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Europa in Arbeit

Plädoyer für eine neue Vollbeschäftigung durch inklusives Wachstum

AutorGünther Schmid
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl270 Seiten
ISBN9783593440118
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Finanzkrise, Brexit, Migration und Populismus: Über die Krise der Europäischen Union wurde in den letzten Jahren viel geredet. Doch wie soll es in Zukunft weitergehen? Günther Schmid entwirft in diesem Buch ein Konzept für eine neue europäische soziale Marktwirtschaft, die eine Vollbeschäftigung im digitalen Zeitalter zum Ziel hat. Er plädiert für flexiblere Arbeitsverhältnisse, schlägt aber zugleich vor, die Sozialrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. Die Zukunft liegt, so seine Überzeugung, in einer Vertiefung der europäischen Integration. Dieses Buch analysiert nicht nur klug die Lage, es bietet auch konkrete Vorschläge an, wie die Europäische Union zu reformieren ist.Günther Schmid ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftler und Professor em. an der FU Berlin. Bis 2008 war er Direktor der Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).Inhalt Vorwort9 1. Einleitung11 Zivilgesellschaft und Stiften in den deutschen Staaten vor 1815 12 Zivilgesellschaft und Demokratie17 Aufbau des Buches 20 2. Zwischen Emanzipation und Einflussnahme: Der Wettbewerb zwischen Adel und Bürgertum auf dem Gebiet der Kunst- und Kulturförderung 27 Die Stiftung fürstlicher Legitimität durch die Errichtung von Kunstmuseen 28 Vom Juniorpartner zum Chef: Aristokratische und bürgerliche Unterstützung für die Kunstproduktion und Kunstmuseen 31 Das Zusammenwirken des königlichen Hofes und der Börse bei der Gründung des Berliner Zoologischen Gartens 44 Die Rolle herausragender bürgerlicher Stifter: Städel, Richartz und Grassi 48 Vom Stiften zum unternehmerischen Sponsoring: Das Deutsche Museum in München 53 Die bürgerliche Übernahme königlicher Museen: Der Kaiser-Friedrich-Museumsverein 56 Die bürgerliche Förderung königlicher Bibliotheken: Die Freunde der Berliner Königlichen Bibliothek 62 Der Übergang der Museen von stifterischem Eigentum in städtisches Eigentum65 3. Pflanzstätten der höheren Bildung: Der Einfluss der Stifter auf die Zusammensetzung der künftigen intellektuellen Eliten an Gymnasien und Universitäten 73 Die Rolle von Stiftungen bei der Perpetuierung der sozialen Exklusivität von Gymnasien und Universitäten 74 Die Motivation zur Errichtung von Stiftungen 81 Die regionale Verteilung von Stiftungen und deren Verwaltung 86 Der Einfluss der Stipendienstiftungen auf die Zusammensetzung der Studentenschaft 89 Die Einrichtung von Stipendienstiftungen zur Unterstützung jüdischer Studenten 92 Universitätsstipendien für Frauen 96 4. Zwischen nationalem Anspruch und lokaler Verwurzelung: Stiften für nationale Forschungseinrichtungen 101 Die Zusammenarbeit von Stiftern und Staat bei der archäologischen Ausgrabung alter Zivilisationen 103 Die staatlich gesteuerte Suche nach Stiftern für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 109 5. Reformbewegung und Sozialkontrolle: Stiften, Wohnungsbau und die Ordnung familiärer Sozialbeziehungen in der Arbeiterschaft 123 Modelle der Bereitstellung von Sozialleistungen 125 Stiften und Wohnungsreform 130 Stiften und Investieren: Das Modell der gemeinwohlorientierten Aktienbaugesellschaften 133 Stiften und Sparen: Das Modell der Wohnungsbaugenossenschaften 144 Stiften und Schenken: Das Modell der Wohnstiftung 150 Wohnungsreform und Mietzahlung 158 Der Übergang von stifterischem Eigentum in kommunales Eigentum 163 6. Bürgergesellschaft und autoritärer Staat: Das Stiftungswesen am Vorabend des Ersten Weltkrieges 167 Die räumliche und zeitliche Dimension des Stiftungswesens im 19. Jahrhundert 169 Stiften in Leipzig: Eine Fallstudie 175 Die Rolle von Frauen im Leipziger Stiftungswesen 176 Jüdisches Stiften zwischen Ausgrenzung und Integration 181 Stiftungskapitalien und Volkswirtschaft 184 7. Auf dem Weg zur staatszentrierten Gesellschaft: Der langsame Niedergang des Stiftens und der Zivilgesellschaft im 20. Jahrhundert 195 Die Rolle der Stiftungen bei der Finanzierung des Ersten Weltkrieges 196 Das Schicksal der Zivilgesellschaft im Übergang von der Monarchie zur Demokratie203 Die Abgrenzung von jüdischen und 'arischen' Stiftungen in den 1930er Jahren 219 Die sinkende Bedeutung der Stiftungen in den beiden deutschen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg 224 Eine Gesellschaft ohne Stiftungen? Stiftungen und Stifter in der DDR 226 Vom Stiften zum Sponsoring: Die Transformation des Stiftens in Westdeutschland236 8. Schlussbetrachtungen 245 Anmerkungen 249 Literatur 279

Günther Schmid ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftler und Professor em. an der FU Berlin. Bis 2008 war er Direktor der Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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Leseprobe
Vorwort Dieses Buch ist die überarbeitete und erweiterte Fassung meines 2016 im Verlag Camden House erschienenen Buches Philanthropy, Civil Society, and the State in German History, 1815-1989. Ich bin der Gerda Henkel Stiftung zu Dank verpflichtet, dass sie mir die nötige finanzielle Unterstützung für die Erstellung dieser deutschen Version gewährt hat. Ich möchte mich aber vor allem auch bei Rainer Hüttemann, dem ich während der Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts im Jahr 2014 begegnet bin und der sich sofort für mein Buchprojekt interessiert hat, dafür bedanken, dass er diese deutsche Version meiner Darstellung der deutschen Stiftungsgeschichte angeregt und unterstützt hat. Birgit Weitemeyer bin ich für die Einladung nach Hamburg sehr dankbar, da diese Einladung den Stein zu diesem Buch sprichwörtlich ins Rollen gebracht hat. Und ich möchte mich bei Rupert Graf Strachwitz bedanken, der das Entstehen sowohl der englischen Version dieses Buches, dessen Manuskript er aufmerksam gelesen hat, als auch der deutschen Version über Jahre hinweg kritisch begleitete und mir vielfältige Anregungen gab. Dieses Buch fasst meine nun mehr als zwei Jahrzehnte andauende Beschäftigung mit der Geschichte des deutschen Stiftungswesens zusammen. In dieser Zeit hatte ich mehrfach Gelegenheit, meine Forschungen auf verschiedenen Konferenzen in Deutschland einer kritischen Öffentlichkeit vorzustellen und mit Wissenschaftlern in Kontakt zu kommen, die sich der Erforschung des Stiftungswesens verschrieben haben. Ich möchte mich vor allem bei Karen Bork, Bernhard Ebneth, Frank Hatje, Dieter Hoffmann, Elisabeth Kraus, Gabriele Lingelbach, Lutz Miehe, Stephen Pielhoff, Ralf Roth, Clemens Striebing und Michael Werner für ihre intellektuellen Anregungen sowie für ihre Hinweise auf wichtige Archivbestände bedanken. Meine zahlreichen Forschungsaufenthalte in Deutschland wurden durch Einrichtungen wie dem Center for Advanced Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin sowie durch Stiftungen wie der Fritz Thyssen Stiftung großzügig gefördert. Die Fritz Thyssen Stiftung gewährte auch den notwendigen Druckkostenzuschuss, um die englische Version dieses Buches zu veröffentlichen. Arlington, im März 2018 Thomas Adam 1. Einleitung Sozialwissenschaftliche Studien zum Non-Profit-Sektor in Deutschland leiden darunter, dass sie das sozialstaatliche System Westdeutschlands, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg ausbildete, in das 19. Jahrhundert zurückprojizieren. Stiftungen werden in diesen Darstellungen regelmäßig zu marginalen, das staatliche Handeln lediglich ergänzenden Institutionen degradiert und Deutschland damit zum Musterbeispiel einer staatszentrierten Gesellschaft (Patron State) stilisiert, in der zivilgesellschaftlichem Handeln nur wenig Raum gelassen wurde. In meinem Buch geht es darum, diese ahistorische Betrachtungsweise zu widerlegen. Die deutsche Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg war keine staatszentrierte Gesellschaft, in der alle öffentlichen Einrichtungen durch den Staat oder die Kommunen finanziert wurden. Zivilgesellschaftliche Akteure und Institutionen wie Vereine, Stiftungen, Genossenschaften und gemeinnützige Aktiengesellschaften waren für die Finanzierung aller öffentlichen Einrichtungen unabdingbar. Diese Finan­zierung kann auch nicht auf das viel beschworene Subsidiaritätsprinzip beschränkt werden, da dieses Prinzip ein organisiertes Miteinander und formelle Absprachen voraussetzt sowie dem Staat die alleinige Initiative zuspricht. Zivilgesellschaft und Stiftungswesen entwickelten sich aber nicht in Koordination mit dem Staat, sondern unabhängig von diesem - und in vielen Fällen auch in Konkurrenz zum Staat. Das Stiften in Deutschland zu untersuchen, besitzt eine weit über diese konkrete Fallstudie hinausreichende Bedeutung, da hier erstmals zivilgesellschaftliches Handeln in einem autoritär verfassten Herrschaftssystem - dem Deutschen Kaiserreich - analysiert wird. Existierende Interpretationen, denen zufolge Zivilgesellschaft und Demokratie zwei Seiten einer Medaille seien, werden hierbei erstmals einer historischen Überprüfung unterzogen. Zivilgesellschaft und Stiften in den deutschen Staaten vor 1815 Zivilgesellschaftliches Engagement, das sich in der Gründung von Stiftungen niederschlug, lässt sich bis in die vorchristliche Antike zurückverfolgen.2 Es entwickelte sich als Reaktion auf soziale Ungleichheit, die sich in verschiedenen Sozial- und Wirtschaftsordnungen manifestierte.3 Stifter des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die von ihnen begründeten selbstständigen und unselbstständigen Stiftungen und Vereine stehen in dieser jahrtausendealten Tradition. Stifterisches Engagement vermittelte Stiftern aber auch die Möglichkeit, öffentliche Räume nach ihren Visionen zu formen und sich im öffentlichen Gedächtnis einen festen Platz zu sichern. Stiften in der Vormoderne war wesentlich durch religiöse Motive bestimmt. So prägte die Aktivitäten katholischer Stifter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit vor allem die Sorge um das Seelenheil nach ihrem Tod. Die katholische Erlösungslehre ermunterte Gläubige, sich auf ihrem Todesbett ihrer irdischen Habseligkeiten durch deren Stiftung an die katholische Kirche zu entledigen. Diese würde sie zum Zweck der Armenpflege verwenden.4 Damit resultierte Stiften im Mittelalter meistens in der Einrichtung unselbstständiger Stiftungen, die von der katholischen Kirche verwaltet wurden. Diese Stiftungen wurden darüber hinaus nicht mit Geld begründet, sondern mit Landbesitz, dessen Ertrag zur Erfüllung des Stiftungszweckes eingesetzt wurde. Aufgrund der wachsenden Zahl von Stiftungen entwickelte sich die katholische Kirche zu einem dominierenden Landbesitzer. So soll sie sich am Vorabend der lutherischen Reformation im Besitz von beinahe der Hälfte des Grundbesitzes in den deutschen Ländern des Heiligen Römischen Reiches befunden haben. Die lutherische Reformation am Beginn des 16. Jahrhunderts veränderte und erweiterte die Tradition des Stiftens nachdrücklich. Lutherisches Stiften unterschied sich grundsätzlich vom katholischen Stiften in Bezug auf die Motive des Stifters, den Zeitpunkt der Stiftung und die Stiftungszwecke. Das Errichten einer Stiftung war nun nicht mehr von der Sorge um das Seelenheil bestimmt, sondern durch das Bestreben des Stifters, den Schwachen in ihrer irdischen Gemeinschaft zu helfen. Stiften geschah nicht mehr am Lebensende des Stifters, sondern schon während der Lebzeiten des Stifters. Damit konnte der Stifter die Entwicklung seiner Stiftung verfolgen und gegebenenfalls auch Einfluss auf deren Verwaltung nehmen. Hierzu kam es vor allem dann, wenn er damit unzufrieden war. Martin Luthers berühmter Aufruf an die Obrigkeit und Bürger aus dem Jahr 1524, in dem er beide Seiten dazu aufforderte, Schulen zu errichten und das Bildungswesen finanziell durch die Einrichtung von Stiftungen zu unterstützen, führte zu einer Ausweitung des Stiftungsgedankens von der Armenpflege auf das Bildungswesen. Insbesondere in der höheren Bildung entstanden ambitionierte Einrichtungen, etwa das Seminarum Philippinum an der Universität Marburg (1527) oder das Evangelische Stift an der Universität Tübingen (1536), die die Ausbildung protestantischer Theologen attraktiv machen sollten. Damit wurde auch der Kreis der stiftungsverwaltenden Einrichtungen erweitert. Während im Mittelalter lediglich die katholische Kirche als Stiftungsverwalter auftrat, wurden nun auch Institutionen wie die Städte, die Universitäten und die Schulen zu Stiftungsverwaltern. Damit wurde auch die Säkularisierung des Stiftungswesens eingeleitet. Die wohl wichtigste Neuerung bestand darin, dass fortan nicht mehr nur unselbstständige Stiftungen entstanden, die durch die Kirche oder staatliche und kommunale Einrichtungen verwaltet wurden, sondern auch selbstständige Stiftungen, die ihren eigenen Verwaltungsapparat besaßen und unabhängig von kirchlichen, kommunalen und staatlichen Einrichtungen existierten und agierten. Die erste derartige selbstständige Stiftung war die im Jahr 1516 in Augsburg durch Jacob Fugger gegründete Fuggerei. Mit seiner Entscheidung, diese Stiftung weder der katholischen Kirche noch der Stadt Augsburg zur Verwaltung anzuvertrauen, sondern sie als eigenständiges Wirtschaftsunternehmen zu begründen, eröffnete Fugger eine neue Stiftungstradition. Die von Fugger begründete Wohnstiftung gab armen katholischen Bürgern der Stadt Augsburg für den symbolischen Preis von einem Rheinischen Gulden jährlich eine Unterkunft. Da der Mietpreis nur von symbolischer Bedeutung war und lediglich ein Drittel der jährlichen Betriebskosten deckte, stattete Fugger seine Stiftung mit einem zusätzlichen Kapital von 25.000 Rheinischen Gulden aus, von dessen Einkommen die Unterhaltung seiner Wohnstiftung finanziert werden sollte. Auf diesem Weg etablierte Fugger eine Einrichtung, die bis zum heutigen Tag existiert. Das Stiften entwickelte sich in der nachreformatorischen Epoche für katholische und evangelische Gläubige gleichermaßen zu einer Strategie, um den Zusammenhalt und den Ausbau ihrer jeweiligen Glaubensgemeinschaften zu verstärken. Schon in vorreformatorischer Zeit war es üblich geworden, den Kreis der Empfangsberechtigten einer bestimmten Stiftung hinsichtlich ihres Wohnortes, ihres sozialen Standes und ihrer Religionszugehörigkeit zu beschränken. Die Spaltung der christlichen Kirche in eine katholische und eine evangelische Kirche führte dazu, dass Stifter beider Religionsgemeinschaften Angehörige der jeweils anderen Religionsgemeinschaft vom Kreis der potentiellen Nutznießer ihrer Stiftung ausschlossen. Das wohl bekannteste heute noch existierende Beispiel für katholisches Stiften im Bildungsbereich in diesem Kontext waren die Stipendienstiftungen in der Stadt Köln, die nach den Napoleonischen Kriegen im Gymnasial- und Stiftungsfonds zu Köln zusammengefasst wurden und die ausschließlich für katholische Schüler und Studenten eingerichtet worden waren. Diese Stipendienstiftungen waren von wohlhabenden Kölner Bürgern mit dem Ziel begründet worden, den Söhnen Kölner Bürgerfamilien den Besuch der drei Gymnasien der Stadt sowie der Universität zu ermöglichen. Die erste Stiftung ging auf den Arzt Johann Wesebeder zurück, der 1.800 Gold-Gulden im Jahr 1422 zur Einrichtung von vier Stipendien für Gymnasialschüler stiftete. Wesebeders Stiftung veranlasste in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche katholische Bürger Kölns, seinem Beispiel zu folgen. Zwischen 1422 und 1500 entstanden weitere sechs Stiftungen. Von 1501 bis 1600 kamen 48 Stiftungen hinzu, in der Zeit von 1601 bis 1700 waren es sogar 120 Stiftungen und von 1701 bis 1800 weitere 45 Stiftungen. Damit war die Zahl dieser katholischen Stipendienstiftungen im Zeitraum von 1422 bis 1800 auf insgesamt 220 gestiegen. Sie verwalteten ein Stiftungsvermögen, das sich auf mehrere Millionen Mark belief (im Jahr 1890 verwalteten insgesamt 283 Stiftungen zusammengenommen etwa sieben Millionen Mark). Insbesondere die Stiftungen, die nach der Reformation begründet wurden, entwickelten sich zu einem strategischen Mittel, um das Bekenntnis zur katholischen Religion in der Stadt Köln zu befördern, da die Zugehörigkeit zur katholischen Konfession und zu bestimmten Kölner Familien zu Zugangsvoraussetzungen für den Empfang eines Stipendiums im Fall sämtlicher 220 Stiftungen gemacht wurde. Diese Stiftungen waren dazu angelegt worden, den Abfall künftiger Generationen Kölner Bürger vom katholischen Glauben zu verhindern und damit die Ausbreitung des lutherischen Glaubens zu begrenzen. In einer Gegenbewegung zu diesen katholischen Stiftungen begannen im 16. Jahrhundert auch evangelische Stifter damit, Stipendienstiftungen zu begründen, die ausschließlich Angehörigen der lutherischen Religion offenstanden. Das wohl an Stiftungen reichste evangelische Gymnasium war das im Jahr 1574 begründete Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin. Dazu hatte vor allem die Streitsche Stiftung beigetragen, die auf den ehemaligen Schüler und erfolgreichen Kaufmann Sigismund Streit zurückging. Streit stiftete diesem Gymnasium im Jahr 1760 mehr als 60.000 Taler und verfügte, dass der Erlös aus dieser Stiftung zur Besoldung von Lehrern, zur Bereitstellung von Stipendien, zum Unterhalt eines Alumnats für zwölf Schüler sowie der Erweiterung der Bibliothek und der Unterrichtssammlungen verwendet werden sollte. Von diesem Vorbild Streits inspiriert, errichteten Absolventen dieses Gymnasiums Stiftungen, die Zuschüsse zu den Lehrergehältern sowie Universitätsstipendien für ehemalige Schüler bereitstellten. Es entstanden darüber hinaus auch Stiftungen, die Wohngeldbeihilfen für pensionierte Lehrer sowie Stipendien für die Töchter von Lehrern sowie die Witwen verstorbener Lehrer zahlten. Das Gesamtstiftungskapital des Gymnasiums zum Grauen Kloster wuchs bis zum Jahr 1902 auf insgesamt mehr als eine Million Mark. Das Wachstum der katholischen Bildungsstiftungen in Köln und der evangelischen Bildungsstiftungen in Berlin verdeutlicht beispielhaft die Ausweitung und Ausdifferenzierung des Stiftungswesens in den deutschen Staaten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gründung des Deutschen Bundes. In diesen drei Jahrhunderten gaben Adlige und Bürger mehr und mehr Geld, um Stiftungen für die Armenpflege und die Bildung zu errichten. Besonders die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg sah einen gewaltigen Aufschwung im Stiften. So wurden zum Beispiel im Königreich Preußen im Zeitraum von 1649 bis 1814 insgesamt 320 Stiftungen gegründet. Von den im Jahr 1814 im gesamten Königreich Preußen existierenden 407 Stiftungen stammten damit fast 80 Prozent aus dieser Zeit. Während katholische und evangelische Stifter die Einrichtung von Stiftungen bevorzugten, verlegten sich jüdische Stifter auf die Gründung wohltätiger Vereine. Diese Form des kollektiven Stiftens war für das innerjüdische Stiften der Frühen Neuzeit charakteristisch und wurde später, im Kontext der Napoleonischen Kriege, von christlichen Stifterinnen übernommen.14 Jüdische Bestattungsvereine (hevra kaddisha) entstanden in Zentraleuropa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der erste derartige Verein wurde in Prag im Jahr 1564 begründet. Anfänglich bestand der Auftrag dieser Vereine nur darin, für die Toten der jüdischen Gemeinschaft zu sorgen und die Bestattungsrituale einzuhalten. Mit der Zeit veränderte sich jedoch das Aufgabengebiet dieser Vereine. Die Sorge um die Toten wurde um die Pflege der Kranken erweitert, so dass die hevra kaddisha sich zu allgemeinen Unterstützungsvereinen für die Armen und Schwachen der jüdischen Gemeinden entwickelten. Die Säkularisierung der hevra kaddisha unter dem Einfluss der Aufklärung ließ diese Vereine, so argumentiert Benjamin Baader, zum Prototyp der modernen jüdischen Wohlfahrtspflege werden. Ein Musterbeispiel für diesen neuen Typ der jüdischen Wohlfahrtspflege war die 1792 in Berlin gegründete Gesellschaft der Freunde. Seine Mitglieder kümmerten sich nicht nur um die Kranken und Armen und erwiesen den Toten die letzte Ehre, sondern versorgten Gemeindemitglieder auch mit Krankenpflege und finanzieller Unterstützung im Notfall. Diese Leistungen veränderten die Stellung und die Funktion der jüdischen Wohltätigkeitsvereine grundsätzlich. Unselbstständige und selbstständige Stiftungen, die in der Regel aus den Aktivitäten einer Einzelperson entsprangen, sowie Vereine und Gesellschaften, die Hunderte und Tausende von Personen zusammenbringen konnten, entwickelten sich im Lauf des 19. Jahrhunderts zu den Grundfesten des religiösen und säkularen Stiftens. Während unselbstständige Stiftungen von ihren Stiftern an von ihnen ausgewählte öffentliche Einrichtungen zur Verwaltung übergeben wurden, entstanden selbstständige Stiftungen als von Kirche und Staat unabhängige Wirtschaftsunternehmen mit einem eigenen Verwaltungsapparat. Beide Stiftungstypen wurden von ihren Gründern für die Ewigkeit angelegt. Vereine und Gesellschaften teilten mit den selbstständigen Stiftungen ihre Selbstständigkeit. Im Gegensatz zu diesen beiden Stiftungstypen waren Vereine aber nicht für die Ewigkeit geschaffen worden. Sie wurden nicht durch die Vision eines einzelnen Stifters und dessen Verlangen nach Unsterblichkeit definiert, sondern durch das Projekt, dem sie ihre Existenz verdankten. Daher waren Vereine nicht so langlebig wie Stiftungen. Im 19. Jahrhundert gab es auf dem Feld des Stiftens im Wesentlichen zwei Innovationen: (1) die Ausweitung des Stiftens auf das Gebiet der Kunst- und Kulturförderung und (2) die Entwicklung der gemeinnützigen Aktiengesellschaft mit begrenzter Gewinnausschüttung (Philanthropy and Five Percent). Johann Friedrich Städels Entscheidung zugunsten einer Stiftung für ein Kunstmuseum in Frankfurt am Main markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des Stiftens, da mit dieser Stiftung deren Tätigkeitsfeld wesentlich erweitert wurde. Waren zuvor Stiftungen vor allem zur Armenpflege und der Bildungsförderung ins Leben gerufen worden, wurde nun auch die Welt der Kunst- und Kulturförderung zu einem Kerngebiet des Stiftens. Das Städelsche Kunstinstitut stellte im 19. Jahrhundert aufgrund seiner Finanzierung durch nur einen einzelnen Stifter jedoch eine Ausnahme dar. Die Mehrzahl der Kunstmuseen verließ sich auf Fördervereine, die häufig als gemeinnützige Aktiengesellschaften mit Hunderten von Mitgliedern/Aktionären und Stiftern gegründet wurden. Diese Aktiengesellschaften dienten allerdings nicht der Profitmaximierung, sondern stellten marktwirtschaftliche Mechanismen in den Dienst der Förderung gemeinnütziger öffentlicher Einrichtungen. Zivilgesellschaft und Demokratie Die in diesem Buch vorgestellte Interpretation zum Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und politischer Ordnung besitzt weit über den konkreten deutschen Fall hinaus Bedeutung. Vor allem die Sozialwissenschaften in den USA werden von dem auf Alexis de Tocquevilles Beschreibung der amerikanischen Gesellschaft aufbauenden Paradigma getragen, dass Zivilgesellschaft - und Stiften wird als wesentlicher Bestandteil der Zivilgesellschaft angesehen - und Demokratie zwei Seiten derselben Medaille seien. Das ungeheure Wachstum amerikanischer Vereine, Gesellschaften und Stiftungen gilt ihnen als eine Grundbedingung für eine stabile Demokratie. Nun sind aber die USA gerade aufgrund ihres stabilen politischen Systems wenig dazu geeignet, diese Theorie empirisch zu belegen, da sich die amerikanische Zivilgesellschaft innerhalb der amerikanischen Demokratie entwickelt hat und sie keinem politischen Systemwechsel ausgesetzt war. Deutschland mit seinen häufigen Systemwechseln bietet dagegen eine ideale Versuchsanordnung, um die These einer kausalen Verbindung von Zivilgesellschaft und Demokratie zu überprüfen. Die hier erarbeitete historische Untersuchung der Zivilgesellschaft in Deutschland widerlegt die am Beispiel der amerikanischen Gesellschaft postulierte These über eine kausale Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Demokratie. Es war gerade die Zeit des autoritären wilhelminischen Kaiserreiches, in dem das Stiftungswesen seinen Zenit erreichte. Der Übergang zur Demokratie im Jahr 1918 leitete den Untergang des Stiftungswesens ein, der sich nicht nur durch die stark veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erklären lässt. Er war vielmehr das Ergebnis einer zutiefst stiftungsfeindlichen Politik der demokratischen Regierungen der Weimarer Republik. Die nationalsozialistische Diktatur sowie die kommunistische Diktatur in Ostdeutschland waren zwar keine stiftungsfreundlichen Herrschaftssysteme, ließen aber zivilgesellschaftliche Strukturen wie die der Stiftungen dennoch intakt. Die vorliegende Untersuchung des Stiftens in Deutschland von 1815 bis 1989 lehrt uns, dass Zivilgesellschaft und Demokratie nicht ursächlich mit­einander verbunden waren. Eine starke Zivilgesellschaft, wie sie im Deutschen Kaiserreich existierte, führte eben nicht zwangsläufig zu einer stabilen Demokratie, weil gemeinwohlorientierte Bürger die Visionen und Politikentwürfe von autoritären Herrschern wie etwa Kaiser Wilhelm II. teilten. Die Zivilgesellschaft entwickelte sich nicht nur in Opposition zum autoritären Staat, sondern konnte auch autoritäre politische Ordnungen befestigen und stabilisieren. Gemeinwohlorientierte Bürger, die sich als Stifter betätigten, entwickelten Stiftungen, deren Wirken in die wilhelminische politische Kultur passte und deren Zukunft sichern sollte. Zivilgesellschaftliches Handeln der Stifter zielte also nicht auf die Überwindung des politischen Systems, sondern auf dessen bürgerliche Ausgestaltung. Während eine kausale Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Demokratie somit nicht nachgewiesen werden kann, gab es sehr wohl eine kausale Verbindung zwischen Industrialisierung und Zivilgesellschaft. Auch wenn Stiften ein jahrtausendealtes Verhaltensmuster war, entfaltete sich das Stiftungswesen vor allem nach der Industrialisierung der deutschen Gesellschaft. Die Akkumulation von Vermögen in den Händen von Unternehmern, die ungleiche Verteilung des Wohlstandes und die Herausbildung sozialer Konflikte sowie das Verlangen neuer wirtschaftsbürgerlicher Schichten nach sozialer Anerkennung waren die wichtigsten Voraussetzungen für das gewaltige Wachstum des Stiftungswesens im 19. Jahrhundert. Die deutsche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war eine Gesellschaft im sozialen Umbruch, in der etablierte soziale Hierarchien durch den Aufstieg neuer sozialer Gruppen zerstört wurden. Alte und neue soziale Gruppen nahmen sich des Stiftens als eines sozialpolitischen Verhaltensmusters an, um ihre Dominanz zu bewahren (Adel) oder zu erringen (Wirtschaftsbürgertum). Stifterisches Engagement diente dazu, soziale Ordnungen zu verteidigen, neue soziale Ordnungen zu etablieren und soziale Führungspositionen zu begründen. Stiften kann kaum als eine demokratisierende Kraft angesehen werden. Stiftungen waren in ihrer Verfassung und in ihrem Charakter kein Ausdruck demokratischen Handelns. Sie entstanden in historischer Perspektive in monarchischen Herrschaftsformen und entwickelten sich als monarchisch verfasste Einrichtungen. Stiftungen wurden in der Regel von einer Einzelperson begründet. Dieser Stifter diktierte die Bedingungen, unter denen die Stiftung operieren sollte. Stifter zeichneten sich allein durch zwei Qualifikationen aus: (1) Wohlstand und (2) eine stifterische Vision. Die stifterischen Visionen waren oftmals diskriminierend, da die Stifter immer den Kreis der potentiellen Nutznießer definierten und dabei bestimmte Personengruppen, die über deren soziale Herkunft, ihr Geschlecht oder ihren Wohnort beschrieben wurden, ein- bzw. ausschlossen. So vergaben Stipendienstiftungen ihre Beihilfen nur an Männer aus katholischen oder evangelischen Familien, die aus einer bestimmten Ortschaft stammen mussten. Wohnstiftungen definierten den Typ derjenigen Arbeiterfamilie, die um eine Wohnung in dem betreffenden Unternehmen nachsuchen durfte, über deren Größe und Einkommen. Diese Regeln wurden von den betreffenden Stiftern zielgerichtet entwickelt und der Stiftung als für die Ewigkeit bindende Bedingung mitgegeben. Aus der Analyse dieser diskriminierenden Bestimmungen im Fall jeder einzelnen Stiftung erschließt sich uns die Vorstellungswelt der Stifter, die über ihre Stiftung versuchten, die Gesellschaft nach ihren Ansichten zu formen. Auch wenn es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaft und Demokratie gibt, haben einzelne Einrichtungen der Zivilgesellschaft wie die Vereine und vor allem die gemeinnützigen Aktiengesellschaften zu einer Demokratisierung der Gesellschaft beigetragen. Gemeinnützige Aktiengesellschaften, in denen investierende Stifter sich mit einem auf drei bis fünf Prozent begrenzten Gewinn zufriedengaben, entwickelten partizipatorische Mechanismen, mit denen Männer und Frauen, denen der Erwerb von Aktien offenstand, bereits im 19. Jahrhundert über Stimmrechte verfügten, die ihnen im politischen Leben versagt blieben. Jahrzehnte bevor Männer und Frauen sich gleichberechtigt an den Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus oder zum Deutschen Reichstag beteiligen konnten, boten diese Aktiengesellschaften, die der Finanzierung von zoologischen Gärten, Museen und Arbeiterwohnungsunternehmen dienten, wohlhabenden Frauen eine Möglichkeit, an Entscheidungsprozessen über die Gestaltung von städtischen Räumen teilzuhaben. Der Besitz von Aktien in diesen Unternehmen bescherte jedem Aktienbesitzer - Mann oder Frau - eine Stimme in den jährlichen Mitgliederversammlungen. Diese Form des Stiftens gab denjenigen Bürgern und vor allem den Bürgerinnen, die von der Teilnahme am politischen Leben ausgeschlossen waren, eine Stimme. Dies war allerdings eine besondere Form der Demokratie, da sie auf diejenigen Bürger beschränkt blieb, die sich den Erwerb von Aktien in den gemeinnützigen Aktiengesellschaften leisten konnten und wollten. Es waren aber gerade diese Bürger, die ihren Wohlstand dem bestehenden autoritären System verdankten und daher kaum eine Notwendigkeit sahen, diese Ordnung durch ein demokratisches System zu ersetzen. Mit ihrem Engagement zugunsten der stifterischen Ausgestaltung ihrer Heimatstadt vertiefte sich deren Verbundenheit mit dem existierenden politischen System weiter. Diese Bürger und Stifter hatten im Fall einer politischen Transformation viel zu verlieren, aber wenig zu gewinnen. Aufbau des Buches Das erste Kapitel des vorliegenden Buches führt den Leser in die Welt der königlichen und bürgerlichen Museen und dem damit verbundenen Wettbewerb um die Vorherrschaft in der Museumsfinanzierung, der sich im 19. Jahrhundert zwischen Adel und Bürgertum entspann. Sowohl die Formierung und Emanzipation des Bürgertums als auch die Urbanisierung veränderten die soziale Struktur der deutschen Gesellschaft nachhaltig. Mit der Herausbildung von Großstädten entstanden urbane Strukturen mit den hierfür typischen Einrichtungen wie zoologischen Gärten, Museen und Opernhäusern bis hin zu öffentlichen Parkanlagen und Theaterhäusern. Die Finanzierung dieser urbanen Strukturen räumte den jeweiligen Geldgebern Gestaltungs- und Deutungshoheit über die sich entwickelnde städtische Gesellschaft ein und entfachte daher einen Wettbewerb zwischen Bürgertum und Adel um die Finanzierung und Kontrolle dieser Einrichtungen. In diesem Wettstreit entstanden monarchische Museen, die von Königen und Großherzogen begründet wurden, sowie bürgerliche Museen, die durch Museums- und Kunstvereine finanziert wurden: Dort fanden sich oftmals Hunderte von Bürgern zusammen. Diese bürgerlichen Vereine und die von ihnen finanzierten öffentlichen Einrichtungen symbolisieren den Gestaltungswillen und das Selbstbewusstsein des Bürgertums in Städten wie Leipzig, Bremen und Hamburg. Der Wettbewerb um die Finanzierung öffentlicher Kultureinrichtungen in den Städten des 19. Jahrhunderts führte zur Heraus­bildung zweier Stadttypen in Bezug auf die Stiftungskultur: (1) die Bürgerstadt und (2) die Residenzstadt. Während in Bürgerstädten wie Frankfurt am Main, Leipzig und Hamburg öffentliche Einrichtungen allein durch das städtische Bürgertum begründet und finanziert wurden, entwickelte sich in Residenzstädten wie Berlin, Dresden und Karlsruhe ein Finanzierungsmodell, bei dem der jeweilige Landesfürst die Gründung öffentlicher Einrichtungen anstieß, zu deren Finanzierung beitrug, als Namenspatron auftrat und das städtische Bürgertum zur begrenzten Mitwirkung einlud. Aufgrund der ständig wachsenden Erwerbs- und Unterhaltungskosten für Museen im Lauf des 19. Jahrhunderts erwies sich die alleinige Finanzierung königlicher Museen jedoch zunehmend als unzureichend. So steckten etwa die von preußischen Königen begründeten und zunächst allein von ihnen unterhaltenen Berliner Museen am Ende des 19. Jahrhunderts in einer tiefen finanziellen Krise. Diese Finanzierungsmalaise bot dem Berliner Bürgertum eine Möglichkeit, mittels seiner Beteiligung an Museumsvereinen Einfluss auf die Gestaltung der Museumsausstellungen zu nehmen. Damit gerieten öffentliche Räume mehr und mehr unter bürgerliche Kontrolle. Das zweite Kapitel untersucht den Einfluss von Stiftern und deren Stiftungen auf die soziale Zusammensetzung der intellektuellen Eliten des wilhelminischen Kaiserreiches. Der wachsende Stellenwert einer Hochschulausbildung in einer industrialisierten Gesellschaft veranlasste eine schnell wachsende Zahl von Bürgern dazu, Stipendienstiftungen einzurichten, die es Söhnen aus christlichen und bürgerlichen Familien ermöglichten, ein Gymnasium und eine Universität zu besuchen. Diese Stiftungen, deren Empfängerkreis durch ihre Stifter in Bezug auf das Geschlecht der Empfänger, ihre Religionszugehörigkeit, ihre Klassenzugehörigkeit sowie häufig auch hinsichtlich ihres Wohnorts eindeutig begrenzt worden war, sollten keineswegs dazu dienen, Arbeiterkindern einen Zugang zu höherer Bildung zu verschaffen. Es ging den Stiftern im Wesentlichen darum, den sozialen Abstieg von Kindern aus bürgerlichen Familien zu verhindern, die sich aus eigener Kraft einen ihrem sozialen Status entsprechenden Bildungsabschluss nicht leisten konnten - etwa weil ihr Vater verstorben war oder die Familie eine sehr hohe Zahl von Kindern hatte, deren Ausbildungskosten (sowohl Gymnasien als auch Universitäten verlangten von ihren Schülern und Studenten erhebliche Schul- bzw. Studiengebühren) selbst bürgerliche Familien nicht immer aus eigener Kraft bewältigen konnten. Diese Stiftungen sicherten damit nicht nur Bürgersöhnen eine standesgemäße Ausbildung, sondern garantierten auch das finanzielle Überleben öffentlicher Bildungseinrichtungen. Stiften diente, wie dieses Kapitel deutlich werden lässt, dazu, soziale Unterschiede zu verstärken, und nicht, sie zu überwinden. Stiftungen zugunsten von Bildungseinrichtungen sollten die Dominanz einer christlich geprägten Bildungselite in einer Zeit festigen und ausbauen, in der infolge der rechtlichen Gleichstellung von christlichen und jüdischen Deutschen mit der Reichsgründung im Jahr 1871 eine wachsende Zahl jüdischer Schüler und Studenten die Gymnasien und Universitäten besuchte. Das Stiften entwickelte sich in diesem Zusammenhang zu einem wichtigen Instrument in der Auseinandersetzung um die religiöse Zusammensetzung der künftigen intellektuellen Eliten. Der prinzipielle Ausschluss jüdischer Studenten vom Empfang von Stipendien, die von christlichen Stiftern eingerichtet worden waren, rief eine wachsende Zahl jüdischer Stifter auf den Plan, die ebenfalls Stipendienstiftungen errichteten, um Schülern und Studenten jüdischen Glaubens den Besuch höherer Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Das Stiften entwickelte sich damit zu einem heftig umkämpften Instrument in der Auseinandersetzung um den Platz jüdischer Deutscher im geistigen Leben des Deutschen Kaiserreiches. Am Ende des 19. Jahrhunderts erkannten auch Stifterinnen, die die Universitäten für bürgerliche Frauen öffnen wollten, den Wert von Stiftungen für dieses Bestreben. Stifterinnen boten verschiedenen Universitäten Stipendienstiftungen unter der Bedingung an, dass diese Frauen zum Studium zulassen müssten. Damit versuchten Stifterinnen direkten Einfluss auf die Hochschulpolitik zu nehmen. Die Studienförderung der Stipendienstiftungen zugunsten jüdischer Studenten und zugunsten von Frauen vervollständigt unser Bild von der langsamen Emanzipation der jüdischen Deutschen und der Frauen im Deutschen Kaiserreich. Es erhellt aber auch den Zusammenhang zwischen der Finanzierung von Bildungseinrichtungen und der Ausweitung von Bildungschancen unter zuvor benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Am Ende des 19. Jahrhunderts wuchs, wie im dritten Kapitel dargestellt wird, die stifterische Unterstützung im Bereich von Bildung und Forschung gewaltig an und brachte nationale Forschungsgesellschaften wie die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und archäologische Fachgesellschaften wie die Deutsche Orient-Gesellschaft hervor. Diese Verbände gaben ihren Mitgliedern die Möglichkeit, die künftige Ausrichtung der naturwissenschaftlichen Forschung mit zu bestimmen sowie die Aneignung antiker Gesellschaften durch archäologische Ausgrabungen voranzutreiben. Stiften verlieh den Stiftern damit eine Lenkungsfunktion in der modernen akademischen Wissensproduktion. Das dritte Kapitel bietet dem Leser einen Eindruck von der außerordentlich engen Zusammenarbeit zwischen Stiftern und Staat bei der Einrichtung moderner Forschungsinstitute und der archäologischen Ausgrabung untergegangener Zivilisationen wie zum Beispiel der von Babylon in Mesopotamien. Das vierte Kapitel analysiert die Bereitstellung von erschwinglichem und hygienischem Wohnraum für Arbeiterfamilien durch verschiedene stifterische Einrichtungen wie die gemein
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
1Europa in Arbeit: Die Herausforderung8
2Die Zukunft der Arbeit in Europa26
2.1Was sagen die Prognosen wirklich?27
2.2Was folgt aus dem Stand der prognostischen Forschung?36
3Der Wandel der Arbeitsverhältnisse in Europa40
3.1Die Entwicklung atypischer Arbeitsverhältnisse42
4Europäisierung des Arbeitsmarkts: Divergenz oder Konvergenz?84
4.1Die Entwicklung der europäischen Beschäftigungsstrategie86
4.2Inklusives Wachstum: Wo stehen wir?89
4.3Zur Weiterentwicklung des Europäischen Sozialmodells97
4.4Der Zielkonflikt zwischen Kapazität und Flexibilität: Ein Modell101
4.5Vier Strategien für ein inklusives Wachstum in Europa109
5Wege zu einer neuen Vollbeschäftigung in Europa128
5.1 Mehr Flexibilität durch Sicherheit: Von der Arbeitslosen- zur Arbeitsversicherung?130
5.2Das soziale Risikomanagement atypischer Arbeitsverhältnisse150
6Auf dem Weg zu einer europäischen Arbeitsversicherung?166
6.1Stand der Diskussion um eine europäische Arbeitslosenversicherung167
6.2 Das US-System der Arbeitslosenversicherung: Vorbild für Europa?170
6.3Perspektiven einer europäischen Arbeitsversicherung176
6.4Resümee: Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells193
7Europa in Arbeit: Die Strategie198
7.1Die »Welt der Arbeit« in Europa199
7.2Ein inklusiver Arbeitsvertrag für die Vollbeschäftigung der Zukunft202
Literatur220
Anmerkungen244
Tabellen268
Abbildungen270

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