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E-Book

Erziehlehre (Levana)

Vollständige Ausgabe

AutorJean Paul
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl379 Seiten
ISBN9783849633042
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Jean Pauls pädagogische Schrift 'Levana' ist eines der ersten Werke überhaupt das sich kritisch mit der Kindeserziehung und den Auswirkungen auf das spätere Leben befasst.

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Leseprobe

 

Bildung zur Religion

 

§ 38

 

Die Religion ist jetzo keine Nationalgöttin mehr, sondern eine Hausgöttin. Unsere kleine Zeit ist ein Vergrößerglas, durch welches, wie bekannt, das Erhabne als flach und platt erscheint. Da wir nun alle unsere Kinder in eine städtische Nachzeit hinausschicken, wo die geborstenen Kirchenglocken nur noch dumpf den Volk-Markt zur Kirchenstille rufen: so müssen wir ihnen eifriger als sonst ein Herz mit einem Bethause mitzugeben suchen und gefaltete Hände und die Demut vor der unsichtbaren Welt, wenn wir eine Religion glauben und sie unterscheiden von der Sittlichkeit.

 

Die Geschichte der Völker entscheidet für diese Absonderung. Es gab viele Religionen, aber es gibt nur ein Sittengesetz; in jenen wird immer ein Gott ein Mensch und also mannigfach umhüllt, in diesem ein Mensch Gott und entkleidet. Das Mittelalter hatte neben dem moralischen Kirchhof voll Leichen und Unkraut, voll Grausamkeit und Wollust doch Kirche und Turm für den Religionsinn. Umgekehrt sind in unserm Zeitalter die heiligen Haine der Religion gelichtet und abgetrieben, die Landstraßen der Sittlichkeit aber gerader und sicherer geführt. Ach eine Gleichzeitigkeit des sittlichen und des religiösen Verfalls wär' auch zu hart! Die Zeit will sogar den Abgang des Sinnes für das Überirdische durch größere Schärfe und Härte des sittlichen decken und sich wenigstens durch kleine zarte (und darum häufigere) Seiten eine sittliche Breite geben. Wie man in Städten, wo man nicht breit bauen kann, hoch bauet: so bauen wir umgekehrt in die Weite statt in die Höhe; weiter über die Erde als in den Äther. Man kann zwar sagen, daß Frankreich im ganzen unter seinen chemischen, physischen, mathematischen und kriegerischen Mittaglichtern den Sternenhimmel der Religion schwieriger erblicke, bis auf ein letztes dünnes Mondviertel, mehr Wölkchen als Stern, indes in Deutschland und England die Religion wenigstens noch als ferne Milchstraße gesehen wird und auf dem Papier als Sternkarte – aber man könnte den religiösen Unterschied dieser Länder nicht ohne Ungerechtigkeit auch für einen sittlichen derselben ausgeben. – Und war und ist der Stoizismus, dieser herrliche Sohn der Sittlichkeit – wie die Liebe die Tochter –, an und für sich Religion? Wäre dieser Unterschied zwischen Religion und Sittlichkeit nicht auf etwas Wahres gebaut: so wär' es unbegreiflich, wie mehre Schwarmsekten der ersten und der späteren Jahrhunderte, z. B. die Quietisten, hätten zu dem Wahnglauben kommen können, daß in innigster heißester Liebe Gottes wirkliche fortdauernde Sündhaftigkeit sich selber verzehre und nicht mehr, wie in Weltmenschen, eine bleibe. Freilich wird Religiosität auf dem höchsten Grade zu Sittlichkeit und diese zu jener; aber dasselbe gilt für den höchsten Grad einer jeden Kraft, und jede Sonne wandelt nur durch Himmeläther; alles Göttliche muß ja wohl der Sittlichkeit so gut vermählend begegnen als der Wissenschaft und der Kunst; so daß es daher sogar in einem von der Sünde ausgehöhlten Genius sowohl religiöse Tabors geben muß, als man Berge in Ätnas -Kratern findet.

 

Es versteht sich, daß hier überall nicht die Rede ist von jener Bettler-Religion, die so lange vor der Himmelpforte betet und singt, bis ihr der Petruspfennig herausgelangt wird.

 

§ 39

 

Was ist nun Religion? – Sprecht die Antwort betend aus: der Glaube an Gott; denn sie ist nicht nur der Sinn für das Überirdische und das Heilige und der Glaube ans Unsichtbare, sondern die Ahnung dessen, ohne welchen kein Reich des Unfaßlichen und Überirdischen, kurz kein zweites All nur denkbar wäre. Tilgt Gott aus der Brust, so ist alles, was über und hinter der Erde liegt, nur eine wiederholende Vergrößerung derselben; das Überirdische wäre nur eine höhere Zahlenstufe des Mechanismus und folglich ein Irdisches.

 

Wenn die Frage geschieht: was meinst du mit dem Laute Gott? so lass' ich einen alten Deutschen, Sebastian Frank, antworten: »Gott ist ein unaussprechlicher Seufzer, im Grunde der Seelen gelegen.« Ein schönes tiefes Wort! – Da aber das Unaussprechliche in jeder Seele wohnt: so ist es auch jeder fremden zu bedeuten durch Worte. Lasset mich irgendeinem gottesfürchtigen Gemüte alter Zeiten Worte unserer Tage geben und höret es an über Religion:

 

»Religion ist anfangs Gottlehre, daher der hohe Name Gottgelehrter – recht ist sie Gottseligkeit. Ohne Gott ist das Ich einsam durch die Ewigkeiten hindurch; hat es aber seinen Gott, so ist es wärmer, inniger, fester vereinigt als durch Freundschaft und Liebe. Ich bin dann nicht mehr mit meinem Ich allein. Sein Urfreund, der Unendliche, den es erkennt, der eingeborne Blutfreund des Innersten, verläßt es so wenig als das Ich sich selber; und mitten im unreinen oder leeren Gewühl der Kleinigkeiten und der Sünden, auf Marktplatz und Schlachtfeld steh' ich mit zugeschloßner Brust, worin der Allhöchste und Allheiligste mit mir spricht und vor mir als nahe Sonne ruht, hinter welcher die Außenwelt im Dunkel liegt. Ich bin in seine Kirche, in das Weltgebäude, gegangen und bleibe darin selig-andächtig fromm, werde auch der Tempel dunkel oder kalt oder von Gräbern untergraben. Was ich tue oder leide, ist kein Opfer für Ihn, so wenig, als ich mir selber eines bringen kann; ich liebe Ihn bloß, Ich mag entweder leiden oder nicht. Vom Himmel fällt die Flamme auf den Opfer-Altar und verzehrt das Tier, aber die Flamme und der Priester bleiben. Wenn mein Urfreund etwas von mir verlangt, so glänzt mir Himmel und Erde, und ich bin selig wie er; wenn er verweigert, so ist Sturm auf dem Meer, aber es ist mit Regenbogen überdeckt, und ich kenne wohl die gute Sonne darüber, welche keine Wetter-, nur lauter Sonnenseiten hat. Nur bösen lieblosen Geistern gebietet ein Sittengesetz, damit sie nur erst besser werden, und darauf gut. Aber das liebevolle Anschauen des Urfreundes der Seele, der jenes Gesetz erst beseelt und unüberschwenglich macht, verbannt nicht bloß den bösen Gedanken, der siegt, sondern auch den andern, der nur versucht. Wie doch über dem höchsten Gebirge noch hoch der Adler schwebt, so über der schwer ersteigbaren Pflicht die rechte Liebe.

 

Wo Religion ist, werden Menschen geliebt und Tiere und alles All. Jedes Leben ist ja ein beweglicher Tempel des Unendlichen. Alles Irdische selber verklärt und sonnt sich in dem Gedanken an Ihn; nur ein Irdisches bleibt finster übrig, die Sünde, das wahre Seelen-Nichts, oder der unaufhörliche Tantalus, der Satan.

 

Man darf mit einigem Recht zu andern von dem sprechen, wovon man in und mit sich gar nicht spricht; denn in mir ist er mir so nahe, daß ich Sein und Mein Wort schwer trennen kann; aber am zweiten Ich bricht sich meines zurück, und ich finde nur jenen widerglänzend wieder, der mich und den Tautropfen erleuchtet.

 

Sobald es aber kein Irrtum ist, dies alles zu denken: wie wirst du, o Gott, denen, die das vieltönige Leben überwanden, erst in der eintönigen stummen Stunde des Sterbens erschienen sein, da wo Welt nach Welt, Mensch nach Mensch hinschwand, und nichts blieb neben dem Sterblich-Unsterblichen als der Ewige! – Wer Gott in die letzte dunkelste Nacht hineinbringt, kann nicht erfahren, was Sterben ist, weil er auf den ewigen Stern im Abgrund blickt.« – –

 

Glaubt ihr nicht, daß Religion die Poesie der Moral, der hohe Stil des Lebens, nämlich der höchste sei, so denkt weniger an die Mystischen Schwärmer, welche als Verächter der Glückseligkeitlehre gern verdammt sein wollten, sobald ihnen nur die Liebe Gottes bliebe, als an Fenelon; könnt ihr reiner, fester, reicher, opfernder sein oder seliger als er, ein Kind, Weib, Mann und Engel zugleich?

 

§ 40

 

Wie ist nun das Kind in die neue Welt der Religion hineinzuführen? Durch Beweise nicht. Jede Sprosse der endlichen Erkenntnis wird durch Lehre und Allmählichkeit erstiegen; aber das Unendliche, welches selber die Enden jener Sprossenleiter trägt, kann nur auf einmal angeschauet werden, statt zugezählt; nur auf Flügeln, nicht auf Stufen kommt man dahin. Das Dasein Gottes beweisen, so wie bezweifeln, heißt das Dasein des Daseins beweisen oder bezweifeln. Das Ich sucht ein Ur-Ich – nicht etwa bloß eine Ur-Welt neben der jetzigen –, jene Freiheit, von welcher die Endlichkeit die Gesetze bekam; aber es könnte nicht suchen, wenn es nicht kennte und wenn es nicht hätte. Die Großheit der Religion schränkt sich nicht auf irgendeine Meinung ein, sondern dehnt sich über den ganzen Menschen aus; wie überhaupt das Große den Fels-Bergen gleicht, wovon nie einer allein in platter Ebene, sondern nur unter nachbarlichen aufsteht und sich zum Gebirge auszieht.

 

Wie keine Körperwelt ohne Ich (oder keine Auferstehasche ohne Phönix), so ist keine Ich- oder Geisterwelt ohne Gott, so wie gleichermaßen kein Schicksal ohne Vorsehung.

 

Der reinste Unterschied des Menschen vom Tiere ist weder Besonnenheit noch Sittlichkeit – denn von diesen Sternen spielen wenigstens Sternschnuppen im niedrigem Tierkreise –, sondern Religion, welche weder Meinung noch bloße Stimmung ist, sondern das Herz des innern Menschen und daher jede erst grundierend. In jenem für andere Kenntnisse finstern Mittelalter stand die Religion, wie in der Nacht der Himmel, näher der Erde und glänzend darüber gebreitet, indes uns Gott, wie an dem Tage die Sonne, nur einmal als Schlußstein des Himmelgewölbes...

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