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E-Book

Es reicht

Gegen Sexismus im Beruf

VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783462307115
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Bei der sexuellen Belästigung geht es nicht um Begehren, sondern um Macht. Anfang des Jahres 2013 ging ein Aufschrei durchs Land, ausgelöst von einem Stern-Artikel über den FDP-Politiker Rainer Brüderle. Die Empörung hat seither nicht nachgelassen. Empörung über die sexuelle Belästigung von Frauen im Beruf, die kein Einzelfall ist, sondern ein Massenphänomen: Zwei von drei Frauen sind schon mal belästigt worden, wie Studien belegen.In diesem Buch geht es um die Gegenwehr von Frauen, und auch um das, was sie schon erreicht haben. So erzählt die Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek, wie sie den Internet-Aufstand angezettelt hat, eine Gewerkschafterin redet Tacheles, und ein Blick über die Grenzen zeigt: Es geht auch anders, besser. Dieser von Alice Schwarzer herausgegebene EMMA/KiWi-Band vereint Texte von heute und aus den 70er und 80er Jahren, die beklemmend aktuell sind.

Alice Schwarzer, geboren 1942 in Wuppertal, lebt in Köln und Paris. Sie begann nach einem Volontariat bei den Düsseldorfer Nachrichten ihre publizistische Arbeit 1969 als Reporterin bei Pardon. 1969-74 politische Korrespondentin in Paris. 1975: »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen«, 1977: Gründung der Zeitschrift Emma. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a. »Eine tödliche Liebe - Petra Kelly und Gert Bastian« (1994), »Marion Dönhoff - ein widerständiges Leben« (1996), »Romy Schneider - Mythos und Leben« (1998), »Lebenslauf« (2011), »Der Schock - die Silvesternacht von Köln« (2016), »Meine algerische Familie« (2018), »Lebenswerk« (2020) und mit Chantal Louis »Transsexualität« (2022).

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Leseprobe

Vorwort


von Alice Schwarzer

!Wir standen nach der Talkshow noch auf ein Glas Wein zusammen. Und ich machte die jüngeren Frauen in der Runde darauf aufmerksam, dass es so eine Protestwelle wie nach dem Brüderle-Eklat gegen sexuelle Belästigung im Beruf schon einmal gegeben habe: in den 1970er/1980er Jahren. Ob sie sich darüber nicht mal informieren wollten, um darauf aufbauen zu können? »Klar«, strahlte da die eine. »Das könnten wir bestimmt gut gebrauchen. Kannst du uns da nicht mal was zusammenstellen, Alice?«

Ich schluckte. Mal was zusammenstellen …? Aber dann konnte ich der Versuchung doch nicht widerstehen, die so aufschlussreiche wie hilfreiche Geschichte zusammenzutragen – und gleichzeitig die klarsichtigsten AutorInnen und mutigsten Protagonistinnen von heute in diesen Sammelband mit aufzunehmen. Hier also sind sie: von der Bloggerin über die Putzfrau und das Zimmermädchen bis hin zu den Polizistinnen und Soldatinnen bzw. der Gewerkschafterin und Ministerin; von Deutschland und Amerika bis Schweden; von 1972 bis zum Jahr 2013.

Bei der Lektüre wird rasch klar: Das Problem sind nicht individuelle Ausrutscher einzelner Unverbesserlicher, das Problem ist struktureller Natur. Denn es geht hier nicht um Sex, es geht um Macht. Um Machterhalt. In einer weiterhin männerdominierten Gesellschaft gibt es gerade in Zeiten des Umbruchs noch zu viele Männer, die sich mit der zunehmenden Präsenz von Frauen auch im Beruf und in der Öffentlichkeit nur schwer abfinden können. Sie bekämpfen diese Frauen – Kolleginnen, Untergebene, Chefinnen –, indem sie versuchen, sie durch sexuelle Belästigung als Objekt zu stigmatisieren und als Subjekt zu ignorieren. Auffallend ist, was bereits Studien vor zehn Jahren belegten: 60 Prozent aller Frauen waren in Deutschland schon Opfer sexueller Belästigung, wo auch immer. Und die Übergriffigkeit im Beruf und durch gleichrangige Kollegen scheint zuzunehmen. Was nicht verwunderlich wäre. Sind doch sie die ersten, die von der weiblichen Konkurrenz bedroht werden.

Wobei der deutsche Begriff »sexuelle Belästigung« verharmlosend ist, das amerikanische »sexual harassment« (sexuelle Bedrohung) trifft es präziser. So eine Belästigung könnte frau ja noch wegstecken, aber das Bedrängen, Beleidigen, Erniedrigen, Betatschen bis hin zum körperlichen Überfall, ja zur Vergewaltigung – das ist mehr als eine »Belästigung«. Sehr viel mehr.

In der deutschen Debatte wurden nach dem Fall Brüderle – dem im Stern veröffentlichten Porträt des Spitzenpolitikers, das alles ausgelöst hat – wieder Stimmen laut, die eine Moralisierung und Hysterie der Debatte beklagten. Da dürfe man ja als Mann wohl keine Frau mehr ansehen, geschweige denn ihr ein Kompliment machen, hieß es. Bundespräsident Gauck klagte gar über einen »Tugendfuror«. Und der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki verstieg sich dazu zu verkünden, er werde von nun an keinem weiblichen Journalisten mehr ein Interview an heiklem Ort geben (wie im Auto oder an der Bar), denn sonst könnte man ja gleich wieder behaupten … Berufsverbot für politische Journalistinnen, damit die Brüderles dieser Welt nicht ausrasten?

Natürlich wissen in Wahrheit alle, worum es geht. Ein Flirt ist etwas eindeutig anderes als sexuelle Belästigung. Das weiß jede Frau. Und das könnte auch jeder Mann wissen, so er nur will. Ein Flirt ist gegenseitig und auf Augenhöhe. Die sexuelle Belästigung ist einseitig und herablassend. Doch sollte es tatsächlich immer noch diesen oder jenen Mann geben, dem es schwerfällt zu unterscheiden, habe ich einen ganz einfachen Tipp: Stellen Sie sich die Situation einfach mal umgekehrt vor. Dass zum Beispiel eine ältere Politikerin mit einem jungen Journalisten über Slipgrößen und Jeansmarken scherzt und darüber, was er wohl wie alles so ausfüllen könnte (so wie Brüderle mit Himmelreich über Körbchengrößen). Schockierend? Aber klar doch.

Kurzum: Sexuelle Belästigung hat rein gar nichts mit einem echten erotischen Interesse zu tun, sondern ist ausschließlich eine herablassende Machtdemonstration. Sie will dem Gegenüber zeigen, dass es eben keines ist, sondern ein Darunter.

Auch internationale Statistiken belegen, dass zwei von drei Frauen solcherlei Erfahrungen schon am eigenen Leibe machen mussten. Was nicht wirklich überrascht. Denn Sexualität und Gewalt waren über Jahrtausende untrennbar miteinander verbunden. Frauen waren Besitz von Männern und hatten zur Verfügung zu stehen, in jeder Beziehung. Das begann sich erst in den 1970er Jahren zu ändern. Dank der Frauenbewegung. Das Gesetz, das endlich auch in Deutschland sexuelle Gewalt gegen die eigene Ehefrau unter Strafe gestellt hat, ist erst 16 Jahre alt. Zur Verabschiedung war, nach jahrzehntelangen vergeblichen Debatten, ein Schulterschluss der Politikerinnen aller Parteien nötig, von rechts bis links.

Die sexuelle Belästigung im Beruf wird in Deutschland juristisch seit 1994 geahndet. Theoretisch zumindest. Übrigens dank einer Initiative der damaligen Frauenministerin – namens Angela Merkel. Sie hatte mit viel Engagement das »Beschäftigtenschutzgesetz« eingebracht und dafür so richtig Dresche gekriegt von den Medien. Ein Kübel von Hohn und Spott wurde über »Kohls Mädchen« ausgegossen (Bild: »Würden Sie diese Frau anstellen?« – mit einem sie lächerlich machenden Foto). Hat Merkel damals die Lektion begriffen und schweigt sich deshalb als Kanzlerin so aus zu Frauenfragen? (Auch das noch … Das hätte ihr gerade noch gefehlt!)

Eine weder von direkter Gewalt noch von gönnerhafter Galanterie geprägte nicht-hierarchische Sexualität, also das einvernehmliche Begehren, ist eine relativ neue Erfindung. Erotik auf Augenhöhe wird von SexualforscherInnen auf breiter Basis erst seit etwa einem Vierteljahrhundert registriert – also seit die Impulse der Gleichheit der Geschlechter in den Herzen und Betten angekommen sind.

Das ist neu. Und gewöhnungsbedürftig. Und noch lange kein gesichertes Terrain. Genauso wenig wie die Präsenz von Frauen im Beruf. Doch jetzt sind sie angekommen, die Frauen. In den Schulen schreiben sie bessere Noten und an den Universitäten machen sie bessere Abschlüsse; sie drängen in Aufsichtsräte und Kabinette, ja, sind in Deutschland sogar Kanzlerin. Das ist nicht immer nur schön für die Männer. Die müssen lieb gewordene Privilegien aufgeben und Posten räumen.

Eine zum Glück stetig wachsende Minderheit von Männern allerdings macht das Beste draus und erobert nun ihrerseits das Familienterrain. Auffallend ist in der aktuellen Sexismus-Debatte, wie viele Männer inzwischen aufseiten der empörten Frauen stehen.

Gleichzeitig aber wächst der Widerstand. Denn wo Fortschritt ist, ist immer auch Rückschritt. Und dieser Widerstand scheint innerhalb der westlichen Welt eine Zentrale in Deutschland zu haben. Ich behaupte mal: Außer in Italien hätte man – oder auch frau – in keinem anderen aufgeklärten Land ungestraft öffentlich so joviale Herrenwitze reißen können, wie wir sie in den vergangenen Monaten zu hören bekamen.

Deutschland ist im Jahr 2013 nicht nur die europäische Drehscheibe für Prostitution und Frauenhandel, sondern auch das Land des Herrenwitzes. Vielleicht hängt das ja auch irgendwie zusammen?

70 Prozent aller Frauen in Deutschland sind heute berufstätig (davon knapp jede zweite allerdings in Teilzeit). Diese Frauen arbeiten in drei Sparten: 1. in den sogenannten Lächelberufen (von der Verkäuferin über das Zimmermädchen bis zur Stewardess), 2. in den Malocherberufen (von der Kantinenmitarbeiterin bis zur Putzfrau), 3. in den Männerberufen (von der Polizistin bis zur Journalistin).

Die Frauen in den Malocherberufen riskieren vermutlich noch die relativ geringsten Belästigungen. Sie sind in der Regel nicht »nett« genug. Die Frauen in den Lächelberufen sind zur Anmache prädestiniert, ja, werden in den Augen mancher Männer doch dafür bezahlt. Und die Frauen in den Männerberufen? Die sind das wohl härteste Kapitel.

Nicht nur aus Studien im amerikanischen Militär wissen wir, dass sexuelle Demütigung und Gewalt in den Kasernen zum klassischen Macho-Repertoire gehören. Ziel: das Eindringen von Frauen in Männerdomänen bzw. das Aufweichen der homophilen Männerbünde und die weibliche Konkurrenz zu verhindern. Das kann weit gehen. Im Extremfall bis zur Vergewaltigung oder gar Mord.

Wie aber sieht es in den Medien aus? Das Besondere an diesem Beruf ist, dass wir Journalistinnen einerseits in ein männerdominiertes Terrain eingedrungen sind, andererseits aber gleichzeitig gerade unsere sozial so gut trainierten sogenannten weiblichen Fähigkeiten – wie Einfühlungsvermögen in Menschen, Diskretion bei der Recherche etc. – bestens gebrauchen können. Ebenfalls ist es keineswegs immer auszuschließen, dass eine Journalistin selbst auf die Karte »weibliche Attraktivität« setzt, wenn sie mehr rauskriegen will als der Kollege.

Und genau dieser Widerspruch ist heute auch die Krux der so gerne zitierten »jungen Frauen«. Man hat ihnen weisgemacht, es gäbe keine Probleme mehr. Hauptsache, sie seien so qualifiziert wie die Männer – aber, Achtung: blieben dabei dennoch ganz Frau. Was immer das heißen mag. Auf jeden Fall heißt es: nicht so eine frustrierte, männerhassende Emanze sein wie Muttern, sondern trotz IQ und Diplom einen kurzen Rock tragen, High Heels und immer ein Lächeln auf den Lippen. Wir neuen Frauen sind so frei.

Zu schön, wenn es wahr gewesen wäre. So aber wagten die neuen Frauen diese Gratwanderung – und fielen...

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