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E-Book

Europäische Integration wohin?

Zu Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik sowie Reformen der EU

AutorEckhard Wurzel
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl389 Seiten
ISBN9783170326941
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
In der Europäischen Union sollen Gemeinsamer Markt, gemeinsame Währung, finanzielle Programme, Harmonisierungen nationaler Vorschriften und wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung das Wachstum, die Beschäftigung und den Wohlstand vergrößern. Mehr noch: die wirtschafts- und finanzpolitische Integration wird häufig als wesentlicher Baustein eines friedlich geeinten und politisch starken Europa angesehen. Gleichzeitig werden Maßnahmen vertiefter Integration oft kontrovers diskutiert. Das Buch erklärt die ökonomischen Mechanismen und Instrumente der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und diskutiert Entwicklungsansätze. Zuständigkeiten sollten dann auf die EU-Ebene übertragen werden, wenn sie dort gegenüber Regelungen auf Länderebene einen klaren Mehrwert aufweisen. Gemeinschaftliche Institutionen und Maßnahmen sollten die Funktionsfähigkeit der Märkte und Reformanreize auf Länderebene stärken statt sie zu verwässern.

Prof. Dr. Eckhard Wurzel lehrt heute Europäische Ökonomie an der Universität Konstanz und der Universität Göttingen. Zuvor leitete er das Referat Europäische Union und Eurogebiet im Economics Department der OECD.

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Leseprobe

 

II          Freizügigkeit von Waren und Dienstleistungen


 

 

 

Verschaffen wir uns zunächst, im ersten Abschnitt des Kapitels, einen Überblick über grundlegende Auswirkungen des Übergangs von einer Situation mit Zöllen bzw. Handelsbarrieren zwischen den Ländern zu einer Zollunion, wie sie die EU darstellt. In hochintegrierten Gütermärkten, innerhalb der EU und auf dem Weltmarkt, werden in großem Umfang nicht nur Endprodukte gehandelt, sondern auch Güter, die als Vorleistungen in die Produktion von anderen Waren und Dienstleistungen eingehen. Darum geht es im zweiten Abschnitt des Kapitels.

1          Freier Handel und Zollunion


Adam Smith formulierte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Einsicht, dass Handel zwischen zwei Ländern vorteilhaft ist, wenn Land 1 bestimmte Güter zu geringeren Kosten herstellen kann als Land 2, Land 2 aber in der Lage ist, andere Güter zu geringeren Kosten zu produzieren als Land 1. Bei unverändertem Ressourceneinsatz ermöglicht die Spezialisierung der Produktion auf die jeweils kostengünstigste Gütererzeugung und der Handel der jeweils nicht selbst produzierten Güter zwischen den Ländern eine Vergrößerung der insgesamt produzierten Gütermenge bei gleich hohem Ressourceneinsatz – also eine höhere Effizienz der Produktion – zum Vorteil beider Länder.

Neben diesem Theorem des absoluten Vorteils fußt die Handelstheorie wesentlich auf dem Theorem des komparativen Vorteils, das von dem englischen Ökonomen David Ricardo zu Beginn des 19. Jahrhunderts formuliert und seither weiterentwickelt wurde. Demnach kann der Handel zwischen zwei Ländern selbst dann für beide Länder vorteilhaft sein, wenn eines der beiden Länder sämtliche Güter zu geringeren Kosten produzieren kann als das andere Land. Auf den ersten Blick widerspricht diese Aussage der Intuition; sie geht tiefer als das Theorem des absoluten Vorteils. Ricardo betrachtet die Kosten der Produktion eines Gutes innerhalb eines Landes relativ zu den Kosten der alternativen Produktion eines anderen Gutes in demselben Land (Opportunitätskosten). Das Theorem des komparativen Vorteils besagt, dass die Spezialisierung der Produktion auf die Güter mit den jeweils geringsten Opportunitätskosten und der Handel der nicht selbst produzierten Güter zu effizienterer Nutzung der Ressourcen (Produktionsfaktoren) führt, wenn die Opportunitätskosten der alternativen Produktion zwischen den Ländern unterschiedlich hoch sind. Wiederum kommt es bei unverändertem Ressourceneinsatz zu einer Vergrößerung der gesamten Produktion, die für beide Länder wohlfahrtssteigernd ist.

In einer Zollunion, bei der die Zölle zwischen den Mitgliedsländern beseitigt sind, kommen diese Effekte zum Tragen. Allerdings wird ihre Wirksamkeit dadurch eingeschränkt, dass nach wie vor Zölle bzw. Handelsbarrieren gegenüber Drittländern bestehen. Dies bewirkt Umlenkungen von Handelsströmen, die sich wohlfahrtsmindernd auswirken und deren Ausmaß von der Größe der Zollunion abhängt. Dieses Resultat motiviert eine Vergrößerung der Zollunion bzw. den Abschluss von Freihandelsverträgen zwischen der Zollunion und Drittländern. Der Punkt lässt sich einfach in einem Modell illustrieren, in dem die Länder nur ein homogenes Gut produzieren.

Für die Charakterisierung von Wohlfahrtseffekten werden oft zwei grundlegende Konzepte benutzt: die Konsumenten- und die Produzentenrente. Im Normalfall, abgeleitet aus dem Kalkül der Gewinnmaximierung der Unternehmen und Nutzenmaximierung der Konsumenten, steigt das Angebot und fällt die Nachfrage eines Gutes mit steigendem Güterpreis ( Abb. II-1). Betrachten wir die Konsumentenrente im linken Teil der Abbildung zuerst. Oberhalb des Preises P0 fragt niemand das Gut nach. Zum Preis P1 würden einige Käufer die Menge Q1 nachfragen. Wenn Pm der herrschende Marktpreis ist, bekommen diese Konsumenten die Güter aber zu einem deutlich geringeren Preis als P1. Die Differenz zwischen dem Preis, den sie für Q1 zu zahlen bereit wären (Reservationspreis), und dem tatsächlich zu zahlenden Marktpreis beträgt (P1 − Pm). (Für einige Konsumenten in dieser Gruppe ist die Preisdifferenz sogar noch größer, denn sie würden auch zu einem Preis kaufen, der zwischen P0 und P1 liegt.) Insgesamt haben die Konsumenten von Q1 demnach einen Wohlfahrtsgewinn (Einkommensgewinn), der der schraffierten Fläche entspricht. Eine entsprechende Überlegung gilt für die Konsumenten, die zum Preis P2 die Menge Q2 nachfragen würden und schließlich für alle Konsumenten, die zum herrschenden Marktpreis Pm die Menge Qm nachfragen. Insgesamt ist die Konsumentrente zum Marktpreis Pm die Fläche des Dreiecks zwischen der Nachfragekurve und der Preisachse oberhalb der Pm-Linie.

Für die Produzentenrente gilt Ähnliches (rechter Teil der Abbildung). Zum Preis P1 würden die Produzenten die Menge Q1 anbieten. Die Firmen erhalten zum herrschenden Marktpreis Pm aber einen höheren Preis als ihren Minimumpreis. Insgesamt entspricht die Produzentenrente zum Marktpreis Pm dem Dreieck zwischen der Angebotskurve und der Preisachse unterhalb der Pm-Linie.

Wie wirken Importzölle? Nehmen wir an, das Gut wird von den ausländischen Exporteuren zum Weltmarktpreis Pw auf dem heimischen Markt angeboten ( Abb. II-2). Ohne Zölle und Handelsbarrieren konkurrieren die ausländischen Anbieter zum Weltmarktpreis auf dem heimischen Markt mit den heimischen Firmen. Die heimischen Firmen können den Preis deshalb nicht über Pw hinaus anheben, da andernfalls die

Abb. II-1: Konsumentenrente und Produzentenrente

gesamte Nachfrage dem Ausland zufallen würde. Zum Preis Pw bieten die inländischen Produzenten die Menge Aw an. Die inländische Nachfrage zum Preis Pw ist Nw. Die Überschussnachfrage (Nw − Aw) wird vom Weltmarkt importiert. In diesem Zustand entspricht die Konsumentenrente der Fläche des oberen Dreiecks zwischen der Pw-Linie, der Nachfragekurve und der Preisachse. Die Produzentenrente ist die Fläche des unteren Dreiecks zwischen der Angebotskurve, dem gestrichelten Teil der Pw-Linie und der Preisachse.

Wird nun ein Importzoll der Höhe Z erhoben, so erhöht sich der Importpreis des Gutes auf P0. Die ausländischen Exporteure können also nicht mehr zum Preis Pw mit den inländischen Firmen konkurrieren, sondern nur noch zum höheren Preis P0. Als Folge des abnehmenden Importwettbewerbs wird der Preis der inländischen Firmen für das Gut auf P0 ansteigen, und im Bereich zwischen Pw und P0 wird das ausländische Angebot durch inländische Produktion verdrängt. Wegen des höheren Preises fällt die inländische Nachfrage auf N0. Importiert wird nun (N0 − A0). Auf der Nachfrageseite bewirkt der Zoll also, dass einige Konsumenten, die das Gut zum niedrigeren Preis gekauft hätten, nun auf das Gut verzichten. Dadurch vermindert sich die Konsumentenrente um die Fläche IV. Außerdem müssen diejenigen, die das Gut nach wie vor kaufen, nun einen höheren Preis bezahlen. Deren Einkommensverlust durch den Preisanstieg entspricht der Fläche des Rechtecks (I+II+III). Für die Konsumenten ergibt sich ein Wohlfahrtsverlust, der durch die Verminderung der Konsumentenrente um die Flächen (I+II+III+IV) gekennzeichnet ist.

Abb. II-2: Statischer Wohlfahrtseffekt von Zöllen

Wohin gehen die Mehrausgaben der Konsumenten? Einen Teil davon, (N0 − A0) ⋅ Z, also die Fläche III, kassiert der Staat als Zolleinnahmen auf alle importierten Güter. Die Fläche (I+II), also Z ⋅ A0, fließt an die heimischen Unternehmen. Ein Teil davon, die Fläche I, vergrößert die Produzentenrente. Dies ist eine Einkommensumverteilung zu Lasten der Konsumenten und zugunsten der Firmen. Der andere Teil, die Fläche II, repräsentiert die Kosten für die zusätzliche inländische Güterproduktion. Sie entstehen, weil der Zoll die Produktion vom Ausland ins Inland verschiebt. Auch diese Kosten tragen die Konsumenten. Insgesamt sind Zölle mit einem Wohlfahrtsverlust verbunden. Umgekehrt ist der Abbau von Zöllen mit Effizienzgewinnen verbunden, die die Wohlfahrt steigern.

Nichttarifäre Handelshemmnisse (NTBs) – etwa in Form einer Beschränkung der zulässigen Importe auf die Höhe (N0 − A0) – vermindern ebenso wie Zölle den Wettbewerb, erhöhen damit die inländischen Güterpreise und lenken Ressourcen auf Kosten...

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