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Eskalierte Elternkonflikte bei der Scheidung

Wie kann eine psycho-soziale Interventionspraxis im Kontext hochkonflikthafter Trennungen gelingen?

AutorMarius Kolloch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl60 Seiten
ISBN9783668065512
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Alice-Salomon Hochschule Berlin , Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Bachelor-Arbeit setzt sich aus einer sozialpädagogischen Perspektive mit hochkonflikthaften Elterndynamiken nach der Trennung/Scheidung auseinander. Nach welchen Kriterien lässt sich eine effektive, psychosoziale Interventionspraxis in diesem Kontext ausgestalten? Im 2. Kapitel wird zunächst der wissenschaftlich-theoretische Hintergrund anhand des aktuellen Forschungsstandes beschrieben. Hier liegt der Fokus auf der Suche nach Merkmalen und Mechanismen des Hochkonflikts zum Zweck einer verbesserten Diagnostik und Einstufung der langwierigen, destruktiven Konflikte mit teils gravierenden Auswirkungen für die Entwicklung der betroffenen Kinder. Im 3. Kapitel wird die reformierte Rechtslage beleuchtet, der juristische Rahmen, in dem die elterlichen Auseinandersetzungen um Sorge für und Umgang mit dem Kind ausgetragen werden. Die Gesetzeslage und letztendlich nicht justiziable Hochkonfliktsituation rufen beraterisch-therapeutische Maßnahmen zur Deeskalation und Aushandlung einer einvernehmlichen Lösung auf den Plan. Im 4. Kapitel werden aus den zuvor gewonnenen Erkenntnissen die wesentlichen Kriterien und Rahmenbedingungen für eine effektivere Beratungspraxis aufgestellt.

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Leseprobe

2. Hochkonflikthafte Trennungsfamilien[1] – Theoriebildung, Merkmalsbestimmung und diagnostische Verfahren


 

Für jede Familie ist die Zeit von Trennung und Scheidung eine Zäsur mit besonderen Belastungen: Ein Lebensentwurf hat sich zerschlagen und die Zukunft ist meist voller Ungewissheiten. Insbesondere minderjährige Kinder brauchen für eine gesunde Entwicklung stabile Verhältnisse, die in der Nachtrennungsphase noch gefunden werden müssen. Der überwiegende Teil der Trennungspaare erweist sich dabei als kompetent, trotz Trennungsschmerz und Organisationsstress die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht aus den Augen zu verlieren. Sie finden relativ schnell und ohne institutionelle Hilfe zu einer praktikablen Umgangsregelung. Ein anderer Teil sucht zur Unterstützung in der schwierigen und konflikthaften Lebensphase eine Erziehungs- und Familienberatung auf und kann schließlich die gemeinsame elterliche Verantwortung im Umgang mit den Kindern einvernehmlich wahrnehmen. Doch es gibt auch die Trennungsfälle, die ihre Konflikte über Monate und Jahre in Umgangs- und Sorgerechtsauseinandersetzungen auf einem stets hohen Eskalationsniveau führen. Durch das in hohem Maße dauerhaft belastete Familienklima wird die emotionale und gleichermaßen auch die kognitive Entwicklung der betroffenen Kinder nachhaltig gestört und gerät in vielen Fällen in den Bereich der Kindeswohlgefährdung (Paul, 2008, S. 2). Zudem binden die nach eher zurückhaltenden Schätzungen 5% Hochstrittigen hierzulande bis zu 95% der Kapazitäten der professionellen Helfer[2] mit oftmals erheblichen Kosten sowohl für die Justizkasse im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens als auch im Zuge abgerufener Leistungen der Jugendhilfe für Umgangsbegleitungen und Therapien (Dietrich & Paul, 2006, S. 13). In den USA schätzt man die Zahl der „high-conflict cases“[3] auf etwa 10% (Paul & Dietrich, 2007, S. 8). Bröning geht sogar von 10-25% Trennungsfamilien aus, die noch über lange Zeit konfliktbelastet bleiben (Bröning, 2009, S. 13). Eine genauere Zahl zu bestimmen ist aus unterschiedlichen Gründen schwierig. Nur wenige Studien wurden in Deutschland zum Thema hochkonflikthafte Trennungsfamilien durchgeführt, gar nicht zu reden von einer einheitlichen Definition oder gar verlässlichen statistischen Erhebungen[4]. Daher ist die Schätzung der hoch belasteten Kinder noch wesentlich ungenauer. Fichtner geht in seiner Expertise zum nachfolgend beschriebenen Forschungsprojekt von 10-15.000 Kindern und Jugendlichen jährlich aus. Die Zahl kumuliert auf 50.000 bei einem in der Regel über Jahre andauerndem Streit (Fichtner, 2007, S. 7).

 

Zentrale Aufgabenstellung des von 2007-2010 durchgeführten Forschungsprojekts „Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft“[5] war die differenzierte Erfassung und Beschreibung von Hochkonflikt-Familien und ihrer Kinder an sieben Standorten in der Bundesrepublik sowie die Bewertung unterschiedlicher Interventionsformen (Fichtner et al., 2010, S. 7-31). Die daraus entstandenen Expertisen und Veröffentlichungen sind die Hauptbezugsquelle der hier vorliegenden Arbeit. Zur Einschätzung des Konfliktniveaus wurden Messinstrumente und Ergebnisse der anderen bis dahin im deutschen Sprachraum durchgeführten Studien von Stupka (2002), Winkelmann (2005) und Bröning (2009) integriert und vergleichend herangezogen (Fichtner et al., 2010, S. 40). Da seither kein umfangreicheres und differenzierteres Forschungsprojekt zum Thema stattfand, werde ich mich auf die Erkenntnisse des Forschungsprojekts als aktuellen Stand der Forschung beziehen.

 

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels zeige ich Definitionsversuche von Hochkonflikthaftigkeit und Unterscheidungsmerkmale in Abgrenzung zu nicht-hochkonflikthaften Systemen auf. Ein dreistufiges Konflikteskalationsmodell hat sich – mangels wissenschaftsbasierter Diagnosekriterien – bei Praktizierenden bereits etabliert. Doch ist es auch als diagnostisches Schema verlässlich? Auch der Blick auf die Situation der Kinder und ihre Belastungen verraten viele Aspekte der Konfliktdynamik der Eltern. Der Suche nach Indikatoren zur frühen Erkennung des Konfliktpotentials und einer fundierten Einschätzung des Konfliktniveaus in diesem Kapitel liegt die These zu Grunde: Nur durch eine präzise Diagnostik lassen sich Kriterien für eine der Bedürfnislage der Familien angemessene und wirkungsvolle Interventionspraxis aufstellen.

 

2.1 Definitionsansätze und Merkmale von Hochkonflikt-Systemen


 

Viele Praktiker identifizieren den Hochkonflikt in der Trennungsfamilie am formalen Kriterium des „Geschickt-Werdens“ durch Familiengericht oder Jugendamt (Bröning, 2011, S. 21), und stellen im Verlauf der Beratung weitere, zunächst einmal allgemein gefasste Charakteristika fest: das ausgeprägte „Verletzt-Sein“ zumindest eines Partners; das „Opfer-Sein“ und eine eindeutige Schuldzuweisung an den Anderen; eine auch in den Sitzungen stattfindende, „explosive“ Konfliktdynamik, die den Beratern alles abverlangt und nicht selten zum Abbruch der Beratung führt.

 

Aus der Trennungs- und Scheidungsforschung ist hinreichend bekannt, dass wohl die allermeisten Trennungen mit Gefühlen von Schmerz, Angst, Wut und Ohnmacht und daraus resultierenden Konflikten einhergehen (Dietrich & Paul, 2006, S. 16). Daher stellt sich die Frage nach den spezifischen Merkmalen von Hochkonflikt-Familien in Abgrenzung zu Trennungen, die ein Hochkonfliktniveau nicht erreichen.

 

Obwohl in den USA bereits seit über zwanzig Jahren zu den „high conflict devorces“ geforscht wird, woraus einige Interventionsprogramme[6] hervorgegangen sind, gibt es nach wie vor kein einheitliches Verständnis und keine einheitliche Definition des Phänomens (Dietrich et al., 2010, S. 10). Das liegt wohl auch daran, dass HC-Familien[7] in ihrer Gesamtheit eine sehr heterogene Gruppe darstellen, deren Auftreten und Intensität typischer Merkmale sehr stark variieren (ebd.).

 

Zur theoretischen Beschreibung und anschließenden empirischen Überprüfung von Hochkonflikthaftigkeit schlagen die Autoren des Projektes die folgende Begriffsbestimmung vor:

 

„Als hochkonflikthaft werden in dieser Studie jene Scheidungs- und Trennungsfamilien bezeichnet, in denen ein so hohes Konfliktniveau vorliegt, dass erhebliche:

 

 Beeinträchtigungen auf den Ebenen des Verhaltens und/oder der Persönlichkeit mindestens eines Elternteils;

 

 Beeinträchtigungen der Beziehung zwischen den Eltern untereinander und zwischen ihnen und dem Kind sowie;

 

 Beeinträchtigungen der Nutzung von institutioneller Hilfe zur Klärung der Konfliktsituation vorhanden sind.

 

Eine Reduktion der Konflikte und Klärung von Alltagsfragen erscheint auch mit rechtlichen und/oder beraterischen Hilfen deutlich erschwert. Eine Belastung der Kinder ist wahrscheinlich.“ (Dietrich et al., 2010, S. 12)

 

Diese Begriffsbestimmung knüpft eng an eine bereits 2004 von Homrich, Muenzenmeyer-Glover & Blackwell-White vorgenommene an. Der zufolge besteht Hochkonflikthaftigkeit dann,

 

„wenn bei wiederholter Gerichtspräsenz der Eltern:

 

 deren emotionale Probleme ursächlich erscheinen;

 

 die ehemaligen Partner unfähig oder nicht willens sind, solche Konflikte ohne Hilfe des Gerichts zu lösen, die andere Scheidungspaare autonom regeln;

 

 die Eltern ihre Kinder in die Paarkonflikte einbeziehen, die Beziehung zum anderen Elternteil belasten und Kinder potenziell emotionale und physische Schäden davon tragen;

 

 mehrere Versuche gescheitert sind, den Konflikt mit herkömmlichen außergerichtlichen Interventionen (Mediation) zu beenden.“ (zit. nach Dietrich et al., 2010, S. 12)

 

Vergleicht man die beiden Definitionsansätze, so unterscheiden sie gleichermaßen vier Merkmalsebenen von Hochkonflikthaftigkeit: individuelle Merkmale, Merkmale der Beziehungsdynamik, soziodemographische und hilfebezogene Merkmale. Substantielle Unterschiede sehe ich jedoch in Folge der Ausformulierung und im Sublimationskern gegeben. Wenn von „emotionalen Problemen“, die „ursächlich scheinen“ bei Homrich et al. die Rede ist, so lassen sich diese empirisch weniger gut erfassen und in Stellungnahmen für das Gericht auch nur vage beschreiben. Zudem birgt der interpretatorische Spielraum die Gefahr einer Vorverurteilung durch Zuschreibung von ursächlichen Emotionen. Bei Dietrich und Kollegen lassen sich dagegen „Beeinträchtigungen“ auf der Verhaltens- und Beziehungsebene leichter objektivieren, auch wenn es einer qualitativen Beschreibung und Kategorisierung bedarf, um sie als „erheblich“ einstufen zu können. Wesentlicher erscheint mir allerdings, dass die „wiederholte Gerichtspräsenz“ (bei Homrich et al.) als Prämisse für alle anderen Merkmale angesehen wird. Auch wenn die Praxis die verlässliche Relation von gerichtlicher Auseinandersetzung und Hochkonflikt zu bestätigen scheint, so wären alle Eltern vor Eskalation ihrer Konflikte bewahrt, die diese nicht zum wiederholten Mal vor Gericht austragen. Denkbar ist aber auch,...

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