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E-Book

Europa spart sich kaputt

Warum die Krisenpolitik gescheitert ist und der Euro einen Neustart braucht

AutorJoseph Stiglitz
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl560 Seiten
ISBN9783641200923
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Raus aus der Dauerkrise. Wie Europa sich (und den Euro) retten kann
Joseph Stiglitz ist einer der schärfsten Kritiker jener Sparpolitik, die aus Sicht der deutschen Bundesregierung der einzige Weg aus der Eurokrise ist. Doch kein noch so hartes Spardiktat, so Stiglitz, kann die Geburtsfehler der Gemeinschaftswährung ausgleichen. Damit die gemeinsame Währung Europas Einheit nicht vollends zerstört, müssen die Mitgliedsstaaten der Eurozone vielmehr neue Wege beschreiten. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz zeigt, wie diese Wege aus der Krise aussehen könnten.

Schonungslos legt Joseph Stiglitz in seinem neuen Buch dar, warum die Austeritätspolitik Europas Einheit ebenso gefährdet wie das europäische Wirtschaftswachstum und warum die Europäische Zentralbank falsch liegt, wenn sie zur Krisenbewältigung vor allem auf Inflationsbekämpfung setzt. Statt diese fehlgeleitete Politik weiterhin als »alternativlos« darzustellen, zeigt Stiglitz, wie drei mögliche Wege aus der Krise aussehen könnten: erstens eine grundlegende Reform der Eurozone und der Auflagen, die den Krisenländern gemacht werden; zweitens eine geregelte Auflösung der Europäischen Union; oder drittens die Etablierung eines neuen europäischen Finanzsystems - des »flexiblen Euro«. Mit seinem Buch bringt der Nobelpreisträger neue Argumente in eine Debatte, die viel zu lange um die ewig gleichen Fragen gekreist hat. Und er eröffnet einen Ausblick, wie die Eurokrise wirklich gelöst werden kann.

Joseph Stiglitz, geboren 1943, war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, bevor er 1993 zu einem Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung wurde. Anschließend ging er als Chefvolkswirt zur Weltbank und wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Heute lehrt Stiglitz an der Columbia University in New York und ist ein weltweit geschätzter Experte zu Fragen von Ökonomie, Politik und Gesellschaft. Bei Siedler erschienen unter anderem seine Bestseller 'Die Schatten der Globalisierung' (2002), 'Die Chancen der Globalisierung' (2006), 'Im freien Fall' (2010), 'Der Preis der Ungleichheit' (2012) und zuletzt 'Reich und Arm' (2015).

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Leseprobe

1 Die Eurokrise

Europa, die Wiege der Aufklärung und der modernen Naturwissenschaft, steckt in der Krise. Die Weltfinanzkrise des Jahres 2008 ging nahtlos in die »Eurokrise« des Jahres 2010 über. Diese Region der Welt, in der die industrielle Revolution ihren Ausgang nahm, die ihrerseits in den vergangenen 200 Jahren zu einem beispiellosen Wandel des Lebensstandards führte, ist in eine lange Phase der nahezu vollständigen Stagnation eingetreten. Schätzungen zufolge war das (inflationsbereinigte) BIP pro Einwohner für die Eurozone1 – die europäischen Länder, die den Euro als gemeinsame Währung haben – im Jahr 2015 niedriger als 2007.2 Einige Länder stecken schon seit Jahren in einer Depression.3

Als die Arbeitslosigkeit in den USA im Oktober 2009 10 Prozent erreichte, hielten die meisten Amerikaner das für nicht hinnehmbar. Mittlerweile ist sie auf unter 5 Prozent gefallen. Auch in der Eurozone erreichte die Arbeitslosigkeit im Jahr 2009 10 Prozent, und sie ist seither zweistellig geblieben.4 Im Durchschnitt der Eurozone ist mehr als jeder fünfte arbeitssuchende Jugendliche arbeitslos; in den am schlimmsten betroffenen Krisenländern sucht sogar nahezu jeder zweite Jugendliche eine Beschäftigung.5 Hinter trockenen Statistiken über die Jugendarbeitslosigkeit verbergen sich die zerstörten Träume und Hoffnungen Millionen junger Europäer, von denen viele hart gearbeitet und fleißig studiert haben. Familien werden zerrissen, denn wer kann, wandert aus, um im Ausland Arbeit zu suchen. Diese Statistiken verheißen Europa – vielleicht auf Jahrzehnte hinaus – eine Zukunft mit niedrigerem Wachstum und sinkendem Lebensstandard.

Diese ökonomischen Tatsachen haben ihrerseits weitreichende politische Folgen. Sie erschüttern die Fundamente der europäischen Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges. Parteien der extremen Rechten und Linken sowie andere, die sich für die Abspaltung ganzer Regionen von Nationalstaaten einsetzen, verzeichnen vor allem in Spanien und Italien wachsenden Zulauf. Was lange als unausweichlicher historischer Prozess angesehen wurde – die Herausbildung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert –, wird heute infrage gestellt. Und das betrifft auch die bedeutendste Errungenschaft im Europa der Nachkriegszeit – die Europäische Union.

Die Ereignisse, welche die akute Eurokrise auslösten, waren Symptome tieferer struktureller Probleme der Eurozone, nicht deren Ursachen: Die Zinsen auf von Griechenland und mehreren anderen Ländern der Eurozone begebene Staatsanleihen stiegen sprunghaft an und erreichten, im Fall Griechenlands, mit 22,5 Prozent im Jahr 2012 ihren Höchststand.6 Einige Länder hatten überhaupt keinen Zugang zu den Finanzmärkten mehr – sie konnten sich die Mittel nicht beschaffen, die sie für die Rückzahlung fälliger Schulden benötigten. Europa half mit kurzfristigen Krediten aus, die allerdings mit strengen Auflagen versehen waren.

Nach dem Ausbruch der Eurokrise Anfang 2010 ergriffen die Verantwortlichen der Eurozone eine Reihe von Maßnahmen, welche die Märkte jedes Mal scheinbar eine Zeit lang beruhigten. Gegenwärtig ist sogar die Griechenlandkrise in den Hintergrund gerückt, da Europa hofft, die jüngste Vereinbarung vom Sommer 2015 stelle endlich eine wirksame Lösung in Aussicht, und andere Krisen in den Vordergrund getreten sind: die Flüchtlingskrise, der Austritt Großbritanniens aus der EU (»Brexit«) und die terroristische Bedrohung, die durch die Attentate von Paris und Brüssel so deutlich vor Augen geführt wurde. Der Euro sollte zu einer engeren ökonomischen und politischen Verflechtung führen und Europa stärken, um künftigen Herausforderungen besser zu begegnen. Wie wir im nächsten Kapitel darlegen, ist die Realität eine andere: das Scheitern des Euro hat es für Europa schwieriger gemacht, den anderen Krisen wirkungsvoll zu begegnen. Obwohl in diesem Buch wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen – die wirtschaftlichen Ursachen für das Scheitern der gemeinsamen Währung und mögliche Maßnahmen, mit denen sich der Euro retten ließe –, sind diese ökonomischen Fragen eng mit den politischen Belangen verknüpft. Politische Interessen erschweren die Schaffung jenes wirtschaftlichen Ordnungsrahmens, den der Euro bräuchte, um zu einer erfolgreichen Währung zu werden. Und dieses Versagen wiederum hat gravierende politische Folgen.

Dieses Buch wird erklären, warum die bislang ergriffenen Maßnahmen zur »Lösung« der Eurokrise lediglich ein vorübergehend wirksames Herumdoktern an Symptomen waren: Wahrscheinlich erwartet uns in nicht allzu ferner Zukunft die nächste Episode der Eurokrise.

Die zentralen Thesen

Auch wenn viele Faktoren zu den Problemen Europas beitragen, gibt es einen grundlegenden Fehler: Die Schaffung der Einheitswährung, des Euro. Oder, genauer gesagt, die Schaffung einer Einheitswährung ohne gleichzeitige Errichtung eines institutionellen Ordnungsrahmens, der einer so vielfältigen Region wie Europa ermöglicht hätte, mit einer einheitlichen Währung erfolgreich zu funktionieren. Teil II dieses Buches (Kapitel 4 bis 6) betrachtet die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Währungsunion und die Schritte, die Europa tatsächlich unternommen hat. Wir untersuchen, wie die Kluft zwischen dem, was notwendig gewesen wäre, und dem, was getan wurde, zum Scheitern des Euro, zu den Krisen, die schon kurz nach seiner Einführung folgten, und zur Divergenz führte, der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen reichen und armen Ländern – was es für das System der Einheitswährung noch schwieriger machte, zu funktionieren. Teil III (Kapitel 7 und 8) beschäftigt sich eingehend mit den Reaktionen der Eurozone auf die Krisen, ihren vermeintlichen »Rettungsprogrammen«, die jedoch tatsächlich die Rezessionen nur vertieften und verlängerten. Teil IV (Kapitel 9 bis 12) erläutert, was getan werden kann, um Europa wieder auf den Pfad der Wohlstandsmehrung zurückzuführen.

Eine Anmerkung zur Geschichte des Euro und zum Rahmen dieses Buches

In diesem Buch gehe ich weder ausführlich auf die Geschichte des Euro ein noch beschreibe ich im Detail seine Institutionen. Aber zur Orientierung möchte ich einige wichtige Fakten hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Euro in Erinnerung rufen. Die Gemeinschaftswährung war letztlich ein Nebeneffekt von Bemühungen, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts begannen, als Europa noch unter dem Schock des Blutvergießens und der Zerrüttung durch die beiden Weltkriege stand, die rund 100 Millionen Menschenleben gefordert hatten. Die führenden Politiker Europas erkannten, dass eine friedlichere Zukunft eine tief greifende politische und wirtschaftliche Neuordnung des Kontinents und auch eine Neubestimmung nationaler Identitäten erforderte. Im Jahr 1957 wurde diese Vision ein Stück weit Wirklichkeit, als mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet wurde, der Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande und Westdeutschland angehörten. In den folgenden Jahrzehnten, die im Zeichen des Kalten Krieges standen, traten weitere westeuropäische Staaten der EWG bei. Schritt für Schritt wurden Schranken für den Personen-, Dienstleistungs- und Warenverkehr zwischen der wachsenden Liste von EWG-Ländern abgebaut.

Aber erst nach dem Ende des Kalten Krieges kam die europäische Integration so richtig in Schwung. Der Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 zeigte, dass die Zeit für eine Erweiterung und Festigung der europäischen Bande näher rückte. Die Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft in gemeinsamem Wohlstand waren sowohl bei den Regierungen als auch bei den Bürgern größer denn je. Dies führte 1992 zur Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht, durch den die Europäische Union offiziell gegründet wurde und der zugleich einen Großteil der rechtlichen Grundlagen für die Wirtschaftsordnung und die Institutionen der EU schuf. Er setzte außerdem den Prozess zur Einführung einer Gemeinschaftswährung in Gang, die »Euro« heißen sollte.

Allerdings war man sich uneins darüber, wie diese größere Einheit erreicht werden sollte. Heute mag die offizielle Geschichte der EU einer Stichpunktliste von Ereignissen gleichen, die unweigerlich zur Schaffung eines sich stetig erweiternden gemeinsamen Marktes und eines gemeinsamen Währungsraums, der Eurozone, führten. Aber tatsächlich war die Errichtung dieser Institutionen das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen, die von tiefen Meinungsverschiedenheiten über das Ausmaß und die Form der Europäischen Integration geprägt waren. Die Resultate waren nur möglich aufgrund politischer Tauschgeschäfte und Kompromisse zwischen den europäischen Regierungschefs. Im Fall des Euro soll der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl seiner Einführung unter der Bedingung zugestimmt haben, dass sich der französische Staatspräsident François Mitterrand mit der Wiedervereinigung Deutschlands einverstanden erklärt. Beide Männer waren ausschlaggebend für eine Vertiefung der europäischen Einigung – und hatten maßgeblichen Anteil an vielen der politischen Entscheidungen, die ich in diesem Buch diskutiere.

Diese Vorgeschichte des Euro ist wichtig, interessiert uns hier aber nur am Rande. Mir geht es vor allem um die Feststellung, auf die ich wiederholt zurückkommen werde, dass der Euro ein politisches Projekt war und dass, wie bei jedem politischen Projekt, politische Interessen eine Rolle spielten.

In der Politik kommt es...

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