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Es ist genug da. Für alle.

Wenn wir den Hunger bekämpfen, nicht die Natur

AutorFelix zu Löwenstein
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783426428580
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Schon heute schafft es die Weltgemeinschaft nicht, alle Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Felix zu Löwenstein nennt die Gründe. Vor allem aber fragt er, wie in Zukunft neun Milliarden Menschen ernährt werden können. Seine engagierte Position ist eine klare Absage an die industrielle Landwirtschaft und ihr unhaltbares Wachstumsversprechen, das auf genveränderte Pflanzen, den Einsatz von Pestiziden und die Schaffung von Monokulturen setzt. Seine Alternative: Nahrungsmittelproduktion auf der Grundlage des ökologischen Landbaus.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Agrarwissenschaftler und Biolandwirt, wurde in eine traditionsreiche, weit verzweigte Familie geboren. Nach der Schulzeit am Jesuitenkolleg St. Blasien studierte Löwenstein an der agrarwissenschaftlichen Fakultät der TU München in Weihenstephan und schloss das Studium 1982 mit der Promotion ab. Nach einer dreijährigen Entwicklungshelfer-Tätigkeit auf Haiti übernahm er den elterlichen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb und stellte das Gut in Südhessen, das seit 500 Jahren im Besitz der Familie ist, auf Bio um. Löwenstein ist Landwirt im Anbauverband Naturland und Mitglied in dessen Präsidium. Als Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ist er politischer Vertreter der deutschen Bio-Branche und ein gefragter Redner.

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Leseprobe

Worum geht es?


In den Wochen vor dem letzten Osterfest habe ich es endlich einmal probiert: sechs Tage lang nichts essen. Eine richtige Fastenkur, wohl vorbereitet, begleitet von regelmäßiger Flüssigkeitsaufnahme und dreimal täglich einem Nahrungsergänzungspulver, in Milch verrührt. Das war eigentlich eine angenehme Erfahrung, und am Ende hatte ich sogar einige Kilo abgenommen.

Und wie man bei jeder Krankheit plötzlich auf lauter Menschen trifft, die ebendiese Krankheit haben oder hatten und deshalb voll guter Ratschläge sind, so war es auch hier: Ständig kam ich mit Leuten ins Gespräch, die von Erfahrungen und Methoden berichteten und erzählten, wie sie ihre Hungerkur organisiert haben. Zu Hause, genauso wie ich es gemacht hatte. Oder in einer Fastenklinik in schöner Landschaft. Oder beim Fastenwandern mit spiritueller Unterstützung und Yogaübungen im Morgennebel.

Auch ohne Bezug zu solchen Übungen mit dem Ziel, ein Idealgewicht zu erreichen, erleben Menschen Hunger als etwas Positives. Hunger ist das gute Gefühl vor der anstehenden Mahlzeit, und er ist der beste Koch. Junge Leute in Investmentbanken sind hungrig auf Leistung und Lohn. Das befähigt sie, mit absurd hohen Wochenarbeitszeiten zu beweisen, wie wertvoll sie für ihren Arbeitgeber sind. Auch die Jungs von Borussia Dortmund und ihr Trainer Jürgen Klopp sind hungrig. Auf weitere Titel. »Lebenshunger« schließlich ist der Drang, auszubrechen aus dem Gewohnten, neue Erfahrungen zu sammeln und Vitalität zu spüren, sich lebendig zu fühlen.

Vielleicht ist es dieser unbefangene Umgang mit dem Begriff, der dazu führt, dass wir nachts nicht schweißgebadet aufwachen, wenn abends in den Nachrichten von einer Hungerkatastrophe die Rede war. Weil uns nicht klar ist, dass existenzieller Hunger nichts mit dem Leichtigkeitsgefühl zu tun hat, das sich nach zehn Tagen in der Fastenklinik einstellt, sondern grauenvoll weh tut. Weil wir uns unmöglich die Verzweiflung vorstellen können, die Mütter und Väter empfinden, wenn sie ihren Kindern nichts mehr zu essen geben und nicht absehen können, wann sie ihnen wieder Brot auf den Tisch legen können.

 

Ich habe mit meiner Familie drei Jahre in Haiti gelebt, in einem Land, das sich konstant unter den zehn am schwersten von Hunger betroffenen Ländern der Welt hält. Natürlich ist uns dort der wirkliche Hunger begegnet – Tag für Tag. Aber wenn man selbst genug zu essen hat und eine Sozialversicherung, die einen zur Not in ein gutes Krankenhaus in den USA oder Europa ausfliegen würde, dann bleiben auch dort Hunger und Armut merkwürdig abstrakt.

Dennoch hilft die Nähe zu den betroffenen Menschen zu verstehen, dass die Wirkung von Hunger weit mehr ist als das schmerzhafte Verlangen des Körpers nach Nahrung. Dass er Ausgangs- und Endpunkt fataler Kreisläufe ist: Wer hungert, ist zu schwach, um zu arbeiten – um Felder zu bestellen, Unkraut zu jäten, zu bewässern und so Nahrung zu erzeugen. Oder um Geld zu verdienen, mit dem Nahrungsmittel gekauft werden könnten. Kinder die – oft schon im Mutterleib – hungern, starten mit Defiziten an Leistungs- und Lernfähigkeit ins Leben und sind damit ohne Chance auf eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse.

Auch körperlich ist Hunger weit mehr als ein leerer Magen. Er ruiniert die Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen Bakterien, Viren und Parasiten. Auf diese Weise werden die Leiden der betroffenen Menschen beträchtlich vermehrt. So wie bei Noma. Haben Sie schon einmal davon gehört? Noch nicht einmal in der WHO-Liste der zu beobachtenden Krankheiten taucht Noma auf und gehört doch zu den grausamsten Folgen, die Unterernährung hervorrufen kann. Durch den Zusammenbruch des Immunsystems geht die Kontrolle über die Bakterien der Mundhöhle verloren. Was wir als schmerzhaft lästige Fieberbläschen kennen, heilt nicht, sondern frisst sich von innen durch das Gesicht. Obwohl jedes Jahr 140000 Menschen an Noma erkranken – die meisten von ihnen Kinder [1] –, haben wir in drei Jahren Haiti nie einen von ihnen zu Gesicht bekommen. Denn wer daran erkrankt ist, wird von seiner Familie versteckt und vegetiert abgeschottet in dunklen Löchern, damit niemand die Schande wahrnimmt, die es bedeutet, ein solch entstelltes Kind zu haben.

 

Das Ausmaß der Hungerkatastrophe, die Summe der von ihr betroffenen Menschen, ist unvorstellbar groß.

842 Millionen Hungernde zählte die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung FAO im Jahr 2012. Damit erfasste sie all diejenigen Menschen, denen täglich weniger als die 1800 Kilokalorien zur Verfügung stehen, die sie für ein gesundes und aktives Leben mindestens benötigen. Im Hinblick auf die ernährungsbedingte Gefährdung von Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit müssen diesen »Unterernährten« noch all jene hinzugerechnet werden, denen zwar genügend Kalorien zur Verfügung stehen, die aber zu wenig essenzielle Mikronährstoffe, Vitamine oder Proteine zu sich nehmen. Die Zahl dieser »Fehlernährten« beträgt weit über zwei Milliarden Menschen weltweit, womit wir schon von der vierfachen Einwohnerzahl Europas sprechen.

Ein Drittel der Menschheit hat also quantitativ oder qualitativ nicht ausreichend zu essen.

Erfreulicherweise ist in den letzten 20 Jahren die Anzahl der Hungernden kontinuierlich gesunken – jedenfalls im weltweiten Durchschnitt, während sich in einigen wenigen Ländern die Nahrungssicherheit noch verschlechtert. Doch von dem Ziel der Vereinten Nationen, die Zahl der davon betroffenen Menschen bis 2015 zu halbieren, also unter 400000 zu drücken, sind wir unaufholbar weit entfernt.

 

Nun kann man wirklich nicht behaupten, dass sich niemand um das Thema »Hunger in der Welt« kümmert. Ganz im Gegenteil. Waren es früher im Wesentlichen humanitäre Organisationen, die Tagungen und Diskussionsveranstaltungen dazu abhielten, so sind heute die großen Konzerne der Agrarindustrie darum bemüht, die Meinungsführerschaft in der Diskussion um die Welternährung zu gewinnen.

Ob in den gewaltigen Kongresssälen, in denen sich Politik und Wirtschaft anlässlich der Internationalen Grünen Woche in Berlin alljährlich treffen, oder in meiner örtlichen Sparkasse, die etwas für die politische Bildung ihrer Kunden tut, ob in den Hörsälen unserer Agrarfakultäten oder bei Konferenzen großer Zeitungen und Medienunternehmen – immer geht es um dieselbe Logik:

  • Es gibt zu wenig Nahrung auf der Welt – weshalb so viele Menschen hungern müssen.

  • Dieser Zustand wird sich noch verschärfen, denn in dem Maß, in dem die Weltbevölkerung weiter anwächst, muss mehr Nahrung produziert werden.

  • Außerdem passen immer mehr Menschen – insbesondere in den aufstrebenden Volkswirtschaften Südostasiens und Lateinamerikas – ihren Ernährungsstil dem unseren an und konsumieren mehr tierische Proteine: Eier, Fleisch und Milch. Um diese Nahrungsmittel zu erzeugen, brauchen wir Futtermittel. Die müssen auf den Äckern der Welt produziert werden.

  • Obendrein verwenden wir unsere Ackerflächen für mehr als nur für die Nahrungsmittelproduktion. Nachwachsende Rohstoffe für die Erzeugung von Plastiktüten und Dämm-Material, vor allem aber für die Motoren unserer Fahrzeuge müssen auf den Ackerflächen der Welt angebaut werden, wenn die Lagerstätten der fossilen Energieträger leer geräumt sind.

  • All diesen zusätzlichen Ansprüchen an die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen steht deren Unvermehrbarkeit gegenüber. Mehr Ackerfläche wäre nur auf Kosten wertvoller Urwälder und Naturschutzgebiete zu gewinnen – was aus vielen guten Gründen niemand will.

  • Daraus folgt zwingend: Wenn die Produktion erhöht werden muss, die Fläche aber nicht ausgeweitet werden kann, dann muss auf derselben Fläche mehr erzeugt werden. Kurzum: Die Produktivität muss erhöht werden.

  • Ein Intensivierungsschub, eine zweite »Grüne...

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