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Europäisierung der inneren Sicherheit

Die Versicherheitlichung der Migration im institutionellen Diskurs der EU

AutorKatrin Jullien
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783638864176
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Thema: Europäische Union, Note: 1,4 , Humboldt-Universität zu Berlin (Postgraduierten-Studiengang Europawissenschaften ), 111 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit untersucht die Versicherheitlichung der Migration im institutionellen Diskurs der EU. Ausgehend von der Frage, warum die europäischen policy-maker vor allem die illegale Migration als Problem für die innere Sicherheit betrachten, werden zwei Erklärungen für dieses Phänomen geboten. Die politischen 'Problemlöser', die Migration vor allem aufgrund ihrer Verbindung zu Kriminalität und Terrorismus als Sicherheitsproblem sehen, werden der Erklärung der 'Securitisierer' gegenübergestellt, die Versicherheitlichung als soziales Konstrukt begreifen. Nach einer Bewertung dieser beiden Erklärungen komme ich zu dem Ergebnis, dass der proklamierte Zusammenhang zwischen Sicherheit und Migration nicht überzeugend wirkt, woraus ich folgere, dass weniger Bedrohungen als die interessensgeleitete, starke Präsenz der Justiz- und Innenminister in diesem Feld ein Verständnis für die Versicherheitlichung der Migration liefern kann.

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Leseprobe

2. Sicherheit – eine theoretische Annäherung


 

2.1 Sicherheitskonzepte im Kalten Krieg


 

In den Sicherheitskonzepten des Kalten Krieges war Sicherheit sehr eng mit militärisch-strategischen Aspekten verbunden und bezog sich fast immer auf Außenpolitik.[22] Nach dem Ende der ideologischen Auseinandersetzung musste sowohl die Politik als auch die Wissenschaft ihre bisherigen Konzepte von Sicherheit überdenken, da militärische Bedrohungen zwischen Staaten, die den zentralen Punkt in klassischen, realistisch geprägten Sicherheitskonzepten ausmachten, zunehmend marginal wurden.[23] Das Ende der bipolaren Weltteilung bedeutete für die Sicherheitsforschung auch den Beginn einer Identitätskrise, da Sicherheitsinstitutionen und -akteure des Kalten Krieges wie z.B. NATO und KSZE ihre Daseinsberechtigung neu definieren mussten.[24] Sicherheit fungierte hier nicht nur als ein Konzept, „it was a way to make a living“[25]. Die Frage, welche Art von Bedrohungen durch Sicherheitskonzepte abgedeckt werden können, zog sich durch die akademischen Debatten der Zeit nach dem Kalten Krieg. Diese Neu-Konzeptualisierung führte zu einer vielfältigeren und weniger staatszentrierten Perspektive auf Sicherheit, die auch Gemeinschaften von innen gefährdende Bedrohungspotentiale wie organisierte Kriminalität, Terrorismus, Fundamentalismus, Wirtschaftsspionage und Migration beinhaltete. Regionale und staatliche Disparitäten und deren Konsequenzen rückten in den Fokus von Sicherheitsstudien.[26] „The campaign against organised crime has had to serve as the surrogate for the Cold War enemy which [...] vanishes after the fall of the [Berlin, Anm. Autor] Wall.”[27]

 

Diese konzeptionellen Änderungen beruhen aber nicht nur auf dem Ende des Kalten Krieges, sondern gehen auch mit der Globalisierung einher, verstanden im Sinne Anthony Giddens als eine Verdichtung der Welt.[28] Dieser Intensivierung weltweiter Beziehungen wird häufig mit einem gewissen Unbehagen begegnet, weil damit auch für transnationale Kriminalität neue Dimensionen erwachsen können.[29]

 

Ähnlich wie der Kommunismus innerhalb der westlich-kapitalistischen Staaten eine einigende Kraft entwickelt hat, führte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Definition neuer Bedrohungspotentiale zur Entwicklung von neuen Kooperations- und Integrationsstrukturen.

 

2.2 Sicherheitskonzepte nach dem Kalten Krieg


 

Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs ermöglichte es, unterschiedliche Phänomene darunter zu fassen. Dadurch richtete sich der wissenschaftliche Blick in Sicherheitsstudien zunehmend auf die politischen Strategien, Migration als Sicherheitsproblem zu interpretieren. Ole Wæver, einer der führenden Repräsentanten der Kopenhagener Schule für Sicherheitsstudien, definiert Sicherheit im Kontext der Zeit nach dem Kalten Krieg daher folgendermaßen:

 

„When something is constituted as a security issue (i.e., securitized), it means that somebody (a securitizing actor) argues that this (the threat) poses an existential threat to something (the referent object) that has to survive (e.g., the state, the nation, or the environment)”[30].

 

Wæver weist darauf hin, dass sich Sicherheit auf verschiedene sogenannte ‚Referenzobjekte’ beziehen kann. Sie kann sich einerseits auf den Einzelnen und seine soziale Situation beziehen, andererseits auf ein Kollektiv wie den Staat, die Gesellschaft oder Gemeinschaften. Damit rücken auch andere proklamierte Bedrohungen als die staatszentrierten in das Forschungsinteresse. Nach Mitsilegas et al. lassen sich die mit illegaler Migration und organisierter Kriminalität verbundenen Bedrohungen zu drei verschiedenen Dimensionen klassifizieren. In politischer Hinsicht könne organisierte Kriminalität und illegale Migration die Macht der Regierung in Form von Kontrolle über ihr Territorium und ihre Administrationen, untergraben. Dadurch könne das Vertrauen der Bevölkerung in die souveräne Handlungsfähigkeit des Staates verloren gehen. Die durch illegale Migranten ausgeübte Schwarzarbeit könne Staat und Individuum in ökonomischer Hinsicht schaden. Organisierte Kriminalität, Drogenkonsum, Schwarzarbeit und Prostitution können zudem Folgen für den sozialen Zusammenhalt und die Wahrnehmung der kulturellen Identität der Gesellschaft haben.[31]

 

Der Fokus auf dem oben von Wæver angesprochenen Prozess der „securitization“ (siehe auch Punkt 2.4) in der konstruktivistisch geprägten Sicherheitsforschung nach dem Kalten Krieg fragt nun nicht nach dem Zusammenhang von identifizierter Bedrohung und Sicherheitsmaßnahme, sondern weitet den Blick auf den politischen und institutionellen Rahmen aus, der politische Fragen zu einer Sicherheitsfrage transformiert.

 

„Insecurity thus emerges from discursively and institutionally modulating practices in terms of security rationality that makes policies intelligible as a security practise.“[32]

 

Der zentrale Punkt in der Neu-Definition von Sicherheitsvorstellungen ist demnach

 

„[…] the move from threats to the rationality or logic of rendering events intelligible as security events. Security was conceptualized as a discourse that could (re)frame policy questions in a security way.”[33]

 

Drei in Europa auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung führende Schulen (Kopenhagener, Pariser und Waliser Schule) haben Konzepte zur Analyse von Sicherheit für die Zeit nach dem Kalten Krieg entwickelt. Allgemein zeichnen sich diese mit ihren akteurorientierten, situativen und diskursiven Fokussierungen durch eine konstruktivistische Perspektive aus und grenzen sich damit von den klassischen Konzepten und einem substantiellen Sicherheitsbegriff ab.[34]

 

In dieser Arbeit möchte ich dem Sicherheitsbegriffs Jef Huysmans folgen, der Sicherheit als soziale Konstruktion auffasst, dessen Bedeutung weniger von Bedrohungen abhängt, sondern von dem Rahmen, innerhalb dessen das Sicherheitskonzept Anwendung findet.[35] Der Sicherheitsdiskurs ist demnach umso bedeutungsvoller, je mehr Themen unter ihm diskutiert werden. Diese Auffassung löst sich von der Vorstellung klassischer Konzepte, die von realen Bedrohungen ausgehen. So werden Migranten nicht als per se bedrohlich aufgefasst, sondern der Forschungsblick richtet sich auf die politischen und sozialen Prozesse, die die Migranten als bedrohlich interpretieren.[36] Wie Bedrohungen wahrgenommen werden, hängt in der diskursiven Konstruktion von Sicherheit nicht von objektiven Gegebenheiten ab, sondern von der Konzeption der Gemeinschaften und der kulturellen und rechtlichen Imagination, auf die sie sich beziehen. Je homogener Gemeinschaften nach innen entworfen und je restriktiver sie nach außen abgegrenzt werden, desto stärker werden Migranten als Bedrohung für die Stabilität der Gemeinschaft gesehen. Um das Gesagte etwas anschaulicher zu machen: So lange Grenze nicht in dem Sinne politisiert wird, dass sie zwei verschiedene Völker voneinander abgrenzt, erscheint auch die cross-border-Migration nicht als grundsätzliches Sicherheitsproblem für die Gemeinschaft.[37]

 

Die Verwendung einer Sicherheitsrhetorik für Migration im institutionellen Diskurs der EU ist nach der konstruktivistischen Auffassung als Strategie zu begreifen.[38]

 

„The use of security language can actively shape a phenomenon into a security way thereby changing the political understanding of the nature of the policy problem and its evaluation of adequate methods of dealing with it.”[39]

 

Mit diesem diskursiven Verständnis von Sicherheit ist auch eine Kritik an Forschungsfragen verbunden, die die Verknüpfung von Migration und Sicherheit nicht kritisch reflektieren, sondern sie als gegeben voraussetzen.[40]

 

Wurde also Sicherheit im Kalten Krieg als Schutz der staatlichen territorialen Identität gesehen[41], so wird Sicherheit in der Konzeption der drei genannten Schulen keine gegebene, fest existierende Bedeutung zugesprochen. „Security is what the professionals of unease make of it”[42] Werden illegale Migranten als Bedrohung aufgefasst, so ist Sicherheit dann erreicht, wenn es keine illegalen Migranten mehr in der Gemeinschaft gibt. Werden militärische Aggressionen als wichtigste Bedrohung gesehen, so wäre eine stabile Friedenslage ein sicherer Zustand.

 

2.3 Sicherheit und Identität


 

“Security thus tells not only a story of threats and reference objects, but also one of production and reproduction of units and their identities.”[43] Huysmans analysiert in hervorragender Weise, wie in modernen Gesellschaften die “security story” identitätsstiftend im Sinne der Konstruktion einer “imagined community”...

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