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E-Book

Es ist vorbei - ich weiß es nur noch nicht

Bewältigung traumatischer Geburtserfahrungen

AutorTanja Sahib
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783732263035
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Das Buch "Es ist vorbei - ich weiß es nur noch nicht" handelt von der Bewältigung traumatischer Geburtserfahrungen, die viele Mütter aus unterschiedlichen Gründen erlebten. Diese Mütter fragen sich, wieso mit der Geburt ihres Kindes, die schon Wochen und Monate zurückliegt, Lebensfreude und Zuversicht abhanden gekommen sind. Hinzu kommen lückenhafte Erinnerungen an das Geschehen und fehlende Liebesgefühle dem Kind gegenüber. Dieses Buch bietet Ideen eines Heilungsprozesses vom Erleben der Geburtssituation über den Umgang mit möglichen Folgen traumatischer Erfahrungen hin zu deren Bewältigung. Anschaulich und verständlich werden mittels Fragen und Übungen Hilfestellungen beim Prozess der Bewältigung und Verarbeitung des Traumas gegeben. Zitate und Erfahrungsberichte von Müttern und Vätern, konkrete Anregungen für Angehörige und Tipps zur mutigen Vorbereitung einer nächsten Geburt runden dieses Buch ab.

Tanja Sahib, Diplom-Psychologin, Systemische und Traumatherapeutin, ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Tanja Sahib arbeitet seit über zehn Jahren als Beraterin in der Beratungsstelle Familienzelt des Vereins "Selbstbestimmte Geburt und Familie". Sie berät und begleitet Frauen und ihre Familien nach der Geburt eines Kindes. Anregungen, Ideen u. Fragen bitte an: info@praxis-tanja-sahib.de

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Leseprobe

Teil I


Traumatisierende Geburt

1. Geburt als besonderes Lebensereignis

Die Geburt ihres Kindes ist für jede Frau bewegend und berührend. Die meisten Frauen und ihre Partner wünschen sich einen sanften und natürlichen Verlauf. Noch vor zwei Generationen und vor der Pille wurden Schwangerschaft und Geburt als schicksalhafte, nicht immer planbare Lebensereignisse betrachtet.

Mit der Entwicklung der Pille zur Verhütung von Schwangerschaften und der Zunahme der Intensivmedizin bei der Geburt änderte sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts weltweit die Sichtweise auf Schwangerschaft und Geburt. Hausgeburten wurden immer seltener. Bei einem bestimmten medizinischen Grundstandard gingen die meisten Mütter in das nächstgelegene Krankenhaus, um dort ihr Kind zu gebären. Mit zunehmender Technisierung verselbständigte sich der Umgang mit den gebärenden Frauen in vielen Ländern. In manchen Kliniken wurde es sogar gängige Praxis, um den errechneten Geburtstermin herum, die Geburt mit einem Wehentropf einzuleiten. Der Schichtbetrieb für das Personal in den Kreißsälen ließ sich so besser im Voraus planen.

Die Geburt wurde von vielen Frauen nur noch als ein von Technik und Krankenhausbetrieb bestimmter Akt empfunden, dem gegenüber sie sich entfremdet und ausgeliefert fühlten. Die Frauen spürten, dass ihnen der besondere Moment der Geburt genommen wurde. Aus diesem Grund forderten sie vor einer Generation, vor allem in den USA und in Westeuropa, dass die Geburt wieder mehr als natürlicher Vorgang betrachtet werden muss. Denn neben der medizinischen Versorgung sind soziale, emotionale und psychische Faktoren für eine umfassende Betreuung in der Schwangerschaft entscheidend. Deshalb entwickelte in den neunziger Jahren die Weltgesundheitsorganisation sechzehn Empfehlungen, die das Selbstbestimmungsrecht der Frauen stärkten.1 Diese Empfehlungen unter der Überschrift „Geburt ist keine Krankheit“ sind bis heute hochaktuell und im Anhang nachzulesen.

In den zwei Jahrzehnten danach wurde die Diskussion um die „richtige“ Geburt teilweise sehr ideologisch geführt. Die Zahl der Hausgeburten stieg wieder und es entstanden die ersten Geburtshäuser. Kreißsäle in den Kliniken wurden behaglich eingerichtet und bekamen bequeme Gebärbetten. Die Rückenlage der Frau beim Gebären wurde abgelöst von anderen Gebärhaltungen und die Kliniken investierten sogar in spezielle Badewannen für Wassergeburten. Was vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar schien – die Anwesenheit des Vaters bei der Geburt, wurde immer selbstverständlicher.

Diese positiven Veränderungen in der Geburtshilfe der achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts führten dazu, dass Eltern inzwischen Geburtsorte mit Sicherheit und Wohlbefinden zugleich assoziieren. Heutzutage informieren sich werdende Eltern intensiv über die verschiedenen Geburtsorte, Geburtspositionen und den Umgang mit Wehen. Sie nutzen die Zeit der Schwangerschaft, um sich auf die Geburt umfassend vorzubereiten. Dies ist erfreulich, birgt aber das Risiko, dass Unvorhergesehenes in ihren vorbereitenden Überlegungen wenig Raum hat.

Ratgeber, Informationsabende und Geburtsvorbereitungskurse in Geburtshäusern und Kliniken bestärken die Eltern zu glauben, dass alles um die Geburt planbar sei und nichts Unerwartetes mehr geschehen könne. Gleichzeitig nimmt aber in der Schwangerenvorsorge und in den Krankenhäusern das Risikodenken immer mehr zu. In diesem Spannungsfeld zwischen Sicherheitsdenken und dem Wunsch nach ungestörter intimer Geburt suchen die Paare den idealen Geburtsort.

Die Möglichkeiten der Wahl sind heute vielfältig. Die weitaus meisten Frauen entscheiden sich für eine Geburt in der Klinik. Jedoch werden dort häufig viel eher, als tatsächlich notwendig, Medikamente oder medizinische Apparate eingesetzt. Auch die Dammschnittrate ist höher als bei außerklinischen Geburten.2

Frauen, die sich für eine Geburt außerhalb der Klinik entscheiden, lehnen bewusst eine medizinische Routine während dieses Ereignisses ab. Sie wünschen sich die vertrauensvolle Begleitung einer erfahrenen Hebamme und legen Wert auf ihre Selbstbestimmung und den Schutz ihres Intimitätsbedürfnisses.

Die einen, wie die anderen schwangeren Frauen und ihre Partner entwickeln aufgrund der umfassenden Informiertheit hohe Erwartungen hinsichtlich der Risiko- und Schmerzreduzierung. Sie wünschen sich die Ankunft ihres Kindes als großes emotionales Erlebnis und träumen von einem besonderen Glücksgefühl, das sich einstellt, sobald das Kind geboren ist. Hoher medizinischer Standard und eine vertraute Geburtsatmosphäre können jedoch nicht verhindern, dass plötzliche Komplikationen während der Geburt die Frauen und ihre Begleiter überwältigen.

Zitat: „Ich hatte völlig ausgeblendet, dass während der Geburt etwas mit mir oder meinem Baby passieren könnte. Ich hatte ein gutes Gefühl und Vertrauen zu meinem Körper. Die Beleghebamme erschien mir erfahren und ich war sehr zuversichtlich. Darauf war ich gar nicht eingestellt, dass nach der PDA3 ein Geburtsstillstand folgte. Und dann wurde die Situation immer bedrohlicher…“

Lore, 34 Jahre, nach Notsectio4, mit Helena, 20 Monate alt

2. Dilemma der Hebammen und Geburtshelfer

Obwohl sich viele Schwangere wünschen, eine natürliche Geburt möglichst ohne zusätzliche medizinische Eingriffe zu erleben, ist die Geburt zu Hause oder in einem Geburtshaus für die meisten Frauen keine Alternative. 2014 wurden nur etwa 1,4 Prozent der Kinder außerklinisch geboren, mehr als achtundneunzig Prozent aller Geburten finden in Kliniken statt.5

Fast ein Drittel aller Frauen (31,8 %) erlebte in Deutschland 2014 die Geburt als Kaiserschnitt. Innerhalb der letzten zwanzig Jahre hat sich die Zahl der Kaiserschnitte sogar fast verdoppelt (1992: 16,2 %). Im Ländervergleich war die Kaiserschnittrate im Saarland mit 40,2 % am höchsten. Die wenigsten Kaiserschnittentbindungen wurden mit 24,2 % in Sachsen vorgenommen. Im Jahr 2014 betrug die Kaiserschnittrate in Berlin 28,1 %.6

Geburtsmediziner können auf beeindruckende Zahlen verweisen, wenn es um die Senkung der Risiken für Neugeborene und Mütter geht. In Deutschland wurden 2014 von 1.000 Kindern 997 lebend geboren7.

Dabei gibt es eine paradoxe Entwicklung. Um die Gefährdung für Neugeborene zu senken, begleiten Geburtshelfer die Geburt von Beginn an intensivmedizinisch. Komplikationen während der Geburt, wie z.B. vorzeitige Plazentaablösungen8 oder Nabelschnurumschlingungen können dadurch rechtzeitig kontrolliert werden. Die lückenlose Aufzeichnung von Wehenverlauf und Herztonfrequenz des Ungeborenen durch das CTG9 ist eigentlich für geburtshilfliche Eingriffe im Zusammenhang mit Komplikationen gedacht. Medizinische Technisierung wird jedoch zunehmend zur Routine bei der Betreuung von normalen Geburten.

Viele Hebammen würden den Frauen in der Eröffnungsphase des Muttermundes zum Beispiel gerne kontinuierlich zur Seite stehen, ihnen Zuwendung und Zuspruch geben und ihnen Sicherheit vermitteln. In den Kliniken wachsen jedoch die Aufgaben, die gleichzeitig erledigt werden müssen, so sehr, dass sie oft nur kurz nach den Frauen schauen können, den Verlauf der Geburt aber mittels CTG und anderer technischer Apparate trotzdem überwachen können.

Auf der einen Seite gibt es immer behaglicher ausgestattete Kreißsäle, die während der Informationsabende gezeigt werden und auf der anderen Seite die Gegebenheiten des Klinikalltages mit knappem Personal. Dies steht inzwischen in einem bemerkenswerten Widerspruch zueinander. Doch selbst eine lückenlose, intensive medizinische Beobachtung der Gebärenden kann nicht versprechen, dass die Geburt komplikationslos verläuft. Schwangere Frauen sollten deswegen vorher gemeinsam mit Hebamme und Partner besprechen, was passieren soll, wenn Komplikationen auftreten.

In Deutschland erleben nur rund acht Prozent der gesunden Schwangeren eine Geburt ohne medizinisches Eingreifen, also ohne Interventionen wie Wehentropf, Dammschnitt, Saugglocke oder einer PDA.10 Die Rate der Rückenmarksbetäubungen11, sowie der Kaiserschnitte steigt seit Jahren kontinuierlich an. Kritiker und Kritikerinnen sehen zwischen der Zunahme der PDA’s und der folgenden Komplikationen, wie der Abnahme der Wehentätigkeit oder der Beendigung der Geburt durch Kaiserschnitt, Zusammenhänge.12

Den einerseits immer größer werdenden Erwartungen der Eltern in eine rundum komplikationslose und schmerzfreie Geburt stehen den in den letzten Jahren stetig steigende Zahlen an Beschwerden, Klagen und Prozessen in der Geburtsmedizin gegenüber. In keinem anderen Bereich der Medizin sind die Kosten für Folgeoperationen, Schadensersatz und Rehabilitation so hoch.

Eine Studie des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft hat im Frühjahr 2010 herausgefunden, dass „Personenschäden im Heilwesen“ immer teurer werden.13 Bei Geburten muss im Schadensfall ein Leben lang gezahlt werden. Dies kann die Versicherungsgesellschaften bis zu zwei Millionen Euro und Schmerzensgelder von bis zu 500.000 Euro kosten. Versicherungsgesellschaften, die Geburtsmedizin versichern, haben deshalb seit einigen Jahren die Prämien drastisch erhöht und fordern von den Geburtshelfern Sicherheitsprüfungen.

Für die Hebammen und Geburtsmediziner rücken medizinische Sicherheit und die Haftungsrisiken immer mehr in den Vordergrund. Im Zweifelsfall entscheiden sich Geburtsmediziner deswegen eher für einen Kaiserschnitt. Auch...

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