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E-Book

Ermutigung und Anerkennung

Der Erziehungskompass nach Rudolf Dreikurs

AutorBarbara Hennings
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783451801143
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Jedes Kind will anerkannt werden, seinen Beitrag leisten und zur Gemeinschaft dazugehören dürfen. Es ist neugierig auf die Welt und will sie kennen lernen. Die Kunst, mit Kindern umzugehen, liegt darin, diese Ressourcen zu nutzen und im Vertrauen auf die Fähigkeiten des Kindes eine entspannte Beziehung zu gestalten. Barbara Hennings zeigt ausführlich und anhand vieler Beispiele aus dem heutigen Familienalltag, wie das in der Praxis konkret aussieht und orientiert sich dabei an den Grundsätzen von Rudolf Dreikurs.

Barbara Hennings, geb. 1942, ist seit 1998 Encouraging-Trainerin und individualpsychologische Beraterin; Mutter von vier erwachsenen Kindern. Heute ist sie in der Erwachsenenbildung tätig.Website: www.barbara-hennings.de

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Leseprobe

Kapitel 4
Die bedeutenden Bs


Wenn ich Eltern frage, was Kinder brauchen, um zu gedeihen, antworten alle ungefähr gleich: Urvertrauen, Geborgenheit, Verständnis, Liebe. Das stimmt. Wie schaffen Eltern es, dass Kinder tief im Inneren wissen, dass die Eltern sie verstehen und lieben? Wie stellen Eltern sicher, dass die Liebesbotschaft ankommt?

Adler und Dreikurs haben uns vermittelt, wie wichtig das Zugehörigkeitsgefühl ist. Betty Lou Bettner, eine amerikanische Individualpsychologin, stellt dar, wie das entsteht. Sie zerlegt es sozusagen in seine Bestandteile. Sie nennt sie die »Crucial C’s, connect, capable, count, courage, die Kinder brauchen, um Gemeinschaftsgefühl entwickeln zu können. Sie spricht von »needs«, also Notwendigkeiten oder Bedürfnissen, die alle Menschen haben. Bedürfnis ist ein starkes Wort. Bedürfnisse sollten ernst genommen und erfüllt werden. In ihrem Buch »Die schöpferische Kraft – Wie Kinder ihre Persönlichkeit erschaffen« heißen die »Crucial C’s« die »Bedeutenden Bs«:

Verbunden sein, in Beziehung sein

Befähigt sein, sich fähig und kompetent fühlen

Bedeutsam sein, die Überzeugung haben, es kommt auf mich an, ich werde gebraucht

Beherzt sein, also Mut haben

Diese Bedürfnisse sind so wichtig, dass Kinder sie sich auf jeden Fall erfüllen. Das kann auf positive Weise geschehen oder auf negative, wie wir im Kapitel Notlösungen sehen werden.

Verbunden sein


Wir wissen aus der Entwicklungspsychologie, dass Babys Bindung brauchen, um zu gedeihen. Schon in den 50er Jahren sprach John Bowlby in England von der Notwendigkeit der Bindung von Säuglingen und Kleinkindern an eine feste Bezugsperson, um eine stabile Psyche zu entwickeln. Es dürfen auch mehrere sein, also Vater und Mutter und eine Tagesmutter oder Pflegemutter, solange diese Bindungen stabil sind. Es ist relativ leicht, mit einem Baby Verbindung aufzunehmen und zu halten. Das Lächeln und Plappern von Babys ist unwiderstehlich und ruft bei allen Eltern die gleiche Reaktion hervor: Sie lächeln zurück, machen seine Geräusche nach, sprechen ständig mit dem Kind, während sie es wickeln oder mit ihm spielen. Sie machen Fingerspiele, zeigen ihm Dinge, berühren es zärtlich, streicheln es. All dies schafft engen Kontakt und Beziehung. Schwieriger wird es, wenn die Kinder mobil werden, krabbeln und anfangen zu laufen, dann noch eigenständiger werden und mit dem ersten »Nein«, mit Trotz und den ersten Wutanfällen reagieren. In solchen Momenten ist es schwieriger, eine gute Beziehung zum Kind zu halten. Kinder können Eltern manchmal zur Weißglut bringen!

Kinder brauchen eine gute, liebevolle, warmherzige Beziehung zu ihren Eltern! Das ist emotionale Nahrung. Deshalb ertragen sie es kaum, wenn die Beziehung abreißt. Kritik, schimpfen, meckern, nörgeln, an allem etwas aussetzen, ständig ermahnen und verbessern, predigen, Vorwürfe machen, beschuldigen, klein machen oder beschämen unterbrechen die gute Verbindung. Im kindlichen Schwarzweiß-Denken interpretiert das Kind: Mama liebt mich nicht mehr. Das tut weh. Kinder, die sich nicht geliebt fühlen, empfinden sich als minderwertig. Ihr Selbstvertrauen leidet. Dagegen wehren sie sich!

Eine Mutter und ihr kleines Mädchen, vielleicht vier Jahre alt, sind mit dem Fahrrad unterwegs. Vielleicht sind sie auf dem Weg zum Kindergarten. Sie haben am Straßenrand angehalten. Die Mutter tippt in ihr Smartphone, höchst konzentriert. Ich erhasche einen Blick auf das Gesicht des Kindes und erschrecke über seinen Ausdruck.

Das Gesicht des Kindes sagt, dass es empört und traurig ist, dass Mutters Smartphone ihr wichtiger ist als ihr Kind! Zwischen Mutter und Kind herrscht Funkstille. Als Einzelfall hat das keine Bedeutung. Wenn es aber immer wieder passiert, wird das kleine Mädchen Verbindung suchen, indem es auf sich aufmerksam macht, auf positive oder negative Weise. Vielleicht wird es wie eine Klette an Mama hängen. Oder es wird stören. Es könnte seiner Empörung laut Ausdruck geben durch Schreien oder einen Wutanfall oder es könnte einfach losfahren. Es wird sich merken, was funktioniert und diese Strategie immer wieder anwenden. So kommt es zu Notlösungen. Notlösungen sind in einem eigenen Kapitel beschrieben. Hier reiße ich sie nur an, um darzustellen, dass Kinder sich die Bedürfnisse, die als bedeutsame Bs beschrieben sind, auf jeden Fall erfüllen. Ermutigte Kinder tun das im Sinn des Gemeinschaftsgefühls, entmutigte auf der nutzlosen Seite des Lebens.

Die erste Notlösung (oder Entmutigungsstufe) ist ungebührliche Aufmerksamkeit um jeden Preis. Leider lernen Kinder sehr schnell, dass die Erwachsenen sie sofort wahrnehmen und zurechtweisen, also Verbindung aufnehmen, wenn sie sich schlecht benehmen. Kinder, die sich unauffällig oder angepasst, also eigentlich gut verhalten, werden leicht übersehen!

Befähigt sein


Mama füttert das neun Monate alte Baby. Das Telefon klingelt. (Damals gab es weder Handys noch schnurlose Telefone.) Nora, gerade 3, meint, sie würde das Baby weiterfüttern. Mama schaut zweifelnd, entschließt sich, es zu riskieren. Sie stellt die Wippe mit dem Baby auf den Boden, reicht der »Großen« die Breischale aus Porzellan und den Löffel und geht ans Telefon. Sie kommt zurück, die Schale ist leer, das Baby satt und verschmiert, beide Kinder strahlen vor Freude.

Evelyn hängt Wäsche im Garten auf. Ihr Sohn Simon (2) reicht ihr die Stücke. »Nein, das nicht, das gehört in den Trockner.« Simon verschwindet, geht die Kellertreppe hinunter, zur Waschküche. Als Evelyn mit dem Rest der Wäsche zum Trockner geht, liegt das eine Stück schon drin.

Kleine Kinder sind sehr fähig. Sie sind klein, aber auf keinen Fall dumm! Sie beobachten sehr genau. Sie können sehr viel. Leider lernen viele Kinder, dass ihre Hilfe gar nicht erwünscht ist, da es ohne sie viel schneller geht. Und leider gibt es in unserer modernen Gesellschaft wenig wirklich sinnvolle Aufgaben, die Kinder erfüllen und dadurch ihre Kompetenz und ihr Verantwortungsbewusstsein unter Beweis stellen können.

Einige Kinder fühlen sich nur dadurch »fähig«, dass sie andere in ihren Dienst stellen. Durch ein klägliches »Ich kann das nicht« erreichen sie, dass Eltern, Erzieherinnen, ältere Geschwister ihnen Dinge abnehmen, wie beispielsweise Jacke zumachen oder Schleifen binden. Andere werden bockig, trotzig und suchen durch Verweigerung und durch Machtkämpfe zu demonstrieren, wie stark und fähig sie sind.

Die zweite Notlösung oder Entmutigungsstufe ist der Wunsch nach Überlegenheit. Kinder verwechseln wahre Kompetenz mit Machtdemonstration und verwickeln Erwachsene in Machtkämpfe. Sie glauben sich fähig, wenn sie alles bestimmen können, wenn sie »der Boss« sind.

Bedeutung haben, gebraucht werden


Gerda, 5, ist ein Bauernkind. Ein Gewitter ist im Anzug, alle helfen mit, das Heu reinzubringen, bevor die ersten Tropfen fallen, auch Gerda. Am Abend sitzen alle zusammen. Gerda ist stolz. Sie hat geholfen, das Heu zu retten.

Mutter schneidet sich die Zehennägel. Sie schimpft: »Wenn das so weitergeht, brauche ich bald eine Zange.« Die zweijährige Susanne, die ruhig im Bad gespielt hat, ist plötzlich verschwunden. Mutter hat es mit einem halben Auge wahrgenommen, sich gewundert, wo sie bloß ist. Da taucht die Kleine wieder auf, die Würstchenzange in der Hand. »Tange, Tange«, sagt sie. Kleine Kinder denken mit! Wer dazugehört, will beitragen.

Auf einer Wanderung hat die Gruppe bei der Sennhütte Halt gemacht: zwei Mütter und sechs Kinder. Einem Kind ist schlecht, es möchte nach Hause, die anderen wollen aber unbedingt weiterwandern. Der Senn auf der Alp ist bereit, eine Mutter und das Kind mitzunehmen, wenn er nach getaner Arbeit ins Tal fährt.

Der Senn und seine Familie gehen ihrer Arbeit nach. Offensichtlich sind sie gerade mit Käsen fertig geworden. Die Frau wäscht die Käsetücher aus und hängt sie auf. Dann holt sie einen Besen und verschwindet im Haus. Unterdessen lädt der Mann seinen drei Kindern Holzscheite auf die Arme. Dem Ältesten (vielleicht zwölf) eine große Ladung, dem jüngsten Mädchen – sie mag sieben oder acht sein, nur drei Scheite aufs Mal. Die Kinder tragen die Scheite die Treppe hoch, in die Küche. Die Arbeit geht flüssig und fröhlich vonstatten, mit Plaudern und Lachen. Die Kinder machen nicht den Eindruck, dass sie zwangsverpflichtet sind, im Gegenteil. Offensichtlich wissen sie, dass sie gebraucht werden. Ohne sie wäre die Arbeit für die Eltern viel schwerer und würde viel länger dauern.

Gebraucht werden, zu wissen, es kommt auf mich an, ohne mich wäre diese Familie ärmer dran, ist ein menschliches Bedürfnis. Denken wir an die vielen Menschen, die jedes Jahr in Rente gehen. Viele von ihnen fallen in ein tiefes seelisches Loch, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Es fehlt die Aufgabe, die Anerkennung, die Wertschätzung, die mit der Arbeit einhergeht.

Oder denken wir an die »verwaisten« Eltern, deren jüngstes Kind nun auch aus dem Haus ist und nur noch sporadisch nach Hause kommt. Auch sie empfinden diesen Lebensabschnitt anfänglich als Krise.

Kleine Kinder wollen mithelfen, alles tun, was Mama macht. Sie planschen am Spülbecken und wollen abwaschen, sie wollen auch ein Kehrblech und auch den Staubsauger führen. Wenn Mama einen Knopf annäht, könnten sie Knöpfe sortieren. Wenn Papa handwerkelt, wollen sie mitmachen, den Hammer schwingen, die Nägel halten, die Säge führen. Sie könnten Schrauben nach Größe sortieren, Werkzeug anreichen, ein Stück Holz anschleifen. Schon...

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