlöst … Das Schicksal eines Reformtheologen, das mich erschüttert. Häretiker sein in dieser Kirche kann lebensgefährlich sein.

Aber, so darf ich mir nun auch sagen: Glücklicherweise leben wir nicht mehr in der Zeit des Bündnisses von Thron und Altar, von Herrscherhaus und Kirche, sondern in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, und ich habe in meinen theologischen Positionen nicht nur Bibel und große katholische Tradition, sondern auch das Vatikanum II (1962  65) hinter mir – den Kontrapunkt zum Unfehlbarkeitskonzil Vatikanum I (1869  70). So bleibt denn meine Grundstimmung auch nach der Lektüre all der »Ketzerschicksale« frohgemut. Das letzte Photo meines zweiten Memoirenbandes »Umstrittene Wahrheit« zeigt mich auf Kreta entspannt lächelnd mit dem eben erhaltenen Dokumentationsband »Der Fall Küng« in der Hand. Bildunterschrift: »Überstanden!«

Mein Leben – Labyrinth oder Drachenkampf?

Begleitet von MARIANNE SAUR, die sich in für sie völlig unerwartet schwieriger Zeit in unserem Condominium (Bd. 2, Kap. III: Entscheidungen für Haushalt und Sekretariat) souverän bewährt hatte, und ihrer Freundin HEDE JACOBY treffen wir in der kretischen Hauptstadt Heraklion mit meinem Tübinger Kollegen HERBERT HAAG und seiner Gruppe »Biblische Reisen« zusammen. Haag ist Herausgeber des ersten katholischen historisch-kritischen »Bibellexikons« (1968). Im Artikel »Kreta« habe ich lesen können: »Die wissenschaftliche Erforschung Kretas begann 1900 mit der Ausgrabung von Knossos durch den Engländer J. A. Evans, wodurch der Palast des Minos und eine bisher unbekannte, in Vasen, Wandmalereien und architektonischen Formen sich offenbarende Kultur von hohem Alter und großer Vollkommenheit ans Tageslicht kam.« Schon lange wollte ich diese Insel kennenlernen, deren Kultur im 3./2. Jahrtausend v. Chr. aufgrund der Handelsbeziehungen mit dem Ägäischen Raum und vor allem mit Ägypten einen Schlüssel darstellt zum besseren Verständnis der mir schon vertrauteren ägyptischen und griechisch-römischen Kultur. Und so besuchen auch wir auf Fahrten quer durch die Insel die Ausgrabungen fürstlicher Paläste in Knossos und Phaistos und manches mehr.

Mich interessiert dabei besonders die in die griechische Mythologie eingegangene geheimnisvolle Erzählung von König Minos und dem menschengestaltigen, menschenfressenden Minotaurus (Stier-Mann). Ihm waren die Athener mit dem Opfer von sieben Jünglingen und sieben Jungfrauen tributpflichtig, bis ihn der athenische Held THESEUS tötete. Doch Theseus fand aus dem verwirrenden Labyrinth des Minotaurus nur heraus durch einen Faden, den ihm die Königstochter Ariadne als Wollknäuel zugesteckt hatte. Ist es nicht verständlich, dass mir im römischen Kontext ein »Papst Theseus I.« einfällt? Mit diesem Spottnamen betitelten wir im päpstlichen Collegium Germanicum wegen seiner oft allzu einfachen theologischen...

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