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E-Book

Erziehen mit Anspruch und Leidenschaft

Die Herausforderungen christlicher Pädagogik

AutorJorge Mario Bergoglio
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783451801716
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Lehrer, Erzieherinnen und Eltern wollen jungen Menschen eine Erziehung schenken, die sie zum selbständigen Leben befähigt. Im Alltag brauchen sie dabei oft gute Nerven und etwas, das auch ihnen selbst Halt und Orientierung gibt. Der heutige Papst Franziskus hat sich in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires intensiv und konkret mit den Themen Wertevermittlung und Persönlichkeitsbildung auseinandergesetzt. Seine - oft biblisch begründeten - Impulse sind geerdet, weil sie nicht bei Idealen, sondern in den Erfahrungen des Alltags ansetzen. Von dort her fragen sie nach Möglichkeiten, junge Menschen so zu begleiten, dass diese sich selbst und andere bejahen können und wollen. Dieser Band bietet eine Auswahl an Texten, die auch in Europa die religiöse Erziehung unterstützen und inspirieren werden.

Jorge Mario Bergoglio, geb. 1936, Jesuit, 1998-2013 Erzbischof von Buenos Aires, 2001-2013 Kardinal, seit dem 13.3.2013 Papst Franziskus.

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Leseprobe

KATHOLISCHE ERZIEHUNG HEUTE: EINE GROSSE HERAUSFORDERUNG


Zeugen des auferstandenen Jesus


Wir christlichen Pädagogen sind Zeugen: Zeugen in der Zeit der Postmoderne, einer Zeit des Übergangs, die man treffend als eine »Kultur des Schiffbruchs« charakterisieren könnte. Diese Lesart soll uns aber nicht zu Pessimismus verleiten, im Gegenteil: Sie ist eine Herausforderung, eine Chance und eine Berufung.

Wir haben aktiv an dieser Situation teil: Wir sind Schiffbrüchige. Ein Schiffbrüchiger ist immer allein mit sich selbst: mit seinem Sein, mit seiner Geschichte. Sie ist sein größter Reichtum. Natürlich gerät man angesichts der Krise leicht in Versuchung, aus den Bruchstücken eines Schiffs, das nicht mehr existiert, alles wieder so aufzubauen, wie es vorher war; in die nackte Routine oder den hoffnungslosen Snobismus von Menschen zu verfallen, die sich einfach vom Strom der Zeit treiben lassen.

Entscheidend ist, dass wir die schöpferische Kraft unserer eigenen Geschichte, unserer historischen Erinnerung nicht daran hindern, sich zu entfalten. Als unablässiges Streben nach Wissen ist der Bereich der Erziehung und Bildung für diese Übung geradezu prädestiniert: wieder an die Anfänge anzuknüpfen, an die Möglichkeit, Träume zu verwirklichen; den Auftrag zu entdecken, der sich darin verbirgt und der erfüllt sein will.

Diese Erinnerung ist Anamnese, Vergegenwärtigung, erneuerte Begegnung – wie bei der Eucharistiefeier, wo wir im Leib Christi unserem Leib und dem Leib unserer Mitmenschen begegnen. Erinnerung heißt, zu den Quellen zurückzukehren und gleichzeitig die Richtung zu finden; Wurzeln zu schlagen und gleichzeitig vorwärtszugehen. Deshalb hat Erinnerung etwas mit Sein und Bestimmung zu tun.

Wir sehen so viele kranke, verschwommene, zerrissene Erinnerungen: erste Eindrücke, die rasch wieder verblassen, Schlaglichter und Modeerscheinungen, Empfindungen des Augenblicks und subjektive Geschmacksurteile, deren Selbstgefälligkeit nur notdürftig kaschiert, aus welcher Verwirrung sie entstanden sind. All diese Fragmente wollen die Geschichte ins Chaos stürzen, verdunkeln und verleugnen: Der Herr lebt und ist mitten unter uns. Er ruft uns und gibt uns Halt; in ihm versammeln wir uns, er sendet uns aus. In ihm sind wir Kinder, in ihm erreichen wir jene Größe, zu der wir berufen sind.

Die Herausforderungen unserer Kultur


Halten wir fest: Jeder Fortschritt, der nicht in der Erinnerung an unsere Ursprünge wurzelt – die Ursprünge unserer Existenz und mithin auch unserer Kultur und unserer Geschichte –, ist Selbstbetrug und Selbstmord. Eine Kultur ohne Wurzeln und ohne Einheit hat keinen Bestand.

Was uns treibt, ist also die Suche nach der Fülle der menschlichen Existenz. Diese Suche ist in ihrem jeweiligen epochalen Kontext verortet, der ihr ihren besonderen Charakter verleiht und den Raum ihrer Möglichkeiten absteckt. Zwischen Fülle und Grenze besteht eine bipolare Spannung. Daher müssen wir uns fragen: Auf welche Anthropologie sollen sich das pädagogische Handeln und die frohbotschaftliche Verkündigung stützen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einmal versuchen, uns ein ungefähres Bild von den Wertmaßstäben unserer Epoche zu machen.

Der Mensch von heute hat typischerweise eine technizistische Mentalität und einen Hang zum profanen Messianismus. Er ist ein »gnostischer Mensch«, der über Wissen verfügt, aber der Einheit entbehrt und das Esoterische braucht – in diesem Falle ein verweltlichtes Esoterisches. Auch die Pädagogik gerät leicht in Versuchung, gnostisch und esoterisch zu werden, wenn sie die Macht der Technik nicht mehr kontrollieren kann, weil es ihr an der inneren Einheit fehlt, die aus realistischen Zielsetzungen und dem Einsatz menschenmöglicher Mittel erwächst. Und wie oft geschieht es außerdem, dass man die Politik auf eine bloße Rhetorik reduziert oder sich in Konjunkturanalysen verzettelt, statt über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und die Zeichen der Zeit zu deuten! Oder dass man der kulturellen Verführung einer sich verselbstständigenden Semiotik erliegt, welche die Realität nach und nach durch eine Welt aus Fiktionen verdrängt. Wir müssen die Anthropologie aus dem Gefängnis der Worthülsen befreien.

Andererseits gibt es eine große Anzahl von Menschen, die sich an ihre bewussten oder unbewussten Ängste klammern und Götzenbilder aufstellen, um ihre Verirrungen oder auch einfach nur ihre Vorurteile und Ideologien zu rechtfertigen. So haben wir postmodernen Schiffbrüchigen uns – von den verschiedenen Fundamentalismen bis hin zum New Age, von der Mittelmäßigkeit unseres eigenen Glaubenslebens bis hin zu den Lehren derer, die christliche Versatzstücke verwenden, dabei aber das Wesentliche des christlichen Glaubens verwässern – an den vollen Regalen des Supermarkts der Religionen bedient. Das Ergebnis ist der Theismus: ein Olymp aus Göttern, die »nach unserem eigenen Bild und uns ähnlich« geschaffen sind und unsere Unzufriedenheit, unsere Ängste und unsere mangelnde Selbstkritik widerspiegeln.

Weit verbreitet ist auch der konziliante Synkretismus, der uns mit seiner scheinbaren Ausgewogenheit bestrickt. Er meidet den Konflikt – nicht um der Lösung der bipolaren Spannung, sondern schlicht um des Gleichgewichts der Kräfte willen. Besonders ausgeprägt ist er im Bereich der Justiz, und zwar auf Kosten der Werte. Er gilt als Wert an sich und stützt sich auf die Überzeugung, dass jeder Mensch seine Wahrheit und dass jeder Mensch sein Recht hat: Nur das Gleichgewicht gilt es zu wahren. Er gefällt sich darin, gemeinsame Werte zu verkünden, die weder atheistisch noch christlich, sondern neutral oder, wie er selbst es gern nennt, identitäts- und zugehörigkeitsübergreifend sind. Das ist moderner Totalitarismus in seiner perfidesten Form, ein Totalitarismus, der nur deswegen so »versöhnlich« ist, weil er Werte missachtet, die größer sind als er selbst. Der Schwerpunkt verlagert sich: weg von den tiefsten Werten unseres Volkes, hin zu einer moralinsauren Konzilianz von totalitärer Struktur.

Ein naher Verwandter ist der Relativismus: die Frucht einer von Mittelmäßigkeit infizierten Unsicherheit, die sich gegenwärtig in der Tendenz ausdrückt, die Werte zu diskreditieren oder zumindest einen immanenten Moralismus zu propagieren, der das Transzendente durch falsche Versprechungen oder konjunkturelle Ziele ersetzt und verdrängt. Wenn man ihre christlichen Wurzeln kappt, werden die Werte zu Monaden, Gemeinplätzen oder bloßen Namen. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Betrug an der Person. Denn letztlich kann eine Anthropologie nicht darauf verzichten, die menschliche Person zu jener einen Person in Bezug zu setzen, die transzendent ist und den Menschen in ebendieser Transzendenz erst eigentlich begründet.

Ebenfalls eng mit den beschriebenen Strömungen verwandt ist das Streben nach einer vermeintlichen Reinheit, die letztlich immer in den Nihilismus führt. Sie verweist scheinbar auf übernatürliche Gaben: auf reine Vernunft, reine Wissenschaft, reine Kunst, die reine Staatsform. Dieses Verlangen nach Reinheit, das zuweilen in der Gestalt eines religiösen, politischen oder historischen Fundamentalismus daherkommt, geht auf Kosten der historischen Werte der Völker und isoliert das Bewusstsein, bis es schließlich nicht mehr in der Lage ist, die Grenzen der Prozesse zu erfassen und zu akzeptieren. Der Mensch aus Fleisch und Blut mit seiner konkreten kulturellen und historischen Zugehörigkeit, die Komplexität des Menschlichen mit seinen Spannungen und Grenzen werden weder respektiert noch überhaupt in Betracht gezogen. Die dem Menschsein innewohnende Begrenztheit, das Gesetz und die konkreten und objektiven Normen, die immer notwendige und immer unvollkommene Autorität, der Kompromiss mit der Realität – all das stellt diese Mentalität vor unüberwindliche Schwierigkeiten.

Ein neuer Nihilismus »verallgemeinert« alles, stampft Besonderheiten ein und ignoriert sie – oder er behauptet sie im Gegenteil mit solcher Heftigkeit, dass auch das letztlich zu ihrer Zerstörung führt. Diese Tendenz, die politischen Strömungen im Zuge der totalen Internationalisierung des Kapitals und der Medien zu vereinheitlichen, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack der Achtlosigkeit, was die soziopolitischen Verpflichtungen und die wirkliche Beteiligung an der örtlichen Kultur und Wertetradition betrifft. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, eine Zahl in den Statistiken der Meinungs- und Marktforscher oder ein Anreiz für die Arbeit der Marketingexperten zu sein.

Der Mensch von heute fühlt sich oftmals entwurzelt und schutzlos. Das maßlose Autonomiestreben der Moderne hat ihn so weit gebracht. Er hat den Halt verloren – den Halt im Transzendenten. Im Spannungsfeld zwischen Regel und Originalität gilt es, auf der einen Seite die Zwanghaftigkeit – also die übertriebene Regeltreue – und auf der anderen Seite die Impulsivität – also ein Übermaß an Originalität – zu vermeiden. Wer sich von den Wurzeln seiner Identität entfernt, ist leicht versucht, sich in die kulturelle Rückwärtsgewandtheit zu flüchten. Weil er sich als gespalten, als von sich selbst geschieden erfährt, verwechselt er die eigene Sehnsucht nach dem Ruf der Transzendenz mit dem Bedürfnis nach immanenten Vermittlungen, die selbst entwurzelt sind.

Die Gabe Christi in anderen hervorbringen


»Ich sende die Verheißung meines Vaters

auf euch herab.

Ihr aber sollt in der Stadt bleiben,

bis ihr mit Kraft aus der Höhe ausgerüstet seid.«

Lk 24,49

Auf dem...

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