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Erzähl mir von Deutschland, Soumar

Wie ein syrischer Flüchtling mir mein Land näherbrachte

AutorFlorian Schmitz
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783959716086
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Ein Deutscher, der aus Frust seine Heimat verlässt. Ein Syrer, der vor dem Krieg flieht. Auf einer griechischen Fähre treffen beide aufeinander. Was folgt, sind lange Gespräche und der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft, die beiden Männern völlig neue Perspektiven eröffnet. Durch die Augen des Flüchtlings Soumar, der auf der Suche nach einer neuen Heimat in Deutschland ist, lernt Autor Florian Schmitz sein eigenes Land neu kennen. 'Auch für Soumar ist das Leben in Deutschland nicht einfach. Vorurteile und Angst schlagen ihm ebenso entgegen, wie Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit ihm zuteilwerden. Dabei aber vergisst er nie das Gute. Er lässt sich ein auf meine Heimat, nimmt sie, wie sie ist. Eine Heimat, die ich so nicht kannte und die ich erst durch die Augen eines Fremden wirklich verstehen lerne.'

Florian Schmitz, geboren 1980 in Datteln/Ruhrgebiet, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Spanisch und Lateinamerikanistik in Berlin und Madrid. Danach arbeitete er u.a. im Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Seit 2014 ist er freier Autor, u.a. für den deutschsprachigen Hörfunk. Er lebt in Thessaloniki und Berlin.

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Rückblende – Wie alles begann


Die großen Fähren, die die Inseln der griechischen Ägäis mit Athen verbinden, sind nach der Hauptsaison im Juli und August eigentlich leer. Die meisten Touristen sind wieder zu Hause. Nur ein paar wenige Nachzügler, kinderlose Nebensaisonbucher oder die Inselbewohner fahren zu dieser Zeit noch mit den Schiffen. Im Sommer 2015 ist alles anders. Schon seit Ausbruch der sogenannten ›Kriege gegen den Terror‹ im Irak und in Af­ghanistan erreichen Flüchtende die griechischen Inseln. Seit Jahren warnen Menschenrechtsorganisationen vor einer Eskalation. Die Zustände im Flüchtlingslager Amygdaleza in der Nähe von Athen sind katastrophal. Die faschistische Partei Goldene Morgenröte profitiert von der Not, die die Kriege im Nahen Osten mit sich bringen. Bei den griechischen Neuwahlen im Sommer 2015 konnte sie sich als drittstärkste Partei im Parlament neu behaupten. In Athen kontrolliert sie ganze Stadtteile.

Schon im Vorjahr hatte ich für ein Interview am Rande des Dokumentarfilmfestivals Thessaloniki die Münchnerin Anna Brass getroffen. Die Studentin war mit ihrem Film ›Leaving ­Greece‹ zu Gast, in dem sie minderjährige Asylsuchende begleitet, die auf der Ägäis-Insel Lesbos festsitzen und nach Deutschland wollen. Schon zu diesem Zeitpunkt sind die griechischen Behörden hoffnungslos überfordert mit dem Andrang. Warnende Hilferufe gen Westeuropa werden ignoriert. Geflüchtete Kinder liegen anonym auf dem Friedhof von Patras begraben. In der Regel sind die Minderjährigen allein unterwegs. Ihre Familien in Afghanistan, dem Irak oder in Pakistan mussten große Opfer auf sich nehmen, um ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. In Griechenland erleben sie den europäischen Nimbus der Perspektivlosigkeit. Dabei war ihr Ziel nie Südeuropa, sondern Deutschland, Österreich, England oder Schweden.

»In Athen saß ich mit meinem afghanischen Protagonisten im Alexander-Park, um ein Theaterstück zu sehen. Dann sind wir von irgendeinem Typen aufgefordert worden zu gehen«, erzählt Anna Brass von einer Begegnung mit dem alltäglichen Faschismus im Krisen-Europa. All das liegt schon einige Jahre zurück.

 

Im Sommer 2015 ertönt in den Bahnhofshallen in Deutschland tosender Applaus. In großen Zahlen erreichen Flüchtende aus den Krisengebieten Westeuropa und finden nun auch bei der breiten Masse Beachtung. Derweil sitze ich mit meinem griechischen Schäferhund Nondas an Deck einer Fähre und schippere durch die Ägäis. Wir sind nicht allein. Mit uns reisen Hunderte von Kriegsflüchtlingen aus dem Nahen Osten. »Das Boot ist voll«, könnte man bei PEGIDA und AfD geistreich scherzen.

Ich fühle mich unangenehm privilegiert. Während ich ganz mondän in den Urlaub fahre, treffe ich hier auf Menschen, die in viel zu großen Gruppen mit fragilen Gummibooten von der türkischen Küste auf irgendeine griechische Insel verfrachtet wurden. Viele unter ihnen kennen Menschen, die auf dieser Überfahrt ertrunken sind.

Die große Mehrheit der spätsommerlichen Mitreisenden steigt in Lesbos zu. Über die gesamte Fläche des Hafengebiets erstrecken sich Zeltlandschaften. Die täglichen Berichte in den Medien werden dem wahren Ausmaß der Situation kaum gerecht.

 

Mein Hund Nondas ist ein wahrer Publikumsmagnet. Menschenhorden stürmen auf ihn zu, um ihn zu streicheln oder ihn mit dem Handy zu fotografieren. Dank seines diplomatischen Geschicks komme ich ins Gespräch mit den Leuten, ohne mich zu meinem vorformulierten Journalisten-Intro überwinden zu müssen. Die meisten, mit denen ich rede, sind aus Syrien, ein paar wenige aus Afghanistan. Lehrer, Ingenieure, Ärzte, Rechtsanwälte. Es scheint, als sei die syrische Mittelklasse unterwegs auf einer Kollektivkreuzfahrt. Alles zahlende Fahrgäste, die nach den Unsicherheiten der letzten Wochen zum ersten Mal so etwas wie Freizeit haben. Die Stimmung ist gut. Die Fährrestaurants machen das Geschäft ihres Lebens. Die Mitarbeiter haben inzwischen einige Sätze Arabisch gelernt. Sie warnen vor Schweinefleisch und legen stattdessen ein Geflügel-Sandwich nach dem anderen auf die Theke. Eltern spielen mit ihren Kindern, Jugendliche sitzen lachend in der Sonne und trinken Cola, ein altes Ehepaar hält sich im Arm und schaut aufs Meer hinaus. Als wir an der Insel Ikaria haltmachen, steige ich aus. Während ich mich auf Schnorcheln, Lesen und Fischrestaurants freue, fährt die syrische Mittelklasse weiter in Richtung Athen. Die Reisezeit ist günstig. In etwa drei Wochen wird Ungarn die Grenzen schließen. Im Februar 2016 auch die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.

Sieben Tage später stehe ich wieder am Hafen von Ikaria. Aus den 47er-Flipflops ragen meine Beine, auf deren naturmilchweißer Haut sich eine leichte Röte ausbreitet. Auf dem Boot herrscht bereits reges Treiben. Wie auch in der Woche zuvor besteht die Großzahl der Passagiere aus Flüchtenden. Nondas’ PR-Magnet läuft auf Hochtouren und ich halte mich bereit. Mein Plan: Während der achtstündigen Fahrt nach Athen so viele O-Töne wie möglich einzufangen. Plötzlich verliert mein Hund seine professionelle Contenance und zieht in Richtung Individuum. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Vor uns steht ein Typ, Mitte bis Ende zwanzig, etwa einen Meter siebzig groß, ungeduscht und mit Wanderrucksack auf dem Rücken. Zehn Zentimeter Körpergröße trennen ihn von meinem Backpacker-Ich. Er überschüttet meinen Hund mit Komplimenten und erzählt, dass er seine Katzen in Syrien zurücklassen musste. Wir kommen ins Gespräch und ich vergesse die Dutzende von Interviews, die ich eigentlich führen ­wollte.

Soumar ist 29 und kommt aus Damaskus. Er hat in Aleppo Ingenieurwissenschaften studiert. Ein Bombenangriff auf die Universität hat seinem Examen ein jähes Ende bereitet. Wie die meisten Flüchtenden will auch er nach Deutschland. Neben seinen Katzen hat er seine beiden Brüder und Schwestern, die Eltern und seine Schwägerin zurückgelassen, eine Amerikanerin, die trotz des Krieges an der Seite ihres Mannes bleibt, in der Hoffnung, dass der Terror und das Blutvergießen bald ein Ende finden.

 

Die Kykladen präsentieren sich von ihrer besten Seite. Eine Insel nach der anderen erhebt sich aus dem Wasser. Während wir an ihnen vorbeiziehen, verwandeln sie das Mittelmeer in eine sich ständig neu erfindende Landschaft. In unmittelbarer Nähe überholen uns Delphine. Die frühabendliche Sonne ist angenehm warm und taucht die Umgebung in ein leichtes Orange, durch das der Seewind den Duft der heißen Inselsteine bis an die Reling und in die Nasen der vielen Reisenden trägt. Das ganze Flüchtlingsdrama wird in eine Wolke aus Kitsch gehüllt, unter der Nationalität, Status und Durchschnittseinkommen für einen kurzen Moment keine Rolle spielen. Tourist, Krisengrieche oder flüchtende Mittelklasse: Die Katalogatmosphäre verbreitet heilsame Gleichgültigkeit.

 

Wir fahren an Mykonos vorbei. Reiche Europäer und Amerikaner lassen sich an zu Tode organisierten Stränden 20-Euro-Cocktails servieren. Währenddessen erzählt Soumar von der Welt, die er zurückgelassen hat; einer Welt, in der er seit Jahren nicht mehr ruhig schlafen konnte. Er erzählt von den vielen militärischen Kontrollpunkten in Damaskus, die das natürliche Chaos der Stadt zerstört und das Leben zu einem sich zäh dahinziehenden Dauerwarten degradiert haben. Er erzählt, wie bewaffnete Terroristen in seine Wohnung in Aleppo eindrangen und er in letzter Sekunde fliehen konnte. Später, in einem unserer vielen Interviews, wird er mir lachend erzählen, dass laute Geräusche, wie die Fehlzündung eines Motorrades oder das Fallen von Metall auf Asphalt auch in Bremen die Erinnerung an explodierende Bomben hervorrufen. »Was machst du dann?«, werde ich ihn fragen. Er wird antworten:

»Weißt du, ich habe eine Regel. Solange du das Geräusch noch hörst, bist du am Leben und dann ist alles in Ordnung.«

 

Soumar und ich sitzen an der Reling. Das Meerwasser spritzt uns ins Gesicht, wir rauchen selbst gedrehte Zigaretten, stoßen auf den Atheismus an und lachen viel. Er passt so gar nicht in meine Vorstellung eines Flüchtenden. Die ganze Stimmung passt nicht zu dem, was ich mir ausgemalt hatte. Ein etwa dreizehnjähriger Junge spielt mit seinem kleinen Bruder Fußball. »Wo willst du hin?«, frage ich ihn.

»Dortmund«, antwortet er lachend und zeigt auf sein BVB-Trikot. Eine Menschentraube drängt sich um zwei Athener Hippies, die Saxofon und Gitarre spielen. Hipstertraumschiffparty. Ich besorge uns Bier. Die Sonne ist inzwischen untergegangen. Da sitzen wir und trinken Alkohol. Was soll man auch sonst tun in dem Wissen, dass ich in wenigen Stunden im Auto nach Thessaloniki sitzen werde, während Soumar seine Flucht vor Krieg und Gewalt fortsetzt? Natürlich biete ich an, ihn mitzunehmen nach Nordgriechenland. Er lehnt ab.

»Ich muss bei meinen Leuten bleiben«, erklärt er und zieht an seiner Zigarette. Eine Zeitlang sagen wir nichts. Je näher wir Athen kommen, desto mehr rückt die Nacht die Verhältnisse wieder in ihren Ist-Zustand. Ja, hier sitzen wir, zwei Atheisten: ein Syrer auf dem hoffnungsvollen Weg nach Deutschland und ein Deutscher auf dem Weg nach Hause, nach Thessaloniki. Unsere Wege werden sich trennen. Ich werde arbeiten gehen, meine Wohnung mit Sicht auf den Olymp und den Thermaischen Golf putzen und beim Gassigehen mit den Nachbarn im Park über den griechischen Krisenalltag reden. Soumar hat den schwersten Teil der »Reise«, wie er seine Flucht bezeichnet, noch vor sich.

»Wo willst du eigentlich hin, wenn du in Deutschland bist?«, frage ich ihn.

»Nach...

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